Donnerstag, 22. Oktober 2020

Am Rande der Welt

Vor wenig mehr als einer Woche war ich der Herrscher der Welt. Bei einem der Spaziergänge durch mein Reich kam ich eines Tages (zufälligerweise?) an den Rand meines Reiches, das heißt an den Rand der Welt. Vom Weltall, das sich hinter der Grenzwand befinden mußte, sah man nichts, denn die Grenzwand war innen [1] mit einer Himmelstapete beklebt. An einer Stelle der Wand befand sich jedoch eine unbeschriftete Tür. Nichts macht so neugierig wie eine unbeschriftete Tür, mich jedenfalls. Ich drückte die Klinke, die Tür war nicht verschlossen und ich öffnete sie. Draußen war der Weltraum, was zu erwarten war, wir kennen das von älteren Dar­stel­lun­gen.

Was mich dagegen über­raschte, war die Son­ne. Nicht, daß sie da war, sondern daß sie fast di­rekt vor der offenen Haus­tür stand, vielleicht zwei, fünf, zehn Kilometer von mir entfernt. Das ist eine tüchtige Wegstrecke, wenn man sie zu Fuß zurücklegen muß, im kosmischen Maßstab aber ist das ein Klacks, was sag ich: ein Kläckschen. Es war eine ver­gleichs­weise kleine Ku­gel, bestehend aus ganz, ganz vielen ver­schie­den­far­bigen Kügelchen, die ge­schäftig durcheinander wu­selten. Während ich noch das Geheimnis des Kosmos direkt betrachtete, während ich mich wunderte, daß die Hitze der Sonne mich und die Welt, deren Herrscher ich war, nicht versengte, kamen klappernde Schritte von vielen Menschen hinter mir näher. Die Menschen hinter den klappernden Schritten waren entsetzt, sie schalten mich einen Narren [2], weil ich die Tür nicht sofort zugeschlagen hätte, so daß wir der unerträglichen Hitze (die neben mir auch keiner der anderen Anwesenden zu verspüren schien) schutzlos ausgeliefert waren. Auch könne, so hieß es, das Nichts des Universums in unsere Welt eindringen.

Es wurde Zeit, aufzuwachen.

 



[1]   Wo sonst?

[2]   Eine bodenlose Frechheit gegenüber - immerhin! - dem Herrscher der Welt, einer Art Gott oder gar Perry Rhodan. 

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