In einer Internet-Diskussion [1]
hatte einst einer geschrieben: "Soziale
Experimente, bei denen die Beteiligten nicht richtig eingeweiht werden, rufen
bei mir Unbehagen hervor."
Hmnja, aber...
Soziale Experimente in der Psychologie funktionieren nur, weil die Versuchspersonen nicht richtig
eingeweiht sind. Wüßten sie nämlich um den eigentlichen Zweck des Experiments,
würden sich sehr viele Versuchspersonen nicht mehr spontan verhalten, das
Ergebnis wäre verfälscht, weil die Versuchspersonen wüßten, welche Reaktion man
von ihnen erwartet.
Ein harmloses Beispiel: Versuchspersonen sollen sich drauf
konzentrieren, eine Situation zu beobachten und Ereignisse zu zählen.
Den kickboxenden Gorilla, der auf höchst auffällige Weise
durch's Bild läuft, sehen die meisten Versuchspersonen nicht. Hätte man ihnen
auch nur angedeutet, es könnte während der Zählaufgabe irgend etwas
Merkwürdiges passieren, dann hätten sie den Gorilla natürlich gesehen, auf
Kosten der Korrektheit der vordergründig wichtigen Aufgabe [2].
Der genannte Internet-Diskutant fährt fort: Ich erinnere an das berühmte
Milgram-Experiment, bei dem die Studenten ihren Schülern durch vermeintliche
Stromschläge Schmerzen zufügen sollten. Tenor: Die Menschen gehorchen nicht
ihrem Gewissen sondern einer Autorität. Über 50 Jahre hatte niemand an den
Ergebnissen gezweifelt. Dieses Wissen galt als gesichert.
Nun sind Zweifel
aufgetreten als ein australisch-britisches Forscherteam die Originalunterlagen
sichtete. Die Studenten handelten nicht als Befehlsempfänger. Sie waren der
Auffassung, sie agierten für eine gute Sache für die Wissenschaft. Denn Milgrim
hatte das ihnen zuvor eingeimpft.
Es ist unglaublich, es ist absolut unglaublich, mit welchem
Scheisendreck man in die Zeitung kommt. Ein australisch-britisches Forscherteam
hat also die Originalunterlagen gesichtet und dabei aufgedeckt...
Hl. Muttergottes von Tschenstochau! Milgram hat sein
Experiment 1963 gemacht (oder veröffentlicht, ich weiß nicht mehr). 1970 hat
Hans Lechleitner (zusammen mit dem amerikanischen Psychologen David Marc
Mantell und dem deutschen Psychiater Paul Matussek den Dokumentarfilm "Abraham - Ein Versuch" produziert,
der Film lief im Fernsehen, er wurde in Schulen und Universitäten gezeigt.
Sowohl in dem Film als auch in der Veröffentlichung von Milgram wurde arschklar
deutlich gemacht, daß man den Versuchspersonen erzählt hatte, sie nähmen an
einem wichtigen wissenschaftlichen Experiment teil. Milgram hatte ihnen das
nicht "eingeimpft", er hat es ihnen schlicht gesagt. Wenn Versuchspersonen abbrechen wollten, weil sie es nicht
mehr ausgehalten haben, dann hat der Versuchsleiter sie nicht angebrüllt und
mit Konsequenzen gedroht (welche auch, es bestand ja keinerlei
Abhängigkeitsverhältnis zwischen Versuchsperson und Versuchsleiter), er hat
lediglich mit sanfter Stimme gesagt "Machen Sie bitte weiter".
2010 hat ein französischer Dokumentarfilmer namens
Christophe Nick Milgrams Experiment wiederholt, diesmal nicht in einem
Forschungslabor sondern in
einem Fernsehstudio. Kein Dienst an der Wissenschaft mehr, sondern vielmehr
eine (fiktive) Unterhaltungsshow.
Keine wissenschaftliche Autorität gab Anweisungen, es war einfach
nur Spaß. Das heißt, genau genommen wollten die Versuchspersonen das Casting
für eine angeblich neue Fernsehshow bestehen. Sie haben ihre Mit"spieler" zu Tode gequält, weil sie in die Show wollten.
Bei Milgram gingen 61 Prozent der Probanden soweit,
Schläge bis zur wahrscheinlich tödlichen Höchststufe von 450 Volt
zu erteilen, in der französischen Fernsehshow haben bereits 81 Prozent der Versuchspersonen die
"Höchststrafe" vollstreckt. Wenn das nicht lustig ist, was dann?
Aber klar, ich hab
natürlich noch etwas viel lustigeres auf der Pfanne.
1971 hatte der Psychologie-Professor
Philip Zimbardo von der Stanford-Universität sich etwas unglaublich Lustiges
ausgedacht. Professor Zimbardo lobte 15 $ pro Versuchsperson und Tag aus und wählte 21 "ganz normale junge Leute
aus dem Mittelstand", die sich auf Zeitungsannoncen hin gemeldet hatten.
Elf sollten den Part der Wärter, zehn den der Häftlinge übernehmen. Ganz
überraschend wurden dann die zehn von der - echten - Polizei Palo Altos wegen
"Verdachts auf Raubüberfall" in ihren Wohnungen verhaftet, mit
Handschellen gefesselt, durchsucht und schließlich mit verbundenen Augen in
ihre Gefängniszellen gesteckt. In Wirklichkeit waren die mit vergitterten Fenstern,
Pritschen und Kotkübeln hergerichteten Zellen Kellerräume im Universitätsgebäude.
Die uniformierten
Wärter, die reflektierende Sonnenbrillen trugen, um als kalt und unpersönlich
zu erscheinen, gaben sich wirklichkeitsnah hart: Die Zelleninsassen mußten sich
nackt ausziehen, wurden mit Entlausungspuder bestäubt, bekamen numerierte
Häftlingskleidung und hatten Sprechverbot bei den Mahlzeiten, während der
Ruhestunden und nach zehn Uhr abends. Jede Nacht um 2.30 Uhr - so sahen es
Zimbardos Spielregeln vor - sollten sie zum Appell geweckt werden.
(...)
Schon am zweiten Tag
begannen die Zwischenfälle. Einige der Inhaftierten verbarrikadierten sich in
ihren Zellen, andere weigerten sich zu essen. Um weiterer Rebellion
zuvorzukommen, beschlossen die Wärter von sich aus, die Häftlinge gegeneinander
auszuspielen. Die Insassen einer Zelle bekamen zusätzliche Essens- und
Wasserrationen, während es in der Nachbarzelle überhaupt nichts zu essen gab.
(...)
Ihre frisch gewonnene
Macht nutzten die Wärter weidlich aus; Sie beschimpften die Häftlinge, schlugen
sie und hielten sie nach dem Nachtappell stundenlang wach. Schließlich
versteigen sich die Aufseher zu brutalem Sadismus: Die Insassen mußten ihre
Kotkübel mit der Hand leeren und säubern.
Als einige der
Versuchs-Häftlinge mit hysterischen Weinkrämpfen zusammenbrachen und um
Schonung baten, die Wärter ihrerseits aber immer mehr Spaß an sadistischen
Quälereien bekamen, brach der Professor seinen Versuch ab.
stern, 12. 11. 1971
Das ist das Milgram-Experiment in Hardcore. Beim
Milgram-Experiment bekamen die Versuchspersonen die Anweisung, grausam zu sein und die meisten gehorchten. Bei Zimbardo
ist davon nicht die Rede. Sein "Trick" ist, nichts zu machen, gar nichts. Die "Wärter"
leisten sich Übergriffe gegenüber den "Gefangenen" und der
Versuchsleiter greift nicht ein. Die Übergriffe werden grausamer, der
Versuchsleiter läßt die "Wärter" gewähren. Das heißt, im Gegensatz
zum Milgram-Experiment sind hier die Versuchspersonen aus sich heraus grausam, niemand befiehlt es ihnen, niemand
verführt sie auch nur dazu. Die einzige
Verführung besteht darin, daß die Grausamkeiten nicht sanktioniert werden.
Das System Auschwitz.
Das ganz besonders Bemerkenswerte besteht darin, daß
sämtliche beteiligten Personen wußten,
daß es sich hier um ein Spiel handelte. Den "Wärtern" war klar, daß
die "Gefangenen" nicht echte Verbrecher waren, die wegen weiß Gott
welcher Scheußlichkeiten verurteilt worden waren, sondern ganz normale Leute
von der Straße.
Die Frage ist: Warum quälen die "Wärter" die
unschuldigen "Gefangenen"?
Die Antwort ist: Weil
sie es können.
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