Mittwoch, 3. Mai 2023

Man sagt ja nix, man red't ja bloß

Unbeirrbar

Auf www.prisma.de las ich in einem Artikel über Amedeo Modigliani den Satz "Bestens bewandert in antiker Bildhauerei, befolgte [1] der scheinbar so labile junge Mann unbeirrbar, was man heute ein Konzept nennen würde:..."

Ich bin zusammengezuckt beim Lesen, so wie ich jedes Mal zusammenzucke, wenn ich das Wort "unbeirrbar" lese oder höre.

Merkwürdigerweise nämlich liest man dieses Wort so gut wie nie im Rahmen einer Beschimpfung, man liest es vielmehr häufig in Festreden und Nachrufen: "Unbeirrbar ging sie ihren Weg" oder "Unbeirrbar verfolgte er seine Ziele".

"Unbeirrbar" gilt offensichtlich als positiver Begriff. Stünde da "unbeirrt", ich könnte nicht meckern.

Wenn ich nachträglich den Lebensweg eines Menschen betrachte und feststelle, daß er eine einmal gewählte Richtung unbeirrt verfolgt hat, dann heißt das, daß er sich durch Widerstände und Anfechtungen letztlich nicht hat beirren lassen, daß er konsequent seinen Weg gegangen ist. Ich habe keine Mühe damit, in dieser Beschreibung etwas Positives zu erkennen.

Es steht da aber "unbeirrbar".

Ein unbeirrbarer Mensch ist für mich in meinem Wortverständnis ein dumpfer, stumpfer Hund der Sonderklasse, einer, der sich durch keine Vernunft, kein Argument, keine Erfahrung beirren läßt [2], der einfach stur seinen Weg voranschreitet, durch nichts zu beeindrucken und zu belehren. Der schaut nur direkt nach vorne, schaut nicht nach links und nicht nach rechts, nach hinten sowieso nicht. Der ist für Erfahrungen und Irritationen, die andere Leute zu einer Kurskorrektur veranlassen, nicht zugänglich.

In einer Usenet-Diskussion entgegnete mir einer, "unbeirrbar" sei für ihn auch einer, "der sich von dem üblichen Getöse, das die um ihn herum scharwenzelnden Verirrten veranstalten, nicht von seinem geraden Weg ablenken läßt. Seelenruhig, in sich gefestigt, die Ruhe selbst, eine sehr positive Eigenschaft."

Ich entgegnete ihm mit einem Zitat "Der unerschütterliche Glaube ist keine Tugend, sondern ein Laster. (BERTRAND RUSSELL)" und fuhr fort: "Daß man sich nach jedem 'öhm, aber' nicht gleich neu taufen läßt ist eine Sache. Jahrzehntelang dieselbe Überzeugung zu vertreten ist dagegen schon etwas verhaltensauffällig. Man bleibt sich treu, indem man sich ändert. Andere Leute haben auch gute Ideen und von ihnen zu lernen, ist durchaus empfehlenswert."

Aber, wie es mit dem Wortgebrauch halt manchmal ist: Bei uns und bei Leuten, die uns zustimmen, reden wir von Prinzipientreue und Konsequenz, bei Leuten, die eine andere Meinung vertreten, nennen wir dasselbe Phänomen Sturheit.

Trotzdem: Unbeirrbare Leute sind gefährliche, weil dumme Leute.

Unermüdlich

Als seinerzeit die Rücktrittsankündigung von Papst Benedikt XVI. bekannt geworden war, gab die Bayerische Staatskanzlei eine Pressemitteilung von Ministerpräsident Seehofer heraus. Darin hieß es unter anderem: "Mit seiner charismatischen Ausstrahlung und seinem unermüdlichen Einsatz für das Wohl der Kirche hat der Papst aus Bayern die Menschen in aller Welt begeistert."

Als ich den Satz in den Nachrichten - indirekt zitiert - das erste Mal hörte, ließ er mich zusammenzucken. "Unermüdlicher Einsatz"... Dabei geht doch die ganze Rücktrittsgeschichte des Papstes genau darum, daß sein Einsatz ermüdlich war. Alter, Krankheit, zu viel Arbeit für einen Mann dieses Alters und Gesundheitszustandes, all das zusammen hat seine Kraft ermüden lassen.

Untrennbar

Anfang der achtziger Jah­re war in einer Lüneburger Zeitung dieses Bild samt merkwürdiger Unterschrift zu sehen.

Genaugenommen sind natürlich weder das Bild noch die Unterschrift merkwürdig. Sehr merkwürdig allerdings wird es, wenn man weiß, daß das Bild einen Artikel illustrierte, in dem es darum ging, daß die Lüneburger Saline nunmehr - nach eben über 1000 Jahren - wegen Unrentabilität geschlossen wird.

Unter dem Motto der untrennbaren Verbundenheit berichtet die Zeitung darüber, daß Lüneburgs Verbindung mit der Saline nicht nur doch trennbar ist, sondern demnächst auch tatsächlich getrennt wird.

Weiß Gott, wieviel hundert Jahre lang Lüneburger Festredner bei weiß Gott welchen Gelegenheiten die Worthülse von der untrennbaren Verbindung von Stadt und Saline schon verwendet haben. So oft jedenfalls, daß der Zeitungsredakteur die Unsterblichkeit der Verbindung auch dann noch betont, wenn er von deren Tod berichtet.

Wenn Stimmen für immer verklingen

Vor einigen Tagen erst hat auf "Fisch und Fleisch" ein über alle Maßen mit Weisheit bekleckerter Mensch den Tod von Harry Belafonte betrauert, unter der verdächtig nach Poesie klingenden Überschrift "Wenn Stimmen für immer verklingen".

Hm.

Wenn dein Opa stirbt, der sich ein Lebtag lang beharrlich geweigert hat, auch nur einen einzigen Satz in ein Mikrophon zu sprechen, dann ist in der Tat mit seinem Tod seine Stimme für immer verklungen. Wenn dein Opa dagegen Millionen und Abermillionen von Tonträgern besungen und in alle Welt verkauft hat, bleibt seine Stimme über den Ton hinaus erhalten.



[1]   Daß es "verfolgte" heißen müßte statt "befolgte" lassen wir hier mal außen vor.

[2]   Diese Unbeirrbarkeit oder besser: Unbelehrbarkeit ist ein ganz typisches Merkmal für einen psychotischen Menschen, deren es viele hier auf "Fisch und Fleisch" gibt.

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