18.6.18

Die Abkürzung als Umweg

Du glaubst es nicht, du magst es nicht glauben, was mir alles so passiert, das dir genau so zustoßen könnte.
Da hat jemand im Internet - Sie kennen den Ort? - was geschrieben über eine Frau BK. Was habe ich gerätselt, wer diese "Frau BK" eigentlich sein könnte, von der so viel die Rede war. Tags darauf kam ich nochmal, eher zufällig, auf die Seite, grüble wieder ein wenig und plötzlich fällt es mir wie Schuppen aus den Haaren: BK heißt "Bundeskanzlerin".
Diese eine Frage ist beantwortet und sofort stellt sich die nächste: Wieso schreibt der nicht "Bundeskanzlerin" hin, wenn er "Bundeskanzlerin" meint, wieso schreibt er stattdessen BK? Ein schlauer Mensch wird antworten, das mache er der Bequemlichkeit halber, "BK" sei nun mal deutlich kürzer und also leichter zu schreiben als "Bundeskanzlerin". Schon, entgegne ich, aber das Hinschreiben kryptischer Abkürzungen nimmt im Internet unzweifelhaft überhand. Und das Lesen kryptischer Abkürzungen nimmt dir viel von deiner kostbaren Lebenszeit. Du grübelst und grübelst über der letztlich belanglosen Frage nach "BK" und könntest eigentlich schon längst dabei sei, zu prüfen, ob die Bemerkung über die Frau Bundeskanzlerin Unfug ist oder doch.
Denn, bedenken wir es recht: Noch niemals zuvor ist dem Menschen das Schreiben, technisch gesehen, so leicht gemacht worden wie heute mit dem Computer.
Früher, ich mein jetzt sehr viel früher, hieß "Schreiben" noch, daß Mönche in entlegenen [1] Klöstern den Gänsekiel in eine Art Tinte tauchten und ganz, gaaanz sorgfältig Buchstabe für Buchstabe auf Pergament, also die Bauchhaut junger Schafe malten. Das Schreiben war zeitaufwendig wie Sau, das Pergament schwei... äh, schafsteuer. Ich habe jedes Verständnis der Welt dafür, daß die weiland Mönche Abkürzungen verwendeten, um kostbare Arbeitszeit und vielleicht noch kostbareren Platz zu sparen.([2] Früher, ich mein jetzt ganz früher, zu Zeiten der Scriptoriumsmönche,  hat man Abkürzungen, wenn man sie denn  verwendet hatte, sorgfältig eingeführt. In einer theologischen Abhandlung etwa hat der gelehrte [3] Mönch beim erstmaligen Auftauchen der Abkürzung AGNAA mitgeteilt, es stehe AGNAA für "Ach, Gottchen, nein aber auch".
Wir aber, wir Schoßkinder des Glücks (Gustav Gans), leben in den Zeiten des Computers, das Schreiben (und Korrigieren) des Geschriebenen ist heute so einfach und preisgünstig wie noch nie zuvor in der Geschichte. Platz ist auf der Festplatte oder auf dem Server nahezu unbegrenzt vorhanden. Die weiland Mönche im scriptorium hätten geweint vor Glück, wenn sie einen Laptop mit Internet-Anschluß gehabt hätten.
Ich, Leute, habe nicht nur einen Computer (jeder Depp hat heute einen Computer), sondern auch ein abartig geiles Programm. Mit PhraseExpress kannst du Kürzel für lästig zu schreibende Ausdrücke (km/h), Wörter (Alkohol) oder auch gaaanz lange Texte definieren und das Programm schreibt dann den richtigen Text hin, und zwar in jeder beliebigen Anwendung. Ich schreibe "voa" und es erscheint "vor allem", "gw" und es erscheint "gewesen". Das Programm ist für Privatanwender kostenlos, du darfst halt bloß keine typisch geschäftlichen Begriffe abkürzen wie Umsatzsteuer, Rechnung etc. Und nach einiger Zeit des Gebrauchs erscheinen immer mal wieder Einblendungen, die nachfragen, ob du nicht doch die Vollversion erwerben willst. Kostet 30 EUR in der einfachen Version (mehr Features braucht man als Privatanwender eh nicht).
Die einzige Mühe ist das erstmalige Erstellen der Abkürzungen. Hier mußt du vor allem darauf achten, daß die Kürzel erstens mnemotechnisch einfach, also leicht zu merken sind (wie eben "voa" für "vor allem") und daß es die Kürzel nicht auch noch als richtige Wörter gibt.



[1]   Damals war jeder Platz auf Gottes Erde entlegen, denn es war stets ein Riesenaufwand, von jedem anderen Platz aus dorthin zu kommen.
[2]   Um Platz zu sparen  begann man nach einem Absatz keine neue Zeile, sondern fügte stattdessen ein Doppel-S ein, das für "signum sectionis" stand. Um noch mehr Platz zu sparen (so kostbar war der Platz seinerzeit in den Zeiten der Bauchhaut von Schafen) schrieb man die beiden "s" untereinander, wodurch das §-Zeichen entstand.
[3]   "Gelehrt", das ist vielleicht der Schlüssel zum Verständnis. Früher hat man nur solche Leute an die Schreibfeder und das Pergament gelassen, die ein Mindestmaß an Bildung nachweisen konnten (und sich überdies das Ficken verkniffen hatten). Ohne Latein, dafür mit Homo-Ehe o. dergl. etwa ging da gar nichts, einer ohne Latein wurde zum Arbeiten auf's Feld geschickt. Heutzutage dagegen darf jeder Anti-Alphabetiker, der von sich auch nur behauptet, er habe einen E-Mail-Freund in Lateinamerika, im Internet publizieren.

Heldenfriedhof


Nicht schlecht, hat der Franze auf dem Heldenfriedhof gsagt. Aber wo, sagt er, hams die Feiglinge eingegraben?

Canität statt Humanität!

Ach, die Menschlichkeit, wir sollten nicht allzu stolz sein auf sie [1].
Seit Charles Darwin, das ist inzwischen auch schon wieder 150 Jahre her, wissen wir, daß der Unterschied zwischen Mensch und Tier bestenfalls graduell ist. Fundamental ist allerdings der Unterschied in Sachen Moral.
Mit dem Verhalten von Hunden kenne ich mich ein bisserl aus (mit dem von Menschen übrigens auch). Das Töten von Artgenossen ist bei Hunden (und Wölfen, nota bene) eine äußerst seltene Erscheinung. Es ist eher ein Versehen oder der Hund ist von Menschen aus Unkenntnis oder gezielt neurotisiert worden. Kein Hund (oder Wolf, wie gesagt) käme auf die Idee, einen anderen Hund (oder Wolf) systematisch zu quälen.
Canität statt Humanität!
Bleibt die Frage, warum wir Menschen im Vergleich mit sogenannten "Bestien" echte amoralische Bestien sind.
Der Grund liegt, scheint mir, in der menschlichen Intelligenz zu liegen.
Ein Tier hat Angst im Augenblick der Bedrohung. Ist die Bedrohung vorbei oder ist die Bedrohung noch nicht da, noch nicht wahrnehmbar, hat das Tier keine Angst. Im Gegensatz zum Tier hat der Mensch, der mit Geist und Vorstellungskraft begabt ist, die ausgesprochen kulturfördernde Eigenschaft, Ereignisse antizipieren zu können. "Antizipieren" heißt, lange bevor ein Ereignis tatsächlich eintritt, vor Ereignissen Angst zu haben, die in der Zukunft eintreten werden, ja, die in der Zukunft auch nur möglicherweise eintreten könnten. Der Mensch hat Phantasie, er kann sich schreckliche Dinge vorstellen, er kann die Wahrscheinlichkeit des Eintretens von schrecklichen Ereignissen abschätzen und ist damit ausgesprochen empfänglich für Angst.
Wir Menschen können uns, wenn alles noch ganz ruhig und friedlich ist, vorstellen, was anderen Menschen uns antun könnten.
Die Ulwungus, das wissen wir Kolmilken seit Jahrhunderten, sind Dreckschweine. Ulwungus ist alles zuzutrauen. Sie schauen so treuherzig, sie sind so freundlich und hilfsbereit, in Wirklichkeit jedoch wollen sie uns vernichten. Wir müssen sie also gefangensetzen, wir müssen sie foltern, damit sie uns die geheimen Verstecke der anderen Ulwungus verraten. Dann müssen wir sie töten. Schön ist das nicht, aber wir müssen es tun.
Weil wir intelligent sind haben wir Angst. Und weil wir Angst haben sind wir paranoid. Und weil wir paranoid sind sperren wir unsere Artgenossen ein, quälen und töten wir sie.
Wölfen, Hunden, Hyänen und anderen Bestien sind dergleichen humane Gedanken fremd. Wir sollten die Bestien um ihre Bestialität beneiden.
P. S.: Damit eines klar ist - die Ulwungus sind wirklich Dreckschweine.


[1]   Anm.: Den Anfangsteil dieses Blogbeitrages habe ich bereits als Kommentar im Blogbeitrag "Was ist der Sinn der Menschlichkeit?" von Antonik Seidler eingestellt. Nicht, daß es wichtig wäre, ich sag's nur der Korrektheit halber.