Betrifft: 'MUBLOBDOB - Eine Geschichte von Leidenschaft
und Zufall'
Sehr geehrte Frau Leserin, sehr geehrter Herr Leser, nach
langer, mühvoller Arbeit habe ich nun..."
Der Dichter
tauchte den Gänsekiel in das Tintenfäßchen, streifte überflüssige Tinte am Glasrand
ab und fuhr mit dem Schreiben fort:
"...meinen Roman 'MUBLOBDOB - Eine Geschichte von Leidenschaft und Zufall'
zu Ende geschrieben..."
Der Dichter
setzte sich auf. Gedankenversunken blickte er ins Leere und kratzte sich mit
dem gefiederten Ende des Gänsekiels am Kopf. Der Dichter war unzufrieden, er
schmeckte den Brief mit Kennerzunge ab und mußte den eben begonnenen Satz verwerfen.
So ging das nicht, das traf noch nicht. Grunzend zerriß er den Bogen, holte
sich einen neuen und schrieb:
Betrifft: 'MUBLOBDOB - Eine Geschichte von Leidenschaft
und Zufall'
Liebe Leserin, lieber Leser,
anbei anempfehle ich Ihnen das Manuskript meines R
o
m
a
n
e
s..."
Wie von einer unsichtbaren Hand ergriffen - was der Fall
ist - kippt der Stuhl des Dichters samt Dichter in jähem Fall nach hinten,
rasch gefolgt vom Tisch. Langsam, sehr langsam öffnet sich der Vorhang und gibt
den Blick frei auf eine bis in das letzte Raumfitzelchen grellerleuchtete
Bühne. In der Mitte der ansonsten absolut kahlen Bühne, ein wenig vielleicht
nach links versetzt, stehen zwei Fässer, in denen - so behauptet der Aufdruck -
früher einmal Salzheringe eingemacht gewesen sein müssen. Eines der Fässer ist
leer, im anderen steht Boris. Boris ist schwer bandagiert: sein Kopf ist eingemullt,
von der Schädelkalotte bis zum Kinn, beide Unterarme sind geschient und selbst
aus dem offenen Hemdkragen ragt noch ein Eckchen weißer Verband heraus. Unruhig
steht Boris in seinem Faß, nervös blickt er alle naselang seitlich nach hinten,
verrenkt sich fast den Hals in seinem Bemühen, dorthin zu blicken, wo doch
nichts los ist.
Nach siebenunddreißig Minuten wird Bewegung hinter der
Bühne hörbar; Borisens Gesten der Neugier werden hektischer und häufiger.
Wiederum zwölf Minuten später erscheinen vier stämmige Bühnenarbeiter im
Blaumann, ächzend, stöhnend und fluchend Anton an seinen Gliedmaßen in ihrer
Mitte tragend. Anton zwinkert Boris mit dem linken Augenlid beruhigend zu,
Boris beantwortet die knappe Geste mit heftigem Schwenken der Arme. Anton ist
schwer bandagiert: sein Kopf ist eingemullt, von der Schädelkalotte bis... aber
das hatten wir schon. In den verkrampften Händen hält Anton ein Buch, etwa
doppelt so groß wie ein Schul-Atlas. Während der nächsten achteinhalb Minuten,
in denen unter ständigem "Hooo - Rruck!"-, "Zuuu -
gleich!!"- und "Vorrrsicht!!!"-Rufen die Bühnenarbeiter Anton
nach oben wuchten und ihn schließlich langsam und vorsichtig in das Faß
hinablassen, bleibt ausreichend Zeit, den Titel des riesigen Buches zu studieren:
"MUBLOBDOB - Eine Geschichte von Leidenschaft und Zufall" . Kaum steht Anton sicher im Faß, da verlassen in
hektischer Nichts-wie-weg-hier-hält-uns-nichts-Geste die Bühnenarbeiter die
Bühne.
Anton und Boris stehen in ihren Fässern und blicken
gelangweilt ins Publikum. Nach einer guten halben Stunde grell ausgespielter
Langeweile ergreift Anton das Buch, das er vor sich auf dem Rand des Fasses
abgelegt hatte, und schlägt es auf. Er liest weniger darin, als daß er
blättert. Hat Anton wegen seiner Armschienen schon große Mühe, das riesige Buch
auch nur zu halten, so ist es fast ein Kunststück für ihn, die Seiten umzublättern.
Nach fast vierzig Minuten des Blätterns, in denen er oft die Stirne gerunzelt,
den Kopf geschüttelt und ratlos geprustet hat, taucht Anton wieder aus dem Buch
auf. Sein Blick fällt auf Boris, der ihn seinerseits die ganze Zeit über
unverwandt beobachtet hatte.
ANTON: Du, sachma, Boris?
BORIS: (ultracool)
Jaaa?
ANTON: Sachma,
Boris, das Buch hier...?
BORIS: Was
ist mit dem Buch?
ANTON: Boris...
(Anton seufzt tief) Boris, ich glaub,
ich tu's nicht verstehen.
Boris seufzt tief und ein wenig gequält auf.
BORIS: Was
verstehst du nicht, Anton?
ANTON: Nun,
zum Beispiel... (denkt angestrengt nach) ...dieses Geheimnis um die drei Professoren
Zellinger...
BORIS: Na,
das ist aber doch ganz...
ANTON: ...und
wieso der Mublobdob am Schluß meint, er müßte zurück auf den Gletscher, um dort
zu sterben, damit sich alles erfüllt, weil sonst der Kosmos kaputt geht und
wieso das dann schließlich doch nicht nötig ist.
BORIS: Also:
das ist wegen der drei gleichen Mumien.
ANTON: (ein wenig bitter) Ja, ja! Das mit den
drei gleichen Mumien versteh ich nämlich sowieso und ganz überhaupt nicht. Erst
heißt es, eine dieser drei Mumien ist eine Plastikkopie einer der beiden
anderen und dann tun auf einmal alle so, als gäbe es überhaupt nur zwei Mumien,
obwohl ständig und weiter von drei Mumien die Rede ist.
BORIS: (lacht) Während es in Wirklichkeit eh nur
eine Mumie gibt.
ANTON: (ein wenig unsicher) Du verarscht mich,
Boris, gell?
Boris schüttelt den Kopf.
BORIS: (gönnerhaft) Gut, Anton, ich will's dir
erklären. Also: Baron Frankenstein hat lange und erfolgreich mit wiederbelebten
Hundemumien experimentiert und will nun Menschenversuche machen. Dazu klaut er
die alte Mumie, bekommt aber aus Versehen die frische Leiche und läßt die
Plastikkopie der alten Mumie dort. Klar?
Anton nickt, ein wenig unsicher.
BORIS: Gut!
Frankenstein erweckt also die frische Leiche, von der er denkt, es wäre die
alte Mumie, zum Leben. Diese Leiche - Frankenstein nennt sie "Mublobdob' -
verliebt sich in Frankensteins Tochter und flieht mit Hilfe des Geheimagenten
Dr. Betz-Lebenstein. Dr. Betz-Lebenstein ist hinter Frankenstein her, weil Frankenstein
nämlich, so denkt Dr. Betz-Lebenstein, Dracula ist.
ANTON: Aber...
hm, Frankenstein ist doch wirklich
Dracula, oder?
Nun schaut Boris ein wenig unsicher.
BORIS: Is's
wahr?
ANTON: Denk
schon.
BORIS: Na,
wie auch immer: Dr. Betz-Lebenstein schreibt jedenfalls am Schluß des Buches
das Buch, in dem er selber vorkommt, während Gerhard Rat, Dr. Betz-Lebensteins
Helfer, unter dem Namen Dr. Betz-Lebenstein als Geheimagent Karriere macht.
Währenddessen fahren die beiden Professoren Zellinger mit ihrer Zeitmaschine in
die Vergangenheit und verdoppeln sich dort.
ANTON: (schreit es fast, ungläubig) Was?
Boris denkt nach, unsicher geworden.
BORIS: Nein,
sie verdoppeln sich nicht, sie sind
schon verdoppelt, von früher her.
Anton nickt, zufrieden und stolz.
BORIS: Die
beiden verdoppelten Professoren Zellinger fahren also in die Vergangenheit,
werden dabei zu drei Professoren...
Anton guckt Boris entsetzt an, der dies wohl bemerkt,
aber ungerührt bleibt.
BORIS: ...und
dabei geht die Zeitmaschine kaputt. Deshalb müssen sie nun...
Anton unterbricht Boris.
ANTON: Nö,
Boris, so geht das nicht. Ich wollte von dir wissen, wieso Mublobdob am Schluß
meint, er müßte zurück auf den Gletscher, um dort zu sterben, damit sich alles
erfüllt, weil sonst der Kosmos kaputt geht und wieso das dann schließlich doch
nicht nötig ist.
BORIS: Aber
Anton, das ist doch wegen der drei gleichen Mumien. Ich hab's dir eben grade
erklärt.
Anton schaut ein wenig hilflos. So steht er eine gute
Viertelstunde. Dann nimmt er sich ganz unauffällig sein Buch
"MUBLOBDOB" wieder und fängt an, drin zu lesen. Auch Boris holt sich
sein Buch und liest. Nach etwa zwei Stunden erste Buh-Rufe aus dem Publikum,
die sich rasch zu einem schrillen Aufschrei des Unmuts steigern. Anton und
Boris blicken verwundert von ihrer Lektüre auf, greifen dann in ihre Fässer und
werfen massenweise Taschenbuchausgaben des "MUBLOBDOB"
ins Publikum. Das Publikum verläßt das Theater, jeder gebannt in sein
Taschenbuch vertieft. Manche Besucher stoßen beim Rausgehen zusammen, manche
fallen von der Galerie ins Parkett, weil sie nicht mehr auf den Weg achten,
aber selbst die Verletzten im Parkett lesen gebannt weiter.
Nach 23 Stunden fällt der Vorhang im außer Anton, Boris
und der dritten Schicht Bühnenarbeiter leeren Theater.
Wer erfahren will, warum Anton und
Boris bandagiert sind, wieso sie ihren Tag in Heringsfässern zubringen und wo
die Grenzen menschlichen Erkennens liegen, der wird nicht umhin können, sich
den ganzen Roman "MUBLOBDOB - Eine Geschichte von Leidenschaft und Zufall" reinzupfeifen.