Mittwoch, 16. November 2022

Abbeizverträge

Ich habe mal eine zeitlang für das Bildungswerk der DAG [1] (Deutsche Angestellten Gewerkschaft) gearbeitet. Im Abbeizvertrag stand - wie das in ganz, ganz vielen anderen Abbeizverträgen auch steht - ich sei gegenüber anderen Mitarbeitern zur Verschwiegenheit verpflichtet, was mein Gehalt betreffe. Beim Lesen dieses Passus war mein erster Gedanke: Wie ist das eigentlich, wenn ich einem Betriebsfremdem (dem gegenüber ich ja keine Schweigepflicht habe) mein Gehalt offenbare, mein Kollege auch und der Betriebsfremde (der ja keine Schweigepflicht hat) uns dann erzählt, wieviel der jeweils andere verdient.

Ich erzählte meinem Vorgesetzten davon und er schluckte. Er hatte dieses scheunentorgroße Loch in der Bestimmung bislang anscheinend nicht bemerkt.

Wir haben dann beim Vergleich über Bande tatsächlich festgestellt, daß meine Kollegin zwei-, dreihundert DM weniger verdiente als ich. Dabei hatte sie die exakt gleiche Qualifikation, leicht bestimmbar in unserem Falle: Sie war Dipl.-Pädagogin, ich Dipl.-Psychologe und beide kamen wir direkt von der Uni, hatten also keinerlei Berufserfahrung. Ich sollte noch erwähnen, daß wir beide damals nicht um die Höhe des Gehalts gefeilscht haben, wir waren froh, nach dem Studium überhaupt erst mal eine Stelle (Gott, was heißt Stelle, es war ein auf ein Jahr befristeter Abbeizvertrag) zu haben. Ihr wurde von vorneherein weniger angeboten als mir.

Ich schrieb daraufhin einen Brief an die Geschäftsleitung und regte an, das Gehalt meiner Kollegin entsprechend zu erhöhen. Es gab Wirbel, der Oberste Chef wollte mich gleich feuern, der Untere Chef bog das ab (sie hatten Schwierigkeiten gehabt, die Stelle überhaupt zu besetzen), aber unsere befristeten Abbeizverträge wurden nicht verlängert.

Im Jahr darauf habe ich dasselbe für das Bildungswerk der Bayerischen Wirtschaft gearbeitet. Die Bezahlung dort war auch nicht besser, aber das Betriebsklima von Seiten der Vorgesetzten war wesentlich angenehmer und entspannter als bei der Gewerkschaft.

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Ein Mensch (m/w/d) erzählt mir grade, man spreche zwar "Abbeizverträge", schriebe aber "Arbeitsverträge".



[1]   Die DAG gips schon lang nich mehr.

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