Von Upton
Sinclair habe ich seit vielen Jahren einen wunderschönen Satz in meinem
Poesiealbum stehen: "Es ist schwierig, einen Menschen dazu zu bringen,
eine Sache zu verstehen, wenn sein Gehalt davon abhängt, daß er sie nicht
versteht."
Das ist einer dieser
Sätze, die du beim ersten Lesen nicht verstehst oder nicht akzeptieren kannst.
Unfug, sagst du. Dann denkst du ein paar Sekunden nach und sagst: Doch, genau
das ist es. Es gibt Einsichten, die kannst du dir in einer bestimmten
Lebenssituation nicht leisten, weil dich diese Einsicht in einen unlösbaren
Konflikt mit deiner Lebenssituation bringt.
In einem kleinen Blogbeitrag habe ich vor längerer Zeit geschrieben:
"Robert McNamara,
der unter John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson Verteidigungsminister der
Vereinigten Staaten war, als solcher den Vietnam-Krieg hocheskaliert hat, steht
weit über jedem Verdacht, ein Pazifist, Kommunist, ein Liberaler oder sonst ein
Lump zu sein.
Dieser über jeden
Verdacht erhabene McNamara, der in den achtziger Jahren längst nicht mehr im
Amt war, meinte damals, die Bevölkerung der Bundesrepublik davor warnen zu
müssen, der gegenwärtigen nuklearen NATO-Strategie zu folgen. "Worüber
sich die Westdeutschen klar werden müssen, das ist, daß ihr Kulturkreis völlig
verwüstet werden wird, wenn sie sich weiter an die NATO-Strategie halten."
Für den Fall eines konventionellen Angriffs der Sowjetunion auf Westeuropa gebe
es keinen einzigen Plan zur nuklearen Vergeltung, der nicht eine hohe
Wahrscheinlichkeit von Selbstmord in sich schlösse.
Der frühere Chef der
Nationalen Sicherheitsbehörde der USA, Admiral Gayler, meinte in derselben
Fernsehsendung, Europa sei zwar nuklear in kürzester Zeit zu zerstören, nicht
aber zu verteidigen. Die westliche Drohung mit einer nuklearen
Verteidigungsstrategie für Westeuropa sei "ein monströser Bluff".
Merk - würdig, daß den Fachleuten des Sachzwanges die simpelsten Zusammenhänge
erst dann klar werden, wenn sie nicht mehr im Amt sind.
Willy Brandt gestand
einmal: Als er nicht mehr Bundeskanzler gewesen sei, habe er bemerkt, daß er
sich früher - als er noch OCFJ der BRD (Oberster Chef fons Janze) war -
Denkverbote auferlegt habe; daß er Gedanken, die ihn in Konflikt mit den - von
außen herangetragenen -Erwartungen an sein Amt hätten bringen können, gar nicht
erst gedacht habe, daß er solche störenden Ideen einfach ausgeblendet
habe."
.
In seiner Schrift
"Politeia" macht sich Aristoteles unter anderem Gedanken über Sklaven
und Sklaverei. Es ist nicht sonderlich überraschend, daß er sich für die
Sklaverei ausspricht. Er kann gar nicht anders, er lebt in einer Gesellschaft,
die auf Sklaverei beruht, einer Gesellschaft, die ohne Sklaverei so nicht
existieren könnte. Würde er die Sklaverei verurteilen, entzöge er seinem Leben
die Existenzgrundlage.
Interessant ist, wie
er die Sklaverei rechtfertigt.
Als erstes ist es notwendig, dass sich jene
Wesen verbinden, die ohne einander nicht bestehen können, einerseits das
Weibliche und das Männliche der Fortpflanzung wegen (...) andrerseits das
naturgemäß Herrschende und Beherrschte um der Lebenserhaltung willen.
Denn was mit Verstand vorauszusehen vermag, ist
von Natur aus das Herrschende, was aber mit seinem Körper das
Vorgesehene auszuführen vermag, ist das von Natur aus Beherrschte und
Dienende. Darum ist auch der Nutzen für Herrn und Sklave derselbe. (...)
Bei den Barbaren freilich haben das Weibliche und das Beherrschte denselben
Rang. Dies kommt daher, dass sie das von Natur Herrschende nicht besitzen,
sondern die Gemeinschaft bei ihnen nur zwischen Sklavin und Sklave besteht.
Darum sagen die (griechischen) Dichter: "Dass Griechen über Barbaren
herrschen, ist gerecht", da nämlich von Natur aus der Barbar und der
Sklave dasselbe sei...
(...)
