2.6.22

Semantische Kosmetik

Latein und andere keusche Fachsprachen

Ösophagus-Varizen - hört sich irgendwie nett an. Na gut, wenn auch nicht gerade nett, so doch auf keinen Fall so bedrohlich wie es ist - Krampfadern in der Speiseröhre, die schnell mal lebensbedrohlich werden können.

 Mit Fremdwörtern lassen sich viele ansonsten schwer oder peinlich ausdrückbare Sachen relativ einfach sagen: Koitus machen, koitieren geht auch einem ansonsten eher gesetzten Menschen viel eher über die Lippen als ficken oder bumsen oder selbst das noch vergleichsweise neutrale (aber doch recht verschwiemelte) "mit jemand schlafen".

Man kann natürlich aber auch eine verdeckte Sprache führen, ohne daß man irgendwelche Fremdwörter bemühen müßte, zum Beispiel: "überreichlicher Ernährungszustand" für dick, übergewichtig. "Äthylisch gezeichnet" für "versoffen aussehend".

Wenn ich in einem Gutachten erwähnen wollte (sehr oft zu Gunsten des Klienten), daß dieser Klient ein bisserl dumm ist, verwendete ich gerne das Wort "einfach strukturiert".

In der IHK-Zeitschrift (Regensburg) von 1982 verwendete ein Journalist das Wort "eine gewisse Beweglichkeit in der Personalpolitik", um damit das schöne, alte Wort "heuern und feuern" zu kaschieren.

Auf Entsorgungspark für Atommülldeponie und Justizvollzugsanstalt für Gefängnis oder gar Zuchthaus will ich gar nicht näher eingehen.

Meister Häublein und Carlo Vagina

 Die fröhliche Wissenschaft

"Forscht, wo ihr zu Forschen findet. Das Unerforschbare aber laßt unerforscht." Das ist nicht von Goethe, wie so mancher jetzt fast reflexhaft gerufen hat [1], sondern von - immerhin - Erich Kästner: Das fliegende Klassenzimmer.

Na, wie auch immer. Es gab mal eine Zeit, in der ich den SPIEGEL zwar nicht abonniert hatte, ihn aber doch regelmäßig las. Die Zeiten sind lang vorbei, ich bin inzwischen ein anderer geworden und der SPIEGEL erst recht. An Zeitungskiosken gehe ich vorbei, ohne den Blick zu heben. So kommt es, daß ich den SPIEGEL von anno seinerzeit erst heute in die Hand bekommen habe. Meine Schwester nämlich hat den SPIEGEL abonniert und sie hat mir vor etlicher Zeit besagtes Heft in die Hand gedrückt. Ich habe mich artig bedankt und das Heft erst mal weggelegt. Heute nahm ich es wieder zur Hand [2] und bin erstarrt:

 

"Forscher vermessen die Lust der Frauen." Ich mein, als Frau  machst sowieso was mit, und jetzt auch noch das. "Forscht, wo ihr zu Forschen findet...", wie gesagt.

Apropos Frauenforschung. Auf der Platte (ja, buchstäblich Platte, sie ist 1967 erschienen) "Im Wunderland Der Triebe - Der Tönende Sexreport" von Lützel Jeman (alias Robert Gernhardt), F.-K. Waechter und F. W. Bernstein ist ein Schulfunk-Beitrag über Meister Häublein zu hören.

Am Beginn der Neuzeit begibt sich Meister Häublein auf die Suche nach der legendären "erogensten aller erogenen Zonen" bei der Frau. Griechische Quellen berichten davon, inzwischen aber ist ihr Wissen verlorengegangen und die Lage dieser Zone ist so unbekannt wie die von Atlantis oder Ultima Thule. Nach vielen Jahren mühseliger Forschungsarbeit hat Meister Häublein diese Zone entdeckt. Da erreicht ihn die erschütternde Nachricht, daß der Italiener Carlo Vagina diese sagenhafte Zone entdeckt habe, sie liege zwischen den Beinen der Frau. So kommt es, daß diese Zone noch heute Vagina genannt wird und nicht Häublein.

Eine Frau - wer sonst? - schrieb mir auf diesen Blogbeitrag hin, sie stelle sich gerade vor, sie hieße wirklich so (sie, die Vagina).

Ich versuchte sie zu trösten.

Das wäre fein, wenn dem so wäre. Häublein ist wirklich eine sehr charmante Bezeichnung für das... äh, ich sag mal: Ding.

Was bin ich als Kind zusammengezuckt, als plötzlich in der Karfreitagsmesse, die damals noch auf Lateinisch gehalten wurde, das Wort "vagina" auftauchte. Ich hatte gottlob den Großen Schott dabei, in welchem die gesamte lateinische Liturgie verzeichnet war.

Tatsächlich, da war es: "dixit ergo Iesus Petro mitte gladium in vaginam" - Und also sprach Jesus zu Petrus: "Stecke dein Schwert in die Scheide".

Als Katholik machst was mit.

Übrigens teilt sich Mösien auf in Obermösien und Niedermösien.



[1]   Der Spruch von  Goethe heißt: "Das höchste Glück des denkenden Menschen ist es, das Erforschliche erforscht zu haben, und das Unerforschliche ruhig zu verehren."

[2]   Es war im Weg gewesen und mußte woanders hin.