Samstag, 6. Juli 2013

Im Paradies

Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde.
Das alleine wäre auf Dauer langweilig gewesen, so daß er in den folgenden Tagen jeweils einen draufsetzte, was zur Schaffung von Tag und Nacht, Land und Meer, Pflanzen und Tieren, Adam und Eva führte.
Gott besah sich das Geschaffene und er sah, daß es gut war.
Es war eine still verträgliche Welt, die Gott da erschaffen hatte. Man lebte friedlich mit- und nebeneinander, keiner fraß den Anderen auf.
"Ja, hier läßt es sich wohlsein", sagte die eng an einen Löwen gekuschelte Gazelle. "Doch, nicht schlecht hier", stimmte der Löwe zu, genüßlich an einer Banane kauend.
"Hm, recht ordentlich", brummte auch Adam zufrieden. "Besser kann's nirgends sein."
"Ob das nicht ein bißchen vorlaut ist?" meinte Eva spitz. "Wo du doch keine Ahnung hast, wie's anderswo aussieht?"
Sie hatte noch eine weitere Bemerkung auf der Zunge, aber ein flammender Blick Gottes brachte sie zum Schweigen.
Gott nämlich, der eben in lächerlichen sechs Tagen einen ganzen Kosmos aus dem Nichts erschaffen hatte, verspürte keine Lust, sich die Nörgeleien einer Menschin anzuhören, die nichts geleistet hatte, außer Löwen zu kraulen, Bananen zu essen und sich die Sonne auf den Pelz scheinen zu lassen.
"Dir..." Gott drehte sich zornig in Richtung Eva und richtete den Zeigefinger auf sie, dann auch auf Adam. "Und dir. Euch sage ich folgendes: Eßt von diesen Pflanzen, wann immer ihr hungrig seid!" Dabei deutete er mit einer ausgesprochen aggressiven Geste auf Gräser, Büsche und Bäume.
"Danke schön", sagte Adam, während Eva ein renitentes "Na ja, nun" murmelte.
"Aber", fuhr Gott fort, "von diesem..." Unschlüssig drehte er sich um die eigene Achse, entschied sich dann und deutete auf einen Apfelbaum: "Ah, genau: von diesem Baume jedoch sollt ihr nicht essen."
"Warum nicht?" fragte Eva.
"Darum nicht!" schnappte Gott entnervt und ging, seinen wohlverdienten Nachschöpfungsschlaf zu halten.

