Montag, 27. Dezember 2021

Ist der Mond auch da, wenn keiner hinschaut?

Ja, natürlich ist der Mond nicht da, wenn grad keiner hinschaut. Er wäre auch schon längst verschwunden, wenn... Irgendeiner nämlich schaut immer grad hin, irgendeiner hat nicht die nötige Selbstdisziplin, nicht hinzuschauen. Einer reicht ja, damit der Mond bleibt.

Es ist wie mit Gott. Auch Gott ist drauf angewiesen, daß jemand an ihn glaubt, also wirklich und existentiell glaubt, so wie die Tant Anna, die eigentlich meine Großtante war. Die hat sich schon auf den Tod und das Griberle [1] gefreut und daß sie dann endlich mit Gott und Jimi Hendrix plaudern kann [2]. Wäre Gott nämlich wirklich allwissend und allmächtig, dann wäre der Nichtglaube nicht die Sünde aller Sünden, die "Sünde, die nicht vergeben wird." Zu glauben, der Große Allmächtige Gott, der in sieben Tage eine ganze Welt aus dem Nichts erschaffen hat und ohne dessen Wissen und Wollen kein Haar von meinem Haupte fällt, würde mir Würschtl zürnen, weil ich nicht an ihn glaube, ist so was von blasphemisch, daß selbst mir als verstocktem Atheisten das Blut in den Adern gefriert.

Wo sind heute Zeus und Jupiter, die Zwillinge? Weg. Sie sind weg, weil eben niemand mehr an sie glaubt. COVID wäre schon längst weg, wenn niemand mehr an es glauben würde. Als ich noch klein war und jung kamen jede Nacht Dutzende Monster in mein Zimmer und wollten mich fressen. Ich habe mich unter die Bettdecke geflüchtet, wo ich sie nicht mehr sehen konnte - und tatsächlich, schwupp waren sie weg. Keiner von denen hat mich bis heute aufgefressen oder mir wenigstens in's Bein gebissen.

Und vor Gott habe ich auch meine Ruhe, seit ich nicht mehr an ihn glaube. Vielleicht glaubt aber Er (m/w/d) noch an mich.

Weil wir grad bei Gott sind: In frühchristlichen Zeiten gab es eine Gemeinschaft, die Gott zwingen wollte, endlich und subito das Jüngste Gericht anzublasen. Wir hören einfach auf zu vögeln, sagten sie sich, dann gibt es relativ bald keine Menschen mehr und Gott muß, ob er will oder nicht, dem Elend auf dieser Welt ein Ende setzen. Das war ein sauguter Plan, der aber - wir wissen es alle - nicht geklappt, denn einer (genauer: zwei) vögeln immer.

Ich neige ohnehin immer mehr zu der Ansicht, daß die Welt im Jahre 1950 durch einen einzigen Schöpfungsakt erschaffen wurde. Gott erschuf mich und baute dann eine Kulisse um mich herum, die ich Kosmos nenne. Ich sitze hier in einer Holzhütte, vor mir ein Teich, um mich rum Wiesen, Hiendlöd und Wald. Ob der Teich jetzt, in der Nacht, wo ich ihn eh nicht sehe, immer noch da ist, weiß ich nicht. Womöglich hat man ihn während der Nacht abgebaut. Ich gehe jetzt nicht raus, nachzuschauen, ich will ja niemand in Verlegenheit bringen. Womöglich aber ist mein Bewußtsein so konditioniert, daß ich - von ihnen gelenkt - nie das Bedürfnis habe, dort nachzuschauen, wo sie ihre Kulissen gerade nicht aufgebaut haben.

Ich war in Berlin, richtig, mehrmals sogar. Viele Menschen, merkwürdige Bauten (die Menschen sind noch viel, viel merkwürdiger als die Bauten). Ganz toll, wie sie das für mich aufgebaut haben, vor allem dann, wenn ich annehme (wofür ich Gründe habe), daß sie die Kulissen von Neustift nur anders bepinselt haben. Diese Kulissen braucht es ja nicht, wenn ich eh in Berlin bin und also Neustift gar nicht sehe.

Ach so, ja, die Menschen. Ich hab mich das auch schon gefragt, wieso ich Menschen sehe, wo es doch keine gibt. Meine Theorie ist, sie haben zweihundert, dreihundert Hulbis aus irgendeinem Paralleluniversum angeheuert, die - immer wieder anders verkleidet - vor mir herhuschen. Manchmal allerdings merke ich den Betrug. In Italien habe ich Leute getroffen, die ich schon aus Niederbayern kenne. Ich habe sie drauf angesprochen, sie jedoch haben frech behauptet, sie könnten kein Deutsch. Aber ich habe sie durchschaut.

Mit dem Internet haben sie einen ganz tollen Coup gelandet, weil jetzt brauchen sie meistens gar keine Kulissen mehr umzubauen, weil ich eh bloß zuhause sitze und Bildchen anschaue. Schon seit meiner Kindheit behaupten sie frech, es gebe New York. Ich habe nicht den mindesten Hinweis drauf, daß es New York wirklich gibt, ich habe noch nicht nachgesehen, womöglich wären sie mit den Kulissen für New York etwas überfordert. Deshalb haben sie mir eingeredet, ich hätte Angst vor dem Fliegen, so daß ich nicht nachschauen kann, ob das mit New York stimmt. Auch die Sache mit den Flugzeugen (im übrigen eine völlig absurde Idee, denn Metall kann nicht fliegen) kann ich deswegen nicht überprüfen.

Es gibt noch viele Fragen der Philosophie, die gelöst werden müssen, und ich muß sie ganz alleine lösen, denn die anderen Leute...

Ich bin nicht so einfältig, daß ich an andere Leute glaube.



[1]   Griberle: sudetendeutsches Kosewort für Grab.

[2]   Okay, das mit Jimi Hendrix ist gelogen. Die Tant Anna ist 1958 gestorben, damals war Jimi Hendrix gerade mal 16 Jahr, blondes Haar.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen