Sonntag, 29. September 2019

Großangelegte Verschwörung: Schmuggelt die Regierung Rechtschreibfehler in Posts von Patrioten?

Berlin (dpo) - Es ist ein ungeheuerlicher Vorwurf, doch die Indizienlage ist erdrückend: Manipuliert die Regierung gezielt Posts und Kommentare von Patrioten im Internet so, dass sie Rechtschreibfehler enthalten? Darauf deutet eine neue Studie des "André-Pogenburg-Instituts für angewannten Patrieotismus" (APIfaP) hin.
"Offenbar versucht die Merkel-Regierung gezielt, ihre schärfsten Kritiker in der Öffentlichkeit bloßzustellen, indem sie sie wie Idioten dastehen lässt, die trotz aller Vaterlandsliebe kein ordentliches Deutsch gelernt haben", erklärt Institutsleiter Aaron Kramm, der mit seinem Team mehr als 15.000 einschlägige Posts analysierte.
Der Verdacht: In speziellen Rechenzentren der Regierung werden Online-Beiträge von AfD- und NPD-Anhängern entweder automatisch oder durch die Handarbeit tausender Spezialisten identifiziert und anschließend mit den haarsträubendsten Schreibfehlern versehen.
Damit sollen Patrioten der Lächerlichkeit preisgegeben und ihre Anliegen diskreditiert werden. Die einfache Rechnung: Wer nicht einmal die deutsche Sprache beherrscht, hat im öffentlichen Diskurs nichts verloren.
Kramm nennt ein Beispiel: "Der besorgte Bürger Mike G. etwa hat mir persönlich versichert, dass er einen Post mit dem exakten Wortlaut 'Wo bekomme ich denn AfD-Flyer her? Ich würde sie gerne verteilen, um meine Krefelder Mitbürger aufzuwecken' verfasst hat." Doch durch die perfide Manipulation des Bundesregierung erschien sein Beitrag wenig später so im Internet:
Ähnliches widerfuhr Silke P. aus Unna, die einen wohldurchdachten Post darüber verfasste, dass die Aufnahmekapazitäten Deutschlands ihrer Ansicht nach erschöpft seien, weshalb die Politik handeln müsse:
 Das APIfaP fordert nun von der Regierung eine umfassende Aufklärung der Vorwürfe. In einem Facebook-Post des Instituts heißt es: "Es ist, eine frecheit , das aufrechte deutsche Patrieoten auf dise Weiße verglimpft werden!!!1! Die BRD-BetRüDer, wo hinter den Mahcenschafen sint, gehöhren allesand vergaßt."
Unfaßbar!

Dieser Blogbeitrag ist - natürlich - nicht von mir, sondern vom ganz famosen "Postillon", mir würde so was nie 1fallen.. Von mir ist lediglich der Nachklapp "Unfaßbar!", aber auch der ist in Wirklichkeit nicht von mir, sondern vom ganz famosen "Fisch und Fleisch"-User MC.
Weiß jemand, wieso Name und Avatar von Leuten schwarzgebalkt werden, die sowohl ihren Namen als auch ihren Avatar im Internet veröffentlichen, wo dann jeder auf den Fidschi-Inseln oder in Wien-Hernals Name und Avatar sehen kann? Hat man Angst, Berliner Drecksfotzenrichter würden erneut ein geisteskrankes Urteil fällen, das Justitia wie eine Schlampe aussehen läßt, die auf den Sondermüll gehört?


Apropos: Mitte der 70er Jahre hat der - damals noch - cand. jur. Reinhard Pöllath auf einer Veranstaltung in der Universität Regensburg gesagt: "Es ist ein merkwürdiger Zusammenhang, daß einer umso weniger Deutsch kann je deutscher er fühlt."

Donnerstag, 26. September 2019

Nationalratzwahl - Mir doch Banane!

Lang lebe Kurz!

In 1 paar Tagen sind im schnitzelförmigsten Land der Welt
 Nationalratzwahlen. Der Oberratz wird höchstwahrscheinlich wieder das Burli, über den nächsten Witzekanzler will ich nicht mal nachdenken.
Damit die hierorts versammelte revolutionäre Jugend in die richtige rewolutzionäre Stimmung kommen möge:

LA UNITED FRUIT CO.

Text Pablo Neruda Canto general
Musik Mikis Theodorakis
Cuando sonó la trompeta, estuvo
todo preparado en la tierra,
y Jehova repartió el mundo
a Coca-Cola Inc., Anaconda,
Ford Motors, y otras entidades:
la Compañía Frutera Inc.
se reservó lo más jugoso,
la costa central de mi tierra,
la dulce cintura de América.
 
Bautizó de nuevo sus tierras
como "Repúblicas Bananas,"
y sobre los muertos dormidos,
sobre los héroes inquietos
que conquistaron la grandeza,
la libertad y las banderas,
estableció la ópera bufa: 
enajenó los albedríos
regaló coronas de César,
desenvainó la envidia, atrajo
la dictadora de las moscas,
moscas Trujillos, moscas Tachos,
moscas Carías, moscas Martínez,
moscas Ubico, moscas húmedas
de sangre humilde y mermelada,
moscas borrachas que zumban
sobre las tumbas populares,
moscas de circo, sabias moscas
entendidas en tiranía.
 
Entre las moscas sanguinarias
la Frutera desembarca,
arrasando el café y las frutas,
en sus barcos que deslizaron 
como bandejas el tesoro
de nuestras tierras sumergidas. 
 
Mientras tanto, por los abismos
azucarados de los puertos,
caían indios sepultados
en el vapor de la mañana:
un cuerpo rueda, una cosa
sin nombre, un número caído,
un racimo de fruta muerta
derramada en el pudridero. 
 
ENGLISH TRANSLATION

When the trumpet sounded
everything was prepared on earth,
and Jehovah gave the world
to Coca-Cola Inc., Anaconda,
Ford Motors, and other corporations.
The United Fruit Company
reserved for itself the most juicy
piece, the central coast of my world,
the delicate waist of America.

It rebaptized these countries
Banana Republics,
and over the sleeping dead,
over the unquiet heroes
who won greatness,
liberty, and banners,
it established an opera buffa:
it abolished free will,
gave out imperial crowns,
encouraged envy, attracted
the dictatorship of flies:
Trujillo flies, Tachos flies
Carias flies, Martinez flies,
Ubico flies, flies sticky with
submissive blood and marmalade,
drunken flies that buzz over
the tombs of the people,
circus flies, wise flies
expert at tyranny.

With the bloodthirsty flies
came the Fruit Company,
amassed coffee and fruit
in ships which put to sea like
overloaded trays with the treasures
from our sunken lands.

Meanwhile the Indians fall
into the sugared depths of the
harbors and are buried in the
morning mists;
a corpse rolls, a thing without
name, a discarded number,
a bunch of rotten fruit
thrown on the garbage heap.

Ropfront!

Montag, 23. September 2019

YMIAB

Ja, was weiß denn ich, warum du eine Biene bist.

Freitag, 20. September 2019

Rokokokokottenrock

Ich mein, ausschaun tut's ja, als wär der Schreiber mitten im Schreiben von einem epileptischen Anfall überrascht worden.

In Wirklichkeit steht da "Rokokokokottenrock" in Steno, volle Verkehrsschrift.
Lernt heutzutag überhaupt noch einer Stenographie?

Dienstag, 17. September 2019

Die Wahrheit als Panne

Das Volk ist in der Demokratie der Empfänger von Macht, nicht ihr Ursprung

Was Wahrheit letztendlich und eigentlich ist, ob es überhaupt eine gibt und wenn ja, ob wir diese je erkennen können, und - falls wiederum ja - wie diese Wahrheit nun genau aussieht - darüber haben sich Generationen von Philosophen Gedanken gemacht. Eine Lösung hat bislang noch keiner gefunden, offensichtlicherweise denn hätte es einer, so gäbe es nur noch 1 Philosophie, und zwar die richtige.
Nach langem Grübeln über das Leben, das Universum und den ganzen Rest bin ich für mich zu dem Ergebnis gekommen, daß wir niemals hinter die Wahrheit kommen werden und daß das auch ganz gut ist. Ich bin zum Anhänger des Jameiismus geworden, welcher besagt: Ja mei, da kannst nix machen, es is halt wie's is.

