Über katholische Frömmigkeit und Erotik
Ich habe fünf Jahre lang in der Gemeinde Aldersbach gewohnt. In Aldersbach
gibt es nur wenige Meter von der berühmten Klosterbrauerei entfernt die noch
viel berühmtere Klosterkirche, die Ende des 18. Jahrhunderts von den
Asambrüdern ausgestaltet worden war.
"Zu der Zeit als die Asams die Aldersbacher Kirche
gestalteten hatte der normale Aldersbacher Bauer oder Schankwirt keine andere
Gelegenheit, Kunst zu betrachten als in der Kirche. Da saß er nun des Sonntags
und an den unendlich vielen Feiertagen (fast die Hälfte des Jahres), die es
damals im katholischen Raum gab [1],
in seiner Bank und schaute. Und er hatte genug zu schauen für ein ganzes Schankwirtsleben.
Heute, da wir von Bildern überflutet und geradezu erdrückt
werden, haben wir gar nicht mehr die Geduld, uns eine Stunde oder länger in ein
einziges Bild zu vertiefen. Du trittst in die Kirche ein, flüsterst entsetzt 'Jesus,
hat's hier viele Bilder und Plastiken' und ziehst dich fluchtartig zurück."
Obige Zeilen hatte ich mal in einem E-Mail-Wechsel mit einer
jungen Frau geschrieben, Berlinerin, aber katholisch. Sie hatte mir damals
geantwortet: "Aber er geht da nicht
hin, um Bilder zu sehen. Bilder ansehen ist Ablenkung. Nicht primär von der Hl.
Messe, sondern von, pardon, Gott. (...) Erzähl mir nicht, dass Dein Schankwirt
sich die ganze Predigtstunde lang in ein Bild vertieft. Der guckt rum, sieht
sich die Engelein und die halbnackten Titten an oder dämmert weg, sobald er
sich an den Überfluss gewöhnt hat."
Worauf wiederum ich antwortete:
Es gibt in Rom die Kirche "Santa Maria della Vittoria". In dieser chiesa barocchissima befindet sich die überlebensgroße Skulptur
"Die
Verzückung der Hl. Teresa von Avila" von Gian Lorenzo Bernini.
Bernini hat das Werk um 1650 im Auftrag des venezianischen
Kardinals Federico Cornaro für die Familienkapelle der Cornaros in der Kirche
Santa Maria della Vittoria in Rom geschaffen.
"In einem
Tabernakel über dem Kapellenaltar ist das Geschehen der 'Unio mystica' der
Hl.Theresa von Avila mit Gott gezeigt. (...) Bernini inspirierte sich an einer
autobiographischen Erzählung der spanischen Mystikerin Theresa, Ende des
16.Jhdts. gestorben [2], wo sie, in einer explodierenden Verzückung
auf Wolken schwebend und der Erde entrückt, sich einem als Jüngling dargestellten
Engel hingibt, der einen goldenen Pfeil von oben ihr entgegen schleudert. Das
Erleben Gottes, wie es Bernini aus dem Carrara-Marmor herausgewonnen hat,
gleicht verblüffend der Darstellung erotischen Erlebens und körperlicher Liebe.
Bei der Enthüllung des Werkes soll es damals zu Aufsehen gekommen sein. Die
erotischen Ausdrucksformen schienen den mystischen Gehalt zu überdecken. Unverhüllt
wird hier gezeigt, wie eine Frau der Erotik Gottes erliegt."
Dabei ist die Darstellung keineswegs der Phantasie eines
barocken Bildhauers entsprungen; Theresa selbst schildert ihre mystischen Erfahrungen
so körperlich, dass man es gar nicht besser künstlerisch wiedergeben kann, als
Bernini es getan hat:
"[Es]wollte der
Herr, dass ich den Engel in leiblicher Gestalt sehen sollte. Er war nicht groß,
eher klein, aber sehr schön. [...] In den Händen des mir erschienenen Engels
sah ich einen langen goldenen Pfeil; an der Spitze seines Eisens schien mir
Feuer zu sein; es kam mir vor, als durchbohrte er mit dem Pfeil einige Male
mein Herz bis ins Innerste, und wenn er den Pfeil wieder herauszog, war mir,
als zöge er den innersten Teil meines Herzens mit heraus. Als er mich dann
verließ, war ich ganz entzündet von feuriger Gottesliebe. Der Schmerz war so
scharf, dass er mich zu vielen Seufzern trieb, und so groß war die Süßigkeit
dieser Qual, dass ich niemals wünschen kann, sie zu verlieren, noch dass meine
Seele mit weniger als Gott zufrieden sei. Es ist kein körperlicher Schmerz,
sondern ein geistiger, obwohl der Körper Anteil daran hat, großen Anteil. Der
Liebesverkehr, der seither zwischen meiner Seele und Gott stattfindet, ist so
beglückend, dass ich den gütigen Herrn anflehe, er wolle ihn dem zu kosten
geben, der etwa meint, ich würde hier lügen."
Schau dir mal das Gesicht dieser Frau an und du merkst, auf
welchen Umwegen barocker Katholizismus den Weg zu Gott findet.
Der Engel lüpft das Gewand Theresas dort, wo der Busen
liegt. Und bei Bernini zielt der Pfeil des Engels nicht auf das Herz Theresas,
sondern dorthin, wo unter den Falten des Gewandes der Schoß verborgen ist.
Katholische Frömmigkeit ist nichts für Weicheier.
[2] Teresa starb übrigens in der Nacht vom 4. auf den 15. Oktober
1582. Astronomisch war es eine ganz normale Nacht, allerdings griff am selben
Tag die Gregorianische Kalenderreform.
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