23.12.19

Schilddrüsensprache

Im Internet - wo sonst? - hat mal einer geschrieben: "Kurz und erfolgsorientiert muss für mich eine Rasur sein."
"Erfolgsorientiert", das ist mir so die Sprache der dynamischen Menschen, die auch noch stolz sind auf ihre Schilddrüsenüberfunktion mit der sie andere Menschen beständig quälen. Eine auftrumpfende Mordsrhetorik um simple Selbstverständlichkeiten. Wie denn anders als erfolgsorientiert kann eine Rasur sein? Ich mein, wenn ich mich rasiere, dann möcht ich schon, daß hinterher die Haare weg sind, weil sonst hätt ich auch Nasepopeln können, oder ein Kaffeetscherl trinken.


Das vergrabene Pfund

Von Heimito von Doderer gibt es eine schöne Geschichte, "Das vergrabene Pfund". Ein Akademiedirektor will ein musikalisch hochbegabtes Mädchen in München zur Sängerin ausbilden lassen, die Mutter sagt "Mein Mädel wird keine Komödiantin". Sie heiratet später einen ebenfalls hochbegabten Mann, dem eine Karriere im Kultusministerium offensteht. Irgendwie zieht er nicht so recht und so nimmt er eine Lehrerstelle in einem Dorf bei Freising an.
Die Jahre gehen ins Land, sie werden dicker und dicker, ihr Pfund, ihre Begabung ist vergraben.
Die Erzählung endet so: "Und sie haben's recht gemacht. Denn wir alle wissen’s doch im innersten Gemüte, daß jene, die’s zu was gebracht haben und aus denen was geworden ist, allermeist zu den schlechthin Widerlichen gehören, damit’s endlich einmal ganz klipp und klar gesagt sei."






Literatur und Gaudi

Vor etlichen Jahren haben sie dem Gaudiburschen Rainald Goetz den Georg-Büchner-Preis verliehen. Rainald Goetz, das ist der Narr, der sich seinerzeit beim Ingeborg-Bachmannpreis 1983 die Stirnschwarte geritzt hat [1], um das feinsinnige Publikum mit ein bisserl einem Blut zu schockieren. Was soll ich sagen? Rainald Goetz wurde damals nicht Gewinner des Bachmannpreises, aber... An den Gewinner von damals erinnert sich heute kein Schwanz mehr, Karriere hat der Goetz gemacht mit einem Stirnschnitt, nicht der Andere mit einem Text.
Der Literaturbetrieb will keine Texte, er will ein wenig Gaudi, das paßt dann schon.




[1]   Obacht, Leute, wer auf den Link klickt, sieht ein feinsinniges Video vom Ingeborg-Bachmann-Preis, in welchem Video Blut fließt. Wer Metzger, Henker oder gar Literaturkritiker ist, oder wenigstens Abkömmling derartig roher Berufstätiger, soll sich das Video anschauen, der Rest möge sich lieber einen Gott-wie-hübsch-das-Blut-spritzt-Film vom Arsenloch Quentin Tarantino reinpfeifen.


Von der Zuversicht der Experten

Der Atomphysiker Klaus Traube [1] wurde 1975/76 Ziel eines Lauschangriffs durch das Bundesamt für Verfassungsschutz. Grundlage war die Annahme, die Nähe zu Terroristen der Rote Armee Fraktion gesucht und gefunden zu haben. Diese Annahme erwies sich als völlig haltlos. Die am 26. Februar 1977 vom Magazin Der Spiegel aufgedeckte Affäre weitete sich zu einer Regierungskrise aus, in deren Folge der verantwortliche Innenminister Werner Maihorcher zurücktrat, während sein Schmidtwisser, der Bundeswanzler im Amt blieb.
In den späten sechziger oder frühen siebziger Jahren, waren die ersten Atommeiler [2] schon in Betrieb, weitere waren in Bau. Man wußte, daß irgendwann hochstrahlender Atommüll abfallen würde, aber man hatte keine Ahnung, wo man diesen Müll dann hintun täten würde. Ein kluger Mensch sagte damals, die Situation erinnere ihn an jemanden, der mitten in der Stadt den Sicherungsstift einer Handgranate herauszieht und dabei drauf vertraut, daß er bis zur Explosion der Granate schon irgendwie einen sicheren Platz zum Hinwerfen finden werde.
Als damals in den sechziger, siebziger Jahren die Umwelt erfunden wurde, meinte meine Mutter - so hatte sie es bei Experten gelesen - die Natur werde sich schon selber zu helfen wissen. Genau das fürchte ich, habe ich ihr geantwortet.
Als Bub habe ich zu manchen Sachen gesagt, dies sei der reine Wahnsinn, so was könne man doch nicht machen. Man hat es trotzdem gemacht, und ich habe mich in meiner kindlichen Einfalt damit getröstet, daß ich mir sagte, ach, das sind Erwachsene, die so was entscheiden, die wissen so viel mehr als ich, die werden schon wissen, was sie tun.
Als ich etwas später selber erwachsen war und ein gutes Stück mehr wußte, hatte ich immer noch nicht verstanden, warum sich die Entscheider so sicher sein konnten, daß ihre Entscheidung richtig sei. In meiner erwachsenen Einfalt dachte ich mir aber, ach, das sind Experten, die wissen so viel mehr als ich, die werden schon wissen, was sie tun.
Inzwischen bin ich selber Experte und mußte lernen, daß... Ach, ich sag's jetzt nicht, liebe Kinder, vielleicht kommt ihr selber drauf.



[1]   Traube hat sich ein bisserl was dazu verdient, indem er gelegentlich als Double von Leonard Bernstein eine Sinfonie dirigierte, wenn der Maestro selber grad keine Lust zum Stabwedeln hatte.
[2]   Atommeiler, was für ein wunderhypsches Wort! Ich sehe den Atomköhler vor mir, wie er sein Pfeifchen schmaucht und gelegentlich mit seinem Köhlerstab die Atome umrührt.