Wahrheit

Daß die Frage nach der Wahrheit immer noch unbeantwortet ist, sollte niemanden mehr freuen als die Philosophen selber. Die ewige Suche nach der Wahrheit ist für einen berufsmäßigen Philosophen nämlich ein wesentlich günstigeres Geschäftsmodell als ihr Finden. Käme tatsächlich einer dahinter, woher wir kommen, wohin wir gehen und welcher Sinn in dem Schlamassel dazwischen steckt, und könnte er zudem seine Antwort auch stichhaltig und unwiderleglich beweisen, so wäre die Luft aus aller Philosophie und Theologie heraus.
Aus, Äpfel, Amen. "Laden zu vermieten - Wegen mangelnder Nachfrage mußten wir die Firma 'Sein & Nichts GbR - Sinn en gros und en detail' leider schließen."
Wer über ein bisserl Lebenserfahrung verfügt, weiß natürlich, daß meine Schlußfolgerung Unsinn ist. So klar und eindeutig kann eine Antwort gar nicht sein, daß sich nicht doch Leute fänden, die nach der Antwort hinter der Antwort suchen.
Douglas Adams hat sich in "Per Anhalter durch die Galaxis" [1]  mit seiner Episode vom Computer Deep Thought über die Sinnsucher lustig gemacht. Nach einer Rechenzeit von 7,5 Millionen Jahren liefert der Supercomputer die Antwort: 42. Diese Antwort aber, so verkündet der Computer, bleibe sinnlos, solange man nicht die dazu passende Frage genau formuliert habe. Im weiteren Verlauf des Romans kommt der Held des Romans zufällig hinter die passende Frage: "Wie viel ist neun multipliziert mit sechs?". Wer das kleine Einmaleins noch im Kopf hat, dem wird auffallen, daß die Frage nicht zur Antwort paßt. Klar, Adams macht sich über die Sinnsucher lustig.
Und was passiert? Adams hätte es sich absurder nicht ausdenken können: Rudel von Sinnsuchern versuchen, hinter das Geheimnis der von Adams formulierten Lösung 42 zu kommen. Sie bemühen Lewis Carroll [2], das 13er-Zahlensystem, die Weisheit tibetischer Mönche etc., um auf die Spur eines bewußt formulierten Unsinns zu kommen. Adams selbst merkt dazu an: "Die Antwort darauf ist ganz einfach. Es war ein Scherz. Es musste eine Zahl sein, eine gewöhnliche, relativ kleine Zahl, und ich entschied mich für diese. Binäre Darstellungen, Basis 13, Tibetische Mönche, das ist alles kompletter Unsinn. Ich saß an meinem Schreibtisch, blickte in den Garten hinaus und dachte ‚42 wird gehen‘. Ich schrieb es hin. Ende der Geschichte." Dem wahren Sinnsucher jedoch ist klar, daß das nur ein Täuschungsmanöver von Adams sein kann, eine Finte, um die eigentliche Wahrheit zu schützen.
Was lernen wir daraus? Wer bekannt genug ist, um überhaupt wahrgenommen zu werden, der kann sagen und schreiben, was er will, er kann sogar ausdrücklich hinzufügen, daß all das, was er geschrieben habe, ein übermütiger Scherz gewesen sei - es nützt nichts. Einer hermeneutelt immer.

Gauweiler

Aber, Leute, ich habe mich verschwatzt. Eigentlich nämlich wollte ich von Peter Gauweiler erzählen, der einmal aus Versehen die Wahrheit gesagt hat.
Um die Jahrtausendwende hatte die CDU/CSU mit einer der üblichen, routinemäßigen Finanz- und Spendenaffären zu kämpfen. Im Januar 2000 hat Peter Gauweiler der Passauer Neuen Presse dazu ein Interview gegeben.
Dabei ist ihm ein Satz entschlüpft, den der zuständige Redakteur für so wichtig hielt, daß er ihn als Überschrift zum Interview wählte:
"Wir müssen dem Volk wieder mehr Macht geben."
In diesem kleinen Satz eines Menschen, der etwas von Macht versteht, ist die ganze Wahrheit über die politische Realität der Bundesrepublik Deutschland enthalten.
Im Grundgesetz findet sich der lakonische Satz: "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus." Der Dichter Bertolt Brecht hat diesen Satz einmal um eine Frage ergänzt: "Wo aber geht sie hin?"
Zu Peter Gauweiler und seinen Freunden in Politik und Wirtschaft geht sie hin. Das wissen wir zwar schon lange, aber die Mächtigen in diesem Lande blasen normalerweise empört die Backen auf, wenn einer dergleichen behauptet. Sie verdächtigen ihn, er wolle eine andere Republik, eine andere Demokratie und natürlich haben sie recht mit diesem Verdacht. Nun aber hat einer aus dem Inneren Zirkel der Macht sein Nähkästchen geöffnet und uns plaudernd bestätigt, was wir bereits wissen.
Denn eines ist klar: Nur wer die Macht hat, kann ein Stückchen davon dem Volk abgeben.
Ich habe damals einen Leserbrief an die Passauer Neue Presse geschrieben, der Leserbrief wurde nicht abgedruckt (sie haben damals die meisten meiner Leserbriefe abgedruckt, das nebenbei). Und einen Internetanschluß hatte ich seinerzeit noch nicht. Denn das Internet vermag, recht genutzt, einiges in Bewegung zu bringen, was sonst unbeweglich geblieben wäre.

Köhler

Als seinerzeit Bundespräsident Köhler in einem Rundfunk-Interview ein streng gehütetes Staatsgeheimnis ausplauderte, wurde er unverzüglich aus dem Amt gemobbt. Das Staatsgeheimnis war, daß Deutschland nicht wegen der Menschenrechte in Afghanistan Krieg führt, sondern in Wirklichkeit zur Wahrung seiner wirtschaftlichen Interessen:
"Meine Einschätzung ist aber, daß insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, daß ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muß, daß im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ, bei uns durch Handel Arbeitsplätze und Einkommen zu sichern."
Dieses Geheimnis kennt zwar jeder, der sich fünf Minuten Zeit nimmt, drüber nachzudenken, aber unter Politikern war (und ist) es strengster Komment, darüber nicht öffentlich zu sprechen.
Köhler hatte ein Tabu gebrochen, er hatte die große Lebenslüge bundesdeutscher Außenpolitik in die allgemeine Diskussion gezerrt. Der Skandal war nicht, daß er etwas Falsches gesagt hätte, er hat im Gegenteil etwas sehr, sehr Richtiges ausgesprochen, was aus Sicht der politischen Klasse besser ungesagt geblieben wäre.
Ich darf an dieser Stelle an das bekannte Wort von George Bernard Shaw erinnern: "Die Lebenserfahrung, diese Wissenschaft nach Hausmacher-Art, lehrt die von ihr Befallenen, daß es nicht die gänzlich neuen, für alle völlig überraschenden Nachrichten und Erkenntnisse sind, die aufgeregten Wirbel verursachen. Verblüffende Neuigkeiten machen uns allenfalls staunen, wirkliche und nachhaltige Empörung hingegen lösen jene Tatsachen aus, die jedermann längst bekannt sind, die lediglich von irgend jemandem irgendwann einmal ausgesprochen werden."
Wobei der Verplapperer von Köhler zunächst mal gar keine Empörung, noch nicht mal Wirbel verursacht hat. Keiner von den bekannten oder weniger bekannten Kommentatoren in den großen oder weniger großen Zeitungen oder Rundfunkanstalten hat sich darüber aufgeregt oder die Aussage auch nur erwähnt. In den Medien wurden die Äußerungen Köhlers nicht weiter beachtet, man könnte auch sagen, sie wurden totgeschwiegen. Das ging so weit, daß der Deutschlandfunk, der das entsprechende Interview gesendet hatte, auf seiner Website zunächst eine komplette Version des gesendeten Interviews brachte, nach einigen Stunden jedoch war an dieser Stelle eine geschnittene Fassung des Interviews zu hören, in welcher der brisante Satz fehlte!
Lediglich im Internet haben einige Blogger das Thema aufgegriffen und die Leute auf diese Äußerung aufmerksam gemacht. Erst als im Netz die Wogen so hoch schlugen, daß man sie nicht mehr ignorieren konnte, griffen auch die Medien die Geschichte auf.
Man hat die Affäre sehr geschickt gelöst, indem man Köhler zum Rücktritt veranlaßte. Durch seinen Rücktritt wurde viel über den Rücktritt und das durch die Kritik an Köhler angeblich beschädigte Amt gesprochen. Das eigentlich Interessante an dieser Geschichte, der Satz nämlich, der letztlich zum Rücktritt geführt hatte, wurde dadurch überwirbelt und unsichtbar gemacht und war nach anderthalb Jahren bereits so gut wie vergessen.
Was man aus den Geschichten um Peter Gauweiler und Horst Köhler lernen kann? Ich glaube, es war Hercule Poirot, der einmal sinngemäß sagte, wenn man sich mit den Leuten lange genug unterhalte, sie einfach plaudern lasse und ihnen aufmerksam zuhöre, dann komme man hinter ihre verborgenen Geheimnisse. Irgendwann verplappere sich jeder.

