Donnerstag, 28. Februar 2019

Menschenrechte

Was an den Allgemeinen Menschenrechten auffällt, ist der Umstand, daß während fast der gesamten bekannten Menschheitsgeschichte fast niemand auf die Idee kam, diese Menschenrechte zu formulieren oder gar durchzusetzen. Zehntausende von Jahren lang hat anscheinend niemand die Menschenrechte vermißt, zehntausende von Jahren lang war es eine Selbstverständlichkeit, daß Menschen im Besitz von Menschen waren.
Schon immer gab es wirtschaftlich gute und schlechte Zeiten. Die schlechten Zeiten kamen durch äußere Ereignisse zustande: Dürre oder übermäßiger Regen vernichtete, bzw. reduzierte die Ernte, fremde Heere verwüsteten die Felder oder fällten die Olivenbäume. Erst seit dem Kapitalismus gibt es schlechte Zeiten, die aus dem Wirtschaftssystem selber kommen, periodisch, unvermeidbar. Konjunkturschwankungen. Erst seit dem Kapitalismus führt Überproduktion, also ein Zuviel an gesellschaftlich erzeugtem Reichtum zu Krise und damit Armut.
Diese periodischen Konjunkturschwankungen machen den Besitz von Menschen unattraktiv für die Besitzenden. Der Sklave, der Leibeigene, der mir gehört und den ich umsorgen muß, weil er mein Eigentum ist, ist unattraktiv geworden. Gefragt ist der Freie Lohnarbeiter, den ich miete, wenn ich ihn brauche und wieder rauswerfe, pardon: freisetze, wenn ich ihn nicht mehr brauche. In der Französischen Revolution wurde die Freiheit des Lohnarbeiters, sich ausbeuten zu lassen erkämpft. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.
Als sich die Nachricht vom Sturz des Ancien Régime und von der Geburt der Republik der Gleichheit bis in die französische Kolonie Haiti herumgesprochen hatte, hielten die dortigen Negersklaven dies für eine wahnsinnig gute Idee. "Genau, wo der Robespierre recht hat, hat er recht, wir sind alle gleich. Sklave und Sklavenhalter sind veraltete Modelle, eine Gesellschaft aufzubauen. Also, Leute, wir verpissen uns von den Plantagen, baut euer Zuckerrohr selber an."
Das kam nicht gut an bei den Sklavenhaltern. Hoppala, so war das mit der Gleichheit nicht gemeint. Toussaint Louverture dagegen meinte, doch, genauso sei das gemeint.
Und so wurde Haiti zur ersten Negerrepublik Amerikas.
Arbeitsverhältnisse, in denen der Arbeiter völ­lig rechtlos ist, nennt man heute gerne "mo­der­ne Sklaverei". Das ist natürlich eine ver­harm­lo­sende Wortwahl. In der Klassischen Sklaverei waren die Sklaven Besitz des Sklavenhalters, Besitzende gehen - soweit dies irgend möglich ist - pfleglich mit ihrem Eigentum um, nicht aus Menschlichkeit, sondern aus egoistischen Interessen. Klassische Sklavenhalter haben einen Teil ihrer Sklaven nicht von den Plantagen gejagt, wenn der Zuckerrohrpreis auf dem Weltmarkt sank. Bei einem Anstieg der Preise hätten sie nämlich für teures Geld neue Sklaven kaufen oder selber im Dschungel einfangen müssen.
Ach, die gute alte Sklaverei.

Ich erinnere mich dumpf an einen jungen Mann aus Nazareth, der in seinem Nachdenken über Allgemeine Menschenrechte schon ziemlich weit gekommen war. ("Was ihr dem Geringsten meiner Brüder - ja gut, auch bei ihm waren Frauen noch nicht erfunden - getan habt, das habt ihr mir getan." - Was für ein Satz!)
Andererseits fällt mir Aristoteles ein, ansonsten alles andere als ein Plattkopf, der in seiner "Politik" geradezu haarsträubend einfältig und tautologisch über die Sklaverei räsoniert.
Denn was mit Verstand voraus zu sehen vermag, ist von Natur aus das Herrschende, was aber mit seinem Körper das Vorgesehene auszuführen vermag, ist das von Natur Beherrschte und Dienende. Darum ist auch der Nutzen für Herrn und Sklave derselbe. (...) Bei den Barbaren freilich haben das Weibliche und das Beherrschte denselben Rang. Dies kommt daher, dass sie das von Natur Herrschende nicht besitzen, sondern die Gemeinschaft bei ihnen nur zwischen Sklavin und Sklave besteht. Darum sagen die (griechischen) Dichter: "Dass Griechen über Barbaren herrschen, ist gerecht", da nämlich von Natur der Barbar und der Sklave dasselbe sei...
(...)
Sprechen wir nun zuerst über die Hausverwaltung (das griechische Wort für Hausverwaltung ist οἰκονομία, oikonomia; W. H.). Denn jeder Staat ist aus Häusern zusammen gesetzt. Die Teile der Hausverwaltung sind wiederum jene, aus denen sich das Haus zusammen setzt. Das vollständige Haus setzt sich aus Sklaven und Freien zusammen...
Da der Besitz ein Teil des Hauses ist und die Lehre vom Besitz ein Teil der Lehre von der Hausverwaltung (denn ohne die notwendigen Güter kann man weder leben noch vollkommen leben), und da wie für die einzelnen bestimmten Handwerkskünste die zugehörigen Werkzeuge vorhanden sein müssen, wenn die Aufgabe erfüllt werden soll ( von den Werkzeugen sind die einen beseelt und anderen unbeseelt, wie etwa für den Steuermann das Steuer ein unbeseeltes und der Steuergehilfe ein beseeltes Werkzeug ist - denn beim Handwerk steht der Gehilfe im Rang eines Werkzeuges), so ist auch für den Hausverwalter der Besitz im einzelnen ein Werkzeug zum Leben und im Ganzen eine Sammlung solcher Werkzeuge und der Sklave ein beseelter Besitz. Jeder Diener ist gewissermaßen ein Werkzeug, das viele andere Werkzeuge vertritt. Wenn nämlich jedes einzelne Werkzeug auf einen Befehl hin, oder einen solchen schon voraus ahnend, seine Aufgabe erfüllen könnte..., wenn also das Weberschiffchen so webte und das Plektron so Kithara schlüge, dann bedürften weder die Baumeister der Gehilfen, noch die Herren der Sklaven.
Von einem Besitzstück redet man gleich wie von einem Teil. Der Teil ist nun nicht nur der Teil eines Anderen (eines Ganzen) sondern gehört überhaupt einem Anderen (dem Ganzen. Ein Teil ist niemals selbständig, sondern immer Teil eines Ganzen.) So auch das Besitzstück. Darum ist der Herr (als ein eigenständiges Ganzes) bloß Herr des Sklaven, gehört ihm aber nicht; der Sklave dagegen ist nicht nur Sklave des Herren, sondern gehört ihm ganz.... Der Mensch, der seiner Natur nach nicht sich selbst, sondern einem anderen gehört, ist von Natur ein Sklave; einem anderen Menschen gehört, wer als Mensch ein Besitzstück ist, das heißt ein für sich bestehendes, dem Handeln dienendes Werkzeug...
(...)
Die Seele regiert über den Körper in der Weise eines Herrn...Daraus wird klar, dass es für den Körper naturgemäß und zuträglich ist, von der Seele beherrscht zu werden; ebenso für den leidenschaftsbegabten Teil der Seele (die Leidenschaften des Menschen) vom Geiste und vom vernunftbegabten Teil beherrscht zu werden; Gleichheit oder ein umgekehrtes Verhältnis wäre für alle Teile schädlich.
(...) Diejenigen, die so weit voneinander verschieden sind wie die Seele vom Körper und der Mensch vom Tier (dies gilt bei allen denjenigen, deren Aufgabe die Verwendung ihres Körpers ist und bei denen dies das Beste ist, was sie leisten können), diese sind Sklaven von Natur und für sie ist es...besser auf die entsprechende Art regiert zu werden.
Von Natur ist also jener ein Sklave, der einem anderen zu gehören vermag und ihm darum auch gehört, und der so weit an der Vernunft teil hat, dass er sie annimmt, aber nicht selbständig besitzt.
Die Weisheit in einem Satz zusammengefaßt: Der Sklave ist ein Sklave, weil er halt ein Sklave ist, da kannst nix machen.
Klar, Aristoteles mußte so argumentieren, er lebte in einer Welt, in der seine eigene materielle Existenz von Sklaven gesichert wurde. Die Abschaffung der Sklaverei hätte ihn seine behagliche Existenz als Freier Philosoph gekostet.
http://theodor-rieh.de/heinrich/Bilder/IDEAL.GIF
Friedrich Engels hat eine - durchaus nicht satirisch gemeinte - Verteidigung der antiken Sklaverei geschrieben. ("Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft", 2. Abschnitt, IV. Gewaltstheorie)
Die naturwüchsige Arbeitsteilung innerhalb der ackerbauenden Familie erlaubte auf einer gewissen Stufe des Wohlstands die Einfügung einer oder mehrerer fremden Arbeitskräfte. Dies war besonders der Fall in Ländern, wo der alte Gemeinbesitz am Boden bereits zerfallen oder doch wenigstens die alte gemeinsame Bebauung der Einzelbebauung der Bodenanteile durch die entsprechenden Familien gewichen war. Die Produktion war so weit entwickelt, daß die menschliche Arbeitskraft jetzt mehr erzeugen konnte, als zu ihrem einfachen Unterhalt nötig war; die Mittel, mehr Arbeitskräfte zu unterhalten, waren vorhanden; diejenigen, sie zu beschäftigen, ebenfalls; die Arbeitskraft bekam einen Wert. Aber das eigne Gemeinwesen und der Verband, dem es angehörte, lieferte keine disponiblen, überschüssigen Arbeitskräfte. Der Krieg dagegen lieferte sie, und der Krieg war so alt wie die gleichzeitige Existenz mehrerer Gemeinschaftsgruppen nebeneinander. Bisher hatte man mit den Kriegsgefangnen nichts anzufangen gewußt, sie also einfach erschlagen, noch früher hatte man sie verspeist. Aber auf der jetzt erreichten Stufe der »Wirtschaftslage« erhielten sie einen Wert; man ließ sie also leben und machte sich ihre Arbeit dienstbar. So wurde die Gewalt, statt die Wirtschaftslage zu beherrschen, im Gegenteil in den Dienst der Wirtschaftslage gepreßt. Die Sklaverei war erfunden. Sie wurde bald die herrschende Form der Produktion bei allen, über das alte Gemeinwesen hinaus sich entwickelnden Völkern, schließlich aber auch eine der Hauptursachen ihres Verfalls. Erst die Sklaverei machte die Teilung der Arbeit zwischen Ackerbau und Industrie auf größerm Maßstab möglich, und damit die Blüte der alten Welt, das Griechentum. Ohne Sklaverei kein griechischer Staat, keine griechische Kunst und Wissenschaft; ohne Sklaverei kein Römerreich. Ohne die Grundlage des Griechentums und des Römerreichs aber auch kein modernes Europa. Wir sollten nie vergessen, daß unsere ganze ökonomische, politische und intellektuelle Entwicklung einen Zustand zur Voraussetzung hat, in dem die Sklaverei ebenso notwendig wie allgemein anerkannt war. In diesem Sinne sind wir berechtigt zu sagen: Ohne antike Sklaverei kein moderner Sozialismus.
Es ist sehr wohlfeil, über Sklaverei und dergleichen in allgemeinen Redensarten loszuziehn und einen hohen sittlichen Zorn über dergleichen Schändlichkeit auszugießen. Leider spricht man damit weiter nichts aus als das, was jedermann weiß, nämlich daß diese antiken Einrichtungen unsern heutigen Zuständen und unsern durch diese Zustände bestimmten Gefühlen nicht mehr entsprechen. Wir erfahren damit aber kein Wort darüber, wie diese Einrichtungen entstanden sind, warum sie bestanden und welche Rolle sie in der Geschichte gespielt haben. Und wenn wir hierauf eingehn, so müssen wir sagen, so widerspruchsvoll und so ketzerisch das auch klingen mag, daß die Einführung der Sklaverei unter den damaligen Umständen ein großer Fortschritt war. Es ist nun einmal eine Tatsache, daß die Menschheit vom Tiere angefangen und daher barbarische, fast tierische Mittel nötig gehabt hat, um sich aus der Barbarei herauszuarbeiten. Die alten Gemeinwesen, wo sie fortbestanden, bilden seit Jahrtausenden die Grundlage der rohesten Staatsform, der orientalischen Despotie, von Indien bis Rußland. Nur wo sie sich auflösten, sind die Völker aus sich selbst weiter vorangeschritten, und ihr nächster ökonomischer Fortschritt bestand in der Steigerung und Fortbildung der Produktion vermittelst der Sklavenarbeit. Es ist klar: solange die menschliche Arbeit noch so wenig produktiv war, daß sie nur wenig Überschuß über die notwendigen Lebensmittel hinaus lieferte, war Steigerung der Produktivkräfte, Ausdehnung des Verkehrs, Entwicklung von Staat und Recht, Begründung von Kunst und Wissenschaft nur möglich vermittelst einer gesteigerten Arbeitsteilung, die zu ihrer Grundlage haben mußte die große Arbeitsteilung zwischen den die einfache Handarbeit besorgenden Massen und den die Leitung der Arbeit, den Handel, die Staatsgeschäfte, und späterhin die Beschäftigung mit Kunst und Wissenschaft betreibenden wenigen Bevorrechteten. Die einfachste, naturwüchsigste Form dieser Arbeitsteilung war eben die Sklaverei. Bei den geschichtlichen Voraussetzungen der alten, speziell der griechischen Welt konnte der Fortschritt zu einer auf Klassengegensätzen gegründeten Gesellschaft sich nur vollziehn in der Form der Sklaverei. Selbst für die Sklaven war dies ein Fortschritt; die Kriegsgefangnen, aus denen die Masse der Sklaven sich rekrutierte, behielten jetzt wenigstens das Leben, statt daß sie früher gemordet oder noch früher gar gebraten wurden.
Fügen wir bei dieser Gelegenheit hinzu, daß alle bisherigen geschichtlichen Gegensätze von ausbeutenden und ausgebeuteten, herrschenden und unterdrückten Klassen ihre Erklärung finden in derselben verhältnismäßig unentwickelten Produktivität der menschlichen Arbeit. Solange die wirklich arbeitende Bevölkerung von ihrer notwendigen Arbeit so sehr in Anspruch genommen wird, daß ihr keine Zeit zur Besorgung der gemeinsamen Geschäfte der Gesellschaft – Arbeitsleitung, Staatsgeschäfte, Rechtsangelegenheiten, Kunst, Wissenschaft etc. – übrigbleibt, solange mußte stets eine besondre Klasse bestehn, die, von der wirklichen Arbeit befreit, diese Angelegenheiten besorgte; wobei sie denn nie verfehlte, den arbeitenden Massen zu ihrem eignen Vorteil mehr und mehr Arbeitslast aufzubürden. Erst die durch die große Industrie erreichte ungeheure Steigerung der Produktivkräfte erlaubt, die Arbeit auf alle Gesellschaftsglieder ohne Ausnahme zu verteilen und dadurch die Arbeitszeit eines jeden so zu beschränken, daß für alle hinreichend freie Zeit bleibt, um sich an den allgemeinen Angelegenheiten der Gesellschaft – theoretischen wie praktischen – zu beteiligen. Erst jetzt also ist jede herrschende und ausbeutende Klasse überflüssig, ja ein Hindernis der gesellschaftlichen Entwicklung geworden, und erst jetzt auch wird sie unerbittlich beseitigt werden, mag sie auch noch sosehr im Besitz der »unmittelbaren Gewalt« sein.

Früher war nie was besser, sondern lediglich anders.
Wenn ich mir Gedanken mache über die Geschichte der Menschenrechte, dann stehe ich vor einem Problem. Ich muß zur Kenntnis nehmen, daß viele, viele Jahrtausende lang die Menschheit die Menschenrechte nicht vermißt hat, von ans Kreuz genagelten Spinnern mal abgesehen. Menschenrechte spielten in der Geistes- und Sozialgeschichte der Menschheit keine Rolle, von - wie gesagt - einigen Spinnern abgesehen. Aus dieser Kenntnisnahme folgt absolut zwingend, daß ich mir dieses äußerst erstaunliche Phänomen irgendwie erklären muß. Das habe ich versucht, vor mir haben das schon andere getan (auch meine Art zu denken, hat mir nicht der Liebe Gott persönlich ins Hirn gehaucht), unter anderem der oben zitierte Friedrich Engels.
Natürlich ist das Nachdenken über Allgemeine Menschenrechte nicht dadurch entstanden, daß sich jemand gedacht hat: "Hoppala, Moment mal, was die Medici mit ihrer Bank gemacht haben und was der Herr Fugger mit seinem Konzern jetzt macht, das sieht ganz so aus, als bräche in naher Zukunft der Kapitalismus aus. Der Kapitalismus braucht keine Leibeigenen mehr, sondern vielmehr Freie Lohnarbeiter. Deswegen muß ich jetzt frisch die Feder ins Tintenfaß tauchen und den Feudalherren ihre Leibeigenen abschwatzen." So simpel läuft das nicht.
Was aber lief, war, daß sich die ökonomischen Verhältnisse zu wandeln begannen und mit den ökonomischen Verhältnissen verändern sich auch die Gedanken der Menschen.

