Eines wunderschönen Sommertages saß Herr Fischer in seinem
Garten und las die Zeitung. Er hatte sich eine Zigarette angezündet und von
Zeit zu Zeit nahm er einen kleinen Schluck aus dem Cognac-Glas, das auf einem
Tischchen neben seinem bequemen Stuhl stand. Herr Fischer hatte es sich
gemütlich gemacht und genoß das wohlverdiente Nichtstun.
Ein Rascheln.
Herr Fischer ließ die Zeitung sinken, blickte über ihren
Rand hinweg in Richtung des störenden Geräusches. Der lebende Zaun, der seinen
Garten vor neugierigen Blicken abschirmte, sonst nichts. Er hatte sich wohl
getäuscht. Herr Fischer nahm einen Zug aus seiner Zigarette und vertiefte sich
wieder in seine Lektüre.
Wieder ein Rascheln.
Herr Fischer ließ abermals die Zeitung sinken und blickte
wiederum in Richtung des lebenden Zaunes, auf den er so stolz war. Einige Äste
bewegten sich. Das konnte natürlich auch der Wind sein, der als sanfte Brise
Herrn Fischer in seinem Garten erfrischte. Herr Fischer legte zweifelnd die Stirn
in Falten, hob erneut die Zeitung vors Gesicht als wollte er seine Lektüre
fortsetzen und lauschte auf weitere Geräusche. Herr Fischer wurde nicht enttäuscht.
Zum drittenmal das Rascheln.
Blitzschnell riß Herr Fischer die Zeitung herunter, sah eine
undeutliche Gestalt hinter den Zweigen seines Zaunes verschwinden und - hab ich
dich endlich! - sprang Herr Fischer entschlossen auf. Achtlos ließ er die
Zeitung zu Boden fallen und stapfte energisch auf den mittlerweile wieder
unsichtbar gewordenen Störenfried zu. Das Gebüsch zur Seite gedrückt, ein
kräftiger Griff und Herr Fischer hatte den wehrlos zappelnden Bösewicht ins
Freie gezerrt.
Ein wunderliches Bürschchen, das er hier erwischt hatte.
Einen guten Kopf kleiner als Herr Fischer und Herr Fischer war schon keiner
von den langen Kerls. Das Absonderlichste an ihm aber war seine Kleidung,
sofern man hier überhaupt von Kleidung im üblichen Sinne sprechen konnte. Der
Unbekannte war in ein kuttenähnliches Gewand aus Sackleinen gehüllt, dessen
Ende am Boden entlangschleifte, so daß von den Füßen nichts mehr zu sehen war.
Über den Kopf hatte er sich eine - wie das Gewand dilettantisch geschneiderte -
Kapuze aus gleichen Material gestülpt, lediglich mit zwei Schlitzen für die
Augen. Um die Hüften hatte er ein Hanfseil zweifach gewunden. Herr Fischer
hatte noch niemals in seinem Leben eine derart absonderliche Gestalt gesehen.
Aber Angst hatte er keine, der Herr Fischer.
Das Seil von den Hüften des Wichtleins gelöst - und ruck -
und zuck - hatte er seinen ungebetenen Gast, der sich immer noch nicht gegen
diese Behandlung wehrte, an Händen und Füßen gefesselt. Was nun tun? Herr
Fischer kratzte sich am Hinterkopf, überlegte etwas und lächelte dann spitzbübisch.
Er tippte der sacklinnenen Gestalt mit dem Zeigefinger vor die Brust, worauf
diese zu Boden fiel und verschwand dann in seinen schmucken Häuschen.
Nach einigen Minuten - es können auch etliche mehr gewesen
sein -erschien Herr Fischer wieder in der Haustür und ging über die
Steinplatten herunter auf den gepflegten Rasen. Ging? Nanu - Herr Fischer
watschelte auf den Fersen, als ob... Ach so, Herr Fischer hatte seine bequemen
Sandalen mit Spikes vertauscht, diesen Nagelschuhen, wie sie Sprinter und
andere Leichtathleten benutzen. Klar, daß er auf den Steinplatten etwas Mühe
mit dem Gehen hatte.
