Sonntag, 27. Juni 2010

"Richard III.", bzw. "Kasperl und das Krokodil"

Inzwischen ist es ein Jahr her, daß ich Shakespeares "König Richard III." zum zweiten Mal gelesen habe. Seit der ersten Lektüre habe ich immer wieder mal Auszüge daraus gelesen, gesehen oder gehört. Fast immer die üblichen:
- Eingangsmonolog
- Richard und Lady Anne an der Leiche von deren Schwiegervater
- Schlußszene (nur echt mit dem Pferd, dem Pferd und dem Königreich).

Und fast immer war ich beeindruckt von den Szenen und den Schauspielern, von Laurence Olivier bis zu Heinz Bennent (sagenhaft!).
Nie ist mir etwas aufgefallen. Und jetzt, beim Wiederlesen war es fast ein Schock (wenn das Wort für ein Leseerlebnis nicht gar so unpassend wäre).
Noch bevor irgend etwas passiert ist tritt der Held auf und sagt dem Publikum, daß er ein Schurke sei. Und nicht nur das, er analysiert auch noch ganz cool, warum er das sei und ein noch größerer werden wolle.

Ich, um dies schöne Ebenmaß verkürzt,
Von der Natur um Bildung falsch betrogen,
Entstellt, verwahrlost, vor der Zeit gesandt
In diese Welt des Atmens, halb kaum fertig
Gemacht, und zwar so lahm und ungeziemend,
Daß Hunde bellen, hink' ich wo vorbei;
Ich nun, in dieser schlaffen Friedenszeit,
Weiß keine Lust, die Zeit mir zu vertreiben,
Als meinen Schatten in der Sonne spähn
Und meine eigne Mißgestalt erörtern;
Und darum, weil ich nicht als ein Verliebter
Kann kürzen diese fein beredten Tage,
Bin ich gewillt, ein Bösewicht zu werden
Und feind den eitlen Freuden dieser Tage.
Anschläge macht' ich, schlimme Einleitungen,
Durch trunkne Weissagungen, Schriften, Träume,
Um meinen Bruder Clarence und den König
In Todfeindschaft einander zu verhetzen.

Und in den folgenden Szenen passiert es mindestens zweimal, daß Richard einem anderen etwas vorsäuselt und dann beiseite spricht, wobei er dem Publikum seine wahren (bösen, versteht sich) Absichten verrät.

Mir ist natürlich klar, daß das Londoner Theaterpublikum zu Shakespeares Zeiten noch vor dem Betreten des Theaters wußte, daß Richard ein Bösewicht ist. Richards Tod lag damals nur etwas mehr als hundert Jahre zurück und diese hundert Jahre hat die Tudor-Propaganda fleißig benutzt, die Legende vom Bösen König Richard zu erfinden und auszugestalten. So gesehen wäre der Eingangsmonolog nur ein historischer Nachhilfeunterricht für die groundlings auf den billigen Plätzen gewesen.
Aber auch dann bleibt der merkwürdige Umstand, daß der Titelheld Richard von Gloucester als Figur nicht allmählich entwickelt wird und sich nach und nach als Bösewicht darstellt, sondern mit einem Donnerschlag auftritt.
Na ja, "Donnerschlag", wohl eher Pritschenklatschen:
"Also, liebe Kinder, ich bin das Böse Krokodil und ich will jetzt dem Kasperl und seiner lieben Großmutter auflauern, damit ich sie beide fressen kann."

Ich hatte diese Überlegungen vor einigen Monaten schon mal im Usenet zur Debatte gestellt und dabei - erwartungsgemäß - Widerspruch geerntet.
Einer meinte, Richard sage "ja zu Beginn noch nicht, wie er böse sein" wolle, das sei dann "der Inhalt der 5 Akte".
Ich antwortete ihm, daß mich das nicht weiter gewundert und schon gar nicht gestört hätte. Dieses Brecht'sche "Nicht Spannung auf den Ausgang, sondern Spannung auf den Gang" hat Shakespeare andernorts schon mal vorweggenommen, 300 Jahre vor Brecht.
"And never was a story of more woe, than that of Juliet and her Romeo" heißt es in einer Art Vorspiel.
Im "Richard III." ist das aber nochmal was anderes. Der Held tritt nicht augenzwinkernd auf und verrät dem Publikum die Story (die das Publikum damals ohnehin kannte, besser als die meisten Menschen heute), sondern er charakterisiert sich selbst, am Anfang, noch ehe etwas passiert ist. Eine (mit Einschränkungen) vergleichbare Selbstanalyse des Helden findet man in Brechts "Leben des Galilei", aber da kommt sie am Schluß, nachdem die Story erzählt worden ist.
Mir ist klar, daß "Richard III." kein Whodunnit-Krimi ist, bei dem sich Publikum und Hauptpersonen fragen, wer wohl hinter den mysteriösen Todesfällen im Umkreis des Königshauses stecke. Selbst wenn man den Eingangsmonolog um die Selbstbezichtigung Richards kürzen würde, würde schnell klar, wie der Hase läuft.

