Montag, 15. Oktober 2012

Straßenräuber in Bari

Eine touristische Empfehlung

Vor Jahren waren wir einmal in Bari, meine Frau wollte sich unbedingt die Altstadt ansehen, ich riet dringend davon ab, denn im Reiseführer stand, daß die Altstadt von Bari von scippatori nur so wimmele. Diese scippatori grapschen dir in Windeseile Handtasche, Photoapparat etc. und sind im Gassengewirr verschwunden, noch ehe du reagieren kannst.
Meine Frau aber war optimistisch und also... Wer kann sich schon wirklich gegen Frauen, optimistische Frauen gar, durchsetzen?
Wir waren noch keine hundert Meter weit gekommen, als zwei Halbwüchsige von vorne kamen, ein dritter von hinten, unauffällig an der Wand entlang. Meine Frau hatte in ihrer Umhängetasche das ganze Geld, so daß ich meine Aufmerksamkeit drauf konzentrierte. Und watsch und noch ehe ich reagieren konnte, war der Typ von hinten auf mich zugerannt, hatte mir die hintere Hosentasche, wo mein Geldbeutel steckte, aufgerissen und war mit der Geldbörse, samt meinen sämtlichen Papieren auf und davon in der nächsten Seitengasse verschwunden.
Da stand ich nun, ein Hosenbein von der Arschbacke bis zu den Knöcheln aufgerissen und ohne Börse. Die Hose war früher mal eine sogenannte "gute Hose" gewesen, Teil eines grauen Sommeranzugs, war inzwischen nur noch auf den ganz ersten Blick als gute Hose erkennbar, ansonsten eher verschmuddelt und mit kleinen Brandflecken von Zigaretten versehen. So gesehen war der Schaden nicht groß, Geld war auch keins weg, außer vielleicht ein paar Mark in deutschen Münzen.
Aber die Ausweise!!! Das ganze Geschiß, die wiederzubekommen!!!
Verdattert, unfähig, uns zu bewegen, standen wir da, überlegten, ob es Sinn hätte, den Überfall anzuzeigen oder nicht. Wir waren noch zu keinem Ergebnis gekommen (wenn auch die Tendenz eher zu "nein" neigte), als einer der Räuber, vielleicht 15, 16 Jahre alt, aus der Seitengasse zurückkam, auf mich zuging und mir die Geldbörse mit einem "scusi" und einigen Sätzen, die ich mit meinen damaligen Italienischkenntnissen nicht verstand, zurückgab.
Sakra!
Die Geldbörse erwies sich beim Prüfen als intakt, nichts fehlte.
Ich kann die Straßenräuber von Bari jedermann nur wärmstens empfehlen. (1)

Als wir dann - ich hatte mir inzwischen am Bahnhof (der einzige Laden, der in der Siesta geöffnet hatte) eine andere Hose gekauft -  erneut an den Rand der Altstadt (diesen Rand nun nicht mehr überschreitend) zurückkehrten, sahen wir am Hafen eine Gruppe von Touristen, die sich auf einen Besuch der Altstadt vorbereitete. Begleitet wurden diese Touristen von vier schwerbewaffneten Carabinieri, zwei vorne, zwei hinten.
Ja, Bari liegt an der Schnittstelle von Erster und Dritter Welt, die beiden Welten sind nur eine Straßenbreite voneinander entfernt.

--------------------------------------------------------------------------
(1) Als 1938 die Nazis Österreich besetzten, war es für Sigmund Freud an der Zeit, aus Österreich zu verschwinden und nach London zu gehen. Die Nazis hatten keinerlei Interesse daran, sich an einem derart prominenten Juden zu vergehen, sie ließen ihn ziehen. Damit nichts an ihnen hängenbliebe zwang die SS Freud, einen Revers zu unterschreiben, in welchem er bestätigen sollte, daß ihm keinerlei Leids geschehen sei. Freud tat das, fügte aber handschriftlich dazu: "Ich kann die SS jedermann nur wärmstens empfehlen."
Damit will ich die Straßenräuber von Bari nicht mit der SS vergleichen, du lieber Heiland! Ich will nur klar machen, daß die sprachliche Pointe nicht von mir ist.
Unser Dilemma war vielmehr, daß wir zwar einerseits über den Überfall verärgert waren (nachvollziehbarerweise, hoffe ich doch), andererseits aber (ich trau's mir kaum zu sagen) mit den Räubern sympathisierten. Hmnja, an deren Stelle hätten wir genauso gehandelt.
Wenn dir ein beschissenes System keine Chance läßt, "die Hütte deines Glücks auf dieser Erde zu erbauen" (H. Heine), dann mußt du entweder verzweifeln - oder rabiat werden.
Wer immer auf Hartz IV gesetzt ist oder fürchtet, dereinst auf Hartz IV gesetzt zu werden, verneige sich in Ehrfurcht vor süditalienischen Straßenräubern. Die trauen sich wenigstens was.
Und sie sind von nobler Gesinnung. Würde unsere Gesellschaft von süditalienischen Straßenräubern regiert und beherrscht, statt von dem Gesindel, das es tatsächlich tut, wir könnten aufatmen.

Manchmal wünsche ich mir, der Junge, der mir damals die Hose aufgerissen und später die Geldbörse zurückgebracht hat, hätte - wider jede Erwartung - den Sprung geschafft. Er wäre irgendwann nach Deutschland ausgewandert, hätte hier Deutsch gelernt und würde nun meinen Artikel lesen können.

Samstag, 13. Oktober 2012

Ohne Rembrandt kein Picasso

Der berühmte Maler Rembrandt Harmenszoon van Rijn war, wenn man es genau betrachtet, nichts weiter als ein ganz gewöhnlicher Fleckenmacher. Der hat ein Kleckserl Rot oder Braun oder Gelb oder wie oder was auf seinen Malerpinsel getan und dieses Kleckserl dann auf die Leinwand oder das Holz oder das wie oder was geschmiert. Das hat er geraume Zeit so gemacht und sich dabei gefreut wie ein Kind. Dann ist er zwei, drei Schritte zurückgegangen und hat gesagt "Nanu? Das bin ich ja ich."

In seiner berühmten Autobiographie "Viele Kleckserl und nur 1 Ich" hat Rembrandt geschrieben, daß er dies ständig so gemacht habe. Wenn er in der Kleckserei was erkannt habe, das ihm bekannt vorgekommen sei, habe er das Ding behalten und als Kunst weiterverkauft. Wenn nix draus geworden sei habe er das Zeug am Ende einfach verbrannt. Später habe er diese mißlungenen Klecksereien dann an einen Mann namens Poul Piekaso verschenkt, der sich darüber gefreut habe wie ein Honigkuchenpferd.