Herr Fischer, mittlerweile hatte er den weichen Rasen
erreicht, ging auf das verschnürte Bündel zu und tippte ihm mit der Schuhspitze
in die Seite. Es zuckte etwas zusammen, mehr an Reaktion war nicht zu
beobachten. Herr Fischer entfernte sich einige Schritte von seinem hilflosen
Opfer, vielleicht sechs Meter, ein paar Zentimeter mehr oder weniger, drehte
ihm den Rücken zu. Er markierte die Stelle, an der er jetzt stand, setzte
sorgfältig einen Fuß vor den anderen, die Ferse des einen Schuhs exakt an die
Spitze des anderen Schuhs ansetzend. Seine Lippen bewegten sich stumm, als
würde er zählen.
Als er die festgelegte Zahl Schritte zurückgelegt hatte,
hielt er inne, markierte wiederum die Spitze seines vorderen Fußes. Die Messung
war beendet, Herr Fischer entspannte sich etwas, drehte sich dann langsam
wieder um und setzte die Spitze seines linken Schuhs exakt an die Markierung.
Er holte noch einmal tief Luft und wippte dann, den rechten Fuß etwa einen
halben Meter nach hinten versetzt, von den Fersen auf die Zehenspitzen abrollend
und wieder zurück, einige Male mit leicht vorgebeugtem Oberkörper hin und her.
Beim dritten (oder vierten??) Vorwippen verlagerte er den
Körperschwerpunkt nach vorne, riß den rechten Arm und das rechte Bein angewinkelt
hoch. Mit immer schneller und länger werdenden Schritten gewann er an Boden,
spurtete er über den weichen, federnden Rasen. Sein rechter Fuß erreichte die
erste Markierung, das rechte Bein streckte sich, er riß die Arme hoch und
sprang ab. Hohlkreuz, die Beine gegrätscht und mit kräftigem Schwung weit nach
vorne gerissen.
Mit den spitzen Dornen seiner Schuhe voran landeten seine
Füße genau an jener Stelle, an der sich der Kopf des seltsamen, gefesselten
Wesens befand. Eine athletische Präzisionsleistung.
Ein dumpfes Geräusch, einem gedämpften Knall ähnlicher als
einem Knirschen, als die Dornen sich durch Sackleinen und was weiß ich hindurch
in die saftige Erde bohrten. Herrn Fischers Oberkörper wurde von seinem eigenen
Schwung nach vorne gerissen und rollte, lange Übung verratend, über die rechte
Schulter ab.
Herr Fischer, der solche athletischen Übungen nicht mehr
gewohnt war, rappelte sich auf in Hockstellung, verschnaufte etwas und besah
sich sein Werk. Herr Fischer spürte, wie eine Gänsehaut eiskalt über seinen
Rücken kroch und jede Haarwurzel ein winziges Hügelchen auf seiner Haut
bildete. Mit angehaltenem Atem, zwischendurch immer wieder krampfhaft nach
Luft schnappend, krabbelte Herr Fischer auf den Sack zu. Mit spitzen Fingern ergriff
er die schlaff zusammengefallene Kapuze an ihrem obersten Zipfel und zog sie
zur Seite, weg vom Rumpf seines Opfers.
Nichts. Kein Kopf, kein zerschmetterter Schädel, kein Blut,
keine Spuren. Nichts. Nur die schlaffe, leere Kapuze. Herr Fischer hob das
Fußende der Kutte, die den Unbekannten umhüllt hatte, an, warf einen Blick
hinein und sah das Innere eines leeren Sackes, nichts sonst. Keinen Körper,
keine Überreste, keine Spuren.
Langsam und mit einem Male ohne jede Energie erhob sich Herr
Fischer aus der Hocke und blieb einige Minuten wie erstarrt stehen. Er blickte
auf die beiden einfach geschneiderten Kleidungsstücke aus grobem Sackleinen
herab, fuhr sich mit der rechten Hand über die Augen, als könnte er damit alles
wegwischen und drehte sich dann um, mit müden Schritten auf seinen Stuhl
zugehend.
Er nahm Platz, löste die Schnürsenkel und streifte die
Sportschuhe von seinen Füßen. Er hob die Zeitung wieder vom Boden auf,
fingerte eine Zigarette aus der Packung und zündete sie an, tief inhalierend.
Und während er las, rauchte und zwischendurch einen Schluck Cognac trank, entkrampfte
sich sein Körper. Herr Fischer hatte es sich wieder gemütlich gemacht und genoß
das wohlverdiente Nichtstun.
Ein Rascheln.
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