4.1.22

Über die Vergänglichkeit der Vergangenheit

Vor einigen Wochen, es ist noch gar nicht so lange her, hab ich in meinem rechten Schreibtisch nach Reißnägeln gesucht. Ich wußte, da mußten noch Reißnägel sein. Sie waren da, die Plastikschachtel war aber bereits ziemlich schmuddelig.

Beim Zurücklegen in die Schublade fiel mir auf, daß der Preis auf der Packung noch in DM angegeben war. Wann ist der Euro als Bargeld eingeführt worden? 2001? Ich les grad: 1. Januar 2002. Da waren wir bereits in Italien, die Reißnägel muß ich also noch in den Neunzigern erworben haben.

Das ist ein Anlaß, über die Stufen der Vergänglichkeit nachzudenken.

Erst ist das Ding neu, dann wird es allmählich zum alten Glump und in fünfzig Jahren wird die Schachtel Reißnägel zur Antiquität veredelt wiederauferstehen.

Lachgummi

Es mag fünf oder vielleicht auch zehn Jahre her sein, daß die Zuckerlfirma Storck [1] die Produktreihe Lachgummi in die Supermarktregale gebracht hat.

Gott, was hab ich nicht gegrübelt! Jahrelang habe ich mich gefragt, wieso die Dinger "Lachgummi" heißen und was an ihnen so lächerlich sein könnte. Ein Jahr, ungefähr, ist's her, daß ich das Rätsel gelöst habe.




[1]   Amerikanische Wissenschaftler haben festgestellt, daß die Firmen Storck und Haribo dem Bundesverband Deutscher Zähnärzte gehören. Die Lügenpresse verschweigt so was natürlich.

Der meschuggenste Baiernkönig, wo jemals gab

Daß der Kine, also König Ludwig II. von Bayern ein bisserl wirr im Hirn war, darüber werden wir leicht Einigkeit erreichen. Ein Monarch, der demonstrativ der Deutschen Reichsgründung im Spiegelsaal von Versailles fern bleibt, der lieber Schlösser bauen läßt als Militärparaden abzunehmen, ist schon ein wenig verhaltensauffällig. Der Kine ging auch nicht nach Königsart auf die Jagd [1], wie dies einst sein Vater Max II. Joseph so geliebt hatte, es fehlte ihm schlicht dieser für einen Staatsfrau so wichtige Instinkt zum Töten, was ihn letztlich das Leben gekostet hat.

Der Andere, also König Otto I. von Bayern, dem Kine sein Bruder, hat fast sein ganzes Leben in der Irrenanstalt Fürstenried (heute nach München eingemeindet) verbracht, die man extra und exklusiv für ihn eingerichtet hat.

Ich möchte, damit es nicht in Vergessenheit gerät, bei der Gelegenheit daran erinnern, daß König Ludwig I. noch meschuggener war als seine beiden Enkel Ludwig und Otto. "Noch meschuggener" deshalb, weil Ludwig I. bei klarem Bewußtsein verrückt war.

Schon als Kronprinz war Ludwig ein deutschnationaler Napoleonhasser gewesen. Für treue Dienste erhob Napoleon den bairischen Herzog Maximilian zum König, wozu Napoleon nach den alten Adelsregeln nicht das allermindeste Recht hatte. Ein auch nur leidlich vernünftiger Mensch hätte als Regent schlagartig den Spaßtitel "König" von sich geworfen. Ludwig behielt ihn.

Ludwig I. war ein großer Freund der Griechen, sein Sohn Otto war übrigens der erste griechische König der Neuzeit. Das Y galt Ludwig als der griechischste Buchstabe überhaupt. Das vordem überwiegend mit "i" geschriebene Baiern wurde unter seiner Regentschaft zu Bayern, und wird heute noch so geschrieben. Ludwig plante, München in Mynchen umzubenennen. Wegen Lola Montez, Bierpreis und überhaupt Revolution 1848 kam er nicht mehr dazu. Manchmal ist eine Revolution halt doch zu was gut.

Aber immerhin – wir verdanken es Ludwig I., daß Heinrich Heine auch nach seiner kurzen Zeit in München sich weiter zu einem der größten Dichter deutscher Sprache entwickelte und nicht vergoethelte.