Ein anderer meinte, man sage, daß der Erste, der "Liebe" auf "Triebe" gereimt habe, ein Genie gewesen sei, die tausende Nachahmer dagegen lauter Idioten. Vielleicht sei Shakespeare eben nur der erste gewesen, der den Täter gleich zu Beginn vorgestellt habe.
Ich stellte die Frage, ob es denn Nachahmer gegeben habe, die diesen Kunstgriff übernommen hätten und ich meinte damit nicht "Kasperl und das verschwundene Marmeladenglas". Welches Stück gibt es noch, in dem die Hauptperson am Anfang auf die Bühne tritt und spricht: "Also Leute, ich bin der Erwin, ich bin eine gottverdammte Drecksau, weil ich eine schwere Kindheit hatte und überdies einen Buckel. Schwamm drüber, jedenfalls bin ich eine Drecksau und jetzt schaumermal was für Schweinereien ich noch verüben kann."

Ein Dritter legte mir einen Link ans Herz, bei dem ich aus dem Gespräch von Truffaut mit Hitchcock ("Wie haben Sie das gemacht, Mr. Hitchcock?") lernen könnte, warum Autoren mitunter so schwatzhaft seien, wenn sie das Publikum in Spannung versetzen wollen.
Die Empfehlung brachte mich nicht weiter, es ging in dem Auszug um die Spannung, die aus dem Wissen des Publikums und dem Nicht-Wissen der Akteure entsteht. Im "Richard III." aber ist so eine Spannung gar nicht da. Keine der Hauptpersonen macht sich - und das von Anfang an - irgendwelche Illusionen über die Gefährlichkeit und Skrupellosigkeit von Richard, selbst die Komplicen Richards wissen, daß sie mit einer hochgefährlichen Giftschlange arbeiten. Ich sehe da sehr wenig Spannung, es werden keine Erwartungen enttäuscht, niemand wundert sich, niemand ist desillusioniert. Die Hauptpersonen des Stücks wissen genau so klar wie das Publikum, was für ein Schurke Richard ist.
Lady Anne bespeit Richard, er beschwatzt sie, sie lenkt am Schluß des Dialoges, wenn auch halbherzig, ein. (Warum eigentlich? Die Schönheit Richards - bei dessen Anblick die Hunde heulen, wenn er nur vorübergeht - kann es nicht sein.) Als sie wieder auftritt ist sie bereits mit Richard verheiratet und eine verängstigte, eingeschüchterte Frau. Kein Hinweis im Text, warum sie sich entschlossen hat, ihn nun doch zu heiraten.
Der naheliegende Einwand (der auch tatsächlich kam), man habe damals "in diesen Kreisen nach reinem Machtkalkül" geheiratet, "wenn man nicht gar das kleinere von zwei Übeln" gewählt habe, und sei es das nackte Leben zu retten, sticht nicht recht. Wie alle Hauptpersonen des Dramas weiß auch Lady Anne, daß der gefährlichste Platz im Königreich England die Nähe Richards ist.

Noch nicht einmal das Ende Richards baut irgendeine Spannung auf, kein retardierendes Moment, alles läuft geradlinig auf seine Vernichtung zu. Macbeth, ein anderer Schurke Shakespeares, kann sich noch eine Weile in Sicherheit wiegen, denn nach der Weissagung werde er nur sterben, wenn der Wald von Birnam auf sein Schloß zurücken werde, er könne überdies nur von einem getötet werden, der nicht von einer Frau geboren worden sei.
Bei Richard dagegen... Gleich am Anfang verfluchen ihn eine Menge Leute (siehe den fast schon komödiantische Wettstreit der Frauen darüber, welche von ihnen unter Richard am meisten gelitten habe: Ich habe viel gelitten - Und ich noch mehr - Aber ich, ätsch, hab am meisten gelitten). Im Laufe des Stückes werden die Flucher mehr und vor der Schlacht treten dann die Geister der Erschlagenen auf. Sie gehen zu Richard und nennen ihn Drecksau, schlappen rüber zu Richmond (dem späteren Heinrich VII.) ins feindliche Lager und muntern ihn auf: "Würg ihn, Heinrich, mach ihn alle."

Einem Anfänger, der so ein Stück bei einem Theater einreichen würde, bekäme sein Manuskript vom Dramaturgen um die Ohren gehaut.
Versteh ich wieder mal ganz einfach nicht, was los ist oder ist das Drama wirklich so schlicht gestrickt? Oder konkreter: Ist dieser Ausflug von Shakespeare ins Kasperltheater ein dermaßen raffinierter dramaturgischer Schachzug, daß er über mein Begriffsvermögen geht - oder nicht. Und wenn er so raffiniert ist, warum ist er das? Was geht hier vor?

Oder ist es einfach so, daß "Richard III." eine Folge brillanter und äußerst bühnenwirksamer Szenen ist, mitnichten aber ein Theaterstück?

Freitag, 18. Juni 2010

Todesstrafe

Die Frage, ob man die Todesstrafe nun endlich wieder einführen sollte, ist derzeit gottlob nicht unter den Säuen, die durchs Dorf getrieben werden.

Sollte sie wieder einmal auftauchen, so empfehle ich, den Blick in die Vereinigten Staaten zu richten. Dort beantwortet man anscheinend die Frage "Todesstrafe oder Lebenslänglich?" mit einem Kompromiß: Beides, vollstreckt an der gleichen Person.

Heute ist den Nachrichten zu entnehmen, daß in Utah ein Mörder erschossen worden ist, nachdem er zuvor 25 Jahre in der Todeszelle zugebracht hat. In Deutschland werden Lebenslängliche in aller Regel nach spätestens 25 Jahren begnadigt und also entlassen.

Der Mensch is a Viech. Vor allem der Amerikaner.

Mittwoch, 16. Juni 2010

Vuvuzela

So ein Schmarrn, das heißt "Uwe Seeler" und nicht "Vuvu Zela". Und laut war der Uwe Seeler noch nie.

Sonntag, 6. Juni 2010

Ars gratia artis

"Ars", sag ich, "Ars"
Und "Gratia artis" ruf ich hinterher.

"Dieser Aufwand", wandte Werner ein, "nur um nicht 'Arschloch' sagen zu müssen".

Mittwoch, 2. Juni 2010

Atheismus - südliche Variante

oder
Peppone und ich

Personen:
ICH
DER ANDERE

Ein Raum in einem Haus in einer Gegend

ICH Bayern ist ein Land, in dem auch Atheisten beim Betreten eines Raumes "Grüß Gott" sagen und nich bloß "Tach".
DER ANDERE In Bayern sind halt sogar die Atheisten katholisch.
ICH Ja mei, Atheismus so ganz ohne Gott ist halt auch nichts.


Das hört sich jetzt alles ein bisserl abgedreht an, so als wenn's nicht wahr waar. Wer's nicht glaubt, dem erzähle ich jetzt von einem meiner Lieblingshelden - Peppone, dem kommunistischen Bürgermeister aus den "Don Camillo"-Geschichten. Diese Geschichten spielen in Boscaccio in der Po-Ebene, also im südlicheren Südbayern, aber das ist im Grunde wurscht.

Peppone predigt Atheismus und Kommunismus (und damals lebte Stalin noch), aber als sein kleiner Sohn auf den Tod liegt, schleicht er des Nachts heimlich in die Kirche, einige Kerzen unter dem Mantel. Die zündet er vor der Madonna an (ausdrücklich nicht vor ihrem Herrn Sohn, der es Peppones Meinung nach zu sehr mit den Reaktionären hält) und fleht sie um das Leben seines Sohnes an.
Peppone entzündet die Kerze vor der Madonna - und bleibt trotzdem Kommunist und Atheist. Sein Handeln ist pure Inkonsequenz, dergleichen findet keine Gnade vor einem streng denkenden deutschen Hirn, ein Italiener geht mir dergleichen Inkonsequenz sehr viel lockerer um. Es ist diese romanische Inkonsequenz, die mich schon als Jugendlichen fasziniert hat, als ich die Don-Camillo-Filme das erste Mal gesehen habe.

Wie aber kann das gehen, knallharter Materialist sein und sich dennoch der magischen Praktiken der Religionen bedienen? Als Psychologe lernst du, was alles an Suggestion und Autosuggestion möglich ist, von den Wundmalen Christi der Therese von Konnersreuth bis zum Tod durch einen Voodoo-Zauber.
Gebete oder Meditationen sind im Grunde nichts anderes als hochentwickelte - da in vieltausendjähriger Praxis erprobte - Methoden der Autosuggestion. Ein Medikament nehmen, wenn du krank bist, ist eine feine Sache. Wenn es dich aber gesund macht, daß du "Hula-Hula" rufend im Kreis um eine Eiche im Wald tanzt, dann tu das um Gottes Willen! Besser mit dubiosen Methoden überleben als mit konsequentem Denken untergehen!