3.5.23

Zweierlei Arten von Philosophen und von Theologen

Und siehe, es entzündete sich im Internet - wo sonst? - ein Streit um die Frage, ob es für einen Philosophen notwendig sei, Altgriechisch zu können. Ich aber, wahrlich ich sage euch: Es gibt zwei Arten von Philosophen, zum einen die Philosophen-Philosophen, zum anderen die Philosophie-Philosophen. Letztere denken sich irgendwelche Theorien über Gott und die Welt aus, erstere verwalten diese Theorien. Es gibt, versteht sich, Überschneidungen zwischen den beiden Gruppen (Schnittmengen der beiden Teilmengen, damit hier auch mal ein bisserl 1 Wissenschaft reinkommt). Die Philosophen-Philosophen sind Diplom-Philosophen, Philosophen mit Diplom, mit Philosophen-Diplom (damit sie was Eigenes haben, wenn die Kinder aus dem Haus sind), die anderen sind nicht selten Amateure ohne solide einschlägige Ausbildung, Hobby-Philosophen also. Der Plato etwa, der nicht mal den Hauptschulabschluß hatte oder der Linsenschleifer Spinoza oder der Jurist Karl Marx.

Ein Philosophie-Philosoph laßt einen Satz unter sich fallen, der Philosophen-Philosoph beschnüffelt das Fallengelassene, klassifiziert es und legt es aus. Dann kommt ein anderer Philosophen-Philosoph und bewertet die Aussage des ersten Philosophen als "richtig" oder "falsch". Ist der Philosophen-Philosoph 2 ranghöher als der Philosophen-Philosoph 1, muß letzterer zur Strafe noch ein Semester dranhängen, sind beide gleichrangig gibt es einen wunderschönen wissenschaftlichen Disput und der Nachmittag ist wieder mal auf angenehme Weise verbracht.

Was ich sagen will: Bin ich gezwungen, als Philosophie-Professor meinen Lebensunterhalt verdienen, weil ich sonst nichts gelernt habe, muß ich also junge Leute in die Geschichte der Philosophie von den Vorsokratikern bis... äh, Sloterdijk oder auch Precht einführen, dann sind solide Kenntnisse des Altgriechischen sicherlich hilfreich [1]. Mache ich mir dagegen Gedanken über die Beschaffenheit der Welt und die Rolle Gottes in ihr oder außer ihr, dann sind Griechischkenntnisse so was von wurscht, das glaubst du nicht. Der Philosophie-Philosoph will ja nachdenken und nicht Plato oder Aristoteles nachdenken. Plato und Aristoteles sind - man glaubt es kaum - auch nur Menschen gewesen, sie haben Vorschläge gemacht, wie und wohin man denken sollte, unverbindliche, zuweilen kluge Vorschläge. Schaumermal, wohin uns dieser Vorschlag führt.

Der einzig greifbare Vorzug, den Plato und Aristoteles vor den mehr oder weniger zeitgenössischen Philosophen haben ist der, daß sie bereits (länger) tot sind als ihre jüngeren Kollegen. Der Mensch nämlich, bedenkt auch dies wohl, ist ein Narr, er kniet umso andächtiger vor einem Denker, je länger dieser schon tot ist. Moses gilt als Großer Prophet, käme dagegen heute einer und berichtete von seiner jüngsten Wanderung durch den Bayerischen Wald, es sei ihm auf dem Gipfel des Lusen Gott in einem brennenden Dornbusch erschienen und habe ihm 13 Gebote und dazu noch seinen wahren Namen verraten, so würde er in der Klapse oder bei RTL 2 landen.

Je länger etwas her ist, desto wahrscheinlicher ist es, daß es wohl schon irgendwie stimmen würde. Wie gesagt, der Mensch ist ein Narr.

Und weil wir mit dem brennenden Dornbusch


auch bereits die Theologie gestreift haben, möchte ich noch anmerken, daß es auch hier zweierlei grundlegend verschiedene Zweige dieser Wissenschaft gibt. Das eine ist die beschreibende Theologie, die Texte analysiert, Überlieferungsschichten dieser Texte freikratzt und das Verhalten der Mitglieder einer Religionsgemeinschaft im Wechsel der Zeiten und Weltgegenden beschreibt und analysiert. Diese Art der Theologie kann auch ein Atheist betreiben, ganz so wie jemand Ameisen wissenschaftlich beschreiben kann, ohne selber Ameise zu sein. Die andere Art ist die gestaltende Theologie, die Glaubenslehren formuliert, gegebenenfalls ändert und anpaßt, und die natürlich auch die jeweils nachwachsende Generation in die Glaubenslehre einführt. Für letztere Art von Theologie braucht's Theologen, die gläubig sind oder zumindest so tun.

 


[1]   Obwohl... eigentlich ist es auch in diesem Falle wurscht. Es gibt inzwischen so viele verschiedene und so viele gute Übersetzungen aus dem Altgriechisch auch der abseitigsten Griechen, daß es wirklich nicht mehr not tut, daß selbst ein Philosophen-Philosoph noch mit eigener Nase die Originaltexte durchschnüffeln muß.

Moka - Die italienische Art Kaffee zu bereiten

Warum wird in Italien eigentlich Espresso getrunken,diese konzentrierte, besonders starke Kaffeevariante? Die Antwort auf diese Frage führt erst ins Mittelalter, nach Äthiopien und auf die arabische Halbinsel – und dann in die Jahrzehnte zwischen Ende des 19. Jahrhunderts und 1930er Jahre: in die Zeit, in der ein paar italienische Erfinder daran tüftelten, konzentrierten Kaffee buchstäblich unter Hochdruck herzustellen.

Der Berliner Journalist Sebastian Heinrich erzählt in der neuen Folge von "Kurz gesagt: Italien" von der zweimal achteckigen italienischen Kaffeekanne Moka und von der Rolle der Moka für Italiens Kaffeekultur. Die Geschichte der italienischen Kaffeekultur führt über die kolonialen Angriffskriege während der faschistischen Diktatur - und zu Italienern, die heute glauben, dass der Kult ihrer Landsleute um den Espresso eine ziemlich heftige Selbsttäuschung ist.

Aber was red ich, schauts in die Shownotes rein und drückts dort auf "Episode abspielen". Nicht zuletzt empfehle ich die von Sebastian Heinrich erzählte Geschichte vom Kaffeeboykott.

Man sagt ja nix, man red't ja bloß

Unbeirrbar

Auf www.prisma.de las ich in einem Artikel über Amedeo Modigliani den Satz "Bestens bewandert in antiker Bildhauerei, befolgte [1] der scheinbar so labile junge Mann unbeirrbar, was man heute ein Konzept nennen würde:..."

Ich bin zusammengezuckt beim Lesen, so wie ich jedes Mal zusammenzucke, wenn ich das Wort "unbeirrbar" lese oder höre.

Merkwürdigerweise nämlich liest man dieses Wort so gut wie nie im Rahmen einer Beschimpfung, man liest es vielmehr häufig in Festreden und Nachrufen: "Unbeirrbar ging sie ihren Weg" oder "Unbeirrbar verfolgte er seine Ziele".

"Unbeirrbar" gilt offensichtlich als positiver Begriff. Stünde da "unbeirrt", ich könnte nicht meckern.

Wenn ich nachträglich den Lebensweg eines Menschen betrachte und feststelle, daß er eine einmal gewählte Richtung unbeirrt verfolgt hat, dann heißt das, daß er sich durch Widerstände und Anfechtungen letztlich nicht hat beirren lassen, daß er konsequent seinen Weg gegangen ist. Ich habe keine Mühe damit, in dieser Beschreibung etwas Positives zu erkennen.

Es steht da aber "unbeirrbar".

Ein unbeirrbarer Mensch ist für mich in meinem Wortverständnis ein dumpfer, stumpfer Hund der Sonderklasse, einer, der sich durch keine Vernunft, kein Argument, keine Erfahrung beirren läßt [2], der einfach stur seinen Weg voranschreitet, durch nichts zu beeindrucken und zu belehren. Der schaut nur direkt nach vorne, schaut nicht nach links und nicht nach rechts, nach hinten sowieso nicht. Der ist für Erfahrungen und Irritationen, die andere Leute zu einer Kurskorrektur veranlassen, nicht zugänglich.

In einer Usenet-Diskussion entgegnete mir einer, "unbeirrbar" sei für ihn auch einer, "der sich von dem üblichen Getöse, das die um ihn herum scharwenzelnden Verirrten veranstalten, nicht von seinem geraden Weg ablenken läßt. Seelenruhig, in sich gefestigt, die Ruhe selbst, eine sehr positive Eigenschaft."

Ich entgegnete ihm mit einem Zitat "Der unerschütterliche Glaube ist keine Tugend, sondern ein Laster. (BERTRAND RUSSELL)" und fuhr fort: "Daß man sich nach jedem 'öhm, aber' nicht gleich neu taufen läßt ist eine Sache. Jahrzehntelang dieselbe Überzeugung zu vertreten ist dagegen schon etwas verhaltensauffällig. Man bleibt sich treu, indem man sich ändert. Andere Leute haben auch gute Ideen und von ihnen zu lernen, ist durchaus empfehlenswert."

Aber, wie es mit dem Wortgebrauch halt manchmal ist: Bei uns und bei Leuten, die uns zustimmen, reden wir von Prinzipientreue und Konsequenz, bei Leuten, die eine andere Meinung vertreten, nennen wir dasselbe Phänomen Sturheit.

Trotzdem: Unbeirrbare Leute sind gefährliche, weil dumme Leute.

Unermüdlich

Als seinerzeit die Rücktrittsankündigung von Papst Benedikt XVI. bekannt geworden war, gab die Bayerische Staatskanzlei eine Pressemitteilung von Ministerpräsident Seehofer heraus. Darin hieß es unter anderem: "Mit seiner charismatischen Ausstrahlung und seinem unermüdlichen Einsatz für das Wohl der Kirche hat der Papst aus Bayern die Menschen in aller Welt begeistert."

Als ich den Satz in den Nachrichten - indirekt zitiert - das erste Mal hörte, ließ er mich zusammenzucken. "Unermüdlicher Einsatz"... Dabei geht doch die ganze Rücktrittsgeschichte des Papstes genau darum, daß sein Einsatz ermüdlich war. Alter, Krankheit, zu viel Arbeit für einen Mann dieses Alters und Gesundheitszustandes, all das zusammen hat seine Kraft ermüden lassen.

Untrennbar

Anfang der achtziger Jah­re war in einer Lüneburger Zeitung dieses Bild samt merkwürdiger Unterschrift zu sehen.

Genaugenommen sind natürlich weder das Bild noch die Unterschrift merkwürdig. Sehr merkwürdig allerdings wird es, wenn man weiß, daß das Bild einen Artikel illustrierte, in dem es darum ging, daß die Lüneburger Saline nunmehr - nach eben über 1000 Jahren - wegen Unrentabilität geschlossen wird.

Unter dem Motto der untrennbaren Verbundenheit berichtet die Zeitung darüber, daß Lüneburgs Verbindung mit der Saline nicht nur doch trennbar ist, sondern demnächst auch tatsächlich getrennt wird.

Weiß Gott, wieviel hundert Jahre lang Lüneburger Festredner bei weiß Gott welchen Gelegenheiten die Worthülse von der untrennbaren Verbindung von Stadt und Saline schon verwendet haben. So oft jedenfalls, daß der Zeitungsredakteur die Unsterblichkeit der Verbindung auch dann noch betont, wenn er von deren Tod berichtet.

Wenn Stimmen für immer verklingen

Vor einigen Tagen erst hat auf "Fisch und Fleisch" ein über alle Maßen mit Weisheit bekleckerter Mensch den Tod von Harry Belafonte betrauert, unter der verdächtig nach Poesie klingenden Überschrift "Wenn Stimmen für immer verklingen".

Hm.

Wenn dein Opa stirbt, der sich ein Lebtag lang beharrlich geweigert hat, auch nur einen einzigen Satz in ein Mikrophon zu sprechen, dann ist in der Tat mit seinem Tod seine Stimme für immer verklungen. Wenn dein Opa dagegen Millionen und Abermillionen von Tonträgern besungen und in alle Welt verkauft hat, bleibt seine Stimme über den Ton hinaus erhalten.



[1]   Daß es "verfolgte" heißen müßte statt "befolgte" lassen wir hier mal außen vor.

[2]   Diese Unbeirrbarkeit oder besser: Unbelehrbarkeit ist ein ganz typisches Merkmal für einen psychotischen Menschen, deren es viele hier auf "Fisch und Fleisch" gibt.

Gold to go

Ein Gedankenexperiment: Würde ich dir erzählen, es gäbe in München im Olympiaeinkaufszentrum einen Automaten, an dem du binnen Minutenfrist einen Goldbarren, ein Goldbärrlein oder auch nur ein Goldbärrleinchen kaufen kannst, würdest du mir so einen Scheisendreck glauben? 

Womöglich zeigst du mir den Spechtgruß [1] und tust mein obenstehendes Photo, auf dem dieser Goldautomat zu sehen ist, als Fiebertraum meiner Künstlichen Intelligenz ab. Der Gedanke ist aber auch zu verrückt: Im Vorbeigehen einen Goldbarren kaufen, so wie unsereiner vor der Einfahrt des Zuges auf dem Bahnsteig schnell mal einen Schokoriegel aus dem Automaten zieht.

Obwohl... Es wär vielleicht doch eine wunderbare Sache, wenn es diesen Goldomaten wirklich und tatsächlich gäberte. Ich versteh zu wenig von den Details, aber ich gehe stark davon aus, daß der Goldkauf am Automaten ein pfiffiges Steuersparmodell [2] wäre, vorausgesetzt, es wäre möglich, das Geld für das Gold aus dem Geld-Waschvollautomaten auch in bar zu hinterlegen.

Einen Goldbarren können Sie entweder per EC-Karte oder Bargeld erwerben.

Wie spricht Herr Engelsberger, der Geschäftsführer von Gold to Go: "Mit unseren für alle Menschen einfach zugänglichen Goldautomaten demokratisieren wir den Zugang zu physischem Gold und schaffen durch die unterschiedliche Größe der Goldbarren eine Möglichkeit zum Goldkauf für jede Einkommensklasse."



[1]   Mit dem Zeigefinger mehrmals gegen die Stirn tippen, tok, tok.

[2]   Wer nicht weiß, was ein Steuersparmodell ist... Es ist die freundliche Umschreibung für "ganz legale Steuerhinterziehung für Selbständige und andere reiche Leute".