25.10.18

Der Teufel hat den Schnaps gemacht

Alkoholberatung - Eine Szene

 Gang im Amt


Ein langer, behördenmäßig wirkender Gang in einer Behörde. Ein etwas - aber wirklich nur: etwas - derangiert wirkender Mann geht, die Tür­schil­­der absuchend, den Gang entlang. Schließlich kommt er an eine Tür mit der Auf­schrift: "Alkoholberatung". Er klopft.

STIMME (von drinnen) Herein!

Der Mann tritt ein.

Büro im Amt


Ein kleines, behördenmäßig wirkendes Zimmer in einer Behörde. Hinter dem Schreibtisch ein Beamter, wohl der Alkoholberater, vertieft in ir­gend­wel­che Akten. Er schaut aus den Akten auf, blickt seinen Besucher von unten forschend und wenig freundlich an.

BERATER (barsch) Sie wünschen?

BESUCHER Ich möchte... (druckst) ...ich hätte einen Termin...

BERATER Sie hätten? Haben Sie nun oder hätten Sie nur gerne?

BESUCHER Ich habe.

BERATER Hunger? Kinder? Zahnweh?

BESUCHER Einen Termin.

BERATER Einen Termin?

BESUCHER (nickt) Bei Ihnen.

BERATER Bei mir?

Er schlägt einen dicken Chefkalender auf und  blättert ziellos darin. Wäh­­rend seines Blätterns ist deutlich zu sehen, daß alle Seiten des Ka­len­ders ohne Eintragung sind. Endlich hat er doch eine Seite mit Ein­trag ge­funden.

BERATER Wenn Sie "Lenz" heißen...

BESUCHER Heiße ich.

BERATER Und heute der... (kurzer Blick zurück in den Kalender) ...ach­te Februar ist...

BESUCHER Das ist es.

BERATER Dann haben Sie einen Termin bei mir.

Der Blick des Beraters bleibt an einem Wandkalen­der hängen, auf eine ro­te 8 steht.

BERATER (triumphierend) Nur ist der achte Februar leider ein Sonn­tag.

BESUCHER (nickt) Achtundneunzig ja. Aber wir haben neunzehnhun­dert­neunundneunzig.

BERATER Oh!

Ein genauerer Blick auf den Wandkalender zeigt, daß der Besucher recht hat.

BERATER (zu sich) Das erklärt natürlich, warum ich heute im Büro bin.

Der Berater wird geschäftsmäßig.

BERATER Bitte! (deutet auf den Besucherstuhl) Was kann ich für Sie tun?

Der Besucher nimmt vorsichtig Platz, wobei er nur die vordere Hälfte der Sitzfläche in Anspruch nimmt.

BESUCHER (langsam, zögerlich) Nun, es ist... Meine Frau meint... (gibt sich einen Ruck, spricht auf einmal ganz schnell) Es ist we­gen dem Trinken und ich sollte mal zur Alkoholberatung ge­hen.

BERATER (scharf, vorwurfsvoll) Sie trinken?

Der Besucher nickt zerknirscht mit dem Kopf.

BERATER (vorwurfsvoll ungläubig) Alkohol?

Wieder nickt der Besucher, begleitet von einem leisen Schluchzen, wäh­rend er schuldbewußt in sich zusammensackt. Der Berater, der alles, was er bisher machte, langsam, fast träge gemacht hat, taucht blitzschnell nach unten und zaubert mit einem einzigen Griff eine Schnapsflasche oh­ne Eti­kett, zusammen mit zwei Gläsern im Senfglasformat, auf die Ar­beits­fläche seines Schreibtisches. Die Flasche ist zur Hälfte mit einer was­serklaren Flüssigkeit gefüllt.

BERATER Darf ich Ihnen etwas anbieten?

BESUCHER Äh, nun... Ich dachte eigentlich... (kurzer Moment des Über­legens, der Versuchung, dann Entschluß) Ja, bitte.

Der Berater gießt in beide Gläser reichlich ein, schiebt das eine Glas sei­nem Besucher hin.

BERATER (hebt sein Glas) Prost!

