Samstag, 1. August 2009

Regietheater - Die dritte

Mein Leserbrief zum Artikel von Peter Michalzik ist im Bronski-Blog der FR komplett zitiert worden. Was drum rum stand, der Beitrag von Bronski selbst und zwei der Kommentare dazu haben mich dazu verleitet, Anmerkungen dazu zu machen:

Bronski schrieb: "Sein Vater habe im Regisseur noch einen Diener des Autors gesehen. Klar, dass Kehlmann selbst Autor geworden ist."

Was ich im Theater sehe, das sind die Schauspieler auf der Bühne. Was ich nicht sehe, das ist zum einen der Autor und zum anderen der Regisseur. Wenn es eine gelungene Inszenierung ist, dann sollte mir eigentlich gar nicht bewußt werden, daß dafür neben den Schauspielern auch ein Regisseur und ein Autor verantwortlich sind. Deren Leistung ist einfach da.

"Manchmal wünschte ich, es wäre so, dass die Deutschen staatlich verordnete Zuck-und-hysterisch-Schrei-Kurse absolvieren müssten."

Hm, wenn das hülfe gegen exaltierte Theateraufführungen, dann sollte man in der Tat drüber nachdenken.

"Der Salzburger Schauspieldirektor Thomas Oberender sagt dazu im Gespräch mit FR-Redakteur Peter Michalzik: “Nennen Sie mir ein Beispiel dafür, was kein Regietheater wäre!”

Das ist ja nun ein uralter Kalauer, den Oberender da ausgräbt. Jeder weiß zwar, daß der Begriff Regietheater gemeinhin in einem engeren Sinne als "Regie im Theater" verwendet wird, aber man tut so, als wüßte man es nicht und erntet so einige wohlfeile Lacher von schlichteren Gemütern.

Stefan Simon wird zitiert: "Mir ist im Vertrauen zu Ohren gekommen, dass Schauspieler und Sänger, die sich gegen die Vergewaltigung durch Regisseure wehren, fürchten müssen, an deutschen Bühnen nicht mehr beschäftigt zu werden..."

In den achtziger Jahren hat der Bayerische Rundfunk mal ein Feature über die Geschichte der Schuhmode gesendet. Darin kam unter anderem eine Schauspielerin C. vor, die seit früher Jugend schon sehr gerne in hochhackigen Stöckelschuhen rumlief und ein fast fetischistisches Verhältnis zu diesen Dingern hatte.
Frau C. erzählte nun, sie habe mal in einer Macbeth-Inszenierung in Bochum (?) eine der drei Hexen gespielt und der Regisseur habe den Einfall (!) gehabt, die Hexen nackt auftreten zu lassen (ja, gut, ich nehme das Ausrufezeichen wieder zurück, vielleicht war das damals noch originell). Sie habe sich furchtbar geschämt, so berichtete Frau C. weiter, splitternackt auf der Bühne rumzustehen und habe den Regisseur (ich weiß den Namen nicht mehr, es war ein recht bekannter Name, aber ich komm nicht mehr drauf) gebeten, wenigstens ihre Stöckelschuhe anbehalten zu dürfen, sie fühle sich dann nicht mehr so ganz nackt. Man habe sich schließlich drauf geeinigt, daß sie einen Stöckelschuh habe tragen dürfen.
Ich habe die Geschichte deshalb so ausführlich erzählt, um klarzumachen, daß es hier überhaupt nicht um Theater, Regie oder Regietheater ging.
Was kann man aus dieser kleinen Geschichte schließen? Frau C. war es ausgesprochen widerlich, nackt auf der Bühne aufzutreten, aber sie hat es nicht gewagt, sich schlicht zu weigern. Sie wäre aus diesem Stück rausgeflogen und sie hätte ganz, ganz schlechte Karten für künftige Engagements gehabt - das schließe ich daraus.
Und Michael Kehlmann ist im Laufe der Diskussion um die Rede seines Sohnes unter anderem autoritäres Verhalten auf der Bühne vorgeworfen worden...

BvG schreibt: "Ohne eine möglichst werkgetreue und historisch möglichst authentische Darstellung würden Interpretationen, Aktualisierungen überhaupt nicht wahrgenommen und verstanden."

Nun, nun. Noch gibt es Theaterstücke auch zum Lesen. Noch bin ich nicht auf mein jeweiliges lokales Theater angewiesen, um mir ein Stück reinpfeifen zu können.

"Ohne eine zeitgemäße oder gar individuelle Interpretation würden viele Werke langweilig und unverständlich bleiben..."

Also, wenn ein Theaterstück vom Text her nur noch zum Gähnen reizt, dann sollte man es lieber doch im Regal stehen lassen, zum gelegentlichen Gebrauch durch Studenten, die sich das antun müssen, um einen akademischen Abschluß zu erwerben.

"Die Entscheidung, das eine oder das andere zu tun, ist sicher eine ästhetische Entscheidung, auch eine kommerzielle. Sie sollte aber nicht durch Können begrenzt werden."

Ganz ernsthaft: Was spräche dagegen, einen Hamlet auf Müller-Möhrenschneider-Art als "Hamlet von Hans Müller-Möhrenschneider, nach einer Idee von W. Shakespeare" auf die Bühne zu bringen? Hmnja, ich versteh schon, das liebe Geld. Wer würde sich dergleichen dann schon anschauen wollen?
Mein Vater war Metzger und vielleicht bin ich deshalb ein bisserl eng in meinen Anschauungen: Wenn irgendwo Leberkäs drin ist, dann sollte, so denk ich mir, auch "Leberkäs" draufstehen und nicht "Leberpastete". Auch einem Schauspielerscheucher stünde ein wenig Handwerker-Ethos nicht schlecht an.

Walter H. Krämer schrieb: "Angesichts des Todes von Jürgen Gosch, Peter Zadeck und Pina Bausch finde ich die Diskussion um das “Regietheater” beschämend..."

Du lieber Heiland, nur weil jemand gestorben ist, herrscht Diskussionsverbot? Für wie lange? Und wenn die Frist um ist, stirbt womöglich der Nächste. Braucht man jetzt schon Särge, um Barrikaden zu errichten?

Damit eines klar ist: Ich habe nichts gegen angedeutetes oder echtes Ficken auf offener Bühne, das hat man im "Salambo" auf der Reeperbahn schon in den sechziger Jahren gemacht, wenn ich recht informiert bin. Ich habe auch nichts gegen Striptease, Blutverspritzen, Kotzen etc. auf der Bühne, selbst eine Kombination von all dem tätert mich nicht wirklich vom Stockerl hauen. Man brüht ab im Lauf der Jahre.
Daß ein Theaterstück, das zunächst ja nur ein Text ist, für jede Aufführung interpretiert werden muß, versteht sich. Wenn da steht "Erwin geht ab", dann wird sich der Regisseur seine Gedanken machen müssen, wie er den Erwin abgehen läßt. Und wenn da steht "Erwin reißt seinen Mantel auf, deutet auf seinen erigierten Schwanz und kichert irr. Neun nackte Nymphen treten aus dem Wandschrank und tanzen wild. Die siebte Nymphe schraubt sich den Kopf ab und aus dem Halsstumpf spritzt ihr Blut und saut die Bühne voll. Angewidert geht Erwin ab", dann wird der Regisseur sich etwas einfallen lassen müssen, dies zu gestalten. Wenn dergleichen aber nicht im Text steht, dann geht Erwin halt einfach nur ab.
Zuviel verlangt? Langweilig? Verstaubt? Geht's denn ohne Bierzelt-Gaudi überhaupt nicht mehr?

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