Afghanistan

Um auf Afghanistan und die wirtschaftlichen Interessen zurückzukommen... Im Juni 2010 war es in allen Zeitungen zu lesen: "Ein US-Team von Geologen und Mitarbeitern des Verteidigungsministeriums (!; Ausrufezeichen von mir, W. H.) will Rohstoffvorkommen im Wert von fast einer Billion Dollar in Afghanistan aufgespürt haben. (...) Es gehe um Lithium, Eisen, Kupfer und Gold, zitiert die Zeitung hochrangige US-Beamte.
In einem internen Papier des Verteidigungsministeriums heißt es demnach sogar, Lithium könne für Afghanistan das werden, was Erdöl für Saudi-Arabien bedeutet."
Die Meldung, die uns suggerierte, es sei dies ein brandaktuelles Forschungsergebnis, wurde einige Tage lang durch das Mediendorf getrieben, dann war Ruhe. Einige Sekunden lang hat der Große Zauberkünstler aus Washington seine Karten gezeigt, dann hat er mit dem Finger geschnipst und hypnotischer Schlaf hat die weltweit verbreitete Meldung wieder aus dem Gedächtnis der Welt gelöscht. David Copperfield ist im Vergleich dazu ein Anfänger.
Und es ist nicht das erste Mal, daß diese hochbrisante Meldung dem Vergessen anheim fiel. Bereits am 13. 10. 2001 - einen guten Monat nach 9/11 - schrieb Hubertus Erb in heise.de diesen Artikel:
Vor einigen Jahren hat man darüber gestritten, ob es sich beim Kuddelmuddel in Afghanistan um Krieg oder um "kriegsähnliche Zustände" handelte. Dabei waren die kriegsähnlichen Zustände in Afghanistan, in welche die Bundeswehr eingegriffen hat, bereits ganz offiziell ein Krieg, als noch Franz-Josef Jung Verteidigungsminister war. Damals hat Georg Schramm auf ein Pressephoto hingewiesen, auf dem zu sehen war, wie Angela Merkel einem Soldaten einen Orden an die Brust heftete. Georg Schramm, gelernter Psychologe, war etliche Jahre Berufssoldat [3] und er merkte an, daß militärische Orden durch den jeweiligen Oberbefehlshaber verliehen werden. In Friedenszeiten ist das der Verteidigungsminister, im Verteidigungsfall (vulgo: Kriegsfall) ist dies der Bundeskanzler.
Ist der Verteidigungsfall eingetreten, gibt es solange keine Bundestagswahlen mehr, bis der Krieg zu ende ist.

Um zum Schluß noch einmal auf die Wahrheit als solche zurückzukommen:
"Meine Herren, es hat zu allen Zeiten Völker gegeben, die an einen Gott glauben, und es hat zu allen Zeiten Völker gegeben, die an keinen Gott glauben. Die Wahrheit wird, wie immer, in der Mitte liegen." (THEODOR FONTANE)



[1]   Die einzige vierteilige Trilogie in fünf Bänden der Literaturgeschichte.
[2]   Lewis Carroll ist der Verfasser von "Alice im Wunderland" und war im Zivilberuf Mathematiker.
[3]   Er war Jahrgangsbester bei den Einzelkämpfern.

Doitsche Sprach - kann, muß nicht

In dem zurecht weitgehend unbekannten Internet-Forum "Fisch und Fleisch" schrieb kürzlich jemand: "Bin schon froh, dass ich Hochdeutsch kann, mit all seinen überflüssigen Fällen und Artikeln. Wurde nur erfunden, um stets dem gemeinen Volk seine Dummheit vor Augen führen zu können."
Freilich, wozu auch brauche ich eine differenzierte deutsche Sprache, wenn es doch reicht, irgendwas in die Welt zu grunzen. Mein Gesprächspartner wird sich schon denken können (wenn er denn denken kann), was ich gemeint haben könnte. Wenn er nicht denken kann (wovon ich hier bei "Fisch und Fleisch"  bei jedem User bis zum Beweis des Gegenteils erstmal ausgehe) ist es schon zweimal wurscht, was ich auf den Server in Wien rülpse. Abgesehen davon ist mindestens die Hälfte von dem, was im Internet und vor allem hierzuforum mitgeteilt wird, sowieso gelogen, ein dritter Grund, warum Sprache nicht mehr wichtig ist.
Ich stelle mir grad vor, es wäre ein ausländischer Zuwanderer gewesen, der sich so wie der oben zitierte User über einen differenzierten Gebrauch der deutschen Sprache geäußert hätte. Groß wäre das Geheul aus der rechten Ecke gewesen über diesen Scheißkanacken, der bibergleich das Fundament abendländisch-christlich-jüdischer Kultur zernagt. Ich mach ihn Krankenhaus, dann sieht er scheiße aus.
Ich sing das "Ich mach dich Krankenhaus, dann siehst du scheiße aus" gerne auf das bekannte Motiv aus der Ouvertüre von "La Traviata"
Dein Knie hätte ich auch nie sehen dürfen.
"Ich hab dein Knie gesehn / Das durfte nie geschehn" mag alles Mögliche sein, deutsch ist es nicht. "Das hätte nie geschehen dürfen" müßte es eigentlich heißen, aber sing da mal was drauf, auf welche Melodie immer.
Weil's jetzt auch schon wurscht ist... In einem Kurs für Stenographie (volle Verkehrsschrift) hatten die Schüler mal folgenden Satz zu schreiben: "Sind der Ring und die Spange Anna genehm?" Im Lateinunterricht sollten sie folgendes auf Caesareisch übersetzen: "Glaubst du, daß dem Gaius Sempronius Gracchus vor eingemachten Bilchmäusen geekelt haben würde?"
Zur Not kommt man aber auch ohne Deutsch aus. "Sorry, my bad", schrieb mal einer im Usenet, "War wohl eher meine Font als Dein Encoding", worauf ich antwortete: "So schön kann die Deutsche Sprache sein, wenn man sie nicht benutzt."

Montag, 16. September 2019

Tod im Südatlantik

Nicht jeder, der auf St. Helena stirbt, ist vorher Napoleon gewesen.

Sonntag, 15. September 2019

Fälschung, plumpe

Es ist schon eine Weile her, daß ich im SPIEGEL dieses Bild von einem segnenden Christus gefunden habe. Der Text dazu behauptet, es handele sich um ein Christusmosaik aus dem 4. Jahrhundert, das man in einem Haus in Ostia bei Rom ausgegraben habe.
Ich muß gestehen, daß ich das nicht geglaubt habe, ich habe es für einen Scherz gehalten. Das Bild sieht es, als wäre es aus dem 20. Jahrhundert. Ich habe im Internet nachgeschaut, es ist wirklich aus dem 4. Jahrhundert.
Dieses Bild "Mann mit Trachtenhut" von einem gewissen Franz Josef Rembrandt ist dagegen mit Sicherheit eine Fälschung.
Im übrigen ist der "Mann mit Goldhelm" von Rembrandt Harmenszoon van Rijn
ebenfalls eine Fälschung, beziehungsweise eine Falschzuschreibung.

