Im Sommer 1987 hielt der amerikanische Präsident Ronald Reagan seine
inzwischen fast legendär gewordene Rede vor dem Brandenburger Tor: Mr. Gorbachev, tear this wall down! Reagans
Besuch brachte viel Unruhe in die beiden Berline, die beiden Polizeien mußten
gegen die eigenen Bürger einschreiten und sie taten es. So kompakt konnte man
das Verhalten der beiden deutschen Obrigkeiten selten vergleichen. Ich habe
damals einen Artikel für ein Regensburger Stadtmagazin geschrieben. Aus Anlaß
eines unterirdischen Blogbeitrages bringe ich ihn hier, um seine
Nicht-Aktualität wissend.
Zwei Systeme
- Zweierlei Polizei
Unruhige Tage (1987) in Gesamt-Berlin
machen krasse Unterschiede zwischen Ost und West deutlich
Die Demonstrationen und
Polizeieinsätze von Kreuzberg/ Ku'damm/ Tauentzienstraße auf der einen Seite
und Unter den Linden auf der anderen Seite sind kaum miteinander zu
vergleichen, weder vom Anlaß noch gar vom Ausmaß her. Klar.
Trotzdem: die große
räumliche und zeitliche Nähe dieser Unruhen verführt dazu, sie dennoch
irgendwie miteinander in Beziehung zu setzen, sie letztlich also doch zu vergleichen. Nun gut, soll
sein.
Von wegen Ähnlichkeit
Der taz-Kommentator
Erich Rathfelder kam am Ende seines Systemvergleiches zu dem Schluß, Berlin
West und Berlin Ost seien nach diesen Polizeieinsätzen "näher
zusammengerückt", beide Seiten seien sich "ein Stück ähnlicher
geworden".
Das kann ich nun
überhaupt nicht finden.
Ich habe die
Fernsehbilder vom Kreuzberger Maianfang gesehen, von den verhinderten
Zaungästen beim Pfingstkonzert und schließlich die Bilder von den Folgen des
Reagan-Besuches, dies- und jenseits der Mauer. Und mir sind die Unterschiede
zwischen den Ereignissen in Ost- und in West-Berlin ganz aufdringlich vor Augen
gesprungen. Mir haben diese unruhigen Tage gezeigt, wie sehr sich die beiden
Deutschlands mittlerweile auseinander entwickelt haben.
Kein Helm und kleine Knüppel
Da zieht in
West-Berlin eine Polizeistreitmacht von 10.000 Mann auf, mit Helmen,
Schilden, Schlagstöcken, Wasserwerfern und Tränengasgranaten bewaffnet. Mit
klassischen Polizisten haben die nichts mehr zu tun, das ist eine klassische
Bürgerkriegsarmee reinsten Wassers.
In Ost-Berlin sehe ich
auch Polizisten aufziehen, um gegen Bürger vorzugehen, Aber was für
Polizisten! Sie stecken in derselben leichten Sommer-Uniform in der sie
vermutlich vor kurzem noch den Verkehr geregelt haben. Auf dem Kopf haben sie
Stoff-Käppchen, keine Helme und sind überhaupt lediglich mit dem ausgerüstet,
was ein Polizist normalerweise ohnehin mit sich trägt.
In West-Berlin
knüppelt die Polizei mit (geschätzt) halbmeterlangen Holz- und Gummiprügeln auf
Demonstranten ein, auch dann noch, wenn sie schon wehrlos am Boden liegen.
Schwer demokratisch (Niemand darf wegen seines Geschlechtes bevorzugt oder
benachteiligt werden) kriegen Frauen ebenso ihre Tracht Prügel ab wie die
Männer.
In Ost-Berlin wird zu
Pfingsten auch geprügelt, wohl wahr. Die im Schutze des Real Existierenden
Sozialismus Demonstrierenden genießen aber immerhin den Vorzug, mit diesen
kleinen, altmodischen Gummiknüppelchen verhauen zu werden, mit denen früher
auch hierzulande die Polizei ausgerüstet war.
Wasserwerfer statt/oder Kehrmaschine
In West-Berlin
ist Großkampftag: ein ganzer Stadtteil wird schlicht und einfach abgeriegelt,
dichtgemacht. Trotz laufender Tagesschau-Kameras sagt ein Polizist
(offensichtlich ohne sich dabei zu schämen) einer verschreckten jungen Frau im
2 CV, warum sie nicht aus Kreuzberg rausfahren darf: "Weil Sie so
aussehen, als könnten Sie möglicherweise in der City Krawall machen." Tagesschau vom 12. 6. 1987 (Solche Sätze kannte man bisher nur aus dem
Kabarett.) Auch dort, wo eigentlich gar nichts los ist, macht die Polizei eine
ganze Menge los: "Ob beim Verlassen eins Lokal oder beim Absitzen vom
Motorrad, viel wurden seit dem Vorabend des Staatsbesuches ohne ersichtlichen
Grund, weit ab von jeder Barrikade, 'nach Augenschein' im Polizeigriff gepackt
und 'zur Gefahrenabwehr' abgeführt, Greiftrupps jagen 'Verdächtige' bis in die
entlegensten Straßen und Hinterhöfe. Wohnungen wurden gestürmt:" Und:
"Es ist nicht ratsam, in diesen Zeiten zu dritt durch die Straßen zu
gehen. Zu groß ist die Gefahr, plötzlich als Kleindemonstration verkannt und
von rasant nachsetzender Polizei verfolgt zu werden." taz 15. 6. 1987. Oder eine unverdächtigere, weil staatsbrave
Quelle: "Journalisten und Notärzte berichten übereinstimmend, daß
völlig unbeteiligte Personen von Polizisten regelrecht verprügelt worden seien,
auch wenn sie noch am Boden lagen... Zu dieser Zeit gab es weder
Ausschreitungen noch Zusammenrottungen von Chaoten." DIE ZEIT 19. 6. 1987
In Ost-Berlin fordert
die Volkspolizei eine unerwünschte Zusammenrottung "über Lautsprecher auf: 'Bürger!' Setzen Sie Ihren Weg fort! Bleiben Sie
nicht stehen! Gehen Sie weiter! Kaum jemand hielt sich an diese Weisung."
Frankfurter
Allgemeine Zeitung, 13. 6. 1987. Und was macht die DDR-Volkspolizei angesichts dieses Ungehorsams? Fahren
jetzt "Wasserwerfer mit Reizgasbeimischung" (Polizeijargon für CN-
und CS-Gasschleudern) auf und spritzen und tränen die aufsässige Menge
auseinander? Ach, was! "Nachdem die
Menge sich trotz wiederholter Aufforderung nicht entfernt hatte, fuhr am
Freitag nachmittag schließlich ein Reinigungsfahrzeug langsam durch die Reihen
der Schaulustigen." Mittelbayerische Zeitung 13. 6. 1987. Bei Gott, ich habe das Ding in der Tagesschau gesehen: es war eine
Kehrmaschine, so klein und leicht gebaut, daß vier entschlossene Frauen (oder
Männer) sie hätten umkippen können. Ganz langsam und zaghaft bahnte sie sich
mit drehenden Kehrbesen einen Weg durch die Menge.
Prügel für westliche Journalisten in
West-Berlin
In West-Berlin ist es
am Präsidenten-Tag für Journalisten nur unter großer Gefahr für Ausrüstung und
Gesundheit möglich, aus Kreuzberg zu berichten. "Ein Journalist des
'Tagesspiegel' ruft Freitag nacht in der OranienstraBe mehrfach 'Presse,
Presse', bevor er von der Polizei zum Schutze des Gemeinfriedens
niedergeprügelt wird." taz 11. 6. 1987. Und wieder ein unverdächtiger Zeuge: "Presseausweise und
-plaketten wurden nicht anerkannt, einem Rundfunkreporter wurde das Bandgerät
zerstört, einem Pressefotografen wurden die Zähne locker geschlagen..."
DIE ZEIT 19. 6.
1987.
In Ost-Berlin sei zu
Pfingsten die Berichterstattung über die Rock-Unruhen durch die staatlichen
Organe verhindert worden, klagt die Tagesschau - und bringt dann
ausführliches Bildmaterial über eben diese Unruhen weitgehend mit ruhiger, also
unbelästigter Kamera gedreht. Einer der Techniker aus dem Fernsehteam sei übel
mißhandelt worden, hieß es. Schlimm, aber: in Wackers-, Brok- oder Zehlendorf
wäre er genauso vermöbelt worden, überdies aber hätte er bei uns seinen Film
vergessen können, beschlagnahmt oder unbrauchbar gemacht. In Ost-Berlin dagegen
durfte er seinen Film behalten und abends senden. Am Reagan-Tag wurde der
"ARD-Hörfunkkorrespondent Hartwig Heber... von Sicherheitskräften
aufgefordert, sein Mikrophon auszuschalten. Erst nach Rückfrage durfte der
Journalist seine Arbeit fortsetzen." Mittelbayerische Zeitung 13. 6. l987. "Erst nach Rückfrage..." heißt aber
auch, letztlich durfte er ungestört berichten.
Gewisse Schwierigkeiten, Kreuzberg zu
verlassen
Fazit: Ich kann die
von Erich Rathfelder beobachtete große Gemeinsamkeit zwischen Ost- und
West-Berlin nicht sehen. Ausrüstung und Verhalten der westberliner und
westdeutschen Bürgerkriegs-Polizei haben in diesen 80er Jahren nur noch sehr
wenig gemein mit der - vergleichsweise - zivilen und moderaten Volkspolizei
Ost-Berlins. Die Bilder aus Kreuzberg wollen mir so gar nicht den Bildern Unter
den Linden gleichen; sie erinnern mich viel eher an die Nachrichtenfilme aus
Seoul, die derzeit fast jeden Tag in den Nachrichten zu sehen sind.
Früher mal, es mag
tausendundeinen Tag her sein, konnte man in West-Berlin freier und entspannter atmen
als drüben, in Ost-Berlin. Die Zeiten sind vorbei.
Heute besteht der
Gipfel der Liberalität darin, daß du dich innerhalb eines eng umgrenzten
Gebietes halbwegs frei bewegen kannst. "Für kraß überzogen... (halte
ich) ...die Behauptung, das wäre ein Belagerungszustand gewesen. Jeder
konnte sich innerhalb Kreuzbergs frei bewegen. Es gab für Personen, die
Kreuzberg verlassen wollten, lediglich um die frühe Nachmittagszeit gewisse
Schwierigkeiten." Interview mit Ulrich F. KRÜGER (CDU),
Kreuzberger Vertreter im Abgeordnetenhaus., taz 15. 6. 1987