17.11.19

Revolution und Gewalt

Auf Facebook hatte einer mal geschrieben:
"Doch möchte ich endlich die Revolution aufgezeigt bekommen, in deren Gefolge sich nicht Blutschlächter breit gemacht haben."
Ich habe versucht, ihm eine Antwort zu geben:
Diese friedlichen, freundlichen Revolutionäre findest du überreichlich in den Geschichten von gescheiterten Revolutionen.
Ich bin ein großer Freund von Robespierre, er hat damals in der Nationalversammlung durchgesetzt, daß Ludwig XVI. für die Fehlentscheidungen seines Regimes auf der Guillotine zur Verantwortung gezogen wurde. Und jetzt überleg mal, was für ein Geheul noch heute deswegen angestimmt wird: "Justizmord" ruft man. Lächerlich. Es war nur das Wörtlichnehmen des Begriffs "Verantwortung". Die höchste Verantwortung trägt der, der am strengsten zur Verantwortung gezogen wird. Und das sind normalerweise so gut wie nie die Großen.
Robespierre war von Beruf Anwalt. Die Wenigsten werden wissen, daß er als solcher ein entschiedener Gegner der Todesstrafe war und es bis zu seinem Lebensende blieb. Das scheint ein Widerspruch zu sein, schließlich hat Robespierre damals dafür gesorgt, daß die Guillotine in Bewegungen blieb. Aber damals war Revolution. Zunächst war es nur eine eher gemächliche "Revolte", die mit einigen konstitutionellen und wirtschaftlichen Zugeständnissen zufrieden gewesen wäre, wenn man ihr diese Zugeständnisse denn gemacht hatte.
Wenn aber eine Revolution mal am Laufen ist, kann niemand mehr darüber entscheiden, ob Blut fließen wird oder nicht, das wird es auf jeden Fall [1]. Die Entscheidung geht dann nur noch darum, wessen Blut.
Niedergeschlagene Revolutionen oder auch nur Revolten endeten und enden nahezu immer in einem grauenvollen Blutbad, die aufgeschreckte herrschende Klasse rächt sich heftig an jenen, die sie bedroht hatten. Spartacus etwa hatte es einen historischen Moment lang in der Hand gehabt, Rom anzugreifen und wahrscheinlich hätte er es mit Hilfe der in Rom lebenden Sklaven sogar geschafft. Er hätte die gesamte römische Oberschicht, samt der Kinder auslöschen können. Er hat es nicht getan, er hat damit ein historisches Verbrechen begangen. Die Folge nämlich war die lange, lange Reihe von Kreuzen an der Via Appia, von Neapel bis nach Rom, an denen die aufständischen Sklaven starben.
Eine herrschende Klasse, ein etabliertes politisches System, begeht ständig Gewalttaten, ob das nun die Todesstrafe ist, die Gefängnishaft oder auch die ungleiche Verteilung der Ressourcen. Heinrich Zille, der Zeichner, schrieb mal, eine feuchte Wohnung könne genauso gut eine tödliche Waffe sein wie ein Gewehr.
Niemand regt sich über dergleichen Gewalttaten auf, wenn sie nicht exzessiv werden oder wenn man sich aus politischen Gründen nicht drüber aufregen will. Politik ist Gewalt, unvermeidlicherweise. Wenn ich in Wien auf den Heldenplatz kacke, werde ich wegen dieser Ordnungswidrigkeit zu einer Geldstrafe verurteilt. Zahle ich diese nicht, bekomme ich Mahnungen, fruchten die nichts kommt schließlich der Exekutor [2]. Lasse ich den nicht rein, kommt er mit der Polizei wieder, die dann gewaltsam in meine Wohnung eindringt und mir Geld oder geldwerte Sachen wegnimmt. Politik ohne Gewalt ist keine Politik, sondern ein lustiges Gesellschaftsspiel. "Wenn Sie bitte so freundlich sein wollen, bei Rot nicht über die Ampel zu fahren."
Als Italien damals Mussolini stürzte hat man ihn auf dem Gran Sasso eingesperrt, er wurde von den Nazis befreit und übte dann in Salò durch seine bloße Existenz weiter ausgesprochen schlechten Einfluß aus auf die Hirne der Italiener. Als man ihn kurz vor Kriegsende nochmal in die Hand bekam, hat man ihn kurzerhand erschossen. Die Rumänen haben daraus gelernt. Als ihnen Ceausescu in die Hände gefallen war, hat man eine alberne Gerichtsverhandlung inszeniert und ihn und seine Frau dann erschossen.
Wieso regt man sich groß auf, wenn - selten genug - mal ein König von seinem Volk getötet wird, während man es achselzuckend hinnimmt, daß Könige rudelweise ihre Untertanen töten lassen?




[1]   Komme jetzt keiner mit der friedlichen Revolution in Deutschland, 1989. Das war keine Revolution sondern eine Konterrevolution.
[2]   Für diejenigen, die des Österreichischen nicht mächtig sind: Der Exekutor ist nicht der Henker, sondern der Gerichtsvollzieher. Wie die Folter so ist auch die Todesstrafe in Österreich immer noch abgeschafft.

Schunkeln

Schunkeln, sagt man, sei eine ganz wahnsinnig typisch deutsche Art, den Oberkörper zu bewegen. Bis heute dachte ich, das sei eine zutreffende Aussage.
Seit heute weiß ich, daß einer wie Johanow Strausski auch ein ganzes Rudel Polen ganz automatisch zum Schunkeln bringt.

Du hörst Musik und kannst deinen Körper einfach nicht mehr stillhalten. Es geht nicht!
Leck mich am Arsch, das ist Musik! Nur das. Alles andere ist günstigstenfalls tönende Philosophie oder Mathematik. Popel es dir aus der Rektalfalte...
Die Musik vom Zigeuner stammt, fragt nicht nach Sitte, nicht nach Recht und Ma-hacht.
(Bei 0:08 kannst du übrigens den Sohn von Klaus Kinski und Frankensteins Monster sehen, wie er grad sein Schlachtermeister wetzt.)

Ich liebe diese Flashmobs. Ein zufälliges Publikum, nicht im mindesten auf die Musik vorbereitet. Und dann knattert die Musik auf sie ein und sie können sich nicht wehren gegen ein paar Kochlöffel samt Kochgeschirr (es geht hier um etwas so Dramatisches wie die Wiedereröffnung einer Pizzeria).

Kokain ist ein müdes Kraut im Vergleich.

"Eine Geschichte ist dann zu Ende erzählt, wenn sie ihre schlimmstmögliche Wendung genommen hat." (Friedrich Dürrenmatt)
Joshua Bell, einer der großen zeitgenössischen Geiger, stellte sich eines Januarmorgens in den Eingangsbereich einer U-Bahnstation in Washington D. C. und fidelte dort einige Stücke von Bach. Einige (wenige) Leute blieben stehen und warfen Münzen in den Geigenkasten, eilten dann aber schnell weiter. Einige Kleinkinder waren fasziniert von der Musik, wurden aber von ihren Eltern - teils rüde - weggezerrt. Nach einer Dreiviertelstunde hatte ihn eine (eine einzige!) Frau als Joshua Bell erkannt und blieb stehen, bis das Stück zu Ende war.
Für einen Konzertabend mit Joshua Bell zahlst du ca. 100 Dollar für die Eintrittskarte.
[1]
Pardon, Dürrenmatt, aber so will ich nicht aufhören. Leipzig, Bach-Jubiläum, Scheißwetter, Nieselregen, fröstel. Und dann ein bisserl Bach, und die Köpfe kommen ins Wackeln, auf den Gesichtern geht die Sonne auf und der Oberkörper swingt vor sinnlichem Vergnügen.
Musik halt. Ach.

Aber, klar, man soll sich nicht alles von jedem erzählen lassen. Schon gar nicht von Hoffmann.




[1]   So war das jedenfalls damals 1897, als ich das letzte Mal in einem Konzert von Joshua Bell war. Oder war es doch Alice Cooper?

Der Prinz und die schöne Müllerstochter

Im August 1957 lernte drüben im fernen Japan ein junger Mann namens Tsugu-no-miya in einem Tennisclub ein gewisses Fräulein Michiko Shōda kennen.
Am 10. April 1959 - so schnell kann's manchmal gehen - heirateten die beiden jungen Leute.
Es ist eine alte Geschichte,
Doch bleibt sie immer neu;
Und wem sie just passieret,
Dem springt das Herz entzwei.
(Heinrich Heine)

So weit, so alltäglich. Tsugu-no-miya aber war damals von Beruf japanischer Kronprinz, die schöne Michiko hingegen eine Bürgerliche, überdies Müllertochter. Jeder Volontär der BILD-Zeitung fängt jetzt an zu hyperventilieren. Wahnsinn! Der Prinz heiratet die schöne Müllerstochter [1], und das in echt! Freilich, der Müller aus dem realen Märchen, Michikos Vater, war ein sehr wohlhabender Geschäftsmann, Besitzer mehrerer Großmühlen.
Tsugu-no-miya wurde Kaiser, nannte sich fortan Akihito. Michiko - Sie ahnten es schon - wurde Kaiserin. Wie auch immer, dieses Jahr sind die beiden alten Leute in Rente gegangen.


[1]   Oder war's doch eher der schöne Prinz und die Müllerstochter? Obwohl... "Was ein Mann schöner is wie ein Aff, is ein Luxus." (Die Tante Jolesch) Frauen sind, du magst es drehen und wenden, wie du willst, im Schnitt deutlich dekorativer als Männer.

Schluchtenjodler

Die Erde, wir wissen es alle, ist 1 Jammertal. Zur Strafe für unsere Synden müssen wir alle durch dieses Jammertal [1] gehen, um uns im folgenden Leben einen guten Platz im Himmel zu ergeiern.
Für besonders verstockte Sünder hat GOtt das Internet-Forum "Fisch und Fleisch" erschaffen. Wer immer sich dorthin verirrt, der entgleisen die Gesichtszüge, wenn sie den schauderhaften Schrott liest, der dort tagtäglich hingekübelt wird. Die meisten eilen nach wenigen Tagen schon wieder mit wehenden Rockschößen davon. Letztlich überstehen nur die allerhärtesten Marlboro-Cowboys (m/w) "Fisch und Fleisch", die anderen nehmen den Strick oder stürzen sich in die Schlucht.
Ich empfehle den Strick. In Piefkenesien nennt man Österreicher gerne "Schluchtenjodler", sehr viele Österreicher jedoch wachen morgens auf und stellen wie noch jeden Morgen fest, daß es - anders als im Gebirgsland Niedersachsen - bei ihnen im Burgenland oder in Wien überhaubenz keine Schluchten nicht gibt. Schluchts!




[1]   Der vielosofisch geschulte Kopf gibt zu bedenken, daß wir gar keine Sünden begehen hätten können, wenn wir nicht ohne unsere Zustimmung in dieses Jammertal gejagt worden wären.