Dienstag, 24. Oktober 2023

High durch Schmai - Hegel und der Schnupftabak

 

Hegel, der Alt- und Großmeister der Philosophie war dem Vernehmen nach ein großer Freund des Weins: "Daß He­gels Wein­rech­nun­gen bei der Firma Gebr. Ra­mann in Er­furt, die auch Goe­the be­lie­fer­te, höher waren als seine Bü­cher­rech­nun­gen bei der Ni­co­lai’schen Buch­hand­lung zu Ber­lin, ist be­kannt, be­kannt ist auch, daß seine Kol­le­ge Ar­thur Scho­pen­hau­er, des auf­ge­dun­se­nen Ge­sichts wegen, von He­gels »Bier­wirts­phy­sio­gno­mie« sprach."

Dem Vernehmen nach soll Hegel auch sehr heftig dem Schnupftabake zugesprochen haben. Schnupftabak war damals üblicherweise mit Hanf versetzt. "We­ni­ger be­kannt hin­ge­gen ist, daß zu jener Zeit der Schnupf­ta­bak, dem Hegel kräf­tig zu­sprach, mit Can­na­bis ver­setzt war [1] und damit eine rausch­haf­te Wir­kung hatte. Da­durch be­fand sich Hegel stän­dig in einem eu­pho­ri­sier­ten Zu­stand, der sicht­ba­ren und hör­ba­ren Ein­fluß auf seine Spra­che ge­habt haben muß. Wäh­rend sei­ner Vor­le­sun­gen schnupf­te er so kräf­tig, daß die Reste auf dem Ka­the­der aus­reich­ten, um seine Hörer zu er­fri­schen. (...) Die psychischen Symptome (bei Haschischkonsum) sind individuell sehr unterschiedlich ausgeprägt. Im Vordergrund steht eine Änderung der Bewußtseinslage, Änderung des Raum- und Zeitempfindens, Ideenflucht, Euphorie, bei hoher Dosis Halluzinationen." Quelle

Ob man nicht Philosophie in den Anhang zum Betäubungsmittelgesetz aufnehmen sollte? Philosophie scheint ja so eine Art Einstiegsdroge für allerlei Substanzen zu sein. Oder sollte es umgekehrt sein? Ist Philosophie vielleicht nur durch die Einnahme psychoaktiver Substanzen möglich?



[1]   High durch Schmai.

Sonntag, 22. Oktober 2023

Waldemar und die Erfindung des analogen Selfies

Zu einer Zeit, da das Wünschen schon auch nicht mehr geholfen hat und es Deutschland noch im Doppelpack gab lebte in West-Deutschland ein Frührentner. Ein Frührentner hat - logischerweise - viel Zeit und manchmal auch ein bisserl Geld. Der Frührentner Waldemar Brummel, von dem hier die Rede sein soll, vertrieb sich die zu viele Zeit mit dem Lauern auf Leute mit einer gewissen Prominenz.
 
Acht Stunden hat er einmal - so hat er es erzählt - auf Robert Plant von Led Zeppelin [1] gewartet, sechs auf Mick Jagger. Wenn der Prominente dann erschien trat Waldemar Brummel auf ihn zu und fragte höflich: "Hätten Sie etwas dagegen, mit mir photographiert zu werden?". In den allermeisten Fällen hatte der Prominente nichts dagegen, er kann kaum was dagegen haben, denn das Prominentsein des Prominenten beruht meist darauf, daß der Prominente so oft wie möglich photographiert oder gefilmt wird. Der Prominente lebt von den Medien wie der Vampir vom Blut.

Ca. 1400 Bilder hat Herr Brummel aus Köln auf diese Weise gesammelt, Otto Waal­kes, Christine Kaufmann, Gerd Fröbe, Richard von Weizsäcker, Waldemar und Luis Trenker. Und immer und immer wieder Waldemar. "Dieses Buch dreht die Wirklichkeit um", schrieb Axel Hacke 1987 in der Süddeutschen Zeitung in einer Buchkritik, der ich die meisten Fakten hier verdanke.