[1]   Erstaunlich viele Leute glauben immer noch, der sogenannte "Königsjodler" besinge Ludwig II., was natürlich ein Schmarrn der Sonderklasse ist, vergleichbar etwa mit dem Wilden Gerücht, Mozart sei Österreicher gewesen.

Grenzen

Geboren bin ich in Gangkofen, so umra 50 km Luftlinie von Österreich entfernt. Dieser Geburtsort war mehr oder weniger Zufall, meine Eltern und gleichfalls meine ganze Mischpoke, kamen aus dem Sudetenland und es hat sie halt irgendwie nach Niederbayern gespült. Nach dem Krieg war man heilfroh, wenn man ihn irgendwie überlebt hatte, egal wo, und sei's halt Niederbayern.

Zwei Jahre später sind wir nach Eggenfelden verzogen, weit war das nicht von Gangkofen, derselbe Landkreis sogar. Von Eggenfelden waren (und sind!) es nur noch ca. 30 km Luftlinie nach Braunau am Inn. Man stelle sich das vor: Wäre ich nur 30 km weiter südlich geboren, wäre ich wahrscheinlich mit dem 8 Tage älteren Klaus Eberhartinger in Braunau in die Volksschule gegangen und wir hätten einen Ba - Ba - Banküberfall geplant.

Die Österreicher waren damals Narren, die 7 Schüllinge hingeschrieben haben, wenn sie 1 Mark meinten. Wenn du in Österreich irgendwas kaufen wolltest, dann stand da drauf, das Zeug koste 37 Schüllinge. Wenn du wissen wolltest, was das Zeug wirklich kostet, mußtest du durch 7 teilen. Damals aber war der Taschenrechner noch nicht erfunden... Ich dachte damals bei mir, die Österreicher müßten ziemliche schlaue Madl und Burschen sein, wenn sie das mit der Siebenteilung anscheinend so locker im Alltag handhaben können. Aber, so dachte ich weiter, wenn sie schon so schlau sind, warum schreiben sie nicht von vornherein die richtigen Preise hin?

Ich hab damals Österreicher für völlig durchgeknallt gehalten und das tue ich bis heute, heute mehr denn je, da ich "Fisch & Fleisch" kenne.

Die später zu mir durchgesickerte Information, ich sei als Abkömmling von Sudetendeutschen selber Österreicher habe ich verdrängt. Wer will schon für einen Bio-Österreicher gelten, wenn er sich genau so gut auch als Paßdeutscher ausgeben kann?

Was ich sagen will... Die Grenze nach Österreich war für mich der Inn. Ich war Nichtschwimmer (und bin es bis heute), was hieß, daß ich einen Fluß für eine eherne Grenze gehalten habe. Da kommst du nicht durch!

Irgendwann, ich war immer noch ziemlich klein, war ich mit meinen Eltern im Bayerischen Wald, direkt an der Grenze zur Tschechoslowakei. Ich hatte zuvor vom Eisernen Vorhang, von den stacheldrahtverhangenen Grenzbefestigungen gelesen und war nun sehr enttäuscht. Gesehen hat man nämlich nix¸ mein Vater hat irgendwie ins Ungefähre gedeutet und gemeint, dort bei den Bäumen sei die Grenze sowie der gleichnamige Zaun, dahinter, bei den anderen Bäumen sei das Niemandsland. Das Wort "Niemandsland" fasziniert mich bis heute. Bis heute kann ich mir nix drunter vorstellen. Ich mein, irgendwer muß doch dort sein, und sei's ein Fuchs oder ein Hase.

Einige Jahre später kam ich auf das Gymnasium Pfarrkirchen [1]  und hab Geschichte gelernt. Wir hatten den Historischen Weltatlas, den ich zweimal die Woche auf meinem zarten Kinderrücken ins Gymnasium tragen mußte. In diesem Historischen Weltatlas konnte ich die Grenzen von Preußen und Polen und Rußland sehen, sowie jene zwischen Dings- und Bumsistan. Irgendwann war dann für geraume Zeit Polen verschwunden, zu einer Zeit als es Deutschland noch gar nicht gab. Wie kann ein ganzes Land plötzlich verschwinden? Was man dem Historischen Weltatlas ebenfalls entnehmen konnte, war, daß sich diese Grenzen häufig änderten, nicht selten alle paar Jahre. Vor meinem geistigen Auge sah ich riesige Gruppen von Stachel- und Maschendrahtzaunverschiebern, die emsig durch die Landschaft stapften und die Grenzzäune auf den jeweils aktuellen Stand brachten.



[1]   Also noch näher an Braunau dran.

Sind Könige Mörder?

Man kennt es aus der Geschichte zur Genüge: In den regierenden Familien nicht nur der europäischen Monarchien war es ein oft und gern geübter Brauch, daß Väter ihre Söhne, Onkel ihre Neffen (und jeweils umgekehrt) nicht nur töten wollen [1], sondern dies auch tatsächlich tun.

Als moderner Mensch steht man etwas ratlos vor diesem Phänomen und tut dies als irgendwie gearteten Brauch ab.

Dabei ist die Tötung naher Verwandter in dynastisch-monarchischen Herrscherhäusern das Ergebnis eines verdammten Dilemmas.

Monarchische Herrscherhäuser entstehen aus dem Adel. Der Adel war eine Kriegerkaste, die sich und ihre Eigenschaften edel, edelig, adelig nannte. Diese Berufskrieger be­herrschten den Stamm, einschließlich der besiegten anderen Stämme, denn alle Macht kommt von der Klinge des Schwertes. Jener wiederum aus dieser Gruppe, der sich als der stärkste, brutalste, hinterhältigste - also: edelste, edeligste, adeligste - von allen erwiesen hatte, be­herrschte den herrschenden Adel und nannte sich König (oder Häuptling oder Fürst oder wie immer).

Damit die Herrschaft auch nach dem Tode des Königs in seiner Familie blieb, bestimmte der König seinen ältesten (überlebenden) Sohn zum Nachfolger. Um auf Dauer König, und also Chef einer brandgefährlichen, vor nichts zurückschreckenden Machtelite zu bleiben, mußte der Thronfolger (und nicht nur er, sondern auch die anderen Söhne, die quasi als Reserve bereit stehen, wenn dem Thronfolger etwas zustößt) mindestens genauso stark, brutal und hinterhältig sein wie der alte König, sein Vater. Damit er dies wurde, war es unumgänglich, ihn von Kindesbeinen an in den edlen Tu­genden des Adels, also Stärke, Brutalität und Hinterhältigkeit zu schulen.

Dadurch sicherte der König seiner Familie das Königtum über den eigenen Tod hinaus.

Dadurch geriet der König aber auch in ein verfluchtes Dilemma. Ein berufsbedingt ultramieser Stinkstiefel muß berufsbedingt im eigenen Hause eine Brut ultramieser Stinkstiefel heranzie­hen, damit einer von ihnen dereinst sein würdiger Nachfolger werde. Die Söhne des Königs sind Leute, denen man von klein auf beigebracht hat, jeden umzulegen, der ihnen im Wege steht.

Diese Schulung des eigenen Nachwuchses in den Tugenden des Adels ist für den König eine Investition in die Zukunft seiner Gene über den individuellen Tod hinaus. Solange er lebt, ist aber noch er König und muß vor dieser Horde machtgieriger und vor nichts zurückschreckender Söhne eine Heidenangst haben.

Scheißspiel!

Nun sind Morde innerhalb einer Familie auch heute nicht so selten, wie es sich der biedere Menschenfreund vorstellt. Bei der überwiegenden Mehrzahl aller Tötungsdelikte besteht (laut der Kriminalstatistik unserer Tage) eine enge verwandtschaftliche Beziehung zwischen Täter und Opfer.

Der moderne Psychologe aber sagt dir, daß in deiner Familie bei der Entwicklung der persönli­chen Beziehungen verdammt viel schief gelaufen sein muß, bis es soweit kommt, daß dich der eigene Sohn irgendwann erschlägt. In den guten, alten Zeiten jedoch war - zumindest bei Kö­nigs - der Vater-/Sohn-/Bruder-Mord die Folge einer geglückten Erziehung.

P. S.: Welcher europäische König hatte auf seiner Brust die Tätowierung "Tod den Königen!" Wer es weiß, den ernenne ich zum König oder salbe sie wahlweise zur Päpstin.

 



[1]   Ödipus-Komplex, eh schon wissen