Dieser Poul Piekaso sei ein Spanier und überdies ein Spinner gewesen, der behauptet habe, er sei ein Zeitreisender aus der Zukunft. Aber mei, schreibt Rembrandt, gewundert habe ihn das nicht, denn Spanier seien bekanntermaßen Spinner.
So viel zum Thema "Kunstgeschichte und Zufall".

Dienstag, 9. Oktober 2012

Der Alise

Ein Monolog (mit Bedienung)

Die Personen:
Der Xare
Die Bedienung


Draußen im Wirtsgarten. Ein Bierzelttisch, davor eine dazu passende Bank. Aus der Wirtschaft dringt das fröhliche Gelärme einer angeregten Gesellschaft. Ab und zu, selten, sind streitende Stimmen zu hören. Auf dem Wirtshaustisch steht ein noch fast volles Weizenglas. Eine kleine Weile beschränkt sich das Geschehen auf der Bühne auf dieses Stilleben. Dann hört man von links Grunzen, Grummeln, Stöhnen, leise Geräusche des Bemühens, der peinvollen Ungeduld. Schließlich ist deutlich zu hören, daß jemand so richtig voll Rohr und ausgiebig und lange gegen eine Hauswand brunzt. Irgendwann ist er schließlich fertig.
XARE Von draußen Ah! Erleichterungsseufzer, von ganzem Herzen.
Man hört, wie der Reißverschluß eines Hosenschlitzes zugezogen wird. Der Xare, ein kräftiger Mann in mittleren Jahren, vielleicht ein bißchen drüber, kommt von links auf die Bühne. Er setzt sich auf die Bank, vor das Bier, mit dem Rücken zum Publikum, das er zunächst gar nicht zu bemerken scheint. Er blickt dorthin, wo er eben noch so kräftig gebrunzt hat und seufzt tief auf
XARE Das hat sein müssen.
Auf den ersten, kräftigen Huster aus dem Publikum dreht sich der Xare um und nickt freundlich, aber ohne wirkliches Interesse ins Parkett.
XARE Deutet mit dem Kinn dorthin, wo er eben gebrunzt hat So ein Weizen, das treibt schon kräftig. Lacht
Dann dreht er sich wieder zurück und nimmt einen kräftigen Schluck von seinem Weizen.
XARE Seufzend, mehr zu sich Ah, jetzt ist's auch vorbei. Ich mag gar nicht mehr reingehen.
Er dreht sich zum Publikum um. Er fixiert einen der Zuschauer, als wäre von ihm eine Anmerkung oder Frage gekommen.
XARE Nein, nein, es ist nicht wegen der Gaudi da drin, die stört mich nicht, die muß ja sein. Wenn dein Freund tot ist, weinst du, dann gräbst ihn ein - und dann gibt's eine Gaudi für alle. Das Leben geht weiter. Aber daß es mit dem Alise einmal so hinausgeht - das hätt' man nicht gedacht.
Er dreht sich wieder zurück, Rücken zum Publikum, in traurige Gedanken versunken. Er nimmt einen Schluck, versinkt in tiefsinniges Brüten. So sitzt er eine Weile, bis er schließlich mit einem weiteren Schluck das Glas leer trinkt. Er klopft mit dem Boden des leeren Glases heftig auf die Tischplatte, dann dreht er sich mit einem Ruck um und setzt sich rittlings auf die Bank, so daß sein Körper im Profil zu sehen ist, sein Gesicht meist zum Publikum gewandt.
XARE Schuld an dem Alise seinem Unglück sind unsere verfluchten Gesetze. Wenn unsere verfluchten Gesetze nicht so grausam wären, dann könnt' der Alise noch leben. Dann hätt' er nicht sterben brauchen.
Er wendet sich an seinen fiktiven Gesprächspartner im Publikum.
XARE Was die Gesetze mit dem Tod vom Alise zu tun haben, frägst du?
Die Kathi kommt mit einem vollen Weizenglas aus dem Wirtshaus heraus, stellt dem Xare das Glas hin.
KATHI Wohl bekomm's, Xare!
Der Xare macht eine unwillige, ungeduldige Geste. Die Kathi schnappt sichtlich ein.
KATHI Spitz Obwohl ich's mir nicht vorstellen kann, bei dem, was du in dich hineinsäufst.
XARE Schleich dich! Was verstehst du schon!
Die Kathi streckt dem Xare hinter dessen Rücken die Zunge heraus. Sie macht ein weiteres Kreuzerl auf dem Xare seinem Bierfilzl, nimmt das leere Glas und geht zurück in die Wirtschaft. Der Xare ist jetzt aufgeregt, teils wegen dem Wortwechsel mit der Bedienung, teils wegen dem, was er jetzt zu sagen hat.
XARE Der Alise war doch kein Verbrecher, er hat niemandem nichts getan. Sein Lebtag lang war der Alise ein anständiger Kerl. Und trotzdem haben sie ihn behandelt wie einen Gangster. Bloß weil er lustig war und gern mal eine Halbe getrunken hat. Es trinkt doch ein jeder gern mal eine Halbe! - Wegen dem Saufen käm' keiner vor Gericht, sagst du? Bitter Ha! Freilich darfst saufen, was d'willst und soviel wie'st willst und jeder Wirt verkauft dir eine Halbe. Aggressiv Und? Und dann? Wie kommst dann heim, ha? Willst beim Wirt übernachten? - Der pfeift dir was, der Wirt. - Zu Fuß gehen? Weißt du, wie weit ich von hier bis nachhaus' hab? Lacht verlegen Na gut, ich weiß es auch nicht, aber es ist auf jeden Fall zu weit. - Verächtlich Taxi! Dein Taxi kannst du dir in den Arsch schieben. Erstens kriegst keins und zweitens könnt'st es nicht derzahlen, wenn'st eins bekämst. Wütend Acht Euro! Ha! Erstens sind acht Euro auch ein Geld und zweitens heißt "acht Euro" immer "sechzehn Euro", weil ich ja hin zum Wirt auch mit dem Taxi müßt'. Und drittens kann ich mir sechsmal die Woche kein Taxi nicht leisten. Das kann sich keiner leisten, wenn er kein Millionär ist. Denkt nach Und ein Millionär wär' keiner geworden, wenn er ständig mit dem Taxi gefahren wär'.
Er nickt bekräftigend.
XARE Du kannst sagen, was du willst: Wenn du heim willst, mußt du fahren. Selber. Und wenn sie dich erwischen, bist du dran. Weil das nämlich lauter ganz schlaue Leut' sind im Bundestag, dafür muß der kleine Mann büßen. Die haben gemeint, sie müßten das Fahren mit ein bißchen Alkohol verbieten und das wär's dann. Ist es aber nicht, weil es hält sich ja doch keiner dran. Alle fahren sie besoffen, alle. Ich kenn' keinen einzigen, der ein Taxi nehmen würd'. Jede Silbe betonend Keinen einzigen! Gesetze aber, wo sich keiner dran hält, sollte man schleunigst abschaffen, schon wegen dem Respekt vor dem Staat. Ich geb' dir ein Beispiel. Ich weiß nicht, ob du das weißt, aber früher war mal der Ehebruch verboten.