Ein Mitdiskutant meinte damals: "Ja, naja, das hielte ich für eine ebenso einseitige wie verkürzende Darstellung."
Ich antwortete ihm:
Die Darstellung eines Sachverhaltes, die den Sachverhalt auf den Punkt bringt und Stellung dazu bezieht, wird - wenn wir nicht gerade über den Satz des Pythagoras diskutieren - notwendigerweise einseitig sein müssen.
Der gute alte Besinnungsaufsatz in der Schule mußte dialektisch aufgebaut sein, These + Antithese -> Synthese, wobei die Synthese darauf hinauslief: "Einerseits, andererseits... ja, was weiß denn ich!".

Auf Aristoteles bezogen meinte derselbe Diskutant, er empfinde ihn als zumindest erfrischend ehrlich.
Was heißt "erfrischend ehrlich", erwiderte ich. Aristoteles hat seine Argumentation ganz sicher nicht als so rotzfrech und hirnblöd empfunden, wie sie uns Heutigen erscheint. Der mußte an den Sinn von Sklaverei glauben, weil er abhängig war von ihr. Wird ein Alkoholiker, der sich (noch) in seinem Alkoholismus wohlfühlt, seine Schnapsvorräte in die Spüle gießen? Und wird er sich nicht tausend gute Gründe ausdenken, warum er den Schnaps nicht wegschüttet?

Interessanter weil ambivalenter ist mir immer das Beispiel der sogenannten Gründungsväter der USA vorgekommen, die in wirklich wunderbarer Rhetorik Texte erdacht und geschrieben haben, die ich auch heute noch stark finde, die aber zu einem nicht geringen Teil selbst große Sklavenhalter waren. Wenn das nicht eine walking contradiction ist, dann weiß ich auch nicht.
Das ist, entgegnete ich, dasselbe Phänomen wie das von mir bereits angerissene Beispiel der Negersklaven von Haiti, welche die neue Ideologie ihrer Sklavenhalter begierig aufgegriffen haben. Die Sklavenhalter haben sich selber ruhiggestellt, indem sie die Idee entwickelten, es seien die Neger keine Menschen, jedenfalls keine so richtigen.
Im amerikanischen Bürgerkrieg kämpfte der bereits weitgehend industrialisierte Norden (der Freie Lohnarbeiter brauchte, die man gegebenenfalls entlassen konnte) gegen den auf Latifundien-Landwirtschaft gegründeten Süden, der auf seine Sklaven angewiesen war. Das war kein Krieg Gut gegen Böse, sondern von Fabrik gegen Plantage.
Es ist auch kein Zufall, daß die endlich erstrittenen Menschenrechte lange, lange Zeit nicht für Frauen galten. Im Französischen wie im Englischen gibt es nur ein Wort für Mensch und Mann, was aber die fortgesetzte Benachteiligung von Frauen lediglich kaschierte, nicht in der Sache begründete.
Wie Aristoteles gegenüber den Sklaven, so argumentierte man gegenüber den Frauen, sie stünden naturgegeben physiologisch und intellektuell unterhalb der Männer.
Denken ist (oftmals) nicht logisch, es ist interessengeleitet.
Man kann so gut für als wider einen Satz verblendet sein; Gründe sind öfters und meistenteils nur Ausführungen von Ansprüchen, um etwas, das man in jedem Fall doch getan haben würde, einen Anstrich von Rechtmäßigkeit und Vernunft zu geben. Es scheint, die Natur habe eine so nötige Sache, als ihr die Überzeugung beim Menschen war, nicht gern auf Vernunftschlüsse allein ankommen lassen wollen, in dem diese leicht betrüglich sein können. Der Trieb kommt uns dem Himmel sei es gedankt, schon über den Hals, wenn wir oft mit dem Beweis der Nützlichkeit und Nötigkeit noch nicht halb fertig sind.
(G. Ch. LICHTENBERG "Sudelbücher")

Sind wir uns darüber einig, daß die Menschenrechte eine relativ neue Erfindung der Philosophie sind? Falls ja, wie erklärt man sich den merk ‑ würdigen Umstand, daß die Menschenrechte erst so verdammt spät auch nur gedacht wurden?

Das Gfrett mit den Frauen

Mit Frauen hast du nix als wie ein Gfrett. Ohne Frauen, fällt mir grad ein, übrigens auch.

Dienstag, 26. Februar 2019

Von den Gefahren des Lachens

Wer erinnert sich noch an Umberto Ecos im Mittelalter spielenden Kriminalroman "Der Name der Rose"? (Gott, wie lange ist das inzwischen her, seit ich das gelesen habe?) Es geht darin um das letzte, noch erhaltene Exemplar von Aristoteles' "Zweitem Buch der Poetik", das sich mit der Komödie und dem Lachen beschäftigt. Einer der Mönche hält dieses Buch für so gefährlich, daß er es vor den anderen Mönchen und damit letztlich vor der Nachwelt versteckt. Gefährlich ist ihm das Buch unter anderem deshalb, weil darin (angeblich, das Buch ist, wie gesagt, nicht mehr erhalten) von der subversiven Macht des Lachens und des Witzes gesprochen wird. Das Buch verbrennt und mit ihm die Bibliothek und das ganze Kloster.

Nichts fürchtet der Mächtige so sehr wie ausgelacht zu werden, wenn er voll Würde einherschreitet oder herumsteht.
 Das Bild ist von 1961, Universität Marburg. Kabarett pur. Der Rektor sieht aus wie der Bruder von Joseph Beuys, ohne es zu sein, die beiden hinteren Figuren erinnern mich an Rosenkranz und Güldenstern, die mal wieder gar nichts kapieren. Ja, so war das früher. Und heute...
Dieses Bild ist aus dem Jahre 2009, Bonn. Und nein, das sind keine rheinischen Karnevalsjecken.
Stell dir vor, ein Bundespräsident wie der damalige Gauck sülzte seine üblichen Platitüden ab, und ein Teil des Publikums pfiffe und buhte ihn aus, würfe gar mit Eiern nach ihm. Was würde passieren? Großes Staatstheater würde sein, Gauck würde sich köstlich empören. Nun aber - Kopfkino - stell dir vor, ein Teil des Publikums, wäre groß genug, sich Gehör zu verschaffen und lachte ihn an den entsprechenden Passagen aus, bliebe ansonsten aber durchaus im Rahmen höflicher Konvention...