Samstag, 14. September 2019

Der Rot-Blaue Stuhl von Gerrit Rietveld

Ich muß gestehen, ich weiß nicht, wie gut man in der Kunstgeschichte bewandert sein muß, um Gerrit Rietveld und seinen Rot-Blauen Stuhl zu kennen. Ich bin eher zu­fällig auf Rietveld und seinen Stuhl gestoßen. Wir - das heißt meine inzwischen verstorbene Frau und ich -hatten damals die Website eines kleinen Apartment-Hotels vom Italienischen ins Deutsche zu übersetzen. Man warb für das Etablissement unter anderem mit dem Hinweis, im Apartment "Luna" stehe eine Reproduktion des Rot-Blauen Stuhls zur gefälligen Benutzung.
Wir haben uns damals kundig gemacht. Gerrit Thomas Rietveld war ursprünglich Schreinermeister, entwickelte sich dann aber zu einem der bedeutendsten Architekten und Designer der De-Stijl-Gruppe.
Die Künstlergruppe De Stijl formierte sich um eine gleichnamige niederländische Zeitschrift für Bildende Kunst, die von Theo van Doesburg herausgegeben wurde und zwischen 1917 und 1932 erschien. 1917 entwarf Gerrit Rietveld seinen "Rot-Blauen Stuhl" ("Rood Blauwe Stoel"). Ursprünglich war der Stuhl in den für De Stijl charakteristischen Farben Schwarz, Grau und Weiß gehalten. Beeinflußt von den Gemälden Piet Mondrians übernahm Rietveld 1923 die für Mondrian typische Farbgebung.
Ein Stuhl ist ein Gebrauchsgegenstand, auch ein von einem Designer entworfener Stuhl ist von vorneherein auf die massenhafte, industrielle Fertigung dieses Stuhlmodells ausgelegt. Ein industriell hergestellter Stuhl gleicht exakt dem anderen, das Original (sagen wir besser: der Prototyp) dieses Stuhls ist nicht besser oder schlechter als eine der unzähligen Kopien. Packt man den Prototyp und versteckt ihn im Lager irgendwo zwischen vielen, vielen Industriestühlen des gleichen Typs, so wird er auf ewig unauffindbar bleiben.
Das Original des Rot-Blauen Stuhls befindet sich im Besitz des Stedelijk Museums in Amsterdam und wird dort stolz präsentiert. Würde das Museum den Stuhl je verkaufen, so erzielte es einen sehr hohen Preis, unvergleichlich viel höher als es der Preis wäre, würde Rietvelds Stuhlmodell in einem Möbelhaus angeboten.
Der besondere Witz an Rietvelds Stuhl ist der Umstand, daß Rietveld, obwohl selber Schreinermeister, den Stuhl zwar entworfen hat, gebaut hat den "Original"-Stuhl aber ein gewisser Gerard van de Groenekan.
Selten wird es so deutlich, daß der im Museum stehende Original-Stuhl eine Erfindung menschlicher Phantasie ist. Die künstlerische Leistung Rietvelds bestand in der Idee des Stuhls, die er auf Papier festgehalten hat und dann in Holz hat bauen lassen. Diese künstlerische Idee des Stuhls teilt sich dem Kunstfreund oder auch einem gewöhnlichen Hinsetzer bei jedem Exemplar der Baureihe in gleicher Weise mit.
Der Kunstfreund und Hinsetzer hat bei einem industriell gefertigten Stuhl überdies den nicht hoch genug zu schätzenden Vorteil, daß er bei einem im Laufe des Gebrauchs unvermeidlichen Kratzer in der Lackierung oder sonst einer Abnutzungserscheinung nicht mehrere hunderttausend Euro Wertverlust hinnehmen muß. Einmal über den Kratzer lackieren und die Kunst ist wieder hergestellt.
Ein Studienfreund von mir war mal von einer Stuhlkreation der dänischen Firma "Den Permanente" [1] fasziniert. Der Kauf dieses Meisterwerks dänischen Kunsthandwerks hätte sein Budget weit überstiegen, so daß er sich den Katalog hat schicken lassen und anhand der zwei, drei Photos aus verschiedenen Perspektiven den Stuhl nachgebaut hat. Ich durfte den fertigen Stuhl besichtigen, wirklich hypsch. Ich durfte seinen Stuhl auch bearschen, das Ding hielt, was die Bilder versprochen hatten.
Ich bin gerne wieder aufgestanden. So richtig bequem - was ich von einem Stuhl zuvörderst erwarte - war er nicht. Mein Hintern ist doch deutlich konservativer als mein Kopf.



[1]   Der Laden von "Den Permanente" in Kopenhagen ist in Hitchcocks Film "Der zerrissene Vorhang" für weniger als eine Minute ein Schauplatz. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, daß die Agenten bei der einen Tür rein- und bei der anderen wieder rausgegangen sind.

Freitag, 13. September 2019

Arsch, Kacker, Zwischenfresser

 Wie Ödipus einmal mit dem Leben davonkam [1]

WAS BISHER GESCHAH:
In Theben wütet die Pest. Kreon, der Vorsitzende der IHK Theben, ist aus Delphi zurückgekommen, wo er das Orakel befragt hatte. Kreon ist der Bruder von Iokaste, der Königin und damit Schwager von Ödipus, dem König. Kreon ist gleichzeitig auch der Onkel von Ödipus, aber das weiß zu diesem Zeitpunkt noch keiner.
Der Schuster Demosthenes eilt in den Königspalast, um dort die Botschaft von der Rückkehr Kreons zu überbringen. Er gerät mit Ödipus in Streit, erkennt dann erst, daß es sich hierbei um den König handelt. Kreon berichtet, er habe von der Orakelin erfahren, daß der vorherige König Laios im Gebirge erschlagen worden sei und der Mörder sich in Theben befinde. Es gelte, den Mörder zu finden und zu bestrafen.
Man rüstet zur Gerichtsverhandlung, Ödipus und Kallipyga richten das Arbeitszimmer von Ödipus manierlich her [2].