Er versucht, dreckig zu lachen.
XARE Nein, nein, nicht nur von der Religion, das sowieso, sondern so richtig, vom Staat aus, war das früher verboten. Und ganz früher, bei den alten Juden, da hat man die Ehebrecher gesteinigt. Ich kann mich noch gut erinnern...
Der Xare sucht in Jacken-, Hemd- und Hosentaschen umständlich nach seiner Packung Zigaretten...
XARE ...wie ich mich als Bub immer gewundert hab', wo die in der Wüste die ganzen Steine hernehmen. Ich hab' nämlich gedacht, die Wüste, das wär' nur Sand und sonst nix, so eine Art Bibione, nur daß der Strand tausend Kilometer tief ins Land geht. Das mußt du dir mal vorstellen: Du steigst in Bibione aus der Adria und gehst und gehst und ständig ist Strand. Keine Alpen, kein Bayern, kein Sachsen. Nix. Nur Sand. Erst irgendwo in der Nähe von Berlin wird's allmählich wieder normal. Bibione bis nach... Deutet mit dem Kinn vage nach Norden, wo er Norden und damit Preußen vermutet ...Preußen rauf, hab' ich mir gedacht, damals als Bub. Is' natürlich ein Schmarrn, weil später hab' ich gelesen, daß die Wüste auch ganz schön steinig sein kann. Is' ja auch logisch, weil wenn nicht, dann hätten die alten Juden die Leute ja nicht gesteinigt, sondern einfach in den Sand eingegraben.
Der Xare zündet sich die in der Zwischenzeit gefundene, umständlich aus der etwas zerknitterten Packung genommene Zigarette an, inhaliert tief.
XARE Mit verhaltenem Stolz Jetzt wunderst dich natürlich, woher ich das alles weiß. Das kommt daher: Ich bin zwar katholisch, hab' in meiner Jugend aber trotzdem viel in der Bibel gelesen.
Er wendet sich an seinen fiktiven Gesprächspartner im Publikum.
XARE Du lachst, weil du's für einen Witz hältst. Ist aber keiner. Ich mein, immerhin ist deswegen die Reformation ausgebrochen, weil der Luther gemeint hat, es wär' eine gute Idee, wenn jeder die Bibel lesen würd'. Aber der Papst hat gemeint, es reicht, wenn die Pfarrer ab und zu mal reinschauen würden. Und wenn der Papst was meint, dann meint er das nicht nur, dann ist das so. Da ist er unfehlbar. Das war zwar damals noch nicht ausgedacht, die Unfehlbarkeit, aber unfehlbar war er deshalb trotzdem schon, rückblickend. Nur der Luther, der sture Hund, ist bei seiner Meinung geblieben und hat die Bibel übersetzt und bei der Gelegenheit die deutsche Sprache erfunden. Ja, blöd bin ich nicht.
Er klopft mit dem Boden des leeren Glases heftig auf die Tischplatte.
XARE Und wenn du erst mal anfängst, in der Bibel zu lesen, dann merkst du bald, daß das alles Juden sind, die da vorkommen. Der Moses, der David, der... Dings, Herrgotts, wie heißt jetzt der... Breitet die Arme weit zur Seite aus der Jesus, genau, der Jesus. Leise, verschwörerisch Hast du das gewußt, daß der Jesus ein Jud war? Ha? Hast du das gewußt? Ah, so. Das hast du gewußt. Na ja, wie gesagt: Alles Juden. Und knallharte Burschen waren das, die alten Juden. Das waren keine milden Christusse mit linke Backe, rechte Backe, hau nur drauf. Nimm doch nur mal den Abraham, gell. Du kennst doch den Abraham? Ah, freilich, den Abraham kennt jeder. Dem Abraham also hat Gott, oder wen immer der in seinem Suff für Gott gehalten hat, gesagt, er möcht bittschön seinen Sohn ‑ also nicht Gottes, sondern Abrahams Sohn - töten. Und was macht der Abraham? Packt seinen Sohn, nimmt ihn mit in die Wüste und hebt schon sein Messer, um ihn abzustechen, als im letzten Augenblick Gott meint, es wär alles nur ein Scherz gewesen und er hätt' nur mal schauen wollen, ob er's wirklich machen tät. Aber das ist natürlich ein Schmarrn. Weil wenn Gott allwissend ist, dann muß er's doch nicht austesten, dann weiß er's auch so, ob's der Abraham tät', wenn er's ihm sagen würd'. - Na ja, vielleicht war ihm auch nur langweilig. Gott, mein ich.
Die Kathi kommt mit einem vollen Weizenglas aus dem Wirtshaus heraus, stellt dem Xare wortlos das Glas hin. Sie macht ein Kreuzerl auf sein Bierfilzl, nimmt das leere Glas und geht zurück in die Wirtschaft.
XARE Ja, wie bin ich jetzt bloß vom Alise auf den Abraham gekommen? Horcht ins Publikum Ah so, genau, wegen den Juden und dem Steinigen und den sinnlosen Gesetzen. Trotz der harten Strafen sind das dann nämlich immer mehr geworden, im Laufe der Zeiten, die mit dem Ehebruch. Und da hat's dann auf einmal nicht mehr hing'haut mit dem Steinigen, weil sich irgendwann jeder selber hätt' steinigen müssen und dann wär keiner mehr da gewesen für irgendeine Ehe, die irgendeiner noch hätt' brechen können. Deshalb hat man sich dann irgendwann gesagt: "Scheiß drauf" und hat das Verbot aufgehoben.
Er wendet sich an seinen fiktiven Gesprächspartner im Publikum.
XARE Du lachst jetzt, weil du's nicht besser verstehst. Ich aber sage dir, mit dem besoffen Fahren wird es eines Tages genauso gehen. Irgendwann hat keiner mehr den Führerschein und die Autos fahren trotzdem. Bis einer merkt, daß das alles Schwarzfahrer sein müssen. Und dann wird ein genialer Mensch sagen, "Scheiß drauf" und das besoffen Fahren und das Schwarzfahren erlauben, weil's dann auch schon wurscht ist. So wird das sein, auch wenn du jetzt lachst. Resigniert Aber bis dahin... Ich mein, ich sag ja eh nichts, daß sie dir den Führerschein nehmen und ein paar Tausend Euro abknöpfen, wenn sie dich erwischen. Da hast halt Pech gehabt, das ist wie mit der Steuer. Schicksal! Das mußt du sportlich nehmen. Wie gesagt, das wär' ja nichts, wenn's dabei bliebe. Aber dabei bleibt's ja nicht!
