Samstag, 30. Juli 2016

Arschenbecher

Auf seiner hoch über der Brenz gelegenen Burg saß pfeiferauchend Graf Ro­land von Heidenheim und wartete voll Ungeduld auf das Erscheinen der Bi­­be­l­­übersetzung von Dr. Martin Luther.
Graf Rolands Interesse an Literatur hielt sich in Grenzen. Wie viele der Tradition verpflichtete Adelige seiner Zeit konnte er schlecht lesen und gar nicht schreiben. Da er aber ein starker Raucher war, hatte er nicht lange gezögert, als das Druck- und Verlagshaus Johann Gutenberg zu Mainz die
Gantze Heilige Schrift Teutsch 

zum sagenhaft günstigen Subskriptionspreis von 60 Gulden anbot. Zwei Nürnberger Kaufleute hatte Graf Roland entführen müssen, um sich vom Lösegeld dieses Sonderangebot leisten zu können.
Als die Heilige Schrift nach einigen Verzögerungen versandtechnischer Art endlich bei Graf Roland angelangt war, legte dieser wohlig aufseufzend seine Pfeife beiseite und griff nach dem Wort Gottes, von dem er sich Erlösung erhoffte.
Mit einem scharfen Messerchen schnitt er die erste Seite heraus, um dann daraus mit einer Schere ein Stückchen Papier zu schneiden. Aus seinem Tabaksbeutel holte er ein wenig des getrockneten Krautes, legte die braunen Krümelchen auf das Stückchen Papier und drehte sich dann mit geschickten Fingern eine Ta­bakstange. Mit einem Stückchen Holz aus dem brennenden Kamin war die Zi­garette schnell angezündet und Graf Roland tat einen tiefen Zug.
Das war entschieden etwas anderes als die verdammte Pfeife, auf die er seit mehr als einem Jahr hatte ausweichen müssen. Leichter zu handhaben, lag die Zigarette auch noch eleganter in der Hand als der von seinem Vater ererbte Tabakschmurgler. Und das Papier...
Der Buchdruck brachte entschieden einen neuen Wind in diese alte Zeit. Das Hadernpapier des Johann Gutenberg hatte im Rauch entschieden weniger störenden Eigengeschmack als das aus der Bauchhaut von jungen Schafen gefertigte Pergament. Graf Roland schauderte, wenn er an den tie­rischen Nachgeschmack der mittelalterlichen Handschriften zurück­dachte.
Wie sehr er den Alten Zeiten auch anhing, Graf Roland war fair genug, die Verdienste der Neuen Zeit dort anzuerkennen, wo er sie erkannte.
Nachdem er auf diese Weise fast die ganze Heilige Schrift in­haliert hatte, zeigte sich die wundertätige Kraft von Gottes Wort. Beim Rauchen der Geheimen Offenbarung des Apostels Johannes wurde Graf Roland die Erkenntnis zuteil, es müsse erheblich preis­gün­sti­ger sein, statt eines Buches lediglich Papier zu kau­fen.

So gingen die Jahre ins Land und Graf Roland rauchte still und zufrie­den Zigarette um Zigarette. Mit zart-eleganter Ge­ste, die so gar nicht zu seiner sonstigen Art passen mochte, klopfte er in regelmäßigen Zeitabständen die Asche ab. Sorgfältig zertrat er die Kippen auf dem Steinboden seiner Gemächer.
"Hier sieht es aus wie in einem Saustall", sagte die Gräfin mehr als einmal, wenn sie Mühe hatte, durch die dicke Schicht Asche und Kippen zu waten. Sie hatte recht, das zwar. Aber man muß wissen, daß mittelalterli­che Burgen, als sie noch bewohnt waren, nichts anderes waren als zu Fe­stungen ausgebaute Schweineställe.
Graf Roland, der nie einer Fehde aus dem Wege ging und stets zum blutigen Kampf bereit war, suchte Streit mit der Grä­fin zu vermeiden, und er wußte warum. Ihm, der Massa­ker liebte, wie andere Leute Sackhüpfen, ging der häusliche Frieden über alles. Also dachte Graf Roland nach, wie er seine Gemächer von Asche und Kippen sauberhalten konnte, ohne deswegen zum Rauchen auf den Balkon ausweichen zu müssen. Da er zu keinem Ergebnis kam, fragte er jeden, dem er begeg­nete, nach einer Lösung für sein Problem. Alle aber zuckten mit den Schultern und wußten ihm keinen Rat. Und so füllten sich Graf Rolands Ge­mächer mit Asche und Kippen und die Ehekrise der von Heidenheims wuchs sich zur Gemächerschlacht aus.
Die Dichter aber, sie wissen alles. Als Ramwold, der Minnesänger, auf seiner Deutschland-Tournee auch die Burg Heidenheim besuchte, erwuchs dem Grafen Rettung. "Lasse dir doch", sagte Ramwold lachend, "vom Töpfer ei­nen Aschenbecher machen."
Graf Roland leuchtete dies ein und er schickte nach Niklas Hainzlmayr, dem besten Töpfer von Heidenheim.
"Mache du mir", sagte der Graf zum Töpfer, "einen Aschenbecher, auf daß es mir wohlergehe und du lange lebest auf Erden."
Niklas, der Töpfer, hatte den drohenden Unterton in Graf Rolands Worten nicht überhört und versicherte eifrig, daß er sein Bestes geben werde, dem Herrn Grafen den Wunsch nach einem Arschenbecher zu er­füllen.
Nun ist es umstritten und wird für immer ungeklärt bleiben, ob Niklas, der Töpfer, schon ein wenig schwerhörig war oder Graf Roland etwas undeutlich sprach, der Zigarette wegen, die er zwischen den Lippen hielt. Klar ist und eindeutig bleibt, daß der Töpfer Hainzlmayr zeitlebens der Überzeugung blieb, Graf Roland habe ihm den Auftrag zur Anfertigung eines Arschenbe­chers gegeben.
Wie viele schwäbische Ingenieure und Handwerker seiner Zeit - und dies bis heute - war auch Niklas ein hoffnungsloser Optimist und so vertraute er darauf, er würde daheim, in der Werkstatt, schon drauf kommen, was Graf Roland mit dem Worte "Arschenbecher" gemeint haben könnte.
Niklasens Hoffnungen erfüllten sich nicht und so fand Edeltraud, die Töpferin, eines Nachts den Töpfer betrübt in seiner Werkstatt sitzen.
"Was sitzt du so spät noch und grübelst düster?" fragte Edeltraud ihren Gemahl.
"Ach, Frau", antwortete dieser seufzend. "Ich soll dem Grafen einen Ar­schenbecher fertigen, niemand aber vermag mir zu sagen, was das ist."
Frau Edeltraud mußte einsehen, daß dies wohl ein schweres Problem sei, mach­te sich aber unverdrossen ans Werk. Sie unterzog das Wort "Ar­schen­be­cher" der semantischen Ana­lyse, so wie sie dies vom Schulmeister einst gelernt hat­te. Bald hatte sie die Wort­be­stand­tei­le "Arsch" und "Becher" heraus­prä­pa­riert, was sie aber nicht wei­ter­brachte, obwohl ihr die Worte ver­traut waren. Erst als sie die Wort­be­standteile wieder zusammenfügte, wur­de ihr der Wunsch des Grafen so deut­lich wie eine Marienerscheinung.
Graf Roland, so verkündete sie ihrem stau­nen­den Gemahl, wünsche einen Ar­schenbecher. Und sie entwarf ihm einen Arschenbecher, wie die Welt zuvor noch nie einen Arschenbecher gese­hen hatte.
Nun, da die theoretischen Probleme gelöst waren, war die Anfertigung ein Kinderspiel für den besten Töpfermeister der Stadt. Schon drei Tage später konnte Niklas Hainzlmayr dem Grafen Roland seinen Arschenbecher überreichen.
Graf Roland war zufrieden und er belohnte den Tö­­pfer reich. Die Größe des Aschenbechers über­­raschte ihn zwar, erfreute ihn aber wegen des gro­ßen Fassungsvermögens.
Viele Jahre benutzte Graf Roland seinen Aschen­­becher, zur großen Freude der Gräfin, welche nun in den Gemächern des Grafen nur noch den burgüblichen Saustall vorfand.
Obwohl der Lungenkrebs noch nicht erfunden war, forderte das ständige Rauchen des Grafen schließlich doch seinen Preis. Im neunundsiebzigsten Jahre stehend, wurde er das Opfer seiner Leidenschaft. Wäh­rend der Belagerung Bietigheim-Bissingens wurde er des nachts von einem feindlichen Armbrustbolzen durchbohrt, als er gerade dabei war, sich einen Freudenstengel anzuzünden.
Mit dem Tode von Graf Roland übernahmen Nichtraucher die Herrschaft über Burg und Land. Der Aschenbecher wurde zum nutzlos herumstehenden Möbel, bis 43 Jahre später Graf Eberhard von Heidenheim auf die Idee kam, die hübsche Keramik als Kloschüssel zu verwenden.
200 Jahre später erfand ein anderer schwäbischer Ingenieur und Handwer­ker die Ableitung der Exkremente aus der Kloschüssel. Die 200 Jahre bis dahin gelten als die schlimmsten in der Geschichte der Burg.