3. Akt

Arbeitszimmer von König Ödipus

ÖDIPUS, KALLIPYGA

Das Arbeitszimmer von König Ödipus ist geprägt von schreiender Unordnung. Ödipus und Kallipyga sind mit Eifer dabei, das herzzerreißende Chaos aufzuräumen, so daß der Raum schließlich entfernt an einen Gerichtssaal erinnert.
Kallipyga klatscht mit grimmiger Genugtuung einen Bürostuhl auf den Fußboden.
KALLIPYGA Demosthenes ist ein Arschkriecher und Speichellecker. Ich kenne ihn nur zu gut. Es muß für ihn ungemein peinlich gewesen sein, als er erkannte, daß es der König war, den er schwach angeredet hatte.
ÖDIPUS Rasend peinlich.
KALLIPYGA Lachend Schade, daß ich nicht dabei sein durfte.
Ödipus stellt den Stapel, den er gerade nach irgendwohin transportieren wollte, irgendwohin und legt Kallipyga den Arm zärtlich, aber nicht ungebührlich vertraulich auf die Schulter.
ÖDIPUS Ach, Kallipyga, du kannst dir nicht vorstellen, wie ich den Auftritt genossen habe. Endlich einmal einer, der seinen König nicht auf Anhieb als König erkennt.
KALLIPYGA So populär, mein König?
ÖDIPUS So prominent.
KALLIPYGA Viele sehnen sich danach, prominent zu sein.
ÖDIPUS Weil sie's nicht sind. Wo immer du hinkommst die gleiche Leier: "Ja, Herr König!", "Selbstverständlich, mein König!", "Wünschen Herr König noch Suppe?"
Kallipyga lacht, da Ödipus die Zitate auch nachspielt.
ÖDIPUS Es ist entsetzlich, Kallipyga, einfach entsetzlich. Ein Buchhalter klappt Abends seine Bücher zu, geht nachhause und ist dort kein Buchhalter mehr, sondern Ehemann und Vater. Ich hingegen klappe irgendwann meine königlichen Akten zu, setze mich zum Essen und bin König. Und wenn ich morgens aufstehe, bin ich immer noch König - nie etwas anderes! Selbst meine Kinder nennen mich nicht Ödipus, sondern König. "Ey, König, du nervst", sagt Polyneikes zu mir, wenn ich ihn bitte, nicht alle seine Spielsachen über das ganze Zimmer fein zu verteilen. Manchmal, wenn ich wach liege, habe ich einen Traum: Ich stehe an einer x-beliebigen Pommes-Bude irgendwo in Theben, tilge eine Curry-Wurst Schluchzt - in Wirklichkeit kriege ich nie Curry-Wurst; mein Koch weigert sich, trotz Androhung der Folter. Ich tilge also an dieser Bude eine Curry-Wurst, blicke um mich und habe dabei das absolut sichere Bewußtsein, daß sich niemand im weiten Umkreis auch nur das Mindeste um mich und mein Schicksal schert. Ich esse - und niemand frägt mich, warum ich Curry-Wurst esse und nicht Schaschlik; warum ich jetzt esse und nicht erst in ein paar Stunden; was ich überhaupt hier zu suchen habe, an dieser miesen Bude. Niemand, hörst du, Kallipyga: Niemand kümmert sich um mich. Seufzt selig, erfüllt von der Vision Wenn ich unter dem Curry-Wurst-Schlingen plötzlich tot umfiele, dann wäre ich für die anderen Gäste und den Budeninhaber einen Tag lang Gesprächsstoff, mehr nicht.
Kallipyga geht lächelnd auf Ödipus zu, küßt ihn sanft auf die Stirne.
KALLIPYGA Armer König.
ÖDIPUS Vorwurfsvoll Siehst du!
Kallipyga küßt ihn nochmal auf die Stirne.
KALLIPYGA Armer Ödipus. Nicht-Prominent-Sein hat auch seine Nachteile, glaub' mir.
(...)
3 Akte später, Ödipus ist als Vatermörder und Motherfucker enttarnt, was er aber locker nimmt. Seine biologischen Erzeuger Iokaste und Laios sind ja auch seine Mörder, nur ein Zufall hat damals verhindert, daß der Mordanschlag geglückt ist. Ödipus hat sich nicht geblendet, er verflucht sich auch nicht. Zusammen mit Kallipyga geht er in seine Heimat Korinth ins Exil.

Nachszene

Eine Landschaft in der Nähe von Theben.

ÖDIPUS, KALLIPYGA

Gott, eben eine Landschaft in der Nähe von Theben.
Ödipus und Kallipyga gehen gemächlich einher. Außer je einem leichten Stoffbeutel, den sie quer über die Schulter hängen haben, tragen sie kein Gepäck bei sich. Sie gehen eng nebeneinander her, ohne sich dabei wirklich zu berühren. Jeder scheint in seine eigenen, nicht unangenehmen Gedanken vertieft.
Plötzlich lacht Ödipus laut auf. Kallipyga blickt um sich, ob sie irgendwo den Grund für sein Lachen fände. Sie findet ihn nicht.
KALLIPYGA Warum lachst du?
ÖDIPUS Ich habe gerade daran gedacht, wie oft sie mich in den letzten Jahren einen Hurensohn genannt hat.
Jetzt lachen beide, übermütig, locker.
Sie gehen weiter, vor ihnen taucht eine Pommes-Bude auf. Ödipus deutet erregt auf die bunten Reklametafeln an der ziemlich miesen, schmuddeligen Bude.
ÖDIPUS Verklärt Eine Pommes-Bude, wahrhaftig eine Pommes-Bude. Wenn ich Glück habe, haben sie Curry-Wurst.
Kallipyga verdreht in stummem Seufzen die Augen nach oben. Ödipus beschleunigt seinen Schritt.

ÖDIPUS, KALLIPYGA, THESEUS, ZWEI GÄSTE

Bei der Pommes-Bude angekommen, studiert Ödipus eine kleine Weile die Tafel mit dem Angebot und den Preisen. Dann wendet er sich an Kallipyga.
ÖDIPUS Du nimmst...?
Kallipyga steckt sich einen Zeigefinger in den Hals, deutet Ekel-Kotzen an.
KALLIPYGA Ein Mineralwasser.
Ödipus wendet sich, ganz aufgeregt vor Glück, an den Budenbesitzer.
ÖDIPUS Eine Cola, ein Mineralwasser und eine doppelte Portion Curry-Wurst.
THESEUS Mit oder ohne?
ÖDIPUS Mit oder ohne "was"?
THESEUS Pommes.
ÖDIPUS Mit Pommes.
Der wenig ausgeschlafene, nur ansatzweise rasierte Budenbesitzer schlurft nach hinten, wirft eine Curry-Wurst in die Mikrowelle und fummelt an seiner Friteuse rum. Ödipus und Kallipyga warten, an einem Eßtisch stehend, auf die Curry-Wurst. Neben ihnen mampft ein anderer Gast mit sichtlichem Behagen ein Schaschlik in sich hinein. Der Schaschlikesser betrachtet mit unverhohlener Neugier das eben angekommene Paar. Er beugt sich ein wenig zu Ödipus hin.
ERSTER GAST Sag, Kumpel, hab ich recht gehört? Du hast Curry-Wurst bestellt?
ÖDIPUS Na ja, schon. Darf ich nicht?
ERSTER GAST Kumpel, wegen mir darfst du alles.
Er wirft einen überdeutlichen Blick in Richtung Kallipyga, zwinkert dann Ödipus verschwörerisch zu und lacht über seine ungemein originelle Bemerkung.
ERSTER GAST Aber: Curry-Wurst bei THESEUS bestellen, ist ein Verbrechen.
Ödipus wird bleich.
ÖDIPUS Ist sie so schlecht, die Curry-Wurst hier?
Der Gast schüttelt den Kopf.
ERSTER GAST Auch nicht schlechter als überall. Aber das Schaschlik von Theseus...
Der Gast hält die zusammengedrückten Fingerspitzen an den Mund, küßt sie und läßt sie dann wieder auseinanderschnellen.
ERSTER GAST Wenn du schlau bist, verfütterst du die Curry-Wurst an den nächsten Hund und bestellst dir Schaschlik.
Der Budenbesitzer stellt Ödipus' Essen auf die Budentheke, wo es Ödipus abholen kann.
THESEUS 'n Appetit.
Ödipus zahlt die Zeche. Er reicht das Mineralwasser an Kallipyga weiter, ißt dann selber. Verständnislos den Kopf schüttelnd schaut ihm der Schaschlik-Fan eine Weile zu. Dann entfernt er sich, formlos grüßend.

ÖDIPUS, KALLIPYGA, THESEUS, EIN GAST

Ein weiterer Gast, der stehend, den Kopf auf den Tisch gelegt, gedöst hatte, ist inzwischen aufgewacht. Er blickt um sich, ist sichtlich betrunken. Er schaut auf seine Armbanduhr, überlegt eine Weile und wackelt dann auf den Tisch von Ödipus und Kallipyga zu.
ZWEITER GAST Tach, Kumpel.
Vorsichtig geworden nickt Ödipus nur, um nur ja kein Gespräch anzetteln.
ZWEITER GAST Kumpel, ich sage dir, es ist zu spät.
Ödipus nickt zustimmend, ißt weiter.
ZWEITER GAST Ist dir das klar, was das heißt?
Wieder nickt Ödipus.
ZWEITER GAST Warum machst du's dann?
Ödipus, der wirklich keine Ahnung hat, wovon die Rede ist, zuckt mit den Schultern. Der Betrunkene wendet sich an den Budenbesitzer.
ZWEITER GAST Hörst du das? Der Budenbesitzer nickt Hast du das gehört? Der Budenbesitzer nickt Ist dir sowas schon mal vorgekommen?
Der Budenbesitzer schüttelt den Kopf. Der Betrunkene richtet seinen Zeigefinger drohend in die Richtung von Ödipus.
ZWEITER GAST Es ist halb vier, Kumpel. Für's Mittagessen zu spät, fürs Abendessen viel zu früh. Und ich seh' dich hier essen. Drohend Ungeniert. Laut Außerhalb jeglicher Tischzeit.
Ödipus, der noch lang nicht fertig ist mit seiner Wurst, legt das Besteck beiseite, wischt sich Curry-Soße vom Mund und geht nun seinerseits auf den Betrunkenen zu.
ÖDIPUS Du wirst mich jetzt in Ruhe lassen, ja?
Der Betrunkene weicht einige Schritte zurück, noch im Weggehen mault er nach.
ZWEITER GAST Halblaut, aber deutlich Arsch, Kacker, Zwischen-Fresser.
Der Betrunkene kommt nah an Theseus in der Bude vorbei. Theseus greift aus seiner Bude raus, packt den Betrunkenen am Kragen.
THESEUS Du verpißt dich jetzt, klar?
ZWEITER GAST Eine miese, schmuddelige Bude hast du hier, Theseus. Sie paßt zu dir.
THESEUS Sie paßt zu meinen Gästen.
ZWEITER GAST Zu Ödipus Hast du gehört? Er hat dich beleidigt.
ÖDIPUS Er hat wohl eher dich gemeint.
ZWEITER GAST Willst du mich beleidigen?
Ödipus nickt, während er weiter ißt. Der Betrunkene ist nun richtig wütend.
ZWEITER GAST Arsch, Kacker, Zwischenfresser.
Bei jedem Wort macht der Betrunkene einen raschen, aggressiven Ausfallschritt in Richtung Ödipus, weicht dann sofort zwei Schritte zurück, um beim nächsten Schimpfwort wieder vorzustoßen.
ZWEITER GAST Geh doch, wenn's dir hier nicht paßt. Verschwinde! Was hast du überhaupt zu suchen hier? Um diese Zeit?
Während des vergangenen Dialoges hat Kallipyga aufmerksam zugehört, dabei immer wieder kleine, kurze Notizen auf ihr Bierfilzchen gemacht. Jetzt stupst sie Ödipus an.
KALLIPYGA Es ist Zeit zu gehen.
ÖDIPUS Noch habe ich Wurst auf meinem Teller.
KALLIPYGA Feierlich Da aber die Curry-Wurst dreimal gekräht hatte, barg er sein Haupt in den Händen und ging schluchzend davon.
ÖDIPUS Was?
Ödipus tippt mit seinem Zeigefinger an Kallipygas Stirn.
KALLIPYGA Zumindest an dieser Pommes-Bude schert man sich um dein Schicksal.
ÖDIPUS Was?
Ödipus schaut einige Sekunden lang konsterniert, er begreift nichts.
KALLIPYGA Man frägt dich, warum du Curry-Wurst ißt und nicht Schaschlik; man macht dir Vorwürfe, warum du jetzt ißt und nicht später; man frägt, was du überhaupt zu suchen hast, an dieser miesen Bude. Man kümmert sich um dich! Willst du allen Ernstes austesten, was passiert, wenn du hier tot umfällst?
Jetzt kapiert Ödipus. Er lacht.
ÖDIPUS Okay, ich gehe. Das Leben läßt mir, scheint es, keine Illusionen.
Er packt seinen Reisebeutel und wirft ihn wieder über die Schulter.
ÖDIPUS Gott, wie ich mich auf diese Curry-Wurst gefreut hatte.
Ödipus und Kallipyga gehen weiter, sie lassen die Pommes-Bude hinter sich.

ÖDIPUS, KALLIPYGA

Ödipus und Kallipyga gehen nah beieinander, sie berühren sich beim Gehen, ihre Hände suchen sich, finden sich. Sie bleiben stehen, schauen sich an. Irgendwann küssen sie sich.
ÖDIPUS Was machen wir da?
KALLIPYGA Wir küssen uns.
ÖDIPUS Wohin führt das?
Kallipyga breitet die Arme aus, zieht den Hals in die Schultern - Weiß-ichs?-juckts-mich?-Geste.
ÖDIPUS Eine so wunderbare Freundschaft wie unsere sollte man nicht leichtfertig durch Liebe in Gefahr bringen.
KALLIPYGA Ein Bonmot, geliebter König, nicht mehr.
ÖDIPUS Ein gutes Bonmot.
KALLIPYGA Scheiß drauf!
ÖDIPUS Lieber einen guten Freund verloren als eine gute Pointe.
Kallipyga schnippt verächtlich den Mittelfinger vom Daumen weg.
ÖDIPUS Oder doch nicht?
Ödipus denkt nach, dann legt er den Arm und Kallipygas Schulter und sie schlendern davon, Ödipus fröhlich einen kleinen Ballettsprung machend. Hinter der Bühne hört man beide noch übermütig kichern.

VORHANG




[1]  Aus dem Theaterstück "König Ödipus - Eine Komödie aus der Alten Zeit
[2]  Kallipyga heißt "Die Schönärschige", sie ist Dienstmagd und Kinderfrau bei Ödipussens. 

Dienstag, 10. September 2019

Der Ratz und der (Aber-)Glaube

Es gibt Leute, die den Beginn des Menschseins an dem Punkt ansetzen, wo der Mensch begonnen hat, über die sinnlich wahrnehmbare Realität hinauszudenken und magische Zusammenhänge in die Welt hineinzudenken.
Im Großen und Ganzen ist das wahrscheinlich gar kein schlechter Ansatz dachte ich jahrzehntelang, bis ich von dem austro-amerikanischen Psychologen Paul Watzlawick [Villach (Kärnten)/Palo Alto (Kalifornien)] in die Psychologie des Ratzens (rattus) eingeführt wurde.
Aberglauben gilt allgemein als eine typisch menschliche Schwäche oder als magischer Versuch, Einfluß über die kapriziöse Unberechenbarkeit der Welt und des Lebens zu gewinnen. Merkwürdigerweise aber kann Aberglauben auch in einem so unphilosophischen Lebewesen wie der Laborratte (...) experimentell herbeigeführt werden. Die Versuchsanordnung ist sehr einfach. Die Ratte wird von ihrem Käfig in einen etwa drei Meter langen und einen halben Meter breiten Raum gelassen, an dessen anderem Ende ein Futternapf steht. Zehn Sekunden nach Öffnen des Käfigs fällt Futter in den Napf, vorausgesetzt, daß die Ratte erst zehn Sekunden  nach Öffnen des Käfigs zum Napf kommt. Kommt sie in weniger als zehn Sekunden dort an, so bleibt der Napf leer. Nach einigem blinden Ausprobieren (dem sogenannten Versuchs- und Irrtumsverfahren) erfaßt die für praktische Sinnzusammenhänge sehr aufgeschlossene Ratte die offensichtliche Beziehung zwischen dem Erscheinen (beziehungsweise Nichterscheinen) von Futter und dem damit verbundenen Zeitelement. Und da sie normalerweise nur etwa zwei Sekunden für das Zurücklegen der Entfernung zwischen ihrer Käfigtür und dem Futternapf brauchen würde, muß sie die restlichen acht Sekunden in einer Weise vergehen lassen, die ihrem natürlichen Impuls, direkt zum Futter zu laufen, widerspricht. Unter diesen Umständen gewinnen diese Sekunden für sie eine pseudokausale Bedeutung. Und was pseudokausal in diesem Zusammenhang bedeutet, ist, daß jedes - auch das zufälligste  - Verhalten der Ratte in diesen Extrasekunden selbstbestätigend und selbstbestärkend und damit zu jener Handlung werden kann, von der sie »annimmt«, sie sei notwendig, um dafür durch das Auftauchen von Futter von weiß Gott woher belohnt zu werden  – und dies ist das Wesen dessen, was wir im menschlichen Bereich einen Aberglauben nennen.
Es versteht sich von selbst, daß dieses Zufallsverhalten für jedes Tier verschiedene und höchst kapriziöse Formen annehmen kann; zum Beispiel eine Art Echternacher Sprungprozession auf den Napf zu oder eine bestimmte Zahl von Pirouetten nach rechts oder links oder irgendwelche andere Bewegungen, die die Ratte zuerst eben rein zufällig ausführte, nun aber sorgfältig wiederholt, da für sie ihr Erfolg mit dem Futter ausschließlich davon abhängt. Denn jedesmal, wenn sie beim Ankommen am Napf Fressen vorfindet, bestärkt dies die »Annahme«, es sei durch ihr »richtiges« Verhalten erzeugt  worden. Es ließe sich natürlich einwenden, daß mit dieser Erklärung der Ratte eine Art menschlicher Weltanschauung zugeschrieben wird und daß dies reine Phantasie ist. Es läßt sich aber die frappierende Ähnlichkeit mit gewissen menschlichen Zwangshandlungen nicht übersehen, die auf dem Aberglauben beruhen, sie seien zur Beschwichtigung oder Günstigstimmung einer höheren Macht notwendig.
(Paul Watzlawick: "Wie wirklich ist die Wirklichkeit")

Der Begriff "Aberglaube"

Eine Anmerkung sei gestattet: Paul Watzlawick verwendet hier das Wort "Aberglaube" als Erklärung für das magische Verhalten der Laborratte. Damit bleibt er in einem Wortgebrauch, den auch ich oft pflege. Allerdings ist mir bei meinen gelegentlichen Anfällen philosophischen Denkens der Begriff "Aberglaube" etwas suspekt, ich mag ihn nicht sonderlich. Was nämlich, so frage ich mich, ist der Unterschied zwischen Aberglaube und Glaube, wo habe ich die Grenze zu ziehen?
Sowohl Glaube als auch Aberglaube halten Sachverhalte für existierend, die in der sinnlich wahrnehmbaren Welt nicht auffindbar sind, beide pflegen Praktiken, welche die Existenz einer metaphysischen Welt voraussetzen. Auffallend ist dabei, daß abergläubisch stets die anderen sind, während ich selber mich als gläubig bezeichne. Die Trennung zwischen Glaube und Aberglaube ist anscheinend künstlich, Aberglaube ist ein Kampfbegriff in der Diskussion.
"Die Furcht vor denjenigen unsichtbaren Mächten, welche der Staat anerkennt, ist Religion, die Furcht vor solchen, welche er nicht anerkennt, Aberglaube", heißt es in einem "Philosophischen Wörterbuch". ([1])


[1]   Ich finde die Quelle nicht mehr, das heißt genauer gesagt, der Mensch, der mir den Satz zitiert hat, hat damals nicht angegeben, welches Wörterbuch er meint. Womöglich hat er sich den Satz selbst ausgedacht, wodurch dieser natürlich nicht weniger wahr wird.

Einmal Mond und zurück

Dieses Jahr haben wir das 50jährige Jubiläum der ersten Fahrt zum Mond und wieder zurück gefeiert. "Ein kleiner Schritt für einen Menschen, ein großer Schritt für die Menschheit" - eh schon wissen.
Viele Jahre später erst ist ein genialer Mensch auf die Idee gekommen, Räder unter einen Koffer zu schrauben, um sich und seinen Mitmenschen die Mühe des Kofferschleppens zu ersparen. Wenn diese Reihenfolge der Ereignisse nicht bemerkenswert ist, was ist dann bemerkenswert?
Wann wird ein weiteres Genie auf die Idee kommen, an die vier Räder eines Trolley-Koffers eine Bremse zu montieren, damit der Koffer nicht in jeder Kurve der Bahnstrecke, bei jeder Beschleunigung oder Bremsung durch's Abteil zu tanzen beginnt?

Die Mondfahrt wird heute von ziemlich vielen Menschen in Zweifel gezogen. Wie, man wagt es kaum zu denken, wäre es, wenn sich herausstellte, daß es die Trolley-Koffer gar nicht gibt?

Samstag, 7. September 2019

Menschliche Grausamkeit - Milgram und Zimbardo

In einer Internet-Diskussion [1] hatte einst einer geschrieben: "Soziale Experimente, bei denen die Beteiligten nicht richtig eingeweiht werden, rufen bei mir Unbehagen hervor."
Hmnja, aber...
Soziale Experimente in der Psychologie funktionieren nur, weil die Versuchspersonen nicht richtig eingeweiht sind. Wüßten sie nämlich um den eigentlichen Zweck des Experiments, würden sich sehr viele Versuchspersonen nicht mehr spontan verhalten, das Ergebnis wäre verfälscht, weil die Versuchspersonen wüßten, welche Reaktion man von ihnen erwartet.
Ein harmloses Beispiel: Versuchspersonen sollen sich drauf konzentrieren, eine Situation zu beobachten und Ereignisse zu zählen.
Den kickboxenden Gorilla, der auf höchst auffällige Weise durch's Bild läuft, sehen die meisten Versuchspersonen nicht. Hätte man ihnen auch nur angedeutet, es könnte während der Zählaufgabe irgend etwas Merkwürdiges passieren, dann hätten sie den Gorilla natürlich gesehen, auf Kosten der Korrektheit der vordergründig wichtigen Aufgabe [2].
 
Der genannte Internet-Diskutant fährt fort: Ich erinnere an das berühmte Milgram-Experiment, bei dem die Studenten ihren Schülern durch vermeintliche Stromschläge Schmerzen zufügen sollten. Tenor: Die Menschen gehorchen nicht ihrem Gewissen sondern einer Autorität. Über 50 Jahre hatte niemand an den Ergebnissen gezweifelt. Dieses Wissen galt als gesichert.
Nun sind Zweifel aufgetreten als ein australisch-britisches Forscherteam die Originalunterlagen sichtete. Die Studenten handelten nicht als Befehlsempfänger. Sie waren der Auffassung, sie agierten für eine gute Sache für die Wissenschaft. Denn Milgrim hatte das ihnen zuvor eingeimpft.

Es ist unglaublich, es ist absolut unglaublich, mit welchem Scheisendreck man in die Zeitung kommt. Ein australisch-britisches Forscherteam hat also die Originalunterlagen gesichtet und dabei aufgedeckt...
Hl. Muttergottes von Tschenstochau! Milgram hat sein Experiment 1963 gemacht (oder veröffentlicht, ich weiß nicht mehr). 1970 hat Hans Lechleitner (zusammen mit dem amerikanischen Psychologen David Marc Mantell und dem deutschen Psychiater Paul Matussek den Dokumentarfilm "Abraham - Ein Versuch" produziert, der Film lief im Fernsehen, er wurde in Schulen und Universitäten gezeigt. Sowohl in dem Film als auch in der Veröffentlichung von Milgram wurde arschklar deutlich gemacht, daß man den Versuchspersonen erzählt hatte, sie nähmen an einem wichtigen wissenschaftlichen Experiment teil. Milgram hatte ihnen das nicht "eingeimpft", er hat es ihnen schlicht gesagt. Wenn Versuchspersonen abbrechen wollten, weil sie es nicht mehr ausgehalten haben, dann hat der Versuchsleiter sie nicht angebrüllt und mit Konsequenzen gedroht (welche auch, es bestand ja keinerlei Abhängigkeitsverhältnis zwischen Versuchsperson und Versuchsleiter), er hat lediglich mit sanfter Stimme gesagt "Machen Sie bitte weiter".
2010 hat ein französischer Dokumentarfilmer namens Christophe Nick Milgrams Experiment wiederholt, diesmal nicht in einem Forschungslabor sondern in einem Fernsehstudio. Kein Dienst an der Wissenschaft mehr, sondern vielmehr eine (fiktive) Unterhaltungsshow.
Keine wissenschaftliche Autorität gab Anweisungen, es war einfach nur Spaß. Das heißt, genau genommen wollten die Versuchspersonen das Casting für eine angeblich neue Fernsehshow bestehen. Sie haben ihre Mit"spieler" zu Tode gequält, weil sie in die Show wollten.
Bei Milgram gingen 61 Prozent der Probanden soweit, Schläge bis zur wahrscheinlich tödlichen Höchststufe von 450 Volt zu erteilen, in der französischen Fernsehshow haben bereits 81 Prozent der Versuchspersonen die "Höchststrafe" vollstreckt. Wenn das nicht lustig ist, was dann?

Aber klar, ich hab natürlich noch etwas viel lustigeres auf der Pfanne.
1971 hatte der Psychologie-Professor Philip Zimbardo von der Stanford-Universität sich etwas unglaublich Lustiges ausgedacht. Professor Zimbardo lobte 15 $ pro Versuchsperson und Tag aus und wählte 21 "ganz normale junge Leute aus dem Mittelstand", die sich auf Zeitungsannoncen hin gemeldet hatten. Elf sollten den Part der Wärter, zehn den der Häftlinge übernehmen. Ganz überraschend wurden dann die zehn von der - echten - Polizei Palo Altos wegen "Verdachts auf Raubüberfall" in ihren Wohnungen verhaftet, mit Handschellen gefesselt, durchsucht und schließlich mit verbundenen Augen in ihre Gefängniszellen gesteckt. In Wirklichkeit waren die mit vergitterten Fenstern, Pritschen und Kotkübeln hergerichteten Zellen Kellerräume im Universitätsgebäude.
Die uniformierten Wärter, die reflektierende Sonnenbrillen trugen, um als kalt und unpersönlich zu erscheinen, gaben sich wirklichkeitsnah hart: Die Zelleninsassen mußten sich nackt ausziehen, wurden mit Entlausungspuder bestäubt, bekamen numerierte Häftlingskleidung und hatten Sprechverbot bei den Mahlzeiten, während der Ruhestunden und nach zehn Uhr abends. Jede Nacht um 2.30 Uhr - so sahen es Zimbardos Spielregeln vor - sollten sie zum Appell geweckt werden.
(...)
Schon am zweiten Tag begannen die Zwischenfälle. Einige der Inhaftierten verbarrikadierten sich in ihren Zellen, andere weigerten sich zu essen. Um weiterer Rebellion zuvorzukommen, beschlossen die Wärter von sich aus, die Häftlinge gegeneinander auszuspielen. Die Insassen einer Zelle bekamen zusätzliche Essens- und Wasserrationen, während es in der Nachbarzelle überhaupt nichts zu essen gab.
(...)
Ihre frisch gewonnene Macht nutzten die Wärter weidlich aus; Sie beschimpften die Häftlinge, schlugen sie und hielten sie nach dem Nachtappell stundenlang wach. Schließlich versteigen sich die Aufseher zu brutalem Sadismus: Die Insassen mußten ihre Kotkübel mit der Hand leeren und säubern.
Als einige der Versuchs-Häftlinge mit hysterischen Weinkrämpfen zusammenbrachen und um Schonung baten, die Wärter ihrerseits aber immer mehr Spaß an sadistischen Quälereien bekamen, brach der Professor seinen Versuch ab.
stern, 12. 11. 1971
Das ist das Milgram-Experiment in Hardcore. Beim Milgram-Experiment bekamen die Versuchspersonen die Anweisung, grausam zu sein und die meisten gehorchten. Bei Zimbardo ist davon nicht die Rede. Sein "Trick" ist, nichts zu machen, gar nichts. Die "Wärter" leisten sich Übergriffe gegenüber den "Gefangenen" und der Versuchsleiter greift nicht ein. Die Übergriffe werden grausamer, der Versuchsleiter läßt die "Wärter" gewähren. Das heißt, im Gegensatz zum Milgram-Experiment sind hier die Versuchspersonen aus sich heraus grausam, niemand befiehlt es ihnen, niemand verführt sie auch nur dazu. Die einzige Verführung besteht darin, daß die Grausamkeiten nicht sanktioniert werden.
Das System Auschwitz.
Das ganz besonders Bemerkenswerte besteht darin, daß sämtliche beteiligten Personen wußten, daß es sich hier um ein Spiel handelte. Den "Wärtern" war klar, daß die "Gefangenen" nicht echte Verbrecher waren, die wegen weiß Gott welcher Scheußlichkeiten verurteilt worden waren, sondern ganz normale Leute von der Straße.

Die Frage ist: Warum quälen die "Wärter" die unschuldigen "Gefangenen"?
Die Antwort ist: Weil sie es können.


[1]   Ich merke gerade, ich schreibe immer dasselbe.
[2]   So hatte ich gedacht, inzwischen bin ich mir nicht mehr sicher. Für diesen Blogbeitrag habe ich mir das verlinkte Video zum x-ten Male angeschaut. Ich wußte, was mich erwartet und ich habe den Gorilla trotzdem nicht gesehen.

Von der Bestie unterscheidet uns Menschen die Grausamkeit

Ein ehemaliger User von "Fisch und Fleisch" hat mal geschrieben: "Mörder sind Mörder, und sind keine Freunde von normalen Menschen."

Wenn du anfängst, darüber nachzudenken, was denn ein normaler Mensch sei, dann gerätst du nach zwei Denkumdrehungen bereits an einen Punkt, wo du schreckensbleich zum Scheißhaus wankst, dich dort zu übergeben.
Was uns Menschen von der Bestie unterscheidet, - nehmen wir nur mal beispielshalber den Wolf und seine Sippschaft -
das ist der Mord, die Folter, die Mißhandlung. Psychologen und Verhaltensforscher nennen das die "innerartliche Aggression". Kein Hund, kein Wolf, keine Katze, kein Löwe wird einen Artgenossen töten, ihn einsperren, ihn systematisch foltern. Es gibt eine ganze Menge an interner Aggression bei den in Gruppen lebenden Säugetieren, nehmen wir nur mal die zyklisch sich wiederholenden Rangkämpfe innerhalb eines Rudels. Diese Rangkämpfe enden allerdings selten und dann eher zufällig mit dem Tod des unterlegenen Tieres.
Beim Menschen ist das anders, der Mensch ist ein Viech, eine Redensart, die angesichts der obig angerissenen Überlegungen natürlich ein Schmarrn ist. Die conditio humana ist die absolut zügellose Grausamkeit gegenüber den Artgenossen.
Mörder sind die allernormalsten Menschen wo gibt.

...und Terroristen sind solche, die anderen das Menschschein absprechen, weil sie nur aus Rache und Wohllust morden ....

Wollust, aha. Im "Guardian" vom 21.04..86 schrieb ein gewisser Robin Wilson am in einem Leserbrief: "Heute wollte mein noch nicht siebenjähriger Sohn den Unterschied zwischen einem Soldaten und einem Terroristen wissen. Ich weiß nicht recht, was ich ihm sagen soll. Ich nehme an, ein Terrorist kämpft für etwas, an das er glaubt, während ein Soldat für etwas kämpft, an das jemand anderer glaubt."
Zwei Tage später antwortete ihm ein anderer Leser: "Ein Terrorist ist jemand, der eine Bombe besitzt, aber keine Luftwaffe."
Das genau ist der Punkt. Hierzulande nennt man das Phänomen "Terrorismus" und suggeriert damit, es seien Terroristen irgendwelche merkwürdigen Leute, die aus unerfindlichen Gründen (sie sind halt böse, aus sich heraus) Vergnügen daran finden, andere Leute und vielleicht auch sich selbst zu töten.
Terroristen sind keine Verbrecher, wie etwa Haarmann mit dem Hackebeilchen, Terroristen sind vielmehr Kämpfer in einem Krieg. Der Terrorismus ist der Krieg des kleinen Mannes (zunehmend auch der kleinen Frau). Wer nicht das Geld und die Infrastruktur hat, Flugzeuge oder Raketen loszuschicken, um eine Stadt zu bombardieren, der ist gezwungen, die Bombe von Hand in die Stadt zu tragen und sie dort zu zünden.
Machen wir uns nichts vor, der Dritte Weltkrieg ist längst im Gange.

Homo homini lupus - Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf sagt man gerne. Ach, wenn's doch nur so wäre! Wölfe sind ausgesprochen harmlos im Vergleich mit Menschen. Kein Wolf kommt auf die Idee, einen Artgenossen einzusperren oder zu quälen. Sogar das Töten von Artgenossen ist unter Wölfen ausgesprochen selten, während das Töten von Artgenossen beim Menschen DIE conditio humana ist.
LUPITÄT STATT HUMANITÄT!