Der Besucher nimmt das Glas, zögernd, hebt es.

BESUCHER Prost.

Während der Besucher einen höflich kleinen Schluck nimmt, trinkt der Be­­rater sein Glas in einem Satz leer. Jetzt traut sich auch der Be­su­cher und Schwupp-di ist sein Glas ebenfalls leer.

BERATER Das war... (deutet fragen, Antwort erwartend auf den Besu­cher)

BESUCHER (Unsicher, ratend) Spitze?

BERATER (winkt ärgerlich ab) Welches Getränk?

BESUCHER Ah so. (blind ratend) Korn?

BERATER (verdreht die Augen über soviel Einfalt nach oben) Ran.

BESUCHER Ran?

BERATER Äh, Rum. Das war Rum.

BESUCHER Rum? Aber ich dachte, Rum wäre...

BERATER Braun. Sie dachten, Rum wäre braun?

Der Besucher nickt zustimmend.

BERATER (triumphierend) Jaaa, das denken viele. Was natürlich haupt­­sächlich daran liegt, daß es richtig ist.

BESUCHER Aber...

BERATER Sie haben sich viel mit Philosophie beschäftigt?

BESUCHER Nnn... Nur wenig, eher. Wissen Sie, in der Berufsschule...

BERATER Wenn Sie auch nur in die Anfangsgründe der Philosophie ein­ge­drungen sind, dann werden Sie wissen, daß es fahrlässig wä­re, aus der Richtigkeit eines Tatbestandes auf die Falschheit sei­­nes Gegenteils zu schließen.

BESUCHER Ach?

BERATER Ja. (dozierend) Rum ist ein Branntwein, der aus Zuckerrohr her­gestellt wird. Zuckerrohr wird vor allem in der Karibik an­ge­­baut und deshalb stammt auch der Großteil der Weltproduktion an Rum von dort, genauer von den Antillen. Seine - wie Sie rich­tig er­kannten - charakteristische braune Farbe hatte er frü­her vom Holz der Fässer, in denen er gelagert wurde, heute al­lerdings kommt sie hauptsächlich von zugesetzter, so­ge­nann­ter "Zuc­­ker­cou­leur", also braunem Zuckersirup. Brauner Rum hat ein ausge­sprochen kräftiges Aroma, während Weißer Rum (deutet auf die Schnapsflasche, gießt dann, während er weiterredet, noch­mal die beiden Gläser voll, so daß die Flasche jetzt leer ist) ei­nen er­heblich zarteren Geschmack besitzt.

Der Berater hebt sein Glas, der Besucher tut es ihm nach und wieder lee­­ren sie das Glas in einem Zug.

BERATER Schmecken Sie's?

BESUCHER Öh...

BERATER Schmeckt nach fast nichts.

BESUCHER Ja.

BERATER Außer einem leichten Nachgeschmack, der ein wenig an Al­ko­hol erinnert.

Der Berater lacht herzlich über seinen Witz, während er mit eleganter, gro­ßer Geste die leere Flasche in den Papierkorb wirft, wo sie klirrend auf eine anscheinend dort bereits befindliche Flasche trifft.

BERATER Ganz anders dagegen...

Der Berater taucht wieder in bewundernswerter Schnelligkeit und Eleganz nach unten und holt aus dem Schreibtisch eine weitere Schnapsflasche her­­aus, diesmal mit einer braunen Flüssigkeit.

BERATER ...der hier.

Obwohl die Flasche noch reichlich voll ist, gießt der Berater eine win­zige, gerade mal den Boden bedeckende Menge der Flüssigkeit in beide Glä­­ser.

BERATER Das ist brauner Rum.

Beide trinken, diesmal jedoch, angesichts der geringen Menge, schlück­chen­weise, bedächtig, schlürfend, in der Manier professioneller Weinko­ster.

BESUCHER Schmeckt kräftiger, ja.

BERATER (diabolisch grinsend) Ist aber kein Rum.

BESUCHER (trotzig, will sich nicht länger verarschen lassen) Schmeckt aber wie Rum.

BERATER Jaaa... Zwischen Rum und "Rum" liegen Welten. Was Sie hier­zu­lande als "Rum" (spuckt das Wort verächtlich aus) zu kaufen krie­­gen, sowas zum Beispiel (deutet auf die Fla­sche), ist le­dig­lich auf Trinkstärke verdünnter Originalrum.

BESUCHER Verdünnt?

BERATER (nickt) Richtig. Mit Wasser verdünnt auf 38 bis knapp 50 Pro­­zent. Auf Jamaica oder Haiti oder so wird dagegen Original­rum - und das sind Wässerchen zwischen 65 und 80 Pro­zent - her­ge­stellt und abgefüllt.

BESUCHER (bewundernd) Und getrunken?

BERATER Und getrunken.

Der Berater strahlt bei dieser Botschaft. Er bückt sich erneut zu sei­nem Schreibtischfach hinunter und holt - diesmal allerdings schon ein Stück­­chen langsamer und deutlich weniger elegant - eine dritte Flasche mit brauner Flüssigkeit heraus. Er gießt für beide ein, diesmal wieder das gan­ze Glas voll. Der Besucher riecht vorsichtig an seinem Glas.

BESUCHER Riecht stark.

BERATER Ist stark.

Der Berater hebt sein Glas, auch der Besucher greift danach.

BERATER Auf das Echte und Wahre!

Erneut kippen beide die braune Brühe wie Cola in ihren Hals. Während der Be­rater auch diesen höchstprozentigen Schnaps mit unbewegter Miene trinkt, muß der Besucher heftig jappsen und husten.

BERATER (lacht) Wenn er zu stark ist, bist du zu schwach. Apropos "du" - wie heißt du eigentlich?

BESUCHER (müht sich, zwischen zwei Hustenanfällen) Erwin.

BERATER Ich heiße Günther. Mit Te-Ha. Apropos "Te-Ha" - was weißt du über Whisky?

BESUCHER Whisky? Ist auch ein Schnaps.

BERATER (kichert) Auch ein Schnaps. Mir scheint, du hast wirk­lich eine gründliche Alkoholberatung nötig.

Der Berater bückt sich in sein Flaschendepot, recht langsam und tapsig in­zwischen, taucht nach einer Weile wieder auf.

BERATER Der Whisky, wo ist der Whisky?

Er geht bedächtig und konzentriert - was nötig ist - zu einem ver­schlos­­senen Aktenschrank, läßt den Rollverschluß herunter. Der ganze Ak­ten­schrank ist voller - an den Regalböden säuberlich beschrifteter - Schnapsflaschen.

BERATER Wh... Wh...

Er sucht in der Gegend des Buchstabens F.

BERATER (über die Schulter zum Besucher gewandt) Der Whisky muß im Ar­chiv...

Jetzt erst merkt er, daß sein Besucher inzwischen das Büro verlassen hat.

Gang im Amt


Völlig geschafft, verwirrt mit dem Kopf wackelnd verläßt der Besucher die Al­koholberatungsstelle. Er kramt ein wenig in den weiten Taschen sei­nes rie­sigen Regenmantels, holt schließlich einen Flachmann heraus und nimmt gie­rig einen tiefen Zug.

BESUCHER (inbrünstig) Aaahhh!

Eine junge Frau kommt beschwingten Schrittes und fröhlich summend den Gang entlang, in der Armbeuge ein Aktenstapel. Sie geht an dem Besucher vor­­bei, auf die Tür mit der Aufschrift "Alkoholberatung" zu. Der Be­su­cher ver­sucht, sie mit einer erschrockenen Geste aufzuhalten.

BESUCHER Gehen Sie da nicht rein!

Die junge Frau schaut fragend.

BESUCHER Gehen Sie da um Himmels Willen nicht rein!

ANGESTELLTE Nein?

BESUCHER (entschieden) Nein. Da drinnen sitzt ein Verrückter.

Die junge Frau lacht.

ANGESTELLTE Wem sagen Sie das? Aber Chef ist Chef.

Dreht sich um und ist auch schon im Büro der Alkoholberatung verschwun­den. Der Besucher nimmt einen weiteren Schluck aus seinem Flachmann. Schlurft kopfschüttelnd davon.

Chillen

Es gab mal 1 Zeit, da hab ich in der Schule Englisch gelernt. Viel lernt man dort nicht, das hab ich aber erst viel später gelernt. Gut, die üblichen Schweinereien wie fuck und cunt und trallala lernten wir schon, wenn auch nicht in der Schule [1].
Ich war schon über fünfzig, wir lebten damals in Italien [2] und machten eines Tages einen kleinen Ausflug die nahegelegene Cilento-Küste entlang. Wir gingen dann in ein arabisches Lokal dortselbst, in welchem ich mich weigerte, Hummus zu essen. Dabei bin ich 1 großer Freund von Hülsenfrüchten, Grüne Bohnen, Weiße Bohnen, Saubohnen oder Linsen. Aber Kichererbsen... Mir balst nicht gangst. Ich hab diesen Cicero noch nie gemocht.
Man saß dort übrigens auf Kissen, wenige Zentimeter nur vom Boden entfernt. Daheim hab ich manchmal Anfälle, wo ich mich wie ein Narr auf dem Teppich wälze, aber in einem Lokal...
Man sollte den Arabern nicht das Christentum predigen, sondern den Stuhl. Der Stuhl ist nicht das Wesentliche, aber es wär schon mal 1 Anfang auf dem Weg zur Zieh-Viel-Isation. Bei der Gelegenheit fallen mir die chinesischen, beziehungsweise japanischen Eßstäbchen ein. Ich hab mich noch stets geweigert, dieses Zeug zu benutzen. Ich mein, verglichen mit der Gabel sind diese Stäbchen so was von veralteter Technologie, das glaubst du nicht. Du rechnest doch heute auch nicht mehr mit römischen Zahlen... Was für eine Scheiße muß man den Leuten ins Hirn schubsen, damit sie freiwillig mit Stäbchen essen, obwohl es seit Jahrhunderten sehr viel einfacher geht...
Aber ich weiche ab vom Thema. In diesem arabischen Lokal (vom Cilento aus ist es Luftlinie näher nach Tunis als nach Mailand) sah ich ein Schild "chilling room", das mich ins Grybeln brachte.
"Bittschön", frug ich meine Mischpoke, "was ist ein chilling room?" Meine Frau und meine beiden Söhne schauten mich an, als ob ich nicht ganz richtig wär im Hirn. Das taten sie öfter, aber... diesmal wußten sie es selber nicht. Meine Söhne hatten zwar Handys, aber die waren so was von old school, damit konnte man nur telefonieren, man stelle sich vor...
Ich hab's dann intuitiv probiert, das heißt ich wollte die Bedeutung vom Wortklang ableiten. Tschill, tschill, das klingt dynamisch, ja sportlich. Ein chilling room mußte demnach so eine Art Fitneß-Raum sein, mit Hanteln, Sprungseilen und Armdrück-Maschinen. Oder, noch besser...
Tschillen klingt so was von dynamisch, daß es schon wieder aggressiv klingt. Tschillen mußte eine asiatische Kampfsportart sein, dachte ich mir. Hu, ha, he und mit der Handkante einen Ziegelstein zertrümmert.
Es war dann doch anders.


[1]   Obwohl, "cunt" kenn ich von Wilhelm Schecksbier.
HAMLET
Lady, shall I lie in your lap?
OPHELIA
No, my lord.
HAMLET
I mean, my head upon your lap?
OPHELIA
Ay, my lord.
HAMLET
Do you think I meant country matters?
OPHELIA
I think nothing, my lord.
HAMLET
That’s a fair thought to lie between maids' legs.
OPHELIA
What is, my lord?
HAMLET
Nothing.
OPHELIA
You are merry, my lord.
HAMLET
Who, I?
OPHELIA
Ay, my lord.
Hamlet, Act 3, Scene 2
In Shakespeare’s time, “nothing” (or “0”) was slang for the vagina.

[2]   Das ist diese stiefelförmige Halbinsel im Süden von Oi Ropa.