Sprechen wir nun zuerst über die Hausverwaltung
(das griechische Wort für
Hausverwaltung ist οἰκονομία, oikonomia; W. H.). Denn
jeder Staat ist aus Häusern zusammen gesetzt. Die Teile der Hausverwaltung sind
wiederum jene, aus denen sich das Haus zusammen setzt. Das vollständige Haus
setzt sich aus Sklaven und Freien zusammen...
(...)
Ein Teil ist niemals selbständig, sondern immer
Teil eines Ganzen. So auch das Besitzstück. Darum ist der Herr (als ein
eigenständiges Ganzes) bloß Herr des Sklaven, gehört ihm aber nicht; der Sklave
dagegen ist nicht nur Sklave des Herren, sondern gehört ihm ganz.... Der Mensch, der seiner Natur nach nicht
sich selbst, sondern einem anderen gehört, ist von Natur aus ein Sklave;
einem anderen Menschen gehört, wer als Mensch ein Besitzstück ist, das heißt
ein für sich bestehendes, dem Handeln dienendes Werkzeug...
(...)
Die Seele regiert über den Körper in der Weise
eines Herrn... Daraus wird klar, dass es für den Körper naturgemäß und
zuträglich ist, von der Seele beherrscht zu werden; ebenso für den
leidenschaftsbegabten Teil der Seele (die Leidenschaften des Menschen) vom
Geiste und vom vernunftbegabten Teil beherrscht zu werden; Gleichheit oder ein
umgekehrtes Verhältnis wäre für alle Teile schädlich.
Ebenso steht es mit dem Verhältnis zwischen dem
Menschen und den anderen Lebewesen (den Tieren). Desgleichen ist das Verhältnis
des Männlichen zum Weiblichen von Natur so, dass das eine besser, das andere
geringer ist, und das eine regiert und das andere regiert wird. Auf dieselbe
Weise muss es sich nun auch bei den Menschen im allgemeinen verhalten.
Diejenigen, die so weit voneinander verschieden sind wie die Seele vom Körper
und der Mensch vom Tier (dies gilt bei allen denjenigen, deren Aufgabe die
Verwendung ihres Körpers ist und bei denen dies das Beste ist, was sie leisten
können), diese sind Sklaven von
Natur aus und für sie ist es besser, auf die entsprechende Art
regiert zu werden.
Von Natur aus ist also jener ein Sklave, der
einem anderen zu gehören vermag und ihm darum auch gehört, und
der so weit an der Vernunft teil hat, dass er sie annimmt, aber nicht selbständig
besitzt. Die anderen Lebewesen dienen so, dass sie nicht die Vernunft annehmen
(können), sondern nur Empfindungen gehorchen. Doch ihre Verwendung ist nur
wenig verschieden: denn beide helfen dazu, mit ihrer körperlichen Arbeit das
Notwendige zu beschaffen, die Sklaven wie die zahmen Tiere.
Die Sklaven sind also
Sklaven, weil sie von Natur aus Sklaven sind und die Herren sind Herren, weil
sie von Natur aus Herren sind. Punkt. Mehr kommt nicht. Eine ausgesprochen
einfältige Zirkelargumentation: Das, was
ist, ist gut, weil es einfach von Natur aus so ist, gar nicht anders sein kann
und schon immer so war. Wenn du heute so in einem wissenschaftlichen
Proseminar argumentierst, haut dir der Dozent die Arbeit mitsamt dem Laptop um
die Ohren und wirft dich aus dem Proseminar.
Dabei ist Aristoteles
natürlich ansonsten alles andere als ein Plattkopf, er ist immerhin der Vater
der abendländischen Logik. Hier aber denkt er über ein Problem nach und das
Ergebnis seines Nachdenkens steht von vorneherein bereits fest, weil er
ansonsten seine eigene Lebensweise und die seiner (freien) Mitbürger
untergraben würde. Er braucht eine Rechtfertigung im nachhinein für das, was er bereits macht und in jedem Falle - so
oder so - eh machen würde.
Man kann so gut für
als wider einen Satz verblendet sein; Gründe sind öfters und meistenteils nur
Ausführungen von Ansprüchen, um etwas, das man in jedem Fall doch getan haben
würde, einen Anstrich von Rechtmäßigkeit und Vernunft zu geben. Es scheint, die
Natur habe eine so nötige Sache, als ihr die Überzeugung beim Menschen war,
nicht gern auf Vernunftschlüsse allein ankommen lassen wollen, in dem diese
leicht betrüglich sein können. Der Trieb kommt uns, dem Himmel sei es gedankt,
schon über den Hals, wenn wir oft mit dem Beweis der Nützlichkeit und Nötigkeit
noch nicht halb fertig sind. (G. Ch. LICHTENBERG "Sudelbücher")