Was an den Allgemeinen Menschenrechten auffällt, ist der
Umstand, daß während fast der gesamten bekannten Menschheitsgeschichte fast niemand auf die Idee kam, diese
Menschenrechte zu formulieren oder gar durchzusetzen. Zehntausende von Jahren
lang hat anscheinend niemand die Menschenrechte vermißt, zehntausende von
Jahren lang war es eine Selbstverständlichkeit, daß Menschen im Besitz von
Menschen waren.
Schon immer gab es wirtschaftlich gute und schlechte Zeiten.
Die schlechten Zeiten kamen durch äußere Ereignisse zustande: Dürre oder
übermäßiger Regen vernichtete, bzw. reduzierte die Ernte, fremde Heere
verwüsteten die Felder oder fällten die Olivenbäume. Erst seit dem Kapitalismus
gibt es schlechte Zeiten, die aus dem Wirtschaftssystem selber kommen,
periodisch, unvermeidbar. Konjunkturschwankungen. Erst seit dem Kapitalismus
führt Überproduktion, also ein Zuviel an gesellschaftlich erzeugtem
Reichtum zu Krise und damit Armut.
Diese periodischen Konjunkturschwankungen machen den Besitz von Menschen unattraktiv für die
Besitzenden. Der Sklave, der Leibeigene, der mir gehört und den ich umsorgen muß, weil er mein Eigentum ist, ist
unattraktiv geworden. Gefragt ist der Freie Lohnarbeiter, den ich miete, wenn ich ihn brauche und wieder rauswerfe,
pardon: freisetze, wenn ich ihn nicht mehr brauche. In der Französischen
Revolution wurde die Freiheit des Lohnarbeiters, sich ausbeuten zu lassen
erkämpft. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.
Als sich die
Nachricht vom Sturz des Ancien Régime und von der Geburt der Republik der
Gleichheit bis in die französische Kolonie Haiti herumgesprochen hatte, hielten
die dortigen Negersklaven dies für eine wahnsinnig gute Idee. "Genau, wo
der Robespierre recht hat, hat er recht, wir sind alle gleich. Sklave und Sklavenhalter
sind veraltete Modelle, eine Gesellschaft aufzubauen. Also, Leute, wir
verpissen uns von den Plantagen, baut euer Zuckerrohr selber an."
Das kam nicht gut an bei den Sklavenhaltern. Hoppala, so war
das mit der Gleichheit nicht gemeint. Toussaint Louverture
dagegen meinte, doch, genauso sei das gemeint.
Und so wurde Haiti zur ersten Negerrepublik Amerikas.
Arbeitsverhältnisse, in denen der Arbeiter völlig rechtlos
ist, nennt man heute gerne "moderne Sklaverei". Das ist natürlich
eine verharmlosende Wortwahl. In der Klassischen Sklaverei waren die Sklaven
Besitz des Sklavenhalters,
Besitzende gehen - soweit dies irgend möglich ist - pfleglich mit ihrem
Eigentum um, nicht aus Menschlichkeit, sondern aus egoistischen Interessen.
Klassische Sklavenhalter haben einen Teil ihrer Sklaven nicht von den Plantagen
gejagt, wenn der Zuckerrohrpreis auf dem Weltmarkt sank. Bei einem Anstieg der
Preise hätten sie nämlich für teures Geld neue Sklaven kaufen oder selber im
Dschungel einfangen müssen.
Ach, die gute alte Sklaverei.
Ich erinnere mich dumpf an einen jungen Mann aus Nazareth,
der in seinem Nachdenken über Allgemeine Menschenrechte schon ziemlich weit
gekommen war. ("Was ihr dem
Geringsten meiner Brüder - ja gut, auch bei ihm waren Frauen noch nicht
erfunden - getan habt, das habt ihr mir
getan." - Was für ein Satz!)
Andererseits fällt mir Aristoteles ein, ansonsten alles
andere als ein Plattkopf, der in seiner "Politik" geradezu haarsträubend einfältig und tautologisch
über die Sklaverei räsoniert.
Denn was mit Verstand
voraus zu sehen vermag, ist von Natur aus das Herrschende, was aber mit seinem
Körper das Vorgesehene auszuführen vermag, ist das von Natur Beherrschte und
Dienende. Darum ist auch der Nutzen für Herrn und Sklave derselbe. (...) Bei
den Barbaren freilich haben das Weibliche und das Beherrschte denselben Rang.
