Dienstag, 4. August 2009

Regietheater - Die vierte

Mein Beiträge "Regietheater - Die zweite" und "Regietheater - Die dritte" hier im Blog habe ich zu einem Text zusammengefaßt und damit auf einen Artikel des Dramaturgen Carl Hegemann im "Freitag" geantwortet.

Ein gewisser pkaras hat darauf ausführlich geantwortet, worauf wiederum ich geantwortet habe:

"Ich muss Ihnen widersprechen, wenn Sie meinen dass Kehlmann nicht richtig zugeschlagen hat, sondern nur spielerisch andeuten wollte."

Was Kehlmann wollte, weiß ich nicht. Ich sehe, was er getan hat und das war nicht mehr, als einige, relativ wenige Sätze über das Regietheater von sich zu geben.

"Regisseure, die sich nicht am Text halten, sind für ihn zutiefst frustrierte Linke, die die Bühne für ihre ideologischen Belange missbrauchen und dann noch die Frechheit haben, dass als Kunst zu verkaufen. Und dafür noch öffentliche Gelder bekommen. Kehlmann hält Leute wie Zadek oder Peymann für Schwindler."

Ich habe die Diskussion um diese leidige Rede ein wenig verfolgt, so weit sie im Internet geführt wurde (an deutschsprachige Print-Medien komme ich hier in Süditalien nicht so leicht ran). Was mir aufgefallen ist, das ist der Umstand, daß so entsetzlich wenig entlang des Textes von Kehlmann argumentiert wird. "Zutiefst frustrierte Linke", "Bühne für ihre ideologischen Belange missbrauchen" und "das als Kunst verkaufen" - wo tauchen all diese Dinge in der Rede auf? "Schwindler" gar.

"Als spielerische Andeutung würde ich das nicht verstehen. Eher als tiefe Abneigung, mit dem Wunsch, diesen linken Banausen das Maul zu stopfen."

Ich weiß zu wenig über Daniel Kehlmann, um ihn politisch einordnen zu können. Anhand der Rede hatte ich gar nicht den Eindruck, daß er über Linke schimpft, und wenn doch, dann gerade nicht aus der rechten Ecke heraus. "Es hat wohl mit der folgenreichsten Allianz der vergangenen Jahrzehnte zu tun: dem Bündnis zwischen Kitsch und Avantgarde. Nach wie vor und allezeit schätzt der Philister das Althergebrachte, aber mittlerweile muß sich dieses Althergebrachte auf eine strikt formelhafte Weise als neu geben. Denn wer ein Reihenhaus bewohnen, christlich-konservative Parteien wählen, seine Kinder auf Privatschulen schicken und sich dennoch als aufgeschlossener Bohemien ohne Vorurteil fühlen möchte - was bleibt ihm denn anderes als das Theater? In einer Welt, in der niemand mehr Marx liest und kontroverse Diskussionen sich eigentlich nur noch um Sport drehen, ist das Regietheater zur letzten verbliebenen Schrumpfform linker Ideologie degeneriert."
Das ist böser Spott, freilich, aber das ist - so lese ich diese Worte - der Spott eines Linken über "Linke".
Und das mit dem "Maul stopfen" - Kehlmann schreibt im Gegenteil: "... man kann es auch ganz anders sehen, man darf selbstverständlich auch für die drastischste Verfremdung eintreten, aber man sollte sich deswegen nicht für einen fortschrittlichen Menschen halten." Das ist nicht die Forderung nach dem Stopfen des Mauls, sondern ein Satz gegen die Monopolisierung des Begriffs "fortschrittlich".

"Ob es tragisch ist, da dies ein Sohn eines Theatermachers, dem ein Erfolg als Regisseur wg. dieser Stümper verwehrt wurde, formuliert hat, kann ich nicht beantworten."

An diesem Punkte möchte ich Ihnen doch raten, ein bißchen mehr über Michael Kehlmann in Erfahrung zu bringen. "Erfolg als Regisseur verwehrt" ist sicher nicht die richtige Formulierung für einen Künstler, der am Burgtheater inszeniert, der in den sechziger und siebziger Jahren aufsehenerregende Fernsehinszenierungen abgeliefert hat.

"Kehlmann hält es nicht für nötig, Regisseure beim Namen zu nennen, die er für diesen Missbrauch verantwortlich macht."

Das meinte ich mit "angedeutet, aber nicht richtig zugeschlagen". Es wußte eh jeder, wen und was er meinte, arg viel Zeit hatte er nicht im gegebenen Rahmen, aber, wie man sieht, hat auch das bißchen ausgereicht, die Fasane aus dem Unterholz zu scheuchen.

"Irgendetwas hat er vom anderen Österreicher, der, weil er selber keine Anerkennung bekam, jegliche Bilder bekannter Expression etc verbieten liess. Kehlmann hat hohe Anerkennung bekommen für seine Arbeit, sein Vater aber nicht."

Ich halte mich hier vornehm zurück - stelle aber die Frage, ob der Vergleich von Kehlmann mit Hitler nicht doch etwas abgeschmackt ist? Ganz abgesehen davon, daß er keine Grundlage hat, denn Kehlmann (Sohn) ist Bestsellerautor und Kehlmann (Vater) war einer der profiliertesten österreichischen Theatermacher.

"Sprich, sich nach wie vor von Vorurteilen lenken lassen, genauso verklemmt sind, sich nicht mit Dingen auseinander setzten. Das scheint sich in der Rede von Kehlmann, aber auch durch Ihren Kommentar u.a. zu bestätigen."

Eine hochinteressante Anmerkung. Ich bin lernwillig und (hoffe ich doch) lernfähig. Ich flehe Sie (oder jeden anderen, der hier zufällig mitliest) an, mir meine Verklemmungen anhand meines Textes herauszupräparieren. Ich habe sehr ausführlich argumentiert, habe damit auch reichlich Angriffsfläche geboten. Bitte, was ist falsch an meiner Argumentation?

"Ich sehe die grosse Zustimmung für Kehlmann, 66%, als Indiz für einen Rückfall in bornierte Biedermeierzeiten, die jegliche künstlerische Darbietung nach dem Preisleitungsverhältnis bewertet (wo Shakespeare drin steht soll auch Shakespeare drin sein und nur dafür zahle ich) und dieses Kriterium auch dafür benutzt, Kunst von sog. Scharlatanerie zu unterscheiden."

Noch mal: Von Scharlatanerie hat Kehlmann nie gesprochen, und wenn doch, dann bitte ich um einen Hinweis.
Und was das Preis-Leistungs-Verhältnis betrifft, so dürfte das sog. Regietheater unbestrittenerweise unschlagbar sein. Da wird an nichts gespart, das ist Showbusiness auf höchstem Niveau, nicht nur ausstattungsmäßig, sondern auch künstlerisch. Das mag Sie jetzt überraschen, aber die meisten Inszenierungen, über die wir hier sprechen, sind sehr effektvolle und raffinierte Theaterveranstaltungen, gar kein Zweifel. Und wenn auf den Plakaten draufstünde (ich wiederhole mich jetzt, säufts!), daß hier Hans Müller-Möhrenschneider sein neues Theaterstück "Macbeth", nach einer Idee des Kollegen Shakespeare aufführt, dann ist dagegen nichts zu sagen. Ich habe mit Sicherheit nichts dagegen (das weiß ich), und Daniel Kehlmann wahrscheinlich auch nichts (das kann ich allerdings nur vermuten).

"Wenn Zadek, Peymann, später Castorf oder auch Perceval, nur um einige zu nennen, Shakespeare im 16. Jh belassen hätten, dann wäre er wahrscheinlich heute nicht Schulstoff."

Ich habe in den sechziger Jahren ein Provinzgymnasium in Niederbayern besucht und damals war Shakespeare ganz selbstverständlich Schulstoff (im Original), auch Christopher Marlowe. Und bei den Altsprachlern im anderen Klassenzimmer war es Sophokles, im Deutschunterricht war es der "Faust", der "Tell", der "Zerbrochene Krug" etc. pp. Lessing hat seinerzeit Shakespeare aus der Versenkung geholt und für die Deutschen entdeckt, seither ist er im deutschsprachigen Theater nie wieder in der Versenkung verschwunden.

"Er würde in Vergessenheit geraten, weil der Wert des Textes als solcher unerkannt und Shakespeare seine Gültigkeit als Autor auf das 16. Jh beschränkt bliebe. Da aber Shakespeare grossartige Figuren schuf, ist es doch ungeheuerlich reizvoll zu prüfen, ob diese Figuren heute noch Gültigkeiten haben oder nicht."

Und - haben sie es? Natürlich haben sie es, auch wenn ich das entsprechende Stück nur lese. Wieso hält man gerade Theaterautoren für dermaßen bescheuert, daß man sie ständig aktualisieren muß, während man Romane, Gedichte, Novellen ganz selbstverständlich auch heute noch original liest und sie - zumindest die besseren unter ihnen - für ausgesprochen aktuell und interessant findet? Muß der "Simplicius Simplicissimus" seine Abenteuer im Zweiten Weltkrieg erleben, damit er mir noch was sagt?

"Auch wenn es Ihnen schwer fällt, es ist der Mühe wert, sich mit Shakespeare-Inszenierungen eines Castorf oder Perceval auseinander zu setzen."

Ich sitze in Süditalien, deutschsprachige Theater sind weit, ich bin also auf Fernseh-Aufzeichnungen angewiesen und da muß ich nehmen, was grad kommt.
Vor etlichen Wochen hatte ich mich wieder mal, was ich eher selten mache, vor den Fernseher gesetzt und mal geschaut, was so läuft. Die privaten Sender überspring ich eh, so daß ich relativ bald durch war. Auf 3Sat lief gerade ein Theaterstück. 4 Typen wollten ein Mädchen anwanzen und diskutierten gerade, wer hingehen sollte. Die Schauspieler waren nicht schlecht, also blieb ich dabei. Nach einiger Zeit wurde klar, daß die 4 Typen dieselbe Person sind, halt in viererlei Gestalt. Dergleichen steck ich weg, als wenn's nix wäre.
Nach wiederum einiger Zeit kamen mir einige Textfetzen bekannt vor, nanu, sagte ich mir und sagte schließlich, daß dies wohl Schillers "Räuber" sein müßte. Ein Blick in den Videotext gab mir recht.
Ein weiteres Weilchen schaute ich zu, die Schauspieler waren wirklich gut und ich bin ein geduldiger Mensch, dann schaltete ich um.
Aber, immerhin, ich will gerecht sein: Das Stück war angekündigt als "Die Räuber" nach Friedrich Schiller. Dann paßt's ja wieder. Obwohl die notorischen Kulturschmocks in den Feuilletons dann doch wieder wahrheitswidrig und entgegen dem ausdrücklichen Wunsch des Regisseurs schrieben: "Nicolas Stemann inszeniert Schillers Räuber in Salzburg."

Obwohl. Stemann selber hat sich da neulich verplappert: "Und für Kehlmann habe ich noch einen Tipp: Sollte er im Laufe des Trubels, der nun auf seine Rede folgt, überraschend doch noch ein Interesse für Theater entwickeln, so kann er sich ja vielleicht mal meine Inszenierung von 'Die Räuber' anschauen." Nobody is perfect.

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