7.9.19

Menschliche Grausamkeit - Milgram und Zimbardo

In einer Internet-Diskussion [1] hatte einst einer geschrieben: "Soziale Experimente, bei denen die Beteiligten nicht richtig eingeweiht werden, rufen bei mir Unbehagen hervor."
Hmnja, aber...
Soziale Experimente in der Psychologie funktionieren nur, weil die Versuchspersonen nicht richtig eingeweiht sind. Wüßten sie nämlich um den eigentlichen Zweck des Experiments, würden sich sehr viele Versuchspersonen nicht mehr spontan verhalten, das Ergebnis wäre verfälscht, weil die Versuchspersonen wüßten, welche Reaktion man von ihnen erwartet.
Ein harmloses Beispiel: Versuchspersonen sollen sich drauf konzentrieren, eine Situation zu beobachten und Ereignisse zu zählen.
Den kickboxenden Gorilla, der auf höchst auffällige Weise durch's Bild läuft, sehen die meisten Versuchspersonen nicht. Hätte man ihnen auch nur angedeutet, es könnte während der Zählaufgabe irgend etwas Merkwürdiges passieren, dann hätten sie den Gorilla natürlich gesehen, auf Kosten der Korrektheit der vordergründig wichtigen Aufgabe [2].
 
Der genannte Internet-Diskutant fährt fort: Ich erinnere an das berühmte Milgram-Experiment, bei dem die Studenten ihren Schülern durch vermeintliche Stromschläge Schmerzen zufügen sollten. Tenor: Die Menschen gehorchen nicht ihrem Gewissen sondern einer Autorität. Über 50 Jahre hatte niemand an den Ergebnissen gezweifelt. Dieses Wissen galt als gesichert.
Nun sind Zweifel aufgetreten als ein australisch-britisches Forscherteam die Originalunterlagen sichtete. Die Studenten handelten nicht als Befehlsempfänger. Sie waren der Auffassung, sie agierten für eine gute Sache für die Wissenschaft. Denn Milgrim hatte das ihnen zuvor eingeimpft.

Es ist unglaublich, es ist absolut unglaublich, mit welchem Scheisendreck man in die Zeitung kommt. Ein australisch-britisches Forscherteam hat also die Originalunterlagen gesichtet und dabei aufgedeckt...
Hl. Muttergottes von Tschenstochau! Milgram hat sein Experiment 1963 gemacht (oder veröffentlicht, ich weiß nicht mehr). 1970 hat Hans Lechleitner (zusammen mit dem amerikanischen Psychologen David Marc Mantell und dem deutschen Psychiater Paul Matussek den Dokumentarfilm "Abraham - Ein Versuch" produziert, der Film lief im Fernsehen, er wurde in Schulen und Universitäten gezeigt. Sowohl in dem Film als auch in der Veröffentlichung von Milgram wurde arschklar deutlich gemacht, daß man den Versuchspersonen erzählt hatte, sie nähmen an einem wichtigen wissenschaftlichen Experiment teil. Milgram hatte ihnen das nicht "eingeimpft", er hat es ihnen schlicht gesagt. Wenn Versuchspersonen abbrechen wollten, weil sie es nicht mehr ausgehalten haben, dann hat der Versuchsleiter sie nicht angebrüllt und mit Konsequenzen gedroht (welche auch, es bestand ja keinerlei Abhängigkeitsverhältnis zwischen Versuchsperson und Versuchsleiter), er hat lediglich mit sanfter Stimme gesagt "Machen Sie bitte weiter".
2010 hat ein französischer Dokumentarfilmer namens Christophe Nick Milgrams Experiment wiederholt, diesmal nicht in einem Forschungslabor sondern in einem Fernsehstudio. Kein Dienst an der Wissenschaft mehr, sondern vielmehr eine (fiktive) Unterhaltungsshow.
Keine wissenschaftliche Autorität gab Anweisungen, es war einfach nur Spaß. Das heißt, genau genommen wollten die Versuchspersonen das Casting für eine angeblich neue Fernsehshow bestehen. Sie haben ihre Mit"spieler" zu Tode gequält, weil sie in die Show wollten.
Bei Milgram gingen 61 Prozent der Probanden soweit, Schläge bis zur wahrscheinlich tödlichen Höchststufe von 450 Volt zu erteilen, in der französischen Fernsehshow haben bereits 81 Prozent der Versuchspersonen die "Höchststrafe" vollstreckt. Wenn das nicht lustig ist, was dann?

Aber klar, ich hab natürlich noch etwas viel lustigeres auf der Pfanne.
1971 hatte der Psychologie-Professor Philip Zimbardo von der Stanford-Universität sich etwas unglaublich Lustiges ausgedacht. Professor Zimbardo lobte 15 $ pro Versuchsperson und Tag aus und wählte 21 "ganz normale junge Leute aus dem Mittelstand", die sich auf Zeitungsannoncen hin gemeldet hatten. Elf sollten den Part der Wärter, zehn den der Häftlinge übernehmen. Ganz überraschend wurden dann die zehn von der - echten - Polizei Palo Altos wegen "Verdachts auf Raubüberfall" in ihren Wohnungen verhaftet, mit Handschellen gefesselt, durchsucht und schließlich mit verbundenen Augen in ihre Gefängniszellen gesteckt. In Wirklichkeit waren die mit vergitterten Fenstern, Pritschen und Kotkübeln hergerichteten Zellen Kellerräume im Universitätsgebäude.
Die uniformierten Wärter, die reflektierende Sonnenbrillen trugen, um als kalt und unpersönlich zu erscheinen, gaben sich wirklichkeitsnah hart: Die Zelleninsassen mußten sich nackt ausziehen, wurden mit Entlausungspuder bestäubt, bekamen numerierte Häftlingskleidung und hatten Sprechverbot bei den Mahlzeiten, während der Ruhestunden und nach zehn Uhr abends. Jede Nacht um 2.30 Uhr - so sahen es Zimbardos Spielregeln vor - sollten sie zum Appell geweckt werden.
(...)
Schon am zweiten Tag begannen die Zwischenfälle. Einige der Inhaftierten verbarrikadierten sich in ihren Zellen, andere weigerten sich zu essen. Um weiterer Rebellion zuvorzukommen, beschlossen die Wärter von sich aus, die Häftlinge gegeneinander auszuspielen. Die Insassen einer Zelle bekamen zusätzliche Essens- und Wasserrationen, während es in der Nachbarzelle überhaupt nichts zu essen gab.
(...)
Ihre frisch gewonnene Macht nutzten die Wärter weidlich aus; Sie beschimpften die Häftlinge, schlugen sie und hielten sie nach dem Nachtappell stundenlang wach. Schließlich versteigen sich die Aufseher zu brutalem Sadismus: Die Insassen mußten ihre Kotkübel mit der Hand leeren und säubern.
Als einige der Versuchs-Häftlinge mit hysterischen Weinkrämpfen zusammenbrachen und um Schonung baten, die Wärter ihrerseits aber immer mehr Spaß an sadistischen Quälereien bekamen, brach der Professor seinen Versuch ab.
stern, 12. 11. 1971
Das ist das Milgram-Experiment in Hardcore. Beim Milgram-Experiment bekamen die Versuchspersonen die Anweisung, grausam zu sein und die meisten gehorchten. Bei Zimbardo ist davon nicht die Rede. Sein "Trick" ist, nichts zu machen, gar nichts. Die "Wärter" leisten sich Übergriffe gegenüber den "Gefangenen" und der Versuchsleiter greift nicht ein. Die Übergriffe werden grausamer, der Versuchsleiter läßt die "Wärter" gewähren. Das heißt, im Gegensatz zum Milgram-Experiment sind hier die Versuchspersonen aus sich heraus grausam, niemand befiehlt es ihnen, niemand verführt sie auch nur dazu. Die einzige Verführung besteht darin, daß die Grausamkeiten nicht sanktioniert werden.
Das System Auschwitz.
Das ganz besonders Bemerkenswerte besteht darin, daß sämtliche beteiligten Personen wußten, daß es sich hier um ein Spiel handelte. Den "Wärtern" war klar, daß die "Gefangenen" nicht echte Verbrecher waren, die wegen weiß Gott welcher Scheußlichkeiten verurteilt worden waren, sondern ganz normale Leute von der Straße.

Die Frage ist: Warum quälen die "Wärter" die unschuldigen "Gefangenen"?
Die Antwort ist: Weil sie es können.


[1]   Ich merke gerade, ich schreibe immer dasselbe.
[2]   So hatte ich gedacht, inzwischen bin ich mir nicht mehr sicher. Für diesen Blogbeitrag habe ich mir das verlinkte Video zum x-ten Male angeschaut. Ich wußte, was mich erwartet und ich habe den Gorilla trotzdem nicht gesehen.

Von der Bestie unterscheidet uns Menschen die Grausamkeit

Ein ehemaliger User von "Fisch und Fleisch" hat mal geschrieben: "Mörder sind Mörder, und sind keine Freunde von normalen Menschen."

Wenn du anfängst, darüber nachzudenken, was denn ein normaler Mensch sei, dann gerätst du nach zwei Denkumdrehungen bereits an einen Punkt, wo du schreckensbleich zum Scheißhaus wankst, dich dort zu übergeben.
Was uns Menschen von der Bestie unterscheidet, - nehmen wir nur mal beispielshalber den Wolf und seine Sippschaft -
das ist der Mord, die Folter, die Mißhandlung. Psychologen und Verhaltensforscher nennen das die "innerartliche Aggression". Kein Hund, kein Wolf, keine Katze, kein Löwe wird einen Artgenossen töten, ihn einsperren, ihn systematisch foltern. Es gibt eine ganze Menge an interner Aggression bei den in Gruppen lebenden Säugetieren, nehmen wir nur mal die zyklisch sich wiederholenden Rangkämpfe innerhalb eines Rudels. Diese Rangkämpfe enden allerdings selten und dann eher zufällig mit dem Tod des unterlegenen Tieres.
Beim Menschen ist das anders, der Mensch ist ein Viech, eine Redensart, die angesichts der obig angerissenen Überlegungen natürlich ein Schmarrn ist. Die conditio humana ist die absolut zügellose Grausamkeit gegenüber den Artgenossen.
Mörder sind die allernormalsten Menschen wo gibt.

...und Terroristen sind solche, die anderen das Menschschein absprechen, weil sie nur aus Rache und Wohllust morden ....

Wollust, aha. Im "Guardian" vom 21.04..86 schrieb ein gewisser Robin Wilson am in einem Leserbrief: "Heute wollte mein noch nicht siebenjähriger Sohn den Unterschied zwischen einem Soldaten und einem Terroristen wissen. Ich weiß nicht recht, was ich ihm sagen soll. Ich nehme an, ein Terrorist kämpft für etwas, an das er glaubt, während ein Soldat für etwas kämpft, an das jemand anderer glaubt."
Zwei Tage später antwortete ihm ein anderer Leser: "Ein Terrorist ist jemand, der eine Bombe besitzt, aber keine Luftwaffe."
Das genau ist der Punkt. Hierzulande nennt man das Phänomen "Terrorismus" und suggeriert damit, es seien Terroristen irgendwelche merkwürdigen Leute, die aus unerfindlichen Gründen (sie sind halt böse, aus sich heraus) Vergnügen daran finden, andere Leute und vielleicht auch sich selbst zu töten.
Terroristen sind keine Verbrecher, wie etwa Haarmann mit dem Hackebeilchen, Terroristen sind vielmehr Kämpfer in einem Krieg. Der Terrorismus ist der Krieg des kleinen Mannes (zunehmend auch der kleinen Frau). Wer nicht das Geld und die Infrastruktur hat, Flugzeuge oder Raketen loszuschicken, um eine Stadt zu bombardieren, der ist gezwungen, die Bombe von Hand in die Stadt zu tragen und sie dort zu zünden.
Machen wir uns nichts vor, der Dritte Weltkrieg ist längst im Gange.

Homo homini lupus - Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf sagt man gerne. Ach, wenn's doch nur so wäre! Wölfe sind ausgesprochen harmlos im Vergleich mit Menschen. Kein Wolf kommt auf die Idee, einen Artgenossen einzusperren oder zu quälen. Sogar das Töten von Artgenossen ist unter Wölfen ausgesprochen selten, während das Töten von Artgenossen beim Menschen DIE conditio humana ist.
LUPITÄT STATT HUMANITÄT!