Das Volk ist in der Demokratie der Empfänger von Macht, nicht ihr Ursprung
Was Wahrheit
letztendlich und eigentlich ist, ob es überhaupt eine gibt und wenn ja, ob wir
diese je erkennen können, und - falls wiederum ja - wie diese Wahrheit nun
genau aussieht - darüber haben sich Generationen von Philosophen Gedanken
gemacht. Eine Lösung hat bislang noch keiner gefunden, offensichtlicherweise denn
hätte es einer, so gäbe es nur noch 1 Philosophie, und zwar die richtige.
Nach langem Grübeln
über das Leben, das Universum und den ganzen Rest bin ich für mich zu dem
Ergebnis gekommen, daß wir niemals hinter die Wahrheit kommen werden und daß
das auch ganz gut ist. Ich bin zum Anhänger des Jameiismus geworden,
welcher besagt: Ja mei, da kannst nix machen, es is halt wie's is.
Wahrheit
Daß die Frage nach der
Wahrheit immer noch unbeantwortet
ist, sollte niemanden mehr freuen als die Philosophen selber. Die ewige Suche nach der Wahrheit ist für einen berufsmäßigen
Philosophen nämlich ein wesentlich günstigeres Geschäftsmodell als ihr Finden. Käme tatsächlich einer dahinter,
woher wir kommen, wohin wir gehen und welcher Sinn in dem Schlamassel
dazwischen steckt, und könnte er zudem seine Antwort auch stichhaltig und
unwiderleglich beweisen, so wäre die
Luft aus aller Philosophie
und Theologie heraus.
Aus, Äpfel, Amen.
"Laden zu vermieten - Wegen
mangelnder Nachfrage mußten wir die Firma 'Sein & Nichts GbR - Sinn en gros
und en detail' leider schließen."
Wer über ein bisserl
Lebenserfahrung verfügt, weiß natürlich, daß meine Schlußfolgerung Unsinn ist.
So klar und eindeutig kann eine
Antwort gar nicht sein, daß sich nicht doch Leute fänden, die nach der Antwort
hinter der Antwort suchen.
Douglas Adams hat sich
in "Per
Anhalter durch die Galaxis" [1] mit
seiner Episode vom Computer Deep Thought über
die Sinnsucher lustig gemacht.
Nach einer Rechenzeit von 7,5 Millionen Jahren liefert der Supercomputer die
Antwort: 42. Diese Antwort aber, so verkündet der Computer, bleibe sinnlos,
solange man nicht die dazu passende Frage genau formuliert habe. Im weiteren
Verlauf des Romans kommt der Held des Romans zufällig hinter die passende
Frage: "Wie viel ist neun multipliziert mit sechs?". Wer das
kleine Einmaleins noch im Kopf hat, dem wird auffallen, daß die Frage nicht zur
Antwort paßt. Klar, Adams macht sich über die Sinnsucher lustig.
Und was passiert?
Adams hätte es sich absurder nicht ausdenken können: Rudel von Sinnsuchern
versuchen, hinter das Geheimnis der von Adams formulierten Lösung 42 zu kommen.
Sie bemühen Lewis Carroll [2], das 13er-Zahlensystem, die Weisheit
tibetischer Mönche etc., um auf die Spur eines bewußt formulierten Unsinns zu
kommen. Adams selbst merkt dazu an: "Die
Antwort darauf ist ganz einfach. Es war ein Scherz. Es musste eine Zahl sein,
eine gewöhnliche, relativ kleine Zahl, und ich entschied mich für diese. Binäre
Darstellungen, Basis 13, Tibetische Mönche, das ist alles kompletter Unsinn.
Ich saß an meinem Schreibtisch, blickte in den Garten hinaus und dachte ‚42
wird gehen‘. Ich schrieb es hin. Ende der Geschichte." Dem wahren
Sinnsucher jedoch ist klar, daß das nur ein Täuschungsmanöver von Adams sein
kann, eine Finte, um die eigentliche Wahrheit zu schützen.
Was lernen wir daraus?
Wer bekannt genug ist, um überhaupt wahrgenommen zu werden, der kann sagen und
schreiben, was er will, er kann sogar ausdrücklich hinzufügen, daß all das, was
er geschrieben habe, ein übermütiger Scherz gewesen sei - es nützt nichts.
Einer hermeneutelt immer.
Gauweiler
Aber, Leute, ich habe
mich verschwatzt. Eigentlich nämlich wollte ich von Peter Gauweiler erzählen,
der einmal aus Versehen die Wahrheit gesagt hat.
Um die
Jahrtausendwende hatte die CDU/CSU mit einer der üblichen, routinemäßigen Finanz-
und Spendenaffären zu kämpfen. Im Januar 2000 hat Peter Gauweiler der
Passauer Neuen Presse dazu ein Interview gegeben.
Dabei ist ihm ein Satz
entschlüpft, den der zuständige Redakteur für so wichtig hielt, daß er ihn als
Überschrift zum Interview wählte:
"Wir müssen dem Volk wieder mehr Macht
geben."
In diesem kleinen Satz
eines Menschen, der etwas von Macht versteht, ist die ganze Wahrheit über die
politische Realität der Bundesrepublik Deutschland enthalten.
Im Grundgesetz findet
sich der lakonische Satz: "Alle
Staatsgewalt geht vom Volke aus." Der Dichter Bertolt Brecht hat
diesen Satz einmal um eine Frage ergänzt: "Wo
aber geht sie hin?"
Zu Peter Gauweiler und
seinen Freunden in Politik und Wirtschaft geht sie hin. Das wissen wir zwar
schon lange, aber die Mächtigen in diesem Lande blasen normalerweise empört die
Backen auf, wenn einer dergleichen behauptet. Sie verdächtigen ihn, er wolle
eine andere Republik, eine andere Demokratie und natürlich haben sie recht mit
diesem Verdacht. Nun aber hat einer aus dem Inneren Zirkel der Macht sein
Nähkästchen geöffnet und uns plaudernd bestätigt, was wir bereits wissen.
Denn eines ist klar:
Nur wer die Macht hat, kann ein
Stückchen davon dem Volk abgeben.
Ich habe damals einen
Leserbrief an die Passauer Neue Presse geschrieben, der Leserbrief wurde nicht
abgedruckt (sie haben damals die meisten meiner Leserbriefe abgedruckt, das
nebenbei). Und einen Internetanschluß hatte ich seinerzeit noch nicht. Denn das
Internet vermag, recht genutzt, einiges in Bewegung zu bringen, was sonst
unbeweglich geblieben wäre.
Köhler
Als seinerzeit
Bundespräsident Köhler in einem Rundfunk-Interview ein streng gehütetes
Staatsgeheimnis ausplauderte, wurde er unverzüglich aus dem Amt gemobbt. Das
Staatsgeheimnis war, daß Deutschland nicht wegen der Menschenrechte in
Afghanistan Krieg führt, sondern in Wirklichkeit zur Wahrung
seiner wirtschaftlichen Interessen:
"Meine
Einschätzung ist aber, daß insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der
Breite der Gesellschaft zu verstehen, daß ein Land unserer Größe mit dieser
Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen
muß, daß im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um
unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze
regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere
Chancen zurückschlagen negativ, bei uns durch Handel Arbeitsplätze und
Einkommen zu sichern."
Dieses Geheimnis kennt
zwar jeder, der sich fünf Minuten Zeit nimmt, drüber nachzudenken, aber unter
Politikern war (und ist) es strengster Komment, darüber nicht öffentlich zu
sprechen.
Köhler hatte ein Tabu
gebrochen, er hatte die große Lebenslüge bundesdeutscher Außenpolitik in die
allgemeine Diskussion gezerrt. Der Skandal war nicht, daß er etwas Falsches
gesagt hätte, er hat im Gegenteil etwas sehr, sehr Richtiges ausgesprochen, was aus Sicht der
politischen Klasse besser ungesagt geblieben wäre.
Ich darf an dieser
Stelle an das bekannte Wort von George Bernard Shaw erinnern: "Die Lebenserfahrung, diese Wissenschaft nach
Hausmacher-Art, lehrt die von ihr Befallenen, daß es nicht die gänzlich neuen,
für alle völlig überraschenden Nachrichten und Erkenntnisse sind, die
aufgeregten Wirbel verursachen. Verblüffende Neuigkeiten machen uns allenfalls
staunen, wirkliche und nachhaltige Empörung hingegen lösen jene Tatsachen aus,
die jedermann längst bekannt sind, die lediglich von irgend jemandem irgendwann
einmal ausgesprochen werden."
Wobei der Verplapperer
von Köhler zunächst mal gar keine Empörung, noch nicht mal Wirbel verursacht
hat. Keiner von den bekannten oder
weniger bekannten Kommentatoren in den großen oder weniger großen Zeitungen
oder Rundfunkanstalten hat sich darüber aufgeregt oder die Aussage auch nur
erwähnt. In den Medien wurden die Äußerungen Köhlers nicht weiter beachtet,
man könnte auch sagen, sie wurden totgeschwiegen.
Das ging so weit, daß der Deutschlandfunk, der das entsprechende Interview
gesendet hatte, auf seiner Website zunächst eine komplette Version des
gesendeten Interviews brachte, nach einigen Stunden jedoch war an dieser
Stelle eine geschnittene Fassung des Interviews zu hören, in welcher der
brisante Satz fehlte!
Lediglich im Internet
haben einige Blogger das Thema aufgegriffen und die Leute auf diese Äußerung
aufmerksam gemacht. Erst als im Netz die Wogen so hoch schlugen, daß man sie
nicht mehr ignorieren konnte, griffen
auch die Medien die Geschichte auf.
Man hat die Affäre
sehr geschickt gelöst, indem man Köhler zum Rücktritt veranlaßte. Durch seinen
Rücktritt wurde viel über den Rücktritt und das durch die Kritik an Köhler
angeblich beschädigte Amt gesprochen. Das eigentlich Interessante an dieser
Geschichte, der Satz nämlich, der letztlich zum Rücktritt geführt hatte, wurde
dadurch überwirbelt und unsichtbar gemacht und war nach anderthalb Jahren
bereits so gut wie vergessen.
Was man aus den
Geschichten um Peter Gauweiler und Horst Köhler lernen kann? Ich glaube, es war
Hercule Poirot, der einmal sinngemäß sagte, wenn man sich mit den Leuten lange
genug unterhalte, sie einfach plaudern lasse und ihnen aufmerksam zuhöre, dann
komme man hinter ihre verborgenen Geheimnisse. Irgendwann verplappere sich
jeder.
Afghanistan
Um auf Afghanistan und die wirtschaftlichen Interessen
zurückzukommen... Im Juni 2010 war es in allen Zeitungen zu lesen: "Ein US-Team von Geologen und Mitarbeitern
des Verteidigungsministeriums (!;
Ausrufezeichen von mir, W. H.) will Rohstoffvorkommen
im Wert von fast einer Billion Dollar in Afghanistan aufgespürt haben.
(...) Es gehe um Lithium, Eisen, Kupfer und Gold, zitiert die Zeitung
hochrangige US-Beamte.
In einem internen Papier des Verteidigungsministeriums heißt
es demnach sogar, Lithium könne für Afghanistan das werden, was Erdöl für
Saudi-Arabien bedeutet."
Die Meldung, die uns suggerierte, es sei dies ein
brandaktuelles Forschungsergebnis, wurde einige Tage lang durch das Mediendorf
getrieben, dann war Ruhe. Einige Sekunden lang hat der Große Zauberkünstler aus
Washington seine Karten gezeigt, dann hat er mit dem Finger geschnipst und
hypnotischer Schlaf hat die weltweit verbreitete Meldung wieder aus dem
Gedächtnis der Welt gelöscht. David Copperfield ist im Vergleich dazu ein
Anfänger.
Und es ist nicht das erste Mal, daß diese hochbrisante
Meldung dem Vergessen anheim fiel. Bereits am 13. 10. 2001 - einen guten Monat
nach 9/11 - schrieb Hubertus Erb in heise.de diesen Artikel:
Vor einigen Jahren hat man darüber gestritten, ob es sich
beim Kuddelmuddel in Afghanistan um Krieg oder um "kriegsähnliche
Zustände" handelte. Dabei waren die kriegsähnlichen Zustände in
Afghanistan, in welche die Bundeswehr eingegriffen hat, bereits ganz offiziell
ein Krieg, als noch Franz-Josef Jung Verteidigungsminister war. Damals hat
Georg Schramm auf ein Pressephoto
hingewiesen, auf dem zu sehen war, wie Angela Merkel einem Soldaten einen
Orden an die Brust heftete. Georg Schramm, gelernter Psychologe, war etliche
Jahre Berufssoldat [3]
und er merkte an, daß militärische Orden durch den jeweiligen Oberbefehlshaber
verliehen werden. In Friedenszeiten ist das der Verteidigungsminister, im
Verteidigungsfall (vulgo: Kriegsfall) ist dies der Bundeskanzler.
Ist der Verteidigungsfall eingetreten, gibt es solange keine
Bundestagswahlen mehr, bis der Krieg zu ende ist.
Um zum Schluß noch einmal auf die Wahrheit als solche zurückzukommen:
"Meine Herren, es hat zu allen Zeiten Völker gegeben,
die an einen Gott glauben, und es hat zu allen Zeiten Völker gegeben, die an
keinen Gott glauben. Die Wahrheit wird, wie immer, in der Mitte liegen." (THEODOR
FONTANE)
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