Dienstag, 3. Mai 2022

Das Hohelied vom Braven Franz 1

Nachts auf der Straße ausgeraubt zu werden, ist ein Mißgeschick, das jedem von uns passieren könnte. Auch ein Straßenraub, - der nachts um halb drei in der Nähe des New Yorker Central Parks von Nutten begangen wird, sähe so manche von uns noch als potentielle Opfer. Vorausgesetzt natürlich, wir würden uns dort zum Schnallentreiben [1] entschließen; und wären tollkühn genug, mitten im Herzen der Haupt-Stadt unserer Freien Welt nachts noch auf die Straße zu gehen.

1. Abenteuer: Wie Franz einmal einen Freibrief für Verbrechen ausstellte

Unser Held - und hier enden alle Parallelen zwischen uns halbwegs gesetzestreuen Normalbürgern und ihm - unser Held also entzog sich seiner Pflicht, an der Aufklärung und Bestrafung eines Verbrechens mitzuwirken.

Weigerte sich, an der Gerichtsverhandlung als Zeuge aufzutreten und zwang so die Behörden, das Verfahren unverrichteter Dinge einzustellen. Klar, daß der Richter sauer war:

"Richter Lane bezeichnete es als eine Ironie, daß in der Zeit der ständig zunehmenden Straßenkriminalität der Hauptzeuge eines Verbrechens, nämlich das Opfer selbst, nicht vor Gericht erscheinen wolle. Wenn jedermann diesem Beispiel folgen würde, wäre dies gleichbedeutend mit der Ausstellung eines Freibriefes zum Begