Freitag, 20. Juli 2018

Gott, maßgeschneidert

Als ich noch in der FREITAGs-Community unterwegs war, bevor man mich wegen Sexismus, Fremdenfeindlichkeit und - versteht sich - Rassismus rausgeschmissen hat, hat ein Mitdiskutant zum Thema Gott und die Welt geschrieben:
Man darf sich das moderne ideologische Syndrom ja nicht als einfaches Dogma vorstellen, an das man entweder zu glauben hat oder man des Todes ist, sondern als Meinungskomplex: Man muß eine Meinung haben, jeder hat eine andere, und die muß immer und überall die Länge und Breite durchdiskutiert werden.
Worauf ich antwortete:
Der Religionsmarkt ist ja seit den Tagen der Hl. Inquisition mehr und mehr liberalisiert worden. Neben den großen Sinn-Konzernen haben sich kleine und kleinste Metaphysik-Tandler etabliert. Deren Angebot ist mittlerweile so vielfältig, daß für fast jeden Geschmack etwas zu finden ist. Da gerade die mittelständischen Religionsangebote OpenSource-Konzepte sind, haben selbst anspruchsvollste Sinnsucher ("Gottchen, ich bin es mir wert";) die Möglichkeit, sich Gott ("Sehet, ich bin euch ein geduldiger Gott";) so zu gestalten, daß er wirklich paßgenau auf die eigenen psychischen Bedürfnisse abgestimmt ist.
"Ach, nein, Herr Pastor, ein zürnender Gott mit Brutzeln in der Hölle, ist mir denn doch zu krude. - Was, Sie haben auch 'Hölle als Gottferne' im Angebot? Ja, schon feinsinniger, das, aber Ihr Kollege da links hinten bietet Gott auch als abstraktes Prinzip ohne detaillierte Ansprüche an mich an. Das scheint mir denn doch eine wirklich attraktive Alternative zu sein, nichts für ungut, Herr Pastor."
Jesus, meine Zuversicht! So hat nun jeder seinen ganz individuellen Gott, der am besten zur Couchgarnitur paßt. Wieso keiner von diesen Gott- und Sinnsuchern auf die Idee kommt, Gott könnte eventuell nichts weiter sein als eine angenehm gestaltete Hirnblähung? Ich weiß es nicht.
Vielleicht liegt es aber nur daran, daß ich ein bisserl schlicht denke und das, was ich denke, auch verstehen will.

Sonntag, 8. Juli 2018

Stahlwatte

In meinem Bad habe ich ein Holzregal, in welchem ich allerlei Tand lagere. Wenn ich auf dem Hajsl sitze schaue ich genau auf das Regal und mein Bad ist sehr klein.
Viele, viele Monate lang sah ich bei geschäftlicher Verrichtung direkt auf eine Packung mit verseifter Stahlwatte.

Eines Tages fiel mir die Packung runter, ich stellte sie zurück und merkte, daß ich jetzt auf die andere Seite der Packung blickte.
Unfaßbar! Ich grübelte und grübelte. Wie zum Teufel, so fragte ich mich, kann man natürliche Seife aus feiner Stahlwatte gewinnen? Es dauerte fast eine Minute, bis ich die Lösung gefunden hatte.

Samstag, 7. Juli 2018

Dirigenten-Bluff und Schabernack in der Literatur

Der Musikkritiker Ulrich Schreiber hat 1980 im Westdeut­schen Rundfunk ein bemerkenswertes Experiment gemacht ([1]). In einer Rundfunksendung wurden drei Interpretationen der 4. Sinfonie, der "Romantischen", von Anton Bruckner gespielt ([2]). Die Hörer hatten die Möglichkeit, telefonisch ihre Meinung zu äußern, das heißt sie konnten die drei Interpretationen in eine Rangordnung bringen. Die einzelnen Aufnahmen wurden von kurzen musikkritischen Stellungnah­men eingeleitet, welche die verschiedenen Interpreten (Karl Böhm, Leonard Bernstein und Herbert von Karajan) stilistisch einord­nen sollten und dabei ganz bewußt mit Klischees ar­beiteten.
Der Haken war - es handelte sich jedesmal um die gleiche Aufnahme! Und: Sie stammte von keinem der drei vorgestellten Dirigenten. Im Verlauf der Sendung riefen 563 Hörer an, die neben einigen soziologi­schen Daten ihr Urteil in den Computer einspeisten. Dabei bezeich­neten sich 65 Prozent der Anrufer als Klassik-Spezialisten. Das Er­gebnis: 30 Pro­zent stimmten für Karajan, 28 Prozent für Bernstein und 23 Prozent für Böhm, 18 Prozent enthielten sich. Auf die Idee, daß hier manipuliert worden sein könnte, kam kein einziger, kein einziger Anrufer äußerte auch nur den Verdacht, es habe sich um identische Musikbeispiele gehandelt.
Ein bißchen Wortgeklimper zur Einstimmung und der angebliche Kenner sackt mit all seiner Sachkenntnis ein.

George Forestier, der falsche Fremdenlegionär

In den fünfziger Jahren erschien in Deutschland ein Band mit Gedichten, in denen George Forestier, ein ehemaliger Fremdenlegionär, seine erschütternden Erlebnisse und Leiden während des Indochina-Kriegs verarbeitete. Forestier wurde damals mit Ingeborg Bachmann in einem Atemzug genannt, einige stellten gar seine Gedichte über die ihren. Sie beeindruckten in ihrer Wucht und Authentizität.
1955 stellte sich heraus, dass das Leben und Werk Forestiers von Karl Emerich Krämer frei erfunden worden waren. Krämer war alles mög­liche (u. a. Nazi), aber er war weder in der Fremdenlegion gewesen, noch kannte er Indochina aus eigener Anschauung.
Batsch! Mit einem Schlag war der Zauber seiner Verse verflogen, niemand liest heute noch die Gedichte, in der Literaturgeschichte kommt Forestier allenfalls noch als Kuriosität am Rande vor.
Literatur arbeitet fast immer mit der Einfühlung, das heißt man erwartet von einem Schriftsteller nicht, daß er die dargestellten Ereignisse tatsächlich selber erlebt hat, auch wenn er als Ich-Erzähler auftritt. Karl May, der seinerzeit seine Geschichten ausdrücklich als selbst­erlebt ausgegeben hat, hat man seinen Schwindel verziehen, George Forestier nicht.

Ossian

Ein weiteres, noch interessanteres Beispiel, an dem sich zeigen läßt, daß nicht nur Kunstexperten merkwürdige Menschen sind, sondern auch Literaturkenner ist die Geschichte von Ossian. 1762 erschien in London die englische Übersetzung eines uralten keltischen Epos. Der Text wurde auf ca. 500 bis 600 nach Christus datiert, war damit deutlich älter als alle (bis heute) bekannten Sprach- und Literaturdokumente nord- und mitteleuropäischer Sprachen. Der Autor war ein keltischer Barde namens Ossian, der in seinem Epos in beeindruckend bildkräftigen Versen die Heldentaten seines Vaters und anderer keltischer Heroen besang. Das intellektuelle Europa - unter anderem der junge Goethe, der etwas später eine Übersetzung von Teilen des Ossian-Epos ins Deutsche anfertigte - war begeistert von diesen Versen, von der archaischen Wucht, die dem Leser entgegensprang.
In England blieb man weitgehend skeptisch, man wollte dem barbarischen Volk der Schotten eine solche Kulturleistung einfach nicht zutrauen. Das Mißtrauen wurde geschürt von dem Umstand, daß der Übersetzer, James McPherson, den von ihm entdeckten gälischen Originaltext nicht und nicht ver­öffentlichen wollte. Geraume Zeit später war dann ohne Zweifel erwiesen, daß James McPherson den Text nicht übersetzt, sondern verfaßt hatte. Pschschsch, eine Fälschung! Raus war der Zauber und die Verse waren plötzlich gar nicht mehr von archaischer Wucht (was sie immer noch hätten sein müssen, wenn die Beurteilung zuvor von Sachkenntnis geleitet worden wäre).

Das literarisches Kunstwerk und sein Autor

Das Kreuz nämlich ist, daß einerseits ein Text ein Text ist. Andererseits aber ist ein Text auch kontextabhängig. Wenn der Satz "Erwin Pachulke hat, das versichere ich hiermit als Augenzeuge, Herr Kommissar, um ca. 18.00 h den Juwelier Rembremmerding überfallen und erschossen" in einem Polizeiprotokoll steht, dann wird dieser Text nur solange belangvoll sein, bis sich erwiesen hat, daß Erwin Pachulke, ausweislich einer Videoaufzeichnung, um ca. 18.00 h, ca. 300 km vom Tatort entfernt sein Auto betankt hat. Oder bis Pachulke endlich gehängt ist.
Ist derselbe Satz dagegen Teil eines literarischen Kunstwerks, so verlieren weder der Satz als solcher, noch das literarische Kunstwerk an sich das geringste, wenn sich herausstellt, daß der ehdem geschätzte Autor ein - sagen wir mal - Serienmörder ist.
Künstler begehen eher selten Morde, das ist richtig, gelegentlich aber begehen Mörder Kunst. Was ich sagen will: Der Hinweis auf den Serienmörder ist kein ausgedachtes Beispiel. Der Österreicher Jack Unterweger ([3]) wurde wegen mehrerer Morde an Wiener Prostituierten verhaftet und schließlich verurteilt. Während seiner Haftzeit startete Unterweger eine fulminante Karriere als Häfenliterat (in Deutschland würde man Knastpoet sagen), er wurde zum Liebling des österreichischen Feuilletons. Viele Prominente aus Kunst und Politik (unter anderem Elfriede Jelinek, Günter Grass, Erich Fried) setzten sich für seine Begnadigung ein. Unterweger wurde dann tatsächlich vorzeitig entlassen und setzte anschließend seine Karriere als Serienmörder fort.
Ein literarisches Kunstwerk wirkt aus sich heraus. Tut es das nicht, ist es kein Kunstwerk, sondern eine Zumutung. Der Text ist entweder gut oder er ist es nicht, und er wird nicht besser oder schlechter dadurch, daß ich irgendwas über den Autor erfahre. Ich habe mal aus relativer Nähe heraus die Geschichte eines Journalisten erlebt, der unter anderem hochgelobte Bücher geschrieben und als Ghostwriter für einen hochrangigen Würdenträger gearbeitet hat. Dann ist er auf einmal verhaftet worden und wurde schließlich wegen einer sexuellen Straftat zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Als die Vorwürfe gegen ihn bekannt wurden ([4]), hat sich der Würdenträger sofort von ihm distanziert und heftig abgestritten, daß ihm der Mann die Reden geschrieben hätte, und die Bücher wollte auch keiner mehr kaufen. Hm. Wie ich oben sagte: Wenn die Texte vorher gut waren (ich fand sie nicht so toll, auch vorher nicht), dann sind sie es nach dem Skandal immer noch.
Der Text selbst kann seinen Charakter nicht mehr verändern, wenn er erstmal geschrieben ist. Was sich dagegen ändern kann, ist seine Wahrnehmung und Interpretation, wobei letztere, wie gesehen, sehr stark von dem Gewese und Getöse um den Text herum beeinflußt sein kann.



[1]   Die Informationen verdanke ich dem Artikel "Erkennen Sie den Interpreten?" von Reinhard Söll, Mittelbayerische Zeitung, 17.07.1982. Er wiederum gibt als Quelle einen Artikel aus der Zeitschrift "HiFi-Stereophonie" vom Januar 1981 an. Dort wurde das Experiment detailliert beschrieben.
[2]   Es wurden anscheinend nur Auszüge gespielt. Die 4. von Bruckner dauert immerhin über eine Stunde.
[3]   Der für einen Österreicher eher untypische Vorname Jack kommt von seinem Vater, einem GI. Es ist kein Künstlername, obwohl Unterweger vor seiner literarischen Karriere Aktionskünstler war (Bankraub etc.).
[4]   Es wurde damals erst gegen ihn ermittelt, eine Anklage, geschweige eine Verurteilung war noch in weiter Ferne.

Mittwoch, 4. Juli 2018

Die Verzückung der Hl. Teresa von Avila

Über katholische Frömmigkeit und Erotik
Ich habe fünf Jahre lang in der Gemeinde Aldersbach gewohnt. In Aldersbach gibt es nur wenige Meter von der berühmten Klosterbrauerei entfernt die noch viel berühmtere Klosterkirche, die Ende des 18. Jahrhunderts von den Asambrüdern ausgestaltet worden war.
"Zu der Zeit als die Asams die Aldersbacher Kirche gestalteten hatte der normale Aldersbacher Bauer oder Schankwirt keine andere Gelegenheit, Kunst zu betrachten als in der Kirche. Da saß er nun des Sonntags und an den unendlich vielen Feiertagen (fast die Hälfte des Jahres), die es damals im katholischen Raum gab [1], in seiner Bank und schaute. Und er hatte genug zu schauen für ein ganzes Schankwirtsleben.
Heute, da wir von Bildern überflutet und geradezu erdrückt werden, haben wir gar nicht mehr die Geduld, uns eine Stunde oder länger in ein einziges Bild zu vertiefen. Du trittst in die Kirche ein, flüsterst entsetzt 'Jesus, hat's hier viele Bilder und Plastiken' und ziehst dich fluchtartig zurück."
Obige Zeilen hatte ich mal in einem E-Mail-Wechsel mit einer jungen Frau geschrieben, Berlinerin, aber katholisch. Sie hatte mir damals geantwortet: "Aber er geht da nicht hin, um Bilder zu sehen. Bilder ansehen ist Ablenkung. Nicht primär von der Hl. Messe, sondern von, pardon, Gott. (...) Erzähl mir nicht, dass Dein Schankwirt sich die ganze Predigtstunde lang in ein Bild vertieft. Der guckt rum, sieht sich die Engelein und die halbnackten Titten an oder dämmert weg, sobald er sich an den Überfluss gewöhnt hat."
Worauf wiederum ich antwortete:
Es gibt in Rom die Kirche "Santa Maria della Vittoria". In dieser chiesa barocchissima befindet sich die überlebensgroße Skulptur "Die Verzückung der Hl. Teresa von Avila" von Gian Lorenzo Bernini.
Bernini hat das Werk um 1650 im Auftrag des venezianischen Kardinals Federico Cornaro für die Familienkapelle der Cornaros in der Kirche Santa Maria della Vittoria in Rom geschaffen.
"In einem Tabernakel über dem Kapellenaltar ist das Geschehen der 'Unio mystica' der Hl.Theresa von Avila mit Gott gezeigt. (...) Bernini inspirierte sich an einer autobiographischen Erzählung der spanischen Mystikerin Theresa, Ende des 16.Jhdts. gestorben [2], wo sie, in einer explodierenden Verzückung auf Wolken schwebend und der Erde entrückt, sich einem als Jüngling dargestellten Engel hingibt, der einen goldenen Pfeil von oben ihr entgegen schleudert. Das Erleben Gottes, wie es Bernini aus dem Carrara-Marmor herausgewonnen hat, gleicht verblüffend der Darstellung erotischen Erlebens und körperlicher Liebe. Bei der Enthüllung des Werkes soll es damals zu Aufsehen gekommen sein. Die erotischen Ausdrucksformen schienen den mystischen Gehalt zu überdecken. Unverhüllt wird hier gezeigt, wie eine Frau der Erotik Gottes erliegt."
Dabei ist die Darstellung keineswegs der Phantasie eines barocken Bildhauers entsprungen; Theresa selbst schildert ihre mystischen Erfahrungen so körperlich, dass man es gar nicht besser künstlerisch wiedergeben kann, als Bernini es getan hat:
"[Es]wollte der Herr, dass ich den Engel in leiblicher Gestalt sehen sollte. Er war nicht groß, eher klein, aber sehr schön. [...] In den Händen des mir erschienenen Engels sah ich einen langen goldenen Pfeil; an der Spitze seines Eisens schien mir Feuer zu sein; es kam mir vor, als durchbohrte er mit dem Pfeil einige Male mein Herz bis ins Innerste, und wenn er den Pfeil wieder herauszog, war mir, als zöge er den innersten Teil meines Herzens mit heraus. Als er mich dann verließ, war ich ganz entzündet von feuriger Gottesliebe. Der Schmerz war so scharf, dass er mich zu vielen Seufzern trieb, und so groß war die Süßigkeit dieser Qual, dass ich niemals wünschen kann, sie zu verlieren, noch dass meine Seele mit weniger als Gott zufrieden sei. Es ist kein körperlicher Schmerz, sondern ein geistiger, obwohl der Körper Anteil daran hat, großen Anteil. Der Liebesverkehr, der seither zwischen meiner Seele und Gott stattfindet, ist so beglückend, dass ich den gütigen Herrn anflehe, er wolle ihn dem zu kosten geben, der etwa meint, ich würde hier lügen."
(Ebenfalls romaculta.it
Schau dir mal das Gesicht dieser Frau an und du merkst, auf welchen Umwegen barocker Katholizismus den Weg zu Gott findet.
Der Engel lüpft das Gewand Theresas dort, wo der Busen liegt. Und bei Bernini zielt der Pfeil des Engels nicht auf das Herz Theresas, sondern dorthin, wo unter den Falten des Gewandes der Schoß verborgen ist.
Katholische Frömmigkeit ist nichts für Weicheier.



[1]   Die Leute aus den Höheren Ständen (Adel und Hoher Klerus) hatten ewigen Urlaub, für den übergroßen Rest der Bevölkerung war Urlaub undenkbar. Wohin hätten sie auch mit dem Ochsenkarren fahren oder zu Fuß gehen sollen? Ins Nachbardorf, wo es genau so war wie daheim? Und wer hätte dann das Vieh versorgen können? Also hat man zizerlweise Urlaub gemacht, am Hl. Sonntag natürlich und fast jede Woche ein Feiertag.
[2]   Teresa starb übrigens in der Nacht vom 4. auf den 15. Oktober 1582. Astronomisch war es eine ganz normale Nacht, allerdings griff am selben Tag die Gregorianische Kalenderreform.

Montag, 2. Juli 2018

Läppidoitsch

Läppidoitsch ist eine Sprachmode, die sich zunehmend breit macht. Jeder Einfall, der nicht ersichtlich schwachsinnig ist, jedes Produkt, an dem es, abgesehen vom üblichen, nichts zu meckern gibt, ist heute "genial". Jede Sache, die nicht ausgesprochen schlecht ist, vielleicht sogar gut, ist heute (das heißt schon seit über zwanzig Jahren) "super". Und weil "super" ja viel zu schwer zu schreiben und vor allem zu sprechen ist, nennt man das auch gerne "supi".
Und diese... nein, nicht Kinder-, sondern Babysprache (1), breitet sich aus. Der Stuttgarter Platz in Berlin ist der Stutti, das Kottbuser Tor ist das Kotti und was das "Kutschi" ist, habe ich noch nicht rausgefunden. Meiner Erinnerung nach kam das so richtig fett (umgangssprachlich für "deutlich", "weit verbreitet";) in den neunziger oder vielleicht sogar schon späten achtziger Jahren auf. Damals ging der Studi in die Bibi, Schumi profilierte sich als Rennfahrer und Klinsi war der Trainer, Schweini sein Star im Fusi. Der Depri neigt unter diesen Umständen zum Sui. (Nein, auch das mit dem "Depri" und dem "Sui" habe ich nicht erfunden, sondern im Internet gefunden. Es bedeutet genau das, was du dir jetzt in deinen wilden Fieberphantasien denkst.)

In Berlin-Kreuzberg (2) findet man das hier dokumentierte "Späti am Schlesi". Das "Schlesi" ist das Schlesische Tor, ein "Späti" ist... wie erklär ich's nur? Ein Späti ist ein Spätkauf, also ein Laden, der bis in die späte (!) Nacht hinein (3) Waren des täglichen Bedarfs verkauft. (Hier ein Blick in einen Berliner Späti.)

Die Spätis sind noch ein Relikt aus der Inselzeit von West-Berlin (4). Damals galt das bundesdeutsche Ladenschlußgesetz nicht in Berlin, die Geschäfte konnten öffnen und schließen, wie sie lustig waren. Heute gilt das Ladenschlußgesetz zwar auch in Berlin, aber Berlin ist das Neapel von nördlich der Alpen: Gesetze sind unverbindliche Empfehlungen. Wenn der Berliner um 11 Uhr meint, er bräuchte für den Mitternachtskrimi noch gesalzene Erdnüsse, dann geht er zum Späti und kauft sich welche. Deswegen hat der Berliner bis heute nicht gelernt, 24 Stunden im voraus zu denken.
Das Aufmerksamkeitsfenster eines Berliners ist irgendwo zwischen 3 Sekunden und sieben Minuten. Die mit den sieben Minuten gelten bereits als Spitzen-Intellektuelle, die aber aus jeder anderen deutschen Universität rausflögen.

------------------
(1) Ich habe mit meinen Kindern nie-mals Babysprache gesprochen, sondern - buchstäblich und wortwörtlich von der Nabelschnur weg - gepflegtes Hochdeutsch. Den Dialekt, dachten wir uns damals, lernen sie auf der Straße sowieso. Und so war's dann auch.
(2) Ayshe und Ali Öztürk und all die anderen Eingeborenen von Kreuzberg schreiben übrigens X-Berg. Eine radikale Gruppe islamistischer Syrer wollte einmal die ortsansässigen Türken zwingen, statt X-Berg Halbmondsberg zu schreiben. Dem Vernehmen nach hat sich das nicht durchgesetzt, weil es viel zu schwer zu schreiben und vor allem zu sprechen ist. Zudem sollen die Syrer bald schon als Steirer entlarvt worden sein.
(3) Einige der Spätis haben rund um die Uhr geöffnet.
(4) Auch in der DDR hat's Spätis gegeben, obwohl die dort keinen so läppischen Namen hatten.

Streng Vegan

Jetzt hat's auch die Werbung entdeckt, daß nämlich Alkohol streng vegan ist.
Es kommt hinzu, daß du viele Monate lang alleine von Bier leben kannst. Und wenn du einmal im Monat einen Erdepfesalat zum Bier ißt, kommst du solange über die Runden, so lange willst du gar nicht leben.
Zum Wohlsein!

Sonntag, 1. Juli 2018

Kunst ist, wenn man trotzdem lacht

Was ist das?
Das ist wahrscheinlich Kunst,
Weil, was wär's denn sunst?

In Wirklichkeit ist es ein Aschenbecher in der Regionalbahn. Er könnt natürlich genau so gut Arschenbecher heißen, weil Rauchen im Zug sowieso verboten ist..

Stadionbesuch? Scheif auf das Stadion

Das Stadion ist so ziemlich der unkomfortabelste Ort, sich ein Fußballspiel anzuschauen. Wie anders dagegen das Anschauen daheim vor dem Fernsee.
Mußt du pinkeln, hast du bloß ein paar Meter, die Wahrscheinlichkeit, ein Tor zu verpassen ist minimal. Das heimische Sofa ist sehr viel bequemer als die Plastikarschwannen im Stadion (von Stehplätzen red ich schon gar nicht). Die Temperaturen daheim sind allemal erträglicher als die in Manaus oder Semipalatinsk. Der Kommentator erklärt dir, was du auf dem Bildschirm siehst (ich selber würde nie und nimmer ein 4-3-3-System erkennen, selbst wenn es mir erklärt wird).
Und - last but not least - wenn ich nach 30 Minuten (oder weniger) erkenne, daß ich grad ein Scheißspiel anschaue, kann ich den Kasten ausschalten und stattdessen 1 Buch lesen.