Freitag, 22. Juli 2016

Geheimabkommen: Durchfahrt nur für Österreicher

Das hier ist die Steinerne Brücke zu Regensburg, beziehungsweise ein Brückenbogen davon.

Was schon rein farblich aus dem Brücken- und Donaugrau heraussticht ist das Verkehrszeichen. Ich sprach einen zufällig dort herumsitzenden Angler an und frug ihn, was das Schild wohl bedeuten solle. "Es heißt", antwortete der freundliche Mensch, "daß unter der Steinernen Brücke nur Österreicher durchfahren dürfen". - "Und die Deutschen, die Holländer?" - "Denen geht es wie den Bulgaren, Ungarn, Russen etc. pp. Sie müssen hier umkehren und zurück nach Rußland oder Holland fahren. Oder sie verkaufen ihr Schiff für 43 Euro an Österreich."

Einer slowakischen Schifferin", fuhr der Angler fort, "soll es unter Verweis auf Kaiser Franz Joseph I. einmal gelungen sein, sich als Österreicherin auszugeben und die österreichisch-bayerische Freundschaft zu betonen." (Man beachte die weißblauen Socken.)
Wie auch immer, einem aufrechten bayerischen Patrioten wie mir verkrampft sich bei solchen Worten das Herz. "Wie kann es sein", so seufzte ich den Petrijünger an, "daß irgendwelche Ausländer zweifelhaftester Abkunft sich in Bayern mehr Freiheiten herausnehmen dürfen als ein Bayer, dessen Familie bis auf das Türkenmariandl von anno 1683 zurückgeht?"
Das könne sein, so wurde ich belehrt, weil es ein Geheimabkommen zwischen Bayern und Österreich gebe, dergestalt, daß die Österreicher sich verpflichteten, sich wie ultra-beknackte Arsenlöcher zu benehmen, auf daß die Bayern im Vergleich ausgesprochen freundlich wirkten.
Eine saublöde Theorie, oder? Aber sein könnt's schon. Wann immer ich ein Bild vom Burli (1) sehe gefällt mir der Seehofer wieder. Und das heißt was.
Allerdings gibt es immer weniger Österreicher in Bayern, seit sich die anti-austriakischen Gewaltexzesse in Bayern häufen. Die wenigen, noch verbliebenen Österreicher hierorts sprechen Englisch, damit sie nicht so auffallen. Aber, im Vertrauen, der österreichische Akzent schlägt auch dann noch durch, wenn der Österreicher Englisch, Italienisch oder Kirgisisch spricht.

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(1) Die Piefkes werns nicht unbedingt wissen: "Das Burli" ist der österreichische Bundeskanzler.