Er wendet sich an seinen fiktiven Gesprächspartner im Publikum.
XARE Ja, weißt du das nicht, daß es nicht dabei bleibt? Hast du noch nie was gehört vom Depperltest? Fassungslos Der hat noch nie was vom Depperltest gehört! Wütend, so richtig grantig Dieser Depperltest ist die hinterfotzigste Erfindung, die sich der Staat ausgedacht hat. Das Landratsamt gibt dir nämlich den gezwickten Führerschein nicht wieder, wenn du deine Sperrfrist abgesessen hast! Die schicken dich eiskalt zum TÜV. Als wenn du dein eigenes Auto wärst. Dort mußt du eine Stunde lang einem Psychologen vorschleimen, daß du alles wahnsinnig bereust und bestimmt nix mehr saufen wirst und wenn doch, daß du immer brav ein Taxi nehmen wirst. Und erst wenn der Schwollschädel von einem Psychologen dir glaubt, was du ihm vorsoßt, kriegst du deinen Schein wieder. Meistens aber glaubt er dir nicht. Und dann mußt du noch mal hin. Und noch mal zahlen. Und wieder hin und wieder zahlen. Und bis du deinen Führerschein wieder hast, sind zwei Jahre vergangen und du kannst den Schein ganz von vorne machen, als wenn du achtzehn wärst und keine Ahnung hättest vom Gangschalten und einem Vorfahrtsschild.
Er wendet dem Publikum wieder den Rücken zu, nimmt einen ausgiebigeren Schluck vom Weizen und schweigt eine Weile.
XARE Das Tragische beim Alise war, daß ihn die Polizei eigentlich gar nicht in dem Sinn erwischt hat, sondern der Alise wegen seiner Verantwortung drangekommen ist. Wie er nämlich die Polizei hat stehen sehen, ist er gleich auf die Bremse getreten, damit er nicht zu schnell fährt und sie ihn vielleicht aufhalten. Aber sie haben ihn genau deswegen aufgehalten. Weil, der Alise ist in seinem Eifer ein bißchen arg gach auf die Bremse gestiegen und hat so eine meterlange Bremsspur hinterlassen. Eigentlich waren sie ja bloß zum Pinkeln dort, haben die Polizisten später dem Alise erzählt, hat mir der Alise erzählt. Das muß man sich mal vorstellen: Wenn der Alise nicht immer so mitgedacht hätt' und alles besonders gut hätt' machen wollen, dann hätt' er jetzt seinen Führerschein immer noch und leben würd' er auch noch.
Der Xare schweigt versonnen.
XARE Dabei hat er so wahnsinnig viel gar nicht gehabt, ganz normale zweikommaeins Promille. Ins Publikum Da braucht jetzt keiner zu lachen. Zweikommaeins Promille ist auch nicht mehr, als ich seinerzeit gehabt hab', vor zwanzig Jahren. Und ich war noch gut bei­nander, damals. Ist ja auch logisch, weil als richtig Besoffener hätt' ich ja gar nicht mehr Auto fahren können. Und das hab' ich noch gekonnt, weil sonst hätten sie mich doch nicht im Auto erwischen können.
Er wendet sich an seinen fiktiven Gesprächspartner im Publikum.
XARE Merkst du was, ha? Gell, du hast es gemerkt? Das ist alles wahnsinnig unlogisch, das Ganze. Wenn einer noch fahren kann, dann kann man ihn doch ruhig fahren lassen. Und wenn er es nicht mehr kann, dann kann er es nicht, dann braucht man es ihm gar nicht zu verbieten. So was fällt jedem Deppen auf, aber für die g'scheiten Leut' im Bundestag ist das zu hoch. - Der Alise hat sich ja nie vorstellen können, was es alles für Leute gibt, auf dieser Welt. "Alise", hab' ich immer zu ihm gesagt, "Alise, paß auf!" Aber der Alise hat nur gelacht und nicht aufgepaßt. Und ist dann auch im Depperltest beim ersten Mal durchgefallen. Weil er Leberwerte gehabt hat, hat ihm der Depp von einem Psychologen gesagt, und daß er deswegen ein Alkoholiker wär. - Der Alise ein Alkoholiker! Der Alise war doch kein Alkoholiker, nie und nimmer war der Alise ein Alkoholiker. Wenn der Alise ein Alkoholiker war, dann sind wir doch alle Alkoholiker. Ah, Schmarrn! Als Alkoholiker hätt' der Alise auch nicht so ein tüchtiger Mensch sein können. Eine schöne Schreinerei hat er gehabt, mit zwei Gesellen und drei Lehrlingen. Und immer gut verdient. So was schafft doch kein Alkoholiker! - Außerdem hat der Alise hat doch überhaupt nicht viel Bier getrunken. Und das bißl hat er nicht getrunken, weil's ihm geschmeckt hätt' oder weil er's gebraucht hätt'. - Warum er das Bier dann getrunken hat, frägst du? Ins Publikum Er frägt, warum der Alise ein Bier getrunken hat? Er frägt, weil er es nicht weiß. Willst jetzt du etwa im Wirtshaus ein Limo trinken? So was macht doch keiner! Der Alise hat wie wir alle ein Bier getrunken, weil du im Wirtshaus nichts anderes trinken kannst, als ein Bier. Sonst lacht dich doch jeder aus.
Er nimmt einen tiefen Schluck aus seinem Weizenglas, leert es. Er klopft mit dem Boden des leeren Glases heftig auf die Tischplatte.
XARE Bloß, wie er das erste Mal beim Depperltest durchgefallen war, hat der Alise ab da kein Bier mehr getrunken. Wegen der Scheiß-Leberwerte hat er ein Vierteljahr lang nur noch Spezi getrunken. Das muß man sich einmal vorstellen! Es hat aber jeder verstanden und keiner hat ihn ausgelacht deswegen. Trotzdem war es entsetzlich. Für den Alise sowieso, aber auch für uns, wenn wir haben zuschauen müssen, wie er sich abplagt, der arme Kerl, und das Zeug in sich reinschüttet. Aber: Der Alise hat es durchgehalten. Er hat es sich in den Kopf gesetzt, daß er bis zum Depperltest nur noch Limo sauft und er hat es eisern durchgehalten. So einer war der Alise! - Jetzt sag doch selbst: Kann das ein Alkoholiker? Kann der das? Ein richtiger Alkoholiker kann das doch nicht, daß er einfach ein Vierteljahr lang bloß Spezi sauft. Und wenn er es könnt', dann wär' er noch kein Alkoholiker. Ist doch logisch.