In seiner Dankesrede bei der Verleihung des Nobelpreises für Literatur 1997 sagte Dario Fo: "Die Macht, und zwar jede Macht, fürchtet nichts mehr als das Lachen, das Lächeln und den Spott. Sie sind Anzeichen für kritischen Sinn, Phantasie, Intelligenz und das Gegenteil von Fanatismus. Ich bin nicht mit der Idee zum Theater gegangen, Hamlet zu spielen, sondern mit der Absicht, ein Clown zu sein, ein Hanswurst."
Fos Ehefrau, die großartige Franca Rame, sagt zum gleichen Thema:
"Wir glauben, daß Klagen falsch ist. Du weinst, gehst traurig nach Hause, sagst: ‚wie schön hab ich geweint‘, und schläfst erleichtert ein. Nein, wir wollen Euch zum Lachen bringen... . Es öffnet sich nicht nur der Mund beim Lachen, sondern das Gehirn. Und ins Gehirn können Nägel der Vernunft eintreten. Ich hoffe, daß heute abend einige Leute mit Nägeln im Kopf heimgehen..."

Lachen ist also Sublimierung. Und Sublimierung ist ... Unterwerfung/Vermeidung von Konfrontation.

Meine Schwester wurde mal im Unterricht von einem Lehrer zurechtgewiesen. Sie hat ihn angelächelt, nichts sonst, sie hat ihn stumm ausgelacht. Der Lehrer war irritiert, er verschärfte seine Rüge, meine Schwester lächelte immer noch. Das zog sich so eine Weile hin, der Lehrer wurde immer wütender, ganz offen wütend. Schließlich hat er im Unterricht weitergemacht, kochend vor Zorn. Was hätte er auch machen sollen? Ihr einen Verweis geben, weil sie gelächelt hatte?
Die Hohe Schule ist natürlich, wenn man Andere einen Höhergestellten auslachen läßt.

Samstag, 23. Februar 2019

Gaius Sallustius Crispus

Nein, rasend aktuell ist dieser Blogbeitrag nicht

Als Beispiel dafür, wie man mit Worten Scheisendreck in unschuldige Kinderhirne versenken kann, nehme ich die alte Klatschtante Gaius Sallustius Crispus, weil der Fall Catilina inzwischen doch jede Tagesaktualität verloren hat. Wenn du in der Schul Latein gehabt hast, dann kennst du den Sallust eh. Wenn nicht, suchst du dir einen Querbalken und hängst dich dran auf.

"Meines Wissens glaubten manche Leute, daß die Jugend, die in Catilinas Haus verkehrte, sich in entehrender Weise schamlos benommen habe; das wußte zwar niemand zuverlässig, doch aus verschiedenen Gründen hielt sich dieses Gerücht."
Er ist sich nicht sicher (1. Stufe des Gerüchts), ob manche Leute glauben (2. Stufe des Gerüchts), daß die Jugend ... sich ... schamlos benommen habe (3. Stufe des Gerüchts). Dann betont er noch mal, daß das alles wilde Gerüchte seien und zieht schließlich die Trumpfkarte: "Doch aus verschiedenen Gründen hielt sich dieses Gerücht."
Ich weiß gar nichts, nicht mal ansatzweise, aber ich erzähl's euch halt mal. Was Sallust damals noch nicht wissen konnte: Nur wenige Jahrtausende später wird man diese Art der Argumentation alternative Fakten nennen [1].

Wer es nicht weiß (weil er zum Beispiel in der Schul kein Latein nicht gehabt hat und sich deshalb besser aufhängen sollte, statt hier mitzudiskutieren): Sallust gilt unter Altphilologen immer noch als lateinischer Klassiker und zitierenswerter Geschichtsschreiber.

Gaius Sallustius Crispus war als Schriftsteller (eigentlich ja Chronist seiner Zeit) ein Totalausfall, wird aber unerachtet dessen immer noch hoch geschätzt, was ausgesprochen betrüblich ist. Kein verantwortungsbewußter Pädagoge [2] sollte einem Jugendlichen oder gar Kind diesen Sallust zumuten. Aber anscheinend gilt tatsächlich das Gesetz: Je länger ein Schriftsteller bereits tot ist, desto nachsichtiger sind wir in seiner Beurteilung.



[1]   Jetzt bin ich doch wieder aktuell geworden. Verdammt!
[2]   Was ist ein Demagoge? Ein Demagoge (griechisch δῆμος, dēmos, „Volk“, und ἄγειν, agein, „führen“) ist ein Volksverführer. Ein Pädagoge (aus: παῖς ‚Knabe‘, ‚Kind‘; ἄγειν, ἀγω ‚führen‘, ‚ich führe‘) ist demnach ein Kindsverführer.    

Oberinspektor Marek und das indische Hajsl

Oberinspektor Marek verhört Herrn Herschina bei der Grammelnzubereitung.
Herr Herschina: 's is ja ka bsondere Wohnung hier. S'Wosser auf'm Gang, 's Hajsl is aa indisch.
Oberinspektor Marek: Indisch?
Herr Herschina: Jo, jenseits des Ganges.
(aus dem Tatort "Mord im Krankenhaus" von 1978)

Mittwoch, 20. Februar 2019

Geldpornos

Der Franze hat gsagt, Börsennachrichten sind Geldpornos. Selber machen, sagt er, kannst du's ohne Schotter nicht, aber anderen zuschauen, wie sie's treiben...

Der Geldvergesser und der Mauer-Nichtbauer

2009 stellte Angela Merkel ihre neues (schwarz-gelbes) Kabinett vor, Finanzminister sollte Wolfgang Schäuble werden (und wurde es dann auch).
Auf der Pressekonferenz stellte der niederländische Journalist Rob Savelberg Merkel eine Frage: Ob man einem Menschen, der nach eigenem Bekunden vergessen hat, daß er 100.000 DM angenommen hat, die deutschen Staatsfinanzen anvertrauen könne.

Beachte, wie der Seehofer feixt, als er die Frage des holländischen Journalisten gehört hat. Er hat das typische Na-wie-wird-sich-die-alte-Schlampe-da-wieder-rauswinden-Gesicht.
Die Merkel antwortet mit "Weil er mein Vertrauen hat". Darauf antworte wiederum ich mit der ganz famosen englischen Schriftstellerin Celia Fremlin: "Vertrauen heißt, an etwas glauben, obwohl man weiß, daß es nicht wahr ist." [1]
Mich erinnert die ganze Geschichte an die legendäre Mauerpressekonferenz des Vorsitzenden Walter Ulbricht von anno 1961 [2].

Man beachte:
1. Die Frage der Journalistin der "Frankfurter Rundschau" nimmt keinerlei Bezug auf eine Mauer und
2. zunächst spricht Ulbricht von der "Arbeitskraft, die voll ausgenutzt" werde, dann korrigiert er sich: "...und eingesetzt wird". Der Heilige Sigmund Freud hätte seine helle Freude an Walter Ulbricht gehabt.

Die DDR war fast genau so widerwärtig wie die BRD. Die Betonung liegt auf "fast"!



[1]   Celia Fremlin: "Gefährliche Gedanken", 13. Kapitel, S. 115
[2]   Wer nicht von selber draufkommt: Frau Dr. Sauer, geb. Kasner, gesch. Merkel, die den Namen Merkel als Künstlername angenommen hat, ist in der DDR aufgewachsen, Walter Ulbricht dagegen nicht. 

Die Bürde des Menschen ist unantastbar

In der Wikipedia fand ich folgendes Photo eines großen, kräftigen Mannes, den eine eher zierliche Frau auf dem Rücken trägt.
Die Bildunterschrift erklärt mir den Zusammenhang: "British merchant being carried by a Sikkimese lady on her back. West Bengal circa 1903. - Wikimedia Commons

Nun stell dir mal vor, die Frau auf dem Photo wäre deine eigene Ur-Oma, die einst einen großen, kräftigen Inder durch Tirol hatte tragen müssen, weil die Inder die Kolonialherren deiner Ur-Oma waren. Ob du unter diesen Umständen eine allzu große Zuneigung zu Indern entwickelst hättest?
Besuche meine Anfängervorlesung "Warum der Großteil der Welt uns Europäer nicht mag". Barbusige Tempelhuren werden Wein einschenken, männliche Tempelhuren sind beim Gleichstellungsbeauftragten der Universität beantragt.

Dienstag, 19. Februar 2019

IH!-ZEH!-EH!

Am 8. Januar war der ICE 993 (wie jeden Tag) von Hamburg nach Leipzig unterwegs und sollte gegen 22.10 Uhr in Wittenberg halten. Der Zug fuhr jedoch durch Wittenberg hindurch. In Bitterfeld hat die Bundespolizei den Lokführer aus dem Zug geholt und nicht wieder zurückgebracht. Denn der Mann hatte knapp 2,5 Promille.
Jetzt lachst, Vielflieger du. Mir kann das nicht passieren, feixt du. Loks werden von Proleten gefahren, Fluchzeuche dagegen von der Elite geflogen.
Freu dich nicht zu früh, im Sozialdienst der Lufthansa gibt es eine eigene Suchtabteilung, die dem Vernehmen nach gut zu tun hat. Bete also zu Gott, daß dein Pilot oder dein Co-Pilot betrunken sind und nicht beide.

Sonntag, 17. Februar 2019

Turandot oder der Kongreß der Weißwäscher

A: Der Witz bei den Negern ist aber, daß sie auch nach der zwanzigsten Umbenennung nicht weiß werden wollen.
B: Der Michael Jackson hatte es fast geschafft...
Der Südafrikaner Hogwarth Karpfenthal hat es ganz geschafft.

Hogwarth Karpfenthal (12 Jahre alt)
Die Familie Karpfenthal - allesamt schwarz wie die Nacht - ist ja seinerzeit von Deutsch-Ostafrika, wo die weiblichen Mitglieder der Familie Bergführer am Kilimanjaro waren, während die Männer im Kral lecker Currywurst erfanden, nach Südafrika ausgewandert. Carpendales Mutter, Turandot Karpfenthal, hatte am Kongreß der Weißwäscher teilgenommen und dort das Blanchieren von Negern gelernt. Sie hat es an ihrem Sohn ausprobiert und - wie man inzwischen weiß (!) - hat es geklappt.

(Howard Carpendale (102 Jahre alt)

Mittwoch, 13. Februar 2019

Bonjour

Im Alten Frankreich war gutes Schuhwerk eine seltene, aufwendige und damit teure Angelegenheit. Es war eine Sache für den Adel und den Klerus, der Dritte Stand (Bürger) und erst recht der Vierte (Bauern u. dergl.) mußte barfuß laufen oder sich mit provisorischen Lumpenwicklungen für die Füße begnügen. Ja, es war noch nie leicht, Franzose zu sein.
Im Vollrausch und weil die Westfranken ihn beständig "Lui" nannten hat Gott dann die französische Sprache erfunden und die davon Befallenen dazu verdammt, zwei, drei, vier, fünf Buchstaben zu schreiben, wo einer gereicht hätte. Der Fluch werde erst dann von ihnen genommen, wenn sie sich entschlössen, "djö" mit drei Buchstaben zu schreiben.
Die Franzosen - wir wissen es alle - haben es bis heute nicht geschafft, "djö" mit drei Buchstaben zu schreiben.
Wie auch immer: Wenn zwei oder mehr Franzosen einander treffen, wünschen sie sich bis heute Gutes Schuhwerk: "Boah Schuah".

Die Tücken der Schönflöterei

Früher, als die Welt zwar auch nicht mehr gut, aber immerhin besser war, hatten wir vergleichsweise präzise Bezeichnungen für verschiedene Begriffe. Präzis genug jedenfalls für den Hausgebrauch: "Neger", "Zigeuner", "Eskimos" etc. pp.
Dann kam der Ruf nach politisch korrekteren Neubenennungen über den Großen Teich zu uns. Die bringen uns häufig in die semantische Bredouille. Früher hat man "Neger" gesagt und gut war. Heute hast du Afroamerikaner vor dir, Schwarzafrikaner, Afro-Österreicher, Afro-Schweden (Martin Dahlin etwa, der ehemalige schwedische Fußballnationalspieler, eine Art früher Alaba).
Natürlich hast du, wenn plötzlich ein Neger vor dir auftaucht, nicht die leiseste Ahnung, welcher Nationalität er ist. Und dann sollst du eine Aussage vor der Polizei machen...
"Wissns, Herr Inspekta..." - Inspekta gibt's kaan."... Ach, du Hl. Scheiße, jetzt hast du noch das zusätzliche Problem vor dir, wie man einen österreichischen Kriminalhauptkommissar (im Volksmund "Kottan" genannt) korrekt anredet. Wer zu Zeiten von Oberinspektor Marek mit dem Austriakenkrimischauen aufgehört hat, schaut blöd aus der Wäsche. Wer am Ball geblieben ist, weiß, daß es "Major" heißen muß. (Oder habts ihr euch schon wieder einen neuen Schmarrn ausgedacht?)
Zurück zur Aussage: "Wissns, Herr Major, ich seh da diesen Afro-Steirer vor mir..." - "Er hat 1 gültigen Paß von Namibia."
Spätestens hier wird jeder leidlich vernünftige Mensch die Aussage verweigern und sich auf ein verstocktes "Leckts-mich-doch-alle-am-Oasch"-Gefühl zurückziehen.
Zigeuner war früher eine klare Ansage, während du heute rätselst, ob der Typ, der ausschaut wie ein Zigeuner ein Sinto ist oder ein Rom (oder Michel Friedman).

Dabei nützt die Schönflöterei eh nichts, was viel mit der Euphemismus-Tretmühle zu tun hat.
"Die Euphemismus-Tretmühle (engl. euphemism treadmill) ist eine sprachwissenschaftliche Hypothese. Sie besagt, dass jeder Euphemismus irgendwann die negative Konnotation seines Vorgängerausdrucks annehmen wird, solange sich die tatsächlichen Verhältnisse nicht verändern.
Häufig handelt es sich bei den betroffenen Ausdrücken um gesellschaftlich relevante und konnotativ aufgeladene Begriffe. So werden etwa ethnische Minderheiten wiederholt mit neuen Wörtern benannt, um negative Assoziationen zu vermeiden. (...)
Der Begriff der „Euphemismus-Tretmühle“ wurde von Steven Pinker eingeführt. Er beobachtete den Effekt, dass euphemistische Wortneubildungen alle negativen Assoziationen jener Wörter aufnahmen, die sie ersetzten, also eine Bedeutungsverschlechterung erlebten. Nach Pinker zeige die Euphemismus-Tretmühle, dass nicht Wörter – wie variable euphemistische Bezeichnungen –, sondern Begriffe im Geist des Menschen primär (vorrangig) seien. Deshalb bewirkten diese primären Begriffe die Bedeutungsübertragung auf die sekundären (nachrangigen) Bezeichnungen."
Ich werde es wahrscheinlich nicht mehr erleben, ansonsten würde ich dir eine Wette anbieten: In 15, spätestens 20 Jahren wird "Afro-Deutscher" (wahlweise auch "Afro-Österreicher") auf der Liste der zu vermeidenden Unwörter stehen. In den neunziger Jahren wurde der Begriff "Person mit Migrationshintergrund" geprägt, um als abwertend empfundene Wörter wie "Gastarbeiter", "Ausländer" etc. pp. zu ersetzen. Mit "Ausländer" meint man umgangssprachlich ja nicht Österreicher oder Franzosen, sondern Türken, Araber oder Schwarze, also alle Ausländer, die aus den hochverdächtigen Scheißhausländern kommen. Früher war die hochverdächtige Himmelsrichtung der Süden (das fing schon mit Italien südlich von Rom an), heute ist der Osten dazu gekommen.
Die Nationale Armutskonferenz hat eine Liste sozialer Unwörter erstellt. Darin taucht 2012 auch das Wort "Person mit Migrationshintergrund" auf, in einer Reihe mit "Sozialschmarotzer". Nicht einmal 20 Jahre hat es gedauert, bis aus dem schönen, manierlichen Ersatzwort für Ausländer seinerseits ein Unwort geworden ist. Sic transit gloria verbi.
Die Euphemismus-Tretmühle war wieder mal wirksam geworden.

Tragödie in Ungarn, joi

Neulich in Debreczen, Ungarn:

Dienstag, 12. Februar 2019

Vermehrung & B-Ziehung

Ein kleiner Beitrag meinerseits zur Philosophie der Vermehrung:
Die Kunst aller Verführerinnen“, so sagte man mir einmal in einer Internet-Diskussion, „liegt darin, den Mann glauben zu machen, er sei einzigartig.“
Sag nicht, das sei Unfug. Das braucht's vielmehr, das ist der übliche Schmäh, den man in solchen Situationen absondert. Jeder weiß zwar, daß es 1 Schmäh ist, aber wenn man ihn nicht absondert ist es auch nicht recht. Weil?
Weil, wenn es aus ist und er/sie dir zuvor süßen Unfug ins Öhrli geflüstert hat, dann kannst du losschreien und ihr/ihm all die gebrochenen Versprechungen vorwerfen. Das erzeugt dann jenes wunderbar schlechte Gewissen, über das sich der Psychotherapeut so freut, weil es ihm das Ein- und Auskommen sichert.
Wenn er dagegen sagt: „Hömma, Ilse, ich fänd es rasend nett, wenn ich eine Frau hätt. Du wärst nicht die schlechteste, nö. Ich schlag also vor, wir fangen uns was an, schaumermal, ob's hält und wenn ja, wie lange. Mit so einem Spruch machst du bei der Ilse keinen Stich, denn die Ilse denkt an die Zukunft. Weil, wenn's aus ist, kann sie dir - wie gesagt -– nix vorwerfen. So was ist doch nicht seriös, so was.
Die Verhaltensweisen beim Balzen sind so eingeschliffen, da braucht keiner mehr bewußt an irgend etwas denken. Wenn du als Mann der Ilse süßen Unsinn von ewiger Liebe ins Ohr flüstert, dann kommst du viel eher „zum Schuß“ und kannst dich am Morgen danach davonmachen, als wenn du ihr das sagst, was mein Beispielsmann zu ihr sagt. Ilse wird sich für den Öhrliflüsterer entscheiden und verpaßt damit die -  wahrscheinlich - sehr viel dauerhaftere Beziehung zum lebensweisen Mann meines Beispiels.
Es gibt Lebensbereiche (der Beruf etwa), in denen zielstrebiges Wollen zum Erfolg führt. Es gibt andere Lebensbereiche, in denen diese Zielstrebigkeit genau zum Gegenteil führt, beim Einschlafen-Wollen etwa oder der dauerhaften Paarbeziehung. Wer seinen Partner durch physische oder psychische Gewalt an sich bindet, der behält ihn vielleicht, hat ihn aber durch diesen Druck längst verloren. Trauring, aber wahr.
Unendlich viele Probleme in Paarbeziehungen entstehen doch dadurch, daß die Partner einander brauchen oder – schlimmer noch – daß der eine Partner den andern ganz notwendig braucht, der andere ihn aber nicht, oder nicht in diesem Ausmaß. Die Partner bleiben zusammen, weil sie aneinandergekettet sind.
Wenn die beiden Partner einander sagen können: "Es ist wunderbar, daß es dich gibt, es ist noch viel wunderbarer, daß es dich hier gibt, aber im Grunde könnte ich auch ohne dich ganz gut leben, ich habe es immerhin schon vor unserer Partnerschaft viele Jahre lang getan", dann bleiben sie zusammen, weil sie jederzeit auseinandergehen könnten.
Ein Sprichwort sagt: "Wenn du etwas liebst, dann laß es frei. Kommt es zurück, dann gehört es dir, kommt es nicht zurück, hat es dir nie gehört." Bindung durch Nicht-Bindung, ich weiß, das klingt paradox. Ist aber richtig, wie mir scheint.

Sonntag, 10. Februar 2019

Alkohol kann Leben retten - schüttet ihn nicht weg

In Vietnam - ich weiß, das ist weit weg, aber unser ehemaliger Vizekanzler Rösler und mein Schwager kommen von da her - haben Ärzte - wer sonst? - einem Mann - wem sonst? - 15 Dosen Bier eingepfiffen und ihm so das Leben gerettet.
In einem Kabarettprogramm hat Michael Mittermeier erzählt, 1988 habe ein etwas verwirrter Mann die Sparkasse in seinem Heimatort Dorfen ([1]) in Oberbayern betreten und die anwesenden Angestellten und Kunden mit einer Pistole bedroht. Er forderte 500.000 DM Lösegeld, ein Fluchtauto und zwei Türken zum Erschießen ([2]). Der Mann wurde immer nervöser und so machte der zweite Sparkassendirektor den Vorschlag, er möge doch ihn und den ersten Sparkassendirektor als Geiseln nehmen, man könne dann zu dritt in das Büro des zweiten... eh schon wissen... gehen und das Büro absperren, dann wäre die Situation sehr viel übersichtlicher.
Man bot dem Geiselnehmer einen Schnaps ab, dann noch einen und noch und noch. Schließlich war die Geiselnahme beendet, der Geiselnehmer wurde auf einer Bahre hinausgetragen, weil er zu besoffen war, noch selber zu gehen. Der erste Sparkassendirektor erlitt dasselbe Schicksal, nur der zweite Sparkassendirektor kam auf eigenem Gebein heraus und meinte: "Zefix, i glaub i brauch iatz a Weißbier." Prost.


[1]   Das ist genauso weit weg wie Vietnam, wenn man sich nämlich grad in Vietnam befindet.
[2]   Ein ausländerfeindlicher Hintergrund konnte nicht ganz ausgeschlossen werden.

Alkerholgrentswerte und anderes Zeuch

Ein Kollegah von wegen Verkehrspsychologe hat mir folgende Graphik aus der Website "mobil und sicher" der Verkehrswacht zugänglich gemacht.
 Die Grafik zeigt sehr schön, daß der ganz überwiegende Schwerpunkt der Trunkenheitsfahrten im Be­reich weit jenseits der heute schon gültigen BAK-Grenzwerte liegt. Das heißt eine Herabsenkung der BKA-Grenzwerte bringt genau gar nichts. Dem normalen Trunken­heits­fah­rer ist es völlig wurscht, ob er mit seinen 2 Promillen 0,9 Promille über dem Grenzwert liegt oder - sagen wir mal - 1,5 Promille.
Wie immer gibt es natürlich 1 Ausweg, gefunden hat ihn ein Verkehrspsychologe (wer sonst?).
Abgesehen davon liegt die Promille-Obergrenze, ab der sich nicht mehr das Ordnungsamt, sondern die Strafjustiz mit mir befaßt, seit 1961 (!, damals war ich noch der Waldbauernbub) bei 0,3 Promille ([1]). Die 0,5 beziehungsweise 1,1 Promillegrenze ist eine großzügige Sonderregelung für hardcore-alkoholgewöhnte Kraftfahrer.
Müßte ich nicht befürchten, daß die Donau Hochwasser führt und Wien darob absöffe, ich würde weinen, daß es nur so eine Art hat.




[1]   Das gilt für Raichsdaitschland, ich nehme an, daß das für die Kolonie Ostmark entsprechend gilt.