Geraume Zeit ging ins Land; Zeit, die sich dank der perfekten und deshalb ereignislosen Harmonie des Paradieses schwer in Monaten oder Jahren ausdrücken läßt.
Eva und Adam lagen im Gras, kauten gemächlich an einer Banane und betrachteten konzentriert ein Wölkchen, das über einen ansonsten blauen Himmel zog.
Ein leises Rascheln im Gras ließ sie träge zur Seite blicken. Eine Riesenschlange kam geschäftig auf sie zugekrochen.
"Wer bist denn du?" fragte Adam.
"Je nun. Eine Schlange, denke ich."
"Ich dachte mehr an deinen Namen."
"Ach, Namen. Namen! Äh, genau: Meier."
"Tach, also, Meier", sagte Adam, wandte sich von der Schlange ab und vertiefte sich weiter in den gemächlichen Verzehr seiner Banane.
"Äh, ja, warum ich gekommen bin..." wanzte sich die Schlange Meier an Adam ran, "...ist Folgendes: Diese Dinger da..." Die Riesenschlange machte eine unbestimmte Bewegung in Richtung auf einige herumstehende Bäume. "Diese... äh, Äpfel schmecken absolut köstlich."
"Wir sind im Paradies, Meier", mischte sich Eva in das Gespräch ein. "Alles schmeckt hier absolut köstlich."
"Freilich... äh, ...freilich. Nur: Diese Äpfel dort schmecken besonders köstlich."
"Wenn alles hier absolut köstlich schmeckt, dann können deine Scheiß-Äpfel nicht besonders gut schmecken."
"Eben, eben, Eva. Wenn..."
Das war mehr, als Eva vertragen konnte. "Hör zu, du Kriechtier! Ich, Eva, die Einzige, habe seit weiß Gott wie langer Zeit alles an Früchten durchprobiert, was nur irgend wächst im Paradies. Und ich sage dir, Meier: Alles, aber auch wirklich alles, schmeckt gleich köstlich! Absolut köstlich!"
"Richtig, Eva. Alles - bis auf die Äpfel dort."
"Sagst du!"
"Sage ich, der ich sie probiert habe", trumpfte Meier auf. "Eine Erfahrung, die dir fehlt."
"Weil Gott es uns verboten hat, du Schwachkopf."
"Ich weiß," flötete die Schlange. "Und warum, meinst du, hat er es euch verboten, hm?"
"Mein Gott, weil er sauer war."
"Von wegen 'sauer'! Er hat euch diese Äpfel deshalb verboten, weil sie bei weitem das Allerbeste sind, was in diesem Paradies an Eßbarem zu haben ist. So sieht's aus."
"Und warum", mischte sich Adam ein, "hätte er das machen sollen? Wo er doch ein Paradies für uns erschaffen hat, in dem es sich leben läßt und wir die Krone der Schöpfung sind."
"Er ist manchmal etwas eigen. Ist euch das noch nicht aufgefallen?"
"Ich bleibe dabei: Es gibt keinen vernünftigen Grund, warum ausgerechnet die Äpfel dieses einen Baumes besser sein sollen, als alle anderen Früchte."
"Es gibt auch keinen vernünftigen Grund für das Verbot, solange man annimmt, daß alle Früchte gleich gut sind."
Die Wucht dieser Argumentation hatte Eva die Sprache verschlagen.
"Du meinst... ?"
Die Schlange nickte. "Probieren geht über studieren."
"Das aber ist uns verboten."
"Dadurch kommt ihr natürlich nie dahinter, was euch entgeht, gell? Raffiniert eingefädelt vom Alten."
Nach einer langen, zergrübelten Pause stand Eva schließlich mit einem energischen Ruck auf. "Also, ich will es jetzt wissen. Ich hole mir einen Apfel."
"Nein, das wirst du nicht tun!"
Es dauerte einige Lidschläge lang, ehe Adam klar wurde, daß die Worte, die ihm aus dem Herzen gesprochen waren, gar nicht von ihm gekommen waren.
Sondern von einem großen, dicken, rosafarbenen Schwein mit schwarzem Hut.
Unbeachtet von der diskutierenden Dreiergruppe hatte das Schwein hinter einem Strauch gelegen, hatte mit den Augen die vorbeiziehenden Wolken betrachtet und mit den Ohren die hinter ihm sich entspinnende Unterhaltung verfolgt. Ernst, aber gelassen kam es näher.
"Keinen einzigen dieser Äpfel", wandte es sich an Eva, "wirst du vom Baum pflücken..."
"Werd' ich doch!" schnappte Eva.
"...geschweige denn essen."
"Und wer will mir das verbieten?"
"Ich, Eberhard Pirzer, verbiete dir das", meinte das Schwein, um dann hinzuzufügen: "Und Gott, der Herr, natürlich."
"Das!" brüllte nun Eva wütend, "werden wir ja sehen." Und sie erhob sich in all ihrer hutlosen Nacktheit, wütend über das dreiste Schwein.
Eberhard Pirzer blickte auf die grünen und stillen Büsche der Umgebung, steckte die Pfote in seine Schnauze und gab einen kurzen, schrillen Pfiff von sich.
Die Büsche blieben auch nach Eberhards Pfiff grün, hatten aber aufgehört, still zu sein. Ein Rascheln war hinter dem einen Busch zu hören, ein Scharren hinter einem anderen. Ein Rascheln und Scharren, das rasch anwuchs und schließlich die grünen Büsche rosa färbte, indem sie sich teilten. Heraus kamen Schweine; wahnsinnig viele große, rosafarbene Schweine mit schwarzen Hüten.
Eberhards weitläufige Mischpoke.
Ein Wink Eberhards und die ganze, rosafarbene Bande war beim Apfelbaum. Die schlankeren, wendigeren Schweine schwangen sich auf die Äste und kletterten behende wie Affen in der Krone herum. Andere, stämmigere, packten herunterhängende Äste und schüttelten sie, was das Zeug hielt. Es dauerte keine fünf Minuten und der schöne, große Apfelbaum war ratzekahl leergefressen.
Die Schlange Meier machte, daß sie davonkam.

Noch heute sagt man zu jemandem, der vor großem Unglück bewahrt wird, er habe Schwein gehabt.