Dies kommt daher, dass sie das von Natur Herrschende nicht besitzen, sondern
die Gemeinschaft bei ihnen nur zwischen Sklavin und Sklave besteht. Darum sagen
die (griechischen) Dichter: "Dass Griechen über Barbaren herrschen, ist
gerecht", da nämlich von Natur der Barbar und der Sklave dasselbe sei...
(...)
Sprechen wir nun
zuerst über die Hausverwaltung (das griechische Wort für Hausverwaltung ist οἰκονομία, oikonomia;
W. H.). Denn jeder Staat ist
aus Häusern zusammen gesetzt. Die Teile der Hausverwaltung sind wiederum jene,
aus denen sich das Haus zusammen setzt. Das vollständige Haus setzt sich aus
Sklaven und Freien zusammen...
Da der Besitz ein Teil
des Hauses ist und die Lehre vom Besitz ein Teil der Lehre von der
Hausverwaltung (denn ohne die notwendigen Güter kann man weder leben noch
vollkommen leben), und da wie für die einzelnen bestimmten Handwerkskünste die
zugehörigen Werkzeuge vorhanden sein müssen, wenn die Aufgabe erfüllt werden soll
( von den Werkzeugen sind die einen beseelt und anderen unbeseelt, wie etwa für
den Steuermann das Steuer ein unbeseeltes und der Steuergehilfe ein beseeltes
Werkzeug ist - denn beim Handwerk steht der Gehilfe im Rang eines Werkzeuges),
so ist auch für den Hausverwalter der Besitz im einzelnen ein Werkzeug zum
Leben und im Ganzen eine Sammlung solcher Werkzeuge und der Sklave ein
beseelter Besitz. Jeder Diener ist gewissermaßen ein Werkzeug, das viele andere
Werkzeuge vertritt. Wenn nämlich jedes einzelne Werkzeug auf einen Befehl hin,
oder einen solchen schon voraus ahnend, seine Aufgabe erfüllen könnte..., wenn
also das Weberschiffchen so webte und das Plektron so Kithara schlüge, dann
bedürften weder die Baumeister der Gehilfen, noch die Herren der Sklaven.
Von einem Besitzstück
redet man gleich wie von einem Teil. Der Teil ist nun nicht nur der Teil eines
Anderen (eines Ganzen) sondern gehört überhaupt einem Anderen (dem Ganzen. Ein
Teil ist niemals selbständig, sondern immer Teil eines Ganzen.) So auch das
Besitzstück. Darum ist der Herr (als ein eigenständiges Ganzes) bloß Herr des
Sklaven, gehört ihm aber nicht; der Sklave dagegen ist nicht nur Sklave des
Herren, sondern gehört ihm ganz.... Der
Mensch, der seiner Natur nach nicht sich selbst, sondern einem anderen gehört,
ist von Natur ein Sklave; einem anderen Menschen gehört, wer als Mensch ein
Besitzstück ist, das heißt ein für sich bestehendes, dem Handeln dienendes
Werkzeug...
(...)
Die Seele regiert über
den Körper in der Weise eines Herrn...Daraus wird klar, dass es für den Körper
naturgemäß und zuträglich ist, von der Seele beherrscht zu werden; ebenso für
den leidenschaftsbegabten Teil der Seele (die Leidenschaften des Menschen) vom
Geiste und vom vernunftbegabten Teil beherrscht zu werden; Gleichheit oder ein
umgekehrtes Verhältnis wäre für alle Teile schädlich.
(...) Diejenigen, die
so weit voneinander verschieden sind wie die Seele vom Körper und der Mensch
vom Tier (dies gilt bei allen denjenigen, deren Aufgabe die Verwendung ihres
Körpers ist und bei denen dies das Beste ist, was sie leisten können), diese
sind Sklaven von Natur und für sie ist es...besser auf die entsprechende Art
regiert zu werden.
Von Natur ist also jener ein Sklave, der einem anderen zu gehören
vermag und ihm darum auch gehört, und der so weit an der Vernunft teil hat,
dass er sie annimmt, aber nicht selbständig besitzt.
Die Weisheit in einem Satz zusammengefaßt: Der Sklave ist
ein Sklave, weil er halt ein Sklave ist, da kannst nix machen.
Klar, Aristoteles mußte so argumentieren, er lebte in einer
Welt, in der seine eigene materielle Existenz von Sklaven gesichert wurde. Die
Abschaffung der Sklaverei hätte ihn seine behagliche Existenz als Freier
Philosoph gekostet.
Friedrich Engels hat eine - durchaus nicht satirisch
gemeinte - Verteidigung der antiken Sklaverei geschrieben. ("Herrn
Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft", 2. Abschnitt, IV.
Gewaltstheorie)
Die naturwüchsige
Arbeitsteilung innerhalb der ackerbauenden Familie erlaubte auf einer gewissen
Stufe des Wohlstands die Einfügung einer oder mehrerer fremden Arbeitskräfte.
Dies war besonders der Fall in Ländern, wo der alte Gemeinbesitz am Boden
bereits zerfallen oder doch wenigstens die alte gemeinsame Bebauung der Einzelbebauung
der Bodenanteile durch die entsprechenden Familien gewichen war. Die Produktion
war so weit entwickelt, daß die menschliche Arbeitskraft jetzt mehr erzeugen
konnte, als zu ihrem einfachen Unterhalt nötig war; die Mittel, mehr
Arbeitskräfte zu unterhalten, waren vorhanden; diejenigen, sie zu beschäftigen,
ebenfalls; die Arbeitskraft bekam einen Wert.
Aber das eigne Gemeinwesen und der Verband, dem es angehörte, lieferte keine
disponiblen, überschüssigen Arbeitskräfte. Der Krieg dagegen lieferte sie, und
der Krieg war so alt wie die gleichzeitige Existenz mehrerer
Gemeinschaftsgruppen nebeneinander. Bisher hatte man mit den Kriegsgefangnen
nichts anzufangen gewußt, sie also einfach erschlagen, noch früher hatte man
sie verspeist. Aber auf der jetzt erreichten Stufe der »Wirtschaftslage«
erhielten sie einen Wert; man ließ sie also leben und machte sich ihre Arbeit
dienstbar. So wurde die Gewalt, statt die Wirtschaftslage zu beherrschen, im
Gegenteil in den Dienst der Wirtschaftslage gepreßt. Die Sklaverei war erfunden. Sie wurde
bald die herrschende Form der Produktion bei allen, über das alte Gemeinwesen
hinaus sich entwickelnden Völkern, schließlich aber auch eine der Hauptursachen
ihres Verfalls. Erst die Sklaverei machte die Teilung der Arbeit zwischen
Ackerbau und Industrie auf größerm Maßstab möglich, und damit die Blüte der
alten Welt, das Griechentum. Ohne Sklaverei kein griechischer Staat, keine
griechische Kunst und Wissenschaft; ohne Sklaverei kein Römerreich. Ohne die
Grundlage des Griechentums und des Römerreichs aber auch kein modernes Europa.
Wir sollten nie vergessen, daß unsere ganze ökonomische, politische und
intellektuelle Entwicklung einen Zustand zur Voraussetzung hat, in dem die
Sklaverei ebenso notwendig wie allgemein anerkannt war. In diesem Sinne sind
wir berechtigt zu sagen: Ohne antike Sklaverei kein moderner Sozialismus.
Es ist sehr wohlfeil,
über Sklaverei und dergleichen in allgemeinen Redensarten loszuziehn und einen
hohen sittlichen Zorn über dergleichen Schändlichkeit auszugießen. Leider
spricht man damit weiter nichts aus als das, was jedermann weiß, nämlich daß
diese antiken Einrichtungen unsern heutigen Zuständen und unsern durch diese
Zustände bestimmten Gefühlen nicht mehr entsprechen. Wir erfahren damit aber
kein Wort darüber, wie diese Einrichtungen entstanden sind, warum sie bestanden
und welche Rolle sie in der Geschichte gespielt haben. Und wenn wir hierauf
eingehn, so müssen wir sagen, so widerspruchsvoll und so ketzerisch das auch
klingen mag, daß die Einführung der Sklaverei unter den damaligen Umständen ein
großer Fortschritt war. Es ist nun einmal eine Tatsache, daß die Menschheit vom
Tiere angefangen und daher barbarische, fast tierische Mittel nötig gehabt hat,
um sich aus der Barbarei herauszuarbeiten. Die alten Gemeinwesen, wo sie
fortbestanden, bilden seit Jahrtausenden die Grundlage der rohesten Staatsform,
der orientalischen Despotie, von Indien bis Rußland. Nur wo sie sich auflösten,
sind die Völker aus sich selbst weiter vorangeschritten, und ihr nächster
ökonomischer Fortschritt bestand in der Steigerung und Fortbildung der
Produktion vermittelst der Sklavenarbeit. Es ist klar: solange die menschliche
Arbeit noch so wenig produktiv war, daß sie nur wenig Überschuß über die
notwendigen Lebensmittel hinaus lieferte, war Steigerung der Produktivkräfte,
Ausdehnung des Verkehrs, Entwicklung von Staat und Recht, Begründung von Kunst
und Wissenschaft nur möglich vermittelst einer gesteigerten Arbeitsteilung, die
zu ihrer Grundlage haben mußte die große Arbeitsteilung zwischen den die
einfache Handarbeit besorgenden Massen und den die Leitung der Arbeit, den
Handel, die Staatsgeschäfte, und späterhin die Beschäftigung mit Kunst und
Wissenschaft betreibenden wenigen Bevorrechteten. Die einfachste, naturwüchsigste
Form dieser Arbeitsteilung war eben die Sklaverei. Bei den geschichtlichen
Voraussetzungen der alten, speziell der griechischen Welt konnte der
Fortschritt zu einer auf Klassengegensätzen gegründeten Gesellschaft sich nur
vollziehn in der Form der Sklaverei. Selbst für die Sklaven war dies ein
Fortschritt; die Kriegsgefangnen, aus denen die Masse der Sklaven sich
rekrutierte, behielten jetzt wenigstens das Leben, statt daß sie früher
gemordet oder noch früher gar gebraten wurden.
Fügen wir bei dieser
Gelegenheit hinzu, daß alle bisherigen geschichtlichen Gegensätze von
ausbeutenden und ausgebeuteten, herrschenden und unterdrückten Klassen ihre
Erklärung finden in derselben verhältnismäßig unentwickelten Produktivität der
menschlichen Arbeit. Solange die wirklich arbeitende Bevölkerung von ihrer
notwendigen Arbeit so sehr in Anspruch genommen wird, daß ihr keine Zeit zur
Besorgung der gemeinsamen Geschäfte der Gesellschaft – Arbeitsleitung,
Staatsgeschäfte, Rechtsangelegenheiten, Kunst, Wissenschaft etc. – übrigbleibt,
solange mußte stets eine besondre Klasse bestehn, die, von der wirklichen
Arbeit befreit, diese Angelegenheiten besorgte; wobei sie denn nie verfehlte,
den arbeitenden Massen zu ihrem eignen Vorteil mehr und mehr Arbeitslast
aufzubürden. Erst die durch die große Industrie erreichte ungeheure Steigerung
der Produktivkräfte erlaubt, die Arbeit auf alle Gesellschaftsglieder ohne
Ausnahme zu verteilen und dadurch die Arbeitszeit eines jeden so zu
beschränken, daß für alle hinreichend freie Zeit bleibt, um sich an den
allgemeinen Angelegenheiten der Gesellschaft – theoretischen wie praktischen –
zu beteiligen. Erst jetzt also ist jede herrschende und ausbeutende Klasse
überflüssig, ja ein Hindernis der gesellschaftlichen Entwicklung geworden, und
erst jetzt auch wird sie unerbittlich beseitigt werden, mag sie auch noch
sosehr im Besitz der »unmittelbaren Gewalt« sein.
Früher war nie was besser, sondern lediglich anders.
Wenn ich mir Gedanken mache über die Geschichte der
Menschenrechte, dann stehe ich vor einem Problem. Ich muß zur Kenntnis nehmen,
daß viele, viele Jahrtausende lang die Menschheit die Menschenrechte nicht
vermißt hat, von ans Kreuz genagelten Spinnern mal abgesehen. Menschenrechte
spielten in der Geistes- und Sozialgeschichte der Menschheit keine Rolle, von -
wie gesagt - einigen Spinnern abgesehen. Aus dieser Kenntnisnahme folgt absolut zwingend, daß ich mir dieses
äußerst erstaunliche Phänomen irgendwie erklären muß. Das habe ich versucht,
vor mir haben das schon andere getan (auch meine Art zu denken, hat mir nicht
der Liebe Gott persönlich ins Hirn gehaucht), unter anderem der oben zitierte
Friedrich Engels.
Natürlich ist das Nachdenken über Allgemeine Menschenrechte
nicht dadurch entstanden, daß sich jemand gedacht hat: "Hoppala, Moment
mal, was die Medici mit ihrer Bank gemacht haben und was der Herr Fugger mit
seinem Konzern jetzt macht, das sieht ganz so aus, als bräche in naher Zukunft
der Kapitalismus aus. Der Kapitalismus braucht keine Leibeigenen mehr, sondern
vielmehr Freie Lohnarbeiter. Deswegen muß ich jetzt frisch die Feder ins
Tintenfaß tauchen und den Feudalherren ihre Leibeigenen abschwatzen." So
simpel läuft das nicht.
Was aber lief, war, daß sich die ökonomischen Verhältnisse
zu wandeln begannen und mit den ökonomischen Verhältnissen verändern sich auch
die Gedanken der Menschen.
Ein Mitdiskutant meinte damals: "Ja, naja, das hielte ich für eine ebenso einseitige wie verkürzende
Darstellung."
Ich antwortete ihm:
Die Darstellung eines Sachverhaltes, die den Sachverhalt auf
den Punkt bringt und Stellung dazu bezieht, wird - wenn wir nicht gerade über
den Satz des Pythagoras diskutieren - notwendigerweise einseitig sein müssen.
Der gute alte Besinnungsaufsatz in der Schule mußte
dialektisch aufgebaut sein, These + Antithese -> Synthese, wobei die
Synthese darauf hinauslief: "Einerseits, andererseits... ja, was weiß denn
ich!".
Auf Aristoteles bezogen meinte derselbe Diskutant, er
empfinde ihn als zumindest erfrischend
ehrlich.
Was heißt "erfrischend ehrlich", erwiderte ich. Aristoteles
hat seine Argumentation ganz sicher nicht als so rotzfrech und hirnblöd
empfunden, wie sie uns Heutigen erscheint. Der mußte an den Sinn von Sklaverei glauben, weil er abhängig war von
ihr. Wird ein Alkoholiker, der sich (noch) in seinem Alkoholismus wohlfühlt,
seine Schnapsvorräte in die Spüle gießen? Und wird er sich nicht tausend gute
Gründe ausdenken, warum er den Schnaps nicht wegschüttet?
Interessanter weil
ambivalenter ist mir immer das Beispiel der sogenannten Gründungsväter der USA
vorgekommen, die in wirklich wunderbarer Rhetorik Texte erdacht und geschrieben
haben, die ich auch heute noch stark finde, die aber zu einem nicht geringen
Teil selbst große Sklavenhalter waren. Wenn das nicht eine walking
contradiction ist, dann weiß ich auch nicht.
Das ist, entgegnete ich, dasselbe Phänomen wie das von mir
bereits angerissene Beispiel der Negersklaven von Haiti, welche die neue
Ideologie ihrer Sklavenhalter begierig aufgegriffen haben. Die Sklavenhalter
haben sich selber ruhiggestellt, indem sie die Idee entwickelten, es seien die Neger
keine Menschen, jedenfalls keine so richtigen.
Im amerikanischen Bürgerkrieg kämpfte der bereits weitgehend
industrialisierte Norden (der Freie Lohnarbeiter brauchte, die man
gegebenenfalls entlassen konnte) gegen den auf Latifundien-Landwirtschaft
gegründeten Süden, der auf seine Sklaven angewiesen war. Das war kein Krieg Gut
gegen Böse, sondern von Fabrik gegen Plantage.
Es ist auch kein Zufall, daß die endlich erstrittenen
Menschenrechte lange, lange Zeit nicht für Frauen galten. Im Französischen wie
im Englischen gibt es nur ein Wort für Mensch und Mann, was aber die
fortgesetzte Benachteiligung von Frauen lediglich kaschierte, nicht in der
Sache begründete.
Wie Aristoteles gegenüber den Sklaven, so argumentierte man
gegenüber den Frauen, sie stünden naturgegeben physiologisch und intellektuell
unterhalb der Männer.
Denken ist (oftmals) nicht logisch, es ist
interessengeleitet.
Man kann so gut für
als wider einen Satz verblendet sein; Gründe
sind öfters und meistenteils nur Ausführungen von Ansprüchen, um etwas, das man
in jedem Fall doch getan haben würde, einen Anstrich von Rechtmäßigkeit und
Vernunft zu geben. Es scheint, die Natur habe eine so nötige Sache, als ihr
die Überzeugung beim Menschen war, nicht gern auf Vernunftschlüsse allein
ankommen lassen wollen, in dem diese leicht betrüglich sein können. Der Trieb
kommt uns dem Himmel sei es gedankt, schon über den Hals, wenn wir oft mit dem
Beweis der Nützlichkeit und Nötigkeit noch nicht halb fertig sind.
(G. Ch. LICHTENBERG "Sudelbücher")
Sind wir uns darüber einig, daß die Menschenrechte eine
relativ neue Erfindung der Philosophie sind? Falls ja, wie erklärt man sich den
merk ‑ würdigen Umstand, daß die Menschenrechte erst so verdammt spät
auch nur gedacht wurden?
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen