Hare Krishna, hare Rama, Rama Rama, hare Rama.
22.12.21
Der Herr von Goethingen auf dem Hajsl
In der Zeitschrift Archiv für Postgeschichte in Bayern, herausgegeben von der Gesellschaft zur Erforschung der Postgeschichte in Bayern in Verbindung mit der Deutschen Bundespost, erschien 1961 folgender Beitrag:
Aus den Aufzeichnungen des Posthalters Egidius Multerer (früher Postillion zwischen Munchen und Garmisch) vom 7. September 1786:
Ist mir am 6. September im Jahre des Herrn 1786 durch den Bostschwager Mai Simmerl der Ordinaripost, vermeldet worden, daß am morgigen Tag ein hoher Herr Geheimber Rath, mit Nahmen Goethingen oder so, mit seiner Extrabostkutschen bei meiniger Bosthalterei Roßwechsel wird machen. Seien die besten Roß einzuspannen, wo ordentlich gefuttert, trankt und butzet, daß kein Anstand kommet. Sintemalen hoher Herr von höchster Stell rekommandieret und sehr empfohlen! Ausgespannte Bostgaul von Extrabost, wo naß geschwitzet, trockenreim, futtern und tranken, alsdann ausgeruhet zurück nach hiesiger Residenzstatt. Hohem Herrn Rath Goethingen sind große Reverenz zu machen und so derselbig Wunsche habet, solchene gleich und freundlings zu besorgen. Solches Lieget in hochester Inderesse und auszuführen ohn Murrn und Unfreundlichkeit, welches baierische Art und Weis, aber bei Extrabost nicht geduldet und streng gerüget. Auch Dienstleut, Knecht und Mägd anweisen, damit nicht Beschwerden wegen roher Art und Weis, wie leider öfters bemerket!
7. September abens.
Ist ein schwerer Tag gwest. Item hoher Herr Rath, zwangsweise einigen Aufenthalt anhier hat nehmen müssen und großer Unmut ihn wegen selbigen überkommen. An seinem hinteren Rahd der Extrabostkutschen ist ein Schad gewesen und hat der Klosterschmiede-Martl selbigen beheben missen, wo dauert hat und hoher Herr voller Ungunst war und ziemlich geschimpfet. Unsrigen Knecht Simmerl ernstlich vermahnet, weil er hohen Herrn Goethingen ganz habscheuliches ihm zu thun hat geheißen. Hoher Herr aber es, Gott sei gedanket, nicht verstanden und dadurch weideres nicht geschehen. Ist dann der Herr Goethingen umeinander gegangen und hat den Bostschwager gefraget. Der ist zu mir und hat gesaget, der hohe Herr misse hinaustreten und wo das Hausl sei. Habe die Stalldirn Leni gleich zu selbigen Hausl geschicket, mit Lumpen nachschaugn ob Saubrigkeit dortselben und abbutzen. Auch frischen Strohschiebel hinlegen für Herrn Rath zur Verwendung. Aber er hat nicht mögen, weil selbiges Hausl auf dem Mist stehe und scharf riechet.
Doch man hätte sich die Mühe sparen können: Goethe rümpfte die Nase – aufgrund des scharfen Geruchs, und der Tatsache, dass das Häusl auf dem Misthaufen stand. Auch, dass keine Türe und keine Rückwand mehr vorhanden war, missfiel ihm. Der Dichterfürst schlug sich lieber in die Büsche - und landete zwischen Stachelbeeren und Brennesseln. Das hat ihm auch nicht getauget, notierte Multerer. Und als die Achs fertig war, ist er eingestiegen und hat nicht gedanket auf underdänigsten Reverenz und Gruß.
Diese Geschichte vom Abenteuer des Posthalters von Ebenhausen (bei Kloster Schäftlarn, südlich von München) mit dem Herrn von Goethingen, erzählt von ihm selbst, wabert seit Jahrzehnten durch die deutschsprachige Presse und die sonstigen Medien. Die Geschichte ist durchaus amüsant, aber sie ist natürlich ein Schmarrn.
Goethe ist damals von Karlsbad aus nach Italien regelrecht geflohen, das Ministeramt hatte ihn aufgefressen, seine poetische Ader war weitgehend versiegt. Er wollte weg und er fürchtete, zurückgehalten zu werden, wenn er unter dem eigenen Namen reiste. Er nannte sich Johann Philipp Möller. In Regensburg wäre sein Inkognito beinahe geplatzt: Ich muß nun machen daß ich wegkomme! Ein Ladenbedienter, aus der Montagischen Buchhandlung, hat mich erkannt, der in der Hoffmannischen ehmals stand. So muß dem Autor nichts guts von den Buchhändlern kommen. Ich hab es ihm aber grade ins Gesicht, mit der größten Gelassenheit, geläugnet daß ich’s sey. (Goethe, Tagebuch der Italienischen Reise)
In Malcesine am Gardasee hat er die Skaligerburg gezeichnet und ist deswegen vor den Podestá (Bürgermeister) geschleppt worden. Man verdächtigte ihn, ein Agent des Kaisers zu sein, der die Festung habe ausspionieren wollen. Hier erst hat er sein Inkognito gelüftet, um der Festnahme und durchaus möglichen standrechtlichen Erschießung als Spion zu entgehen.
Abgesehen davon ist es eine abenteuerliche Vorstellung, der Posthalter hätte sich die Zeit genommen, derart ausführlich über einen Gast zu berichten, dessen Name ihm offensichtlich nichts sagte (...von Goethingen oder so...).
Kauft nicht beim Schwaben
In einem Interview in der Berliner Morgenpost nannte einst Wolfgang Thierse das Zusammenleben mit zugezogenen Schwaben "strapaziös". Er wünsche sich, so Thierse, "dass die Schwaben begreifen, dass sie jetzt in Berlin sind - und nicht mehr in ihrer Kleinstadt mit Kehrwoche". Die Bevölkerung mit Menschen aus einer anderen Gegend sei die „schmerzliche Rückseite“ der Veränderung im Bezirk. Schrippen sollen wieder Schrippen heißen und nicht mehr Wecken und auf dem Pflaumenkuchen solle wieder Pflaumenkuchen stehen und nicht mehr Zwetschgendatschi.
Diese Anmerkung von Thierse ist so was von dermaßen dumpf und stumpf, ich hatte seinerzeit heftigste Anfälle von Fremdscham deswegen. Jedem Idioten muß klar sein: Wenn eine Stadt zur Hauptstadt wird, dann kommen Leute von überall aus dem Gebiet, dessen Hauptstadt die Stadt jetzt ist. Stell dir nur mal vor, Thierse hätte seinen Ausfall nicht gegen Schwaben gemacht, sondern gegen Türken...
Möglicherweise steckt hinter all dem ein ganz tiefsitzendes Ressentiment. Schließlich hat Berlin, und mit ihm ganz Preußen, jahrhundertelang unter einem gnadenlosen schwäbischen Besatzungsregime gelitten. Die Hohenzollern, das heißt die schwäbischen Herrscher über Preußen führten dort die Kehrwoch und andere zwangsneurotische Rituale ein, und zwar so was von dermaßen, daß es den daheimgebliebenen Schwaben noch heute kalt den Rücken herunterläuft.
Hier finden sich abschließend noch einige Anmerkungen zur Geschichte Berlins:
Rechtschreibung und Höflichkeit
Rechtschreibung ist eine Form von Höflichkeit. Wia lesn nich Buchschtam, sondern gantse Wöater oder gar Saztaile. Di könn'n wir schnell und raibungslos nur dann identifitsieren, wenn die Schraibung noamiert is.
Bei den Satzzeichen ist die Rechtschreibung manchmal fast
noch wichtiger. Vor vielen Jahren, es war kurz nach Schulbeginn, war ich mit
meinen beiden Söhnen gerade im Ort unterwegs, als mein Ältester (er war damals
8 Jahre alt) plötzlich lachte und rief: "Und bei rot soll man den Kindern
kein Vorbild sein?"
Irritiert fragte ich nach, was seine Bemerkung bedeuten solle und Sebastian
zeigte auf ein Schild, das an der Fußgängerampel hing. Ich begriff immer noch
nicht (bei Erwachsenen dauert das etwas länger), bis ich das Schild ein zweites
Mal las und dann machte es "klick": Sebastian hatte recht.
"Nur bei GRÜN den Kindern ein Vorbild." Nach den Regeln deutscher
Grammatik und Zeichensetzung konnte dies nur heißen, daß man entschieden davon
abriet, auch bei Rot ein Vorbild für die Kinder zu sein.
Was ein anders gesetztes Satzzeichen alles an Bedeutungsveränderung bewirken
kann, dafür hat Brecht mal ein schönes Beispiel gegeben:
* Der Mensch denkt, Gott lenkt.
* Der Mensch denkt: Gott lenkt.