Er schaut ungeduldig, wo denn die Bedienung bleibt.
XARE In dieser Zeit ist der Alise immer mit dem Taxi gefahren. So war er. Wenn er sich was vorgenommen hat, dann hat er das auch durchgezogen. Eisern. Er hat sich's aber auch leisten können, weil er mit seinem Spezi eine Menge Geld gespart hat. - Was sagst du? Seit wann das Spezi billiger wär als das Bier? Lacht Ja nie! Das Spezi war doch noch nie billiger als das Bier. Ganz im Gegenteil, das Spezi kostet beim Wirt fast doppelt soviel wie ein Bier. Aber, was glaubst du, wieviel du von dem verschissenen Spezi runterbringst an einem Abend? Drei Halbe. Höchstens. Und wieviel vom Bier? Er macht eine wegwerfende Geste, um zu verdeutlichen, daß man das gar nicht zählen könne. Mein Lieber, das macht einen Unterschied. Und von dem Unterschied hat sich der Alise leicht ein Taxi leisten können. - So läuft das.
Er seufzt tief auf.
XARE Na ja, und dann ist der Alise halt zum zweiten Mal zum Depperltest gegangen und jedem war klar, daß es diesmal klappen muß. Diesmal hat er ja wunderbare Leberwerte gehabt und keiner hat mehr irgendwas von Alkohol sagen können. An dem Abend nach dem Depperltest, also vor... Stockt, schluckt, weint fast ...vor drei Tagen, da hat's im Alise seinen Betrieb schon am Nachmittag eine kleine Feier gegeben. Einer von den Arbeitern hat Geburtstag gehabt und hat was ausgeben müssen. Und weil das Bier und der Schnaps dem Alise nichts gekostet hat, ist er an dem Abend schon ein bißl angetrunken zum Unterwirt gekommen. Mit seinem Auto. Die Kathi, das dumme Luder... Zeigt mit dem Finger nach hinten zum Wirtshaus, dorthin wo immer die Bedienung herauskommt, die ihm das neue Weizen bringt ...was macht die Kathi? Die Kathi sagt doch frech zum Alise, daß es für ihn heut kein Bier nicht mehr gäb' und Schnaps sowieso nicht. Weil nach dem Gesetz... An seinen fiktiven Gesprächspartner ...hast du das gewußt? Weil es nach dem Gesetz verboten wär', Alkohol an Betrunkene auszuschenken. Lacht Der Erwin, unser Wirt, ist gleich erschrocken zusammengezuckt und hat gemeint: "An wen denn dann?" - "An wen denn dann?"... Lacht ...hat er gefragt und ist dann energisch geworden und hat der Kathi den dienstlichen Befehl gegeben, dem Alise auszuschenken, was immer der Alise trinken will. Und dann haben wir alle beim Unterwirt dem Alise seinen neuen Führerschein gefeiert. Wir waren ziemlich lustig und sind im Laufe des Abends immer lustiger geworden, weil uns klar war, daß der Alise das Bier und den Schnaps zahlen wird und wir dementsprechend zugelangt haben.
Die Kathi kommt mit einem vollen Weizenglas aus dem Wirtshaus heraus, stellt dem Xare wortlos das Glas hin. Sie macht ein Kreuzerl auf sein Bierfilzl, nimmt das leere Glas und geht zurück in die Wirtschaft.
XARE Wir konnten ja nicht ahnen... Sinniert düster Das konnte ja keiner von uns wissen... Denkt eine Weile nach Obwohl... Daß der Alise an dem Abend so still war, hätt' uns eigentlich stutzig machen sollen. - Und später, wie er schon einiges abgesoffen gehabt hat, ist er ja richtig wütend und ausfallend geworden. Und einer, der seinen Führerschein zurückbekommt, ist doch nicht wütend, oder? Ins Publikum Einer, der seinen Führerschein wiederbekommt, der ist doch nicht wütend, der freut sich doch! Aber der Alise hat ihn gar nicht wiederbekommen, den Führerschein. Irgendwann ist er damit rausgerückt. Durchgefallen ist er, hat er gesagt. Zum zweiten Mal ist der Alise bei dem verdammten Depperltest durchgefallen. Obwohl er über ein Vierteljahr lang keinen Alkohol mehr getrunken hat. Versucht, Tonfall und Sprechweise eines Psychologen nachzuahmen "Das mag ja sein", hat der Psychologe gesagt, hat der Alise gesagt, "daß Sie jetzt ein Vierteljahr lang keinen Alkohol getrunken haben. Aber ein Alkoholiker sind Sie trotzdem." Warum denn, hat ihn der Alise gefragt und der Psychologe hat gesagt, hat der Alise gesagt, daß er, also der Alise, wieder anfangen würde zu trinken, wenn er den Schein wieder hätte, weil er sich innerlich nicht geändert hätte, der Alise. Wie er da drauf käm', hat ihn der Alise gefragt und der Depp hat gemeint, das wüßte er eben, weil er dafür einen Blick hätte. Einen Blick! Ha!
Er wendet sich an seinen fiktiven Gesprächspartner im Publikum.
XARE Wie kann jetzt der das wissen? Ha? Das kann der doch unmöglich wissen! Ha! Ins Publikum Oder? Das kann einer doch unmöglich wissen, ob der Alise in der Zukunft was saufen wird oder nicht. Vor allen Dingen keiner, der den Alise doch überhaupt nicht kennt. Gerührt Der Alise hat gesagt, er hätt' fast geweint dort, beim TÜV. Immer wieder hat er geschworen, daß er nichts mehr trinken wird, nie mehr, unter keinen Umständen nicht. An seinen fiktiven Gesprächspartner Meinst du, der Depp hätt' das geglaubt? Ins Publikum Einen Scheißdreck hat ihm der geglaubt. Dabei hat er es unmöglich wissen können, dieser Klugscheißer. Einem ins Gesicht sagen, daß man ein charakterloser Mensch ist, weil man trotz gutem Vorsatz besoffen fahren wird, das ist eine Beleidigung. So was trifft einen doch. Da wird man doch wütend. Ins Publikum, wütend Da wird doch jeder wütend, wenn ihn irgend so ein dahergelaufener Depp als Alkoholiker und Gewohnheitsverbrecher hinstellt, oder?
Er nimmt einen kräftigen Schluck vom Weizen, dann noch einen, wird darüber allmählich wieder ruhiger.
XARE Und der Alise ist wütend geworden, wie jeder andere an seiner Stelle auch wütend geworden wär', vor allem so ein sensibler Mensch wie der Alise. Der Alise war ja in der Hinsicht wahnsinnig empfindlich, der hat sich schnell über alles mögliche aufgeregt und ist dann gleich saugrantig geworden. Und erst am Stammtisch ist er allmählich wieder umgänglicher geworden. Und wenn der Alise wütend war, ich sag's dir, dann hat er gesoffen. Ich mein', daß ich nicht lüg', sein Bier getrunken hat der Alise sonst schon auch, aber so richtig viel getrunken hat er nur dann. wenn er wütend war. Und nur deswegen, weil er wegen seinem Führerschein und dem Depperltest so wütend war, hat der Alise an dem Abend so viel getrunken. Ich mein, gefeiert hätte er seinen neuen Führerschein schon auch - wenn er ihn bekommen hätte. Aber soviel hätt' er ganz bestimmt nicht getrunken. Ich kenn' doch den Alise.
Er klopft in seiner Aufregung mit dem Boden des noch gut gefüllten Glases heftig auf die Tischplatte, so daß ein Teil des Bieres auf den Tisch schwappt.
XARE Und selbst wenn, wär' alles nicht so schlimm gewesen, hätte der TÜV den Alise nicht gezwungen, ein Vierteljahr lang nur Spezi zu trinken. Der Alise hat doch nichts mehr vertragen, nach all dem Spezi. Wenn der Alise noch normal getrunken hätt', dann wär' er doch wegen den paar Promillen nicht gleich so zusammengeklappt. Und wenn er nicht so schlecht beinander gewesen wär', der Alise, dann wär' der Unfall bestimmt nicht passiert.
Er wendet sich an seinen fiktiven Gesprächspartner im Publikum.
XARE Woher ich das weiß, daß der Unfall dann nicht passiert wär'? Ins Publikum Ganz bestimmt wär' der Unfall dann nicht passiert. Weil der Alise nämlich ein guter Autofahrer gewesen ist. Deswegen wär' der Unfall nicht passiert. Der Alise hat noch nie einen Unfall gehabt. Er hat von seiner Autoversicherung sogar eine Urkunde bekommen wegen zwanzig Jahren unfallfreiem Fahren. Und zurecht. Zurecht! Ich kann's ja bezeugen. Ich selber. Wie oft bin ich schon mit dem Alise mitgefahren. Und ich hab' nie Angst gehabt als Beifahrer vom Alise. Geh, mit dem Alise hast doch keine Angst haben brauchen. Der ist gefahren wie eine Eins. Auch mit Promillen ist der Alise noch besser Auto gefahren als so mancher ohne.
Die Kathi kommt mit einem vollen Weizenglas aus dem Wirtshaus heraus, stellt dem Xare wortlos das Glas hin. Da sieht sie das noch gut gefüllte andere Glas. Immer noch verärgert wegen des Wortwechsels von vorhin schaut sie den Xare fragend an. Der merkt erst jetzt, was los ist. Er lacht.
XARE Paßt schon!
Er setzt das Glas an die Lippen und trinkt es in einem Zug leer. Die Kathi will ein Kreuzerl auf sein Bierfilzl machen, aber der Xare ergreift ihre Hand.
XARE Zahlen!
Die Kathi zählt die Kreuzerl, multipliziert dann auf ihrem Kellnerblock, was eine Weile dauert.
KATHI Vierunddreißig zwanzig.
Der Xare schaut sie verwundert an.
XARE Mark?
KATHI Nix Mark, Depp. Euro.
XARE Das gibt's nicht.
KATHI Geben tut's viel. Und saufen tust viel. Einsneunzig das Weizen, achtzehn Stück hast g'soffen - macht vierunddreißig zwanzig.
Der Xare schmeißt ihr verächtlich einige Geldscheine auf den Tisch.
XARE Fünfunddreißig. Paßt schon.
Die Kathi nimmt das Geld und das leere Glas und geht zurück in die Wirtschaft.
XARE Zu sich, immer noch ungläubig erstaunt Achtzehn Weizen. Wahnsinn!
Er wendet sich an seinen fiktiven Gesprächspartner im Publikum.
XARE Wo war ich jetzt? - Ah, ja. Der Alise also hat immer gewußt, was Verantwortung ist, nicht wie so mancher andere. Grinst Ich sag' jetzt keine Namen, aber ich könnt' dir Leute nennen, die sich zum Auto tragen lassen, weil sie nicht mehr gehen können und dann noch heimfahren. So einer war der Alise nicht. Der Alise nicht. Der Alise hat gewußt, wann Schluß ist und der Alise war konsequent. Der ist dann nicht mehr gefahren. Da hat er lieber ein, zwei Stunden im Auto geschlafen. Dafür hat er immer eine Decke dabei gehabt, der Alise. Soviel konnte der Alise gar nicht getrunken haben, daß ihm die Verantwortung und die Vorausschau abhanden gekommen wären. Auch wenn er mal in den Graben gefahren ist, hat der Alise immer sofort für Ordnung gesorgt. Noch ein jedesmal... Lacht Noch ein jedesmal hat der Alise den Wagen aus dem Graben rausbekommen, bevor die Polizei vorbeigekommen ist. Die haben ihn nie erwischt. Allein daraus kann man sehen, daß er so furchtbar betrunken nicht gewesen sein kann. Der Alise ist mit dem Auto immer heil aus den gefährlichsten Situationen herausgekommen, weil der Alise konnt' Auto fahren. Brauchst nicht glauben, daß der Alise nicht Auto fahren hat können. Der Alise konnt' Auto fahren, und nicht nur gemütlich daherkutschieren. Der Alise hat einen flotten Reifen gefahren. Nicht, weil er ein leichtsinniger Mensch gewesen wär', sondern weil er fleißig war. Der hat Aufträge gehabt, Aufträge hat der gehabt, mehr als ein normaler Mensch schaffen kann. Aber der Alise hat es geschafft. Und deswegen ist er immer in Eile gewesen. Der Alise hat nie die Zeit gehabt, gemütlich irgendwo hinzufahren, der Alise hat immer unter Dampf gestanden. Ein fleißiger Mensch eben. Auch wenn er ins Wirtshaus wollt', hat er's eilig gehabt, weil er's hinter sich bringen wollte! Der Alise ist nämlich nur dann ins Wirtshaus gefahren, wenn er wütend war und dann hat er's pressant gehabt, weil er wieder ruhig und gelassen werden wollt'. Das kannst du immer noch am besten im Wirtshaus, bei einer gemütlichen Halben. Und wenn er mal im Wirtshaus gehockt hat, dann hat's gedauert. Weil dann ist's gemütlich geworden. Wo der Alise war, war's immer gemütlich. Und wie er hat heim müssen, hat's ihm logischerweise pressiert, weil er am nächsten Morgen wieder in die Arbeit hat fahren müssen. Der Alise hat nämlich früh aufstehen müssen, nicht wie ein TÜV-Psychologe, der sich um neune an den Schreibtisch hockt und sich ansonsten um nichts zu kümmern braucht. An dem Abend...
Er stockt, gerührt.
XARE An dem Abend, wo's passiert ist... Weint ...ist der Alise als erster von uns allen aufgestanden und heimgefahren. Wir haben uns alle nichts dabei gedacht, denn der Alise - ich schwör's, daß es nicht anders war: Der Alise hat nicht gewackelt beim Rausgehen. Ein bißerl den Arsch hat er zusammenzwicken müssen beim Gehen, das schon, und... Lacht ...gegen den Türstock hat er geklopft, damit er sich nicht anhaut. Aber sonst: astrein. Wir haben dann gehört, wie er den Motor angelassen hat und der Schmidbauer Sepp hat noch Witze gemacht, weil der Alise ein bißl lang gebraucht hat, bis der Motor endlich angesprungen ist. Auch beim Kuppeln hat's gekracht und wir haben alle fürchterlich lachen müssen. Und wie der Gang dann endlich drin war, hat der Stanggassinger Fonsä noch gesagt, jetzt scheppert's gleich. An seinen fiktiven Gesprächspartner Nein, nein, der Stanggassinger Fonsä ist kein Prophet. Das haben wir alle gewußt, daß es gleich scheppern wird. Das war normal. Lacht Und richtig hat's auch diesmal gescheppert.
Der Xare nimmt einen nachdenklichen Schluck von seinem Weizen.
XARE Seufzend Na ja, und wir sind drin im Wirtshaus gesessen und haben unsere Witze gemacht über dem Alise seine Gewohnheit, gegen irgendwas zu scheppern, wenn er heimfährt. Wir haben uns ja nichts dabei gedacht. Energisch, fast wütend, als hätte der fiktive Gesprächspartner einen Einwand gemacht. Hörbar in Verteidigungshaltung Wie hätten wir uns denn auch was denken können? Es war ja alles wie sonst auch. Es hat doch keiner von uns gedacht...
Der Xare verfällt in Nachdenklichkeit.
XARE Ich glaub', es war der Schmidbauer Sepp, dem als erstem aufgefallen ist, daß der Alise immer noch draußen steht und nicht weiter fährt. Denkt nach Doch, der Schmidbauer Sepp war's. Der Schmidbauer Sepp hat auf einmal gesagt, daß es doch komisch ist, daß der Alise immer noch draußen steht und nicht weiter fährt. Und wir alle sagen, da hat er recht, das ist komisch. Und grad, wie ich aufstellen will und nachschauen, warum der Alise nicht wegfährt, tut's einen Mordknall und ein Feuer ist zu sehen und wie ich erschrocken beim Fenster rausschau', seh' ich, wie dem Alise sein Auto brennt. Wir sind natürlich alle gleich raus und der Wirt hat seinen Feuerlö­scher geholt und ich hab' aus dem Auto meinen Feuerlöscher geholt und wir haben gelöscht, was das Zeug hielt. Aber es war nichts mehr zu machen.
Der Xare brütet vor sich hin, trinkt vom Weizen. Er tut sich schwer, weiter zu sprechen.
XARE Wie das Feuer aus war, war der Alise schon längst verbrannt. Schweigt Da war's dann vorbei mit dem Alise. Seufzt Ja, der Alise! Der Alise war natürlich nicht angeschnallt gewesen. Der Alise hat sich ja nie angeschnallt. "Soll sich anschnallen, wer will", hat er immer gesagt, "ich nicht." Und deswegen ist er gegen die Windschutzscheibe geflogen und bewußtlos geworden. Und daß er dann verbrannt ist, darin sind wieder unsere grausamen Gese­tze schuld.
Er wendet sich wieder an seinen fiktiven Gesprächspartner.
XARE Was die Gesetze damit zu tun haben? Das ist doch klar: Das kommt daher, weil der Alise so lange nicht mehr hat fahren können. Weil er eh nicht mehr hat fahren können, hat er sich auch nicht mehr um sein Auto gekümmert und weil er sich nicht mehr um sein Auto gekümmert hat, hat er die Inspektion vergessen. Und deswegen ist das Benzin ausgelaufen und der Alise ist verbrannt.
Der Xare trinkt nachdenklich, besinnlich sein Weizen aus, erhebt sich, etwas mühsam, von der Bank und geht weg. Noch im Gehen:
XARE Geh, hört's mir doch auf mit euren Scheiß-Gesetzen!
Nach diesen Worten geht der Xare entschlossenen Schrittes nach rechts von der Bühne ab. Man hört, wie er einige Zeit danach, mit einiger Mühe, in sein Auto einsteigt und ruckend und krachend davonfährt. Er kracht gegen eine Mülltonne. Nichts. Pause. Dann ein Donner, ein Blitz, Flammen aus dem Bühnenhintergrund. Der Vorhang geht nicht zu, die Bühne bleibt beleuchtet wie vorher. Nach einiger, nicht allzu langer Zeit kommt der Schauspieler, der den Xare gespielt hat, zurück auf die Bühne. Soweit das in der Kürze der Zeit möglich ist, eine solche Veränderung herbeizuführen, ist er ungeschminkt und ohne Kostüm. Der optische Kontrast zur eben noch verkörperten Bühnenfigur sollte möglichst groß sein. Er spricht jetzt auch lupenreines Hochdeutsch, ohne jegliche Dialektfärbung.
DER SCHAUSPIELER Der Schluß ist natürlich Unfug. In Wirklichkeit ist der Xaver gut nachhause gekommen, wie fast alle anderen Trunkenheitsfahrer an fast allen anderen Tagen gut zuhause ankommen. Also: Passen Sie gut auf, wenn Sie jetzt nachhause fahren. Der Xaver und seine Kollegen sind immer noch unterwegs!
Nur der Alois fehlt.

Vorhang

Freitag, 5. Oktober 2012

Raucherbereich

Auf Bahnhöfen ist seit etlichen Jahren das Rauchen verboten, wobei es wurscht ist, ob es sich um überdachte Bahnsteige, wie in München oder Freiluftplattformen wie in Osterhofen handelt. Dafür mag es Gründe geben, die ich hier nicht diskutieren will, sondern einfach als leidlich vernünftig annehme.
Auf größeren Bahnhöfen hat man auf jedem Bahnsteig einen Raucherbereich eingerichtet, wie hier am Hauptbahnhof München. Das ist doch immerhin eine freundliche Geste. Denkt man. Dann aber sehe man sich diesen Raucherbereich mal etwas genauer an.
http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/7/7d/M%C3%BCnchen_Hauptbahnhof_Raucherbereich_Gleis_12-13.jpg

Ein von vier siffgelben Linien eingegrenztes Areal, wenig mal sehr wenig Meter, dazu ein Aschenkübel. Punkt. Aus.
Kein Bankerl bietet sich dem müden Raucher an, auf ihm Platz zu nehmen und zu entspannen.

Man beachte die Raucherin auf dem Bild, die sich verkrümmt hinkauert, wenigstens einen Hauch von Komfort aus einer absolut tristen Wirklichkeit sich abzupressen. Es gibt keine Möglichkeit, den Kaffee, den man während des Rauchens zu sich nehmen will [1], abzustellen, während man beide Hände braucht, sich die Zigarette anzuzünden. Nein, der Rand des Aschenkübels ist dazu nicht geeignet. Entworfen von tückischen Designerhirnen neigt er sich leicht nach innen, ein dort abgestellter Kaffeebecher würde, mählich erst, dann rasch beschleunigt, in das Loch rutschen, das bestimmt ist, die abgerauchte Fluppe aufzunehmen.
Als Raucher fühlst du dich in diesem Raucherbereich, der doch eigentlich dir gewidmet ist, wie ein Ausgestoßener, so klein und gedemütigt, wie du dich einst fühlen wirst, wenn dir materielle Not den Gang zum Sozialamt aufzwingt.
Der Coffee to go trainiert dich für die Schnabeltasse im Altersheim, der Raucherbereich bereitet dich auf das absolute soziale Nichts vor.

"Ich bin ein Raucher. Hat nicht ein Raucher Augen? Hat nicht ein Raucher Hände, Gliedmaßen, Werkzeuge, Sinne, Neigungen, Leidenschaften? Mit derselben Speise genährt, mit denselben Waffen verletzt, denselben Krankheiten unterworfen, mit denselben Mitteln geheilt, gewärmt und gekältet von eben dem Winter und Sommer als ein Nichtraucher? Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht? Wenn ihr uns kitzelt, lachen wir nicht? Wenn ihr uns vergiftet, sterben wir nicht? Und wenn ihr uns beleidigt, sollen wir uns nicht rächen? Sind wir euch in allen Dingen ähnlich, so wollen wir's euch auch darin gleich tun."[2]

Fürchtet unsere Rache!



[1]   Rauchen ohne Kaffee ist möglich, Kaffee ohne Zigarette dagegen ist eine Form äußerster Barbarei.
[2]   Ich bedanke mich beim Kollegen W. Shakespeare für die freundliche Überlassung des Text­auszuges aus seinem Stück "Der Kettenraucher von Venedig"

Mittwoch, 3. Oktober 2012

Oi vita, oi core

Jeder Fußballverein, der auf sich hält, hat seine eigene Vereinshymne. Jeder Fan kennt sie und singt sie bei gegebenem Anlaß mit.
Die Hymne des SSC Neapel ist einigermaßen merkwürdig. Hier wird sie gesungen vom Hl. Diego Armando Maradona.
Kritische Anmerkungen zur musikalischen Performance von Señor Maradona können hier im Blog gefahrlos abgeladen werden, in Neapel sollte man bei dergleichen vorsichtig sein. Den Stadtheiligen, San Gennaro, kann man schon mal beschimpfen (vor allem wenn das Blutwunder mal wieder nicht funktioniert), Maradona aber ist absolut sakrosankt. Zurecht.
Was Maradona hier singt zu singen versucht, ist "O surdato nnamurato" (il soldato innamorato hieße das auf Italienisch), das Lied vom verliebten Soldaten. Es handelt von einem Soldaten im Ersten Weltkrieg, der fern der Heimat an die zurückgelassene Geliebte schreibt, die er womöglich niemals wiedersehen wird. Ein todtrauriges Lied also. Und so was als Hymne eines Fußballvereins? Ist der Neapolitaner verrückt?
Gewiß ist er das. In Neapel klingen selbst schwarzgallige Lieder der Sehnsucht lebenspraller als deutsche Karnevalsgesänge.

Das dachte ich zumindest geraume Zeit. Bis ich dann per Zufall auf diese Aufnahme stieß, wiederum von Massimo Ranieri, aber ungefähr dreißig Jahre später aufgenommen. Hier singt er das Lied so, wie man es eigentlich singen müßte.

So, Leute, ich muß jetzt aufhören. Mich hat der Napoli-Blues voll erwischt, das Heimweh schnürt mir das Herz zu und macht mir die Augen feucht und blind.

Tschornalismus

Gestern hatte ich beruflich in München zu tun. Am frühen Morgen, noch vor der Abreise, höre ich im Radio, daß der Comedian Dirk Bach am Vortag in einer Wohnung tot aufgefunden worden sei. Über die Todesursache sei noch nichts bekannt. Als ich dann in München aus dem Zug gestiegen war, werde ich mit den Schlagzeilen der Münchner Boulevardzeitungen konfrontiert, alle hatten mit Dirk Bachs Tod aufgemacht. Die tz meldete den Tod und schrieb dann drunter "Das Herz?". Die BILD-Zeitung tat das gleiche, schrieb unter der Todesnachricht aber "Das Herz!" Beide Blätter müssen zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses auf dem gleichen Informationsstand gewesen sein. BILD aber hat wahrscheinlich bei seinem Freien Mitarbeiter, dem Herrgott, angerufen und nähere Informationen bekommen.