"Im Leben ist der Star immer die Hauptperson und die Waldemars drängeln sich um ihn. Für den Moment des Bildes stehen sie gleichberechtigt nebeneinander, das Buch aber versammelt sie zu einer Prominentenmasse, zu einem Haufen von Leuten, neben denen es nur eine wichtige Person gibt - Waldemar mit dem immer gleichen routinierten, satt-zufriedenen Lächeln. Waldemar, der so berühmt ist, daß es sich kein Mensch von Rang und Namen erlauben könnte, von ihm nicht erlegt worden zu sein. Pro­minent ist, wer mit Waldemar aufs Bild durfte."

Wer sich ein bisserl in der Welt und den Medien auskennt, seufzt jetzt: Poldi Waraschitz, der Schnorrerkönig. In der Tat.

Waldemar und...Arm in Arm mit den Größen un­serer Zeit. Edition Braun, Heidelberg. 120 Seiten, 100 farbige Abbildungen, 14,80 Mark. (Autoren: Waldemar Brummel/Uwe Zündorf)

Das Buch scheint derzeit vergriffen zu sein, antiquarisch könnte man vielleicht Glück haben.



[1]   So ein Glück, daß ich auf meine Alten Tage noch von seiner Existenz erfahren habe.

Donnerstag, 19. Oktober 2023

Der Rattenfangende von Hameln

Im Blogbeitrag eines Users, dessen Name hier nicht genannt werden darf (und der im übrigen auch keine Rolle spielt) kommentierte ein anderer User:

>>Man kuscht offenbar vor den rechten Rattenfangenden der AfD und FPÖ.<<

"Rattenfangende", die Formulierung ist so süß! Sie macht dir klar, daß die Suche nach der korrekten Sprache immer mehr zu ihrer eigenen Karikatur wird. Der Rattenfangende von Hameln. Hl. Muttergottes von Tschenstochau!

Sex oder Die Geschichte vom denkenden Schwein

In der Alten Zeit, da die Welt zwar auch nicht mehr gut, aber doch besser war als die Welt von heute, stellte ich einen kleinen, harmlosen (wie ich dachte) Blogbeitrag ein:

Kindersex - Schockierend!

Mir doch Banane. (Man achte auf die rechte Hand des Mädchens.)

Für diesen kleinen, harmlosen (wie ich dachte) Blogbeitrag wurde ich heftig gerügt: "Du denkst an Sex, wenn du die rechte Hand des Mädchens siehst? (...) ...aber wenn ich das Mädchen sehe und auf ihre rechte Hand blicke, denke ich nicht an Sex."

"Du wirst lachen", schrieb ich zurück, "auch ich habe auf die rechte Hand des Mädchens geblickt und nicht an Sex gedacht. Ich habe das Bild vor etlichen Jahren im Netz gefunden und mir ist natürlich sofort die Banane aufgefallen, welche das Mädchen dem Jungen in den Mund steckt. Das kommt davon, wenn man zu viel von und über Freud liest, den alten Schla-Wiener.

Vor einigen Jahren habe ich das Bild schon mal als Kuriosität eingestellt - nicht hier, sondern in einem Forum, in dem vorzugsweise User mit Nie-Woh verkehren - und ein Leser hat mich auf die Handhaltung des Mädchens aufmerksam gemacht. Nanu?, dachte ich bei mir, was soll da sein? Es hat etliche Sekunden gedauert, bis mir klar geworden ist, wie anzüglich die Pantomime des Mädchens ist, und zwar an genau jener Stelle, an der sich der erigierte Penis des Jungen hätte befinden müssen, wäre der Junge für einen erigierten Penis nicht doch etwas jung gewesen. Aber, wie das gelegentlich so ist, wenn du mal etwas erkannt hast oder glaubst, etwas erkannt zu haben, wirst du die Gedankenverknüpfung nie mehr los."

Eine andere Geschichte, damals wohnte ich aus beruflichen Gründen vorübergehend bei meiner Mutter. Ich hocke also eines Tages beim Abendessen in der Küche, während meine Mutter im Wohnzimmer gerade eine Vorabendserie mit Werbeumrahmung guckt. Plötzlich höre ich vom Fernseher einen Sprecher fröhlich quaken: "Verbotene Liebe mit Maggi-Tomatenketchup macht einfach Spaß".

Eine ganze Weile sitze ich da wie vom Donner gerührt, entschließe mich dann aber, das Ganze auf einen Hörfehler meinerseits zu schieben, zu unglaublich erscheint mir das Gehörte. Tags drauf jedoch, gleiche Szene, gleicher Spruch. Und diesmal habe ich mich mit Sicherheit nicht verhört.

Ich möchte mich jetzt nicht weiter drüber auslassen, wie "verbotene Liebe mit Maggi-Tomatenketchup" rein technisch aussehen könnte, gestatte mir in diesem Zusammenhang lediglich die Anmerkung, daß es für den männlichen Maggi-Liebhaber möglicherweise - im Wortsinne - sehr eng werden könnte. Aber gut: Jeder Erwachsene kann und muß wissen, was er macht und vielleicht ist in diesen Zeiten von AIDS der Sex mit Tomatenketchup tatsächlich die gesündere Alternative zu promiskem Geschlechtsverkehr mit Frauen oder Männern, gleich welchen Geschlechts.

Kann sein.

Was ich aber nicht - und zwar überhaupt nicht - verstehen kann, ist die Tatsache, daß man einen dermaßen frivolen Werbespot im Vorabendprogramm bringt, zu einer Zeit also, da viele Jugendliche, ja Kinder, noch fleißig am Gucken sind. Man muß die Kids doch wirklich nicht auf derartige Gedanken bringen!

Es gab mal Leute - und es gibt sie dem Vernehmen nach immer noch - die Tomatenketchup essen. Vielleicht sollte die Firma Maggi ihre Kunden mal darauf aufmerksam machen.

Ich hab öfter mal völlig alberne Assoziationen. Oft ist das nur ein Scherzlein, manchmal nicht einmal das. Ab und an wird ein interessanter Gedankengang draus. (Das hier ist sicher nur ein Scherzlein, wenn überhaupt.)

In der Schule habe ich erstmals den "Bolero" von Maurice Ravel gehört und war sofort fasziniert. Ein eigentlich wahnsinnig langweiliges Stück (letztlich immer die gleiche Tonfolge), das aber trotzdem alles andere als langweilig ist. Das knistert. Jahre später habe ich gelesen, der "Bolero" sei vertonter Geschlechtsverkehr, Geschlechtsverkehr aus der Perspektive des Mannes. Ich hörte mir das Stück daraufhin wieder mal an - tatsächlich. Immer das gleiche, aber immer ein bisserl anders, schön langsam immer heftiger werdend, schließlich heftiges Rabumms, Rabumms - aus. Und dann ratzt der Saukerl wahrscheinlich weg, während die nunmehr entspannte Frau eigentlich noch über das Versmaß im klassischen Sonett diskutieren wollte.

Ähnlich ist es mit dem Heideröslein von Goethe, von selber wär ich nie darauf gekommen, daß hier die Geschichte einer Vergewaltigung erzählt wird. Aber natürlich ist es genau das, Ein Gedicht darüber, wie jemand eine Blume pflückt und darüber mit der Blume ein Gespräch führt, wäre auch wirklich grundalbern.

Und dann war da noch die Sache mit den Türmen der Frauenkirche in München. Vor einigen Jahren war ich in München in einem Beratungsgespräch, anwesend waren der Klient und eine junge Kollegin, die hospitierte. Das Gespräch war an einem toten Punkt angelangt und ich deutete mit unendlich müder Geste (in welche ich den ganzen Weltschmerz des Wiener Fin de Siècle legte, den André Heller so anmutig zu zelebrieren wußte) nach hinten, wo die Türme der Frauenkirche, etwas über einen Kilometer Luftlinie entfernt zu sehen waren. "An einem diesigen Tag wo heute, wo man Einzelheiten nicht mehr so genau sieht, schauen die Türme tatsächlich wie erigierte Penisse aus." Sowohl der Klient als auch die Kollegin schauten mich irritiert an. "Jetzt dreht er durch!" mochten sie wohl denken. So hätten sie die Türme noch nie gesehen, erfuhr ich auf Nachfrage. Oha! Ich versuchte einzulenken und meinte, locker parlierend, die meisten Leute sähen die Zwillingstürme wohl tatsächlich eher weiblich, wobei ich mit einer Geste weibliche Brüste vor meinem eher flachen Oberkörper andeutete. Auch diese Assoziation, erfuhr ich nun, sei ihnen noch nie in den Sinn gekommen, sagten mir die beiden. Von nun aber, so meinten sie übereinstimmend, würde ihnen diese beiden Assoziationen auf ewig anhaften.

Jö, dachte ich mir, jetzt hast du zwei unschuldige Menschenherzen infiziert.

Andererseits...

 

Von Sigmund Freud, den man seinerzeit in Wien als den "Lustlümmel aus der Berggasse" bezeichnete ist der Spruch überliefert: "Manchmal ist eine Zigarre eben nur eine Zigarre."

Ich merke grad, daß Freud meinem zigarrerauchenden Opa sehr ähnlich schaut, meine dazugehörige Oma übrigens dem Hans Moser.

Dem Schweinen, sag ich seit Jahren, ist alles Schwein. Vor wenigen Monaten erfuhr ich dann, daß der Spruch von Friedrich Nietzsche stammt: "Dem Reinen ist Alles rein - so spricht das Volk [1]. Ich aber sage euch: deN Schweinen wird Alles Schwein!" ("Also sprach Zara Thustra", Bd. 3. Chemnitz, 1884.)

Und schon - schawupp! - war ich als Guttenberg entlarvt, wiewohl ich unschuldig bin.



[1]   Bis hier sind wir noch in der Bibel, im Paulsbrief an Titus, Titus 1:15.

Es war die Lerche - Die Bürokratie als Schmeichlerin

Bei Gelegenheit einer kleinen Plauderei über die Tragik der unerfüllten Sehnsucht und der größeren Tragik der erfüllten kam ich auch auf Ephraim Kishons Stück "Es war die Lerche" zu sprechen. Die Handlung geht so: Julia und Romeo haben damals ihren tragischen Doppelselbstmord überlebt, Shakespeare hat ein bisserl geschummelt und das peinliche Happy-End zugeschmiert. Julia hat nach ihrem Fake-Suizid eine Minute zu früh die Augen geöffnet, noch ehe Romeo am offenen Grab Juliens Gift nehmen und sie sich seinen Dolch in den Leib stoßen konnte. 30 Jahre nach dem von Shakespeare vertuschten Happy-End beginnt Kishons Stück.

Ich hatte das Stück mal vor Jahrzehnten im ORF gesehen und bekam jetzt Appetit drauf, es nochmal anzuschauen. Ich hab es mir im Internet bestellt, wurde aber bei der Bestellung drauf hingewiesen, daß das Stück, bzw. diese Inszenierung niemals eine Jugendschutzeinstufung bekommen hätte. Ich bekäme die DVD nur persönlich ausgehändigt, gegen Vorlage meines Personalausweises. Als der Paketbote klingelte war ich gerade auf der Treppe, den Müll runterzutragen. Ich griff nach dem Packerl mit der launigen Bemerkung, ich müßte mich doch bestimmt nicht ausweisen, so wie ich aussähe. Doch, das müßte ich. Ich also zurück in die Wohnung, den Personalausweis geholt. Der arme Packerlbote mußte meine Ausweisnummer notieren und alle die sonstigen Daten. Anderenfalls hätte mir der Staat nicht geglaubt, daß ich nicht mehr minderjährig bin. Der Staat ist ein arger Schmeichler.

Sonntag, 15. Oktober 2023

Adblockers Tücken

Du schreibst was, nicht viel und schon gar nichts Besonderes und speicherst dann das Geschriebene. Womöglich hast du gar nichts geschrieben, sondern lediglich etwas im Netz gesucht. Und plötzlich macht's Plopp und es poppt ein Pop-Up vor dir auf. Man gratuliert dir, daß du mit einer von dir installierten Software bereits 10.000 Anzeigen blockiert hast. Und dann bietet man dir ein noch besseres Adblock-Programm an, mit dem du noch viel mehr Anzeigen als die, die du gerade siehst, blockieren kannst.

Ein guter Werbeblocker müßte sich doch selber blockieren können! Oder versteh ich mal wieder irgendwas von Grund auf nicht?

Von der Tragik der unerfüllten Sehnsucht

Und von der größeren Tragik der erfüllten

Wie die Deutschen so haben es auch die Italiener fertiggebracht, die üblichen fremdenfeindlichen, ja rassistischen Denk- und Verhaltensmuster auf ihre eigenen Landsleute anzuwenden. Die Norditaliener nennen sich gerne "nordici", ein Begriff, der normalerweise auf Skandinavier angewandt wird. Die Süditaliener nennen sie dementsprechend "sudici", was ein (gewollt) böses Wortspiel ist. Das Wort "sudicio", Mehrzahl "sudici" heißt nämlich auch "Dreck, schmierig, schmutzig, schmuddelig, unflätig, verschmutzt, dreckig".

In einem zivilisierten Land wäre ein Mann wie Umberto Bossi, Chef der separatistischen Lega Nord, wegen Hochverrats steckbrieflich gesucht und bei Ergreifung nach fünfminütigem Verfahren standrechtlich erschossen worden. In Italien saß er schließlich in der Regierung.

In Deutschland verläuft die Grenze der Diskriminierung nicht mehr zwischen Nord und Süd [1] sondern zwischen West und Ost. Früher, als uns im Westen die Mauer noch zuverlässig vor all den Sachsen, Thüringern und Mecklenburgern schützte, hat man an Weihnachten Kerzen in die Fenster gestellt, um damit der geknechteten Brüder und Schwestern in der Zone zu gedenken. In der beruhigenden Gewißheit, daß dies nie geschehen werde, hat man gerufen "Macht das Tor auf!". Und dann, wie's der Deibel haben will, war das Tor plötzlich offen und all die faulen, ewig meckernden Ostdeutschen waren plötzlich mitten unter uns.

"Im Leben gibt es zwei Tragödien: die eine ist die Nichterfüllung eines Herzenswunsches, die andere seine Erfüllung." (George Bernard Shaw)

Ephraim Kishon hat in den Siebzigern das Theaterstück "Es war die Lerche" geschrieben. Es spielt in Verona, 30 Jahre nach dem ganzen Geschiß um Romeo und Julia. Die beiden haben überlebt, sind jetzt ein älteres Ehepaar, das sich mit all den so gar nicht heroischen Mißlichkeiten des Ehe-Alltags herumzuschlagen hat. Dazu kommt eine pubertierende Tochter...

Wie angenehm und heiter flauschig ist dagegen Shakespeares Tragödie. Shakespeares Geschichte läuft ja zielgerichtet auf's Happy-End zu und es brauchte eine komplizierte Abfolge aberwitziger Zufälle, die sich Shakespeare hat ausdenken müssen, damit sein Happy-End doch noch in einer marktkonformen Tragödie enden konnte. Zweieinhalb Jahrhunderte später hat Richard Wagner das Kunststück wiederholt.

Dante Alighieri hat auf einer Brücke ein wunderhübsches Mädchen gesehen, ein einziges Mal in seinem Leben. Er nannte sie bei sich Beatrice und hat ihr ein Leben lang hinterhergeseufzt, ihr, der ewig jungen Schönen. Hätte er sie gefunden, wäre sie sein geworden - es wäre vielleicht eine Menschliche Komödie über das Leben, wie es wirklich ist,  geworden. So manches Gedicht wäre nie geschrieben worden, aber mei, es gibt so viele andere, man kann sie eh nicht alle lesen.

Tragisch, wirklich tragisch wird die Geschichte, wenn wir uns klarmachen, wie schnell und leicht junge Menschen ihr Leben wegwerfen. Irgendeine blöde Kuh, irgendein Scheißtyp erhört ihn/sie nicht und er/sie bringt sich um, des Liebeskummers voll. Und dann hast du alte Leute, geplagt von den schmerzlichen Erinnerungen eines langen Lebens, gepeinigt von den Mißlichkeiten des Alters und manchmal auch von entsetzlichen Beschwerden. Und sie freuen sich über jeden einzelnen Tag, den sie noch atmen, den sie noch leben können. Ist es nicht verrückt? Sollte es in einer leidlich vernünftigen Welt nicht umgekehrt sein?

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Bei Gelegenheit der vergeblichen Suche nach einem Video von "Es war die Lerche" ist mir dies noch zum Thema Alter und Liebe untergekommen, das ich nicht unterschlagen möchte, weil es gar so schön ist:



[1]   Diese Grenze gab's in Deutschland schon auch mal, wenn auch deutlich milder.

Donnerstag, 12. Oktober 2023

Der Todesschrei der Rose

Es geschah in den sechziger Jahren, noch war Science-Fiction in Deutschland weitgehend unbekannt. Okay, es gab die mir leicht dubios erschienenen Hans-Dominik-Romane in Hardcover, Jules Verne gab's bei Fischer als Taschenbuch, die US-amerikanischen Klassiker aber kannte kein Schwanz, nicht mal Asimov, Heinlein etc. pp. waren damals in Deutschland bekannt. "In Deutschland auf dem Buchmarkt bekannt..." müßte man eigentlich schreiben, denn Heinlein, Asimov etc. pp. wurden damals als Heftromane (vulgo: Schundromane) für 70 Pfennige, später 80 Fennje verkauft. Die bekanntesten Reihen waren "Utopia" vom Pabel-Verlag und "Terra" vom Moewig-Verlag (oder war's umgekehrt?). Aus Gründen, die ich hier nicht näher erläutern möchte, war ich damals mehrere Jahre lang auf Schundromane und nur auf Schundromane fixiert und lernte so - aus Versehen, wenn man so will - die Hohe Literatur der USA kennen. Den Begriff "Hohe Literatur" verwende ich hier ausdrücklich nicht ironisch, ein Gutteil der damals als Schundroman vermarkteten Erzählungen sind in die Literaturgeschichte eingegangen.

Worauf ich hinaus will: In einer Science-Fiction-Kurzgeschichte erwarb ein Typ die Fähigkeit, die Sprache der Pflanzen zu verstehen. Anfangs erfreute ihn dies, er sprach mit den Disteln und Dornen und mit dem Kürschbaum auch, dann aber fraß sich das Schmerzensgewimmer jedes einzelnen, hingemähten Grashalms in sein Jehürrn. Als er den Todesschrei gefällter Bäume vernahm ging etwas in ihm entzwei und er verfiel dem Wahnsinn, noch ehe er Vegetarier werden konnte.

Ach.

Kafka ist heitere Schmunzellektüre im Vergleich.

Romananfänge

Der erste Satz des ersten Romans von Thomas Mann ist: "Was ist das." Und so geht's weiter: "-- Was -- ist das ..." - "Je, den Düwel ook, _c'est la question, ma très chère demoiselle_!"

Dieser erste Satz eines gänzlich anderen Schriftstellers ist auch nicht schlecht: "In M..., einer bedeutenden Stadt im oberen Italien, ließ die verwitwete Marquise von O..., eine Dame von vortrefflichem Ruf, und Mutter von mehreren wohlerzogenen Kindern, durch die Zeitungen bekannt machen: daß sie, ohne ihr Wissen, in andre Umstände gekommen sei, daß der Vater zu dem Kinde, das sie gebären würde, sich melden solle; und daß sie, aus Familienrücksichten, entschlossen wäre, ihn zu heiraten."

Mein Lieblingsromananfang ist aber dieser: "Zugegeben: ich bin Insasse einer Heil- und Pflegeanstalt..."

Max Frisch hat einst einen Roman über einen schwulen Bleistift geschrieben, der so begann: "Wir starteten in La Guardia, New York, mit dreistündiger Verspätung infolge Schneestürmen." Im Folgenden kann "Homo Faber" jedoch die geweckten Erwartungen nicht einlösen. Obwohl die Handlung stellenweise aufregend ist [1] schafft es Frisch, derart verschnarcht zu erzählen, daß ich noch vor der (unwissentlichen, versteht sich) Liebesaffäre Fabers mit seiner leiblichen Tochter eingeschlafen bin.

Aber pfeif drauf. Der beste Romananfang ist eh dieser:

"In wollüstiger Vorfreude leckte sich Shirley über ihre feuchtschimmernden Lippen. 'Ich glaube, wir werden heute abend noch viel Spaß haben miteinander', gurrte sie mit rauchiger Altstimme, während sie langsam, aufreizend langsam den schwarzseidenen BH öffnete und ihre strammen Brüste freilegte. Buzz Kowalsky hatte eine rotglänzende Birne; rot von den vielen Drinks, die er am heutigen Abend schon in sich hineingeschüttet hatte und schweißglänzend vor Aufregung. Er kicherte nervös beim Anblick der halbnackten Frau. Seine alkoholumnebelten Augen gaben ihr Bestes, einen lüsternen Ausdruck auf sein Gesicht zu zaubern. Shirley streifte nun auch den Slip von ihren Hüften und bot ihren schlanken, nahtlos braunen Körper ganz ohne Hüllen den begehrlichen Blicken Kowalskys dar. Mit einem trägen, lasziven Swingen ihres Körpers tänzelte sie auf ihn zu und kniete vor ihm nieder. Lüstern griffen gepflegte Hände mit rotlackierten Nägeln nach Kowalskys Unterhose. Da klopfte es an der Tür des Hotelzimmers. 'Oh, verflucht', stöhnte Kowalsky, der längst an einem Punkt war, wo ihn nichts mehr auf dieser Welt interessierte, nur noch der makellose Körper dieser willigen Frau. 'Kümmere dich nicht drum', flüsterte er Shirley ins Ohr. Der unerwünschte Besucher aber ließ sich nicht abwimmeln. Ein Schlag, ein Splittern und die aus dem Schloß getretene Tür schlug krachend auf. Ein schwarzgekleideter, schwarzmaskierter Mann sprang herein, brachte eine mattschimmernde MP in Anschlag und drückte ab. Eine Salve aus der automatischen Waffe des eiskalten Killers jagte auf Kowalsky zu, Kugeln & Kugeln & Kugeln zerfetzten seinen teigigen Leib und verwandelten ihn in einen blutigen... Mit wohligem Schnauben schob sich ein, mit Unterhose und Leiberl ansatzweise bekleideter Herr den letzten Löffel Rühreier zwischen die Zähne, spülte mit schwarzem, stark gesüßten Kaffee nach und ließ sich satt prustend gegen die Lehne seines Stuhles fallen. Er griff nach der Fernbedienung und schaltete Videorecorder und Fernseher aus."

Daß ich's nicht vergesse: Eine lobende Erwähnung verdient dieser grandiose Romananfang eines geschätzten Kollegen, der mit den ersten - autobiographischen - Sätzen bereits mitten hinein in die Handlung springt.

"Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und Finsternis lag auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte über dem Wasser."

Und außer Konkurrenz: "Eine Famulatur besteht ja nicht nur aus dem Zuschauen bei komplizierten Darmoperationen, aus Bauchfellaufschneiden, Lungenflügelzuklammern und Fußabsägen, sie besteht wirklich nicht nur aus Totenaugenzudrücken und aus Kinderherausziehen in die Welt. Eine Famulatur ist nicht nur das: abgesägte ganze und halbe Beine und Arme über die Schulter in den Emailkübel werfen. Auch besteht sie nicht aus dem ständig hinter dem Primarius und dem Assistenten und dem Assistenten des Assistenten Dahertrotteln, aus dem Schwanzdasein der Visite. Aus dem Vorspiegeln falscher Tatsachen kann eine Famulatur auch nicht bestehen, nicht aus dem, daß ich sage: “Der Eiter wird sich ganz einfach in ihrem Blut auflösen, und Sie sind wieder gesund.” Und aus hunderterlei anderen Lügen. Nicht nur daraus, dass ich sage: Es wird schon!” – wo nichts mehr wird. Eine Famulatur ist ja nicht nur eine Lehrstelle für Aufschneiden und Zunähen, für Abbinden und Aushalten. Eine Famulatur muß auch mit außerfleischlichen Tatsachen und Möglichkeiten rechnen."

Wessen Sound ist hier zu hören? Und in welchem Roman?



[1]   Der schwule Bleistift findet seinen Freund in dessen Haus in der mittelamerikanischen Einöde tot auf, verwest im fortgeschrittenen Stadium, umsummt von Schmeißfliegen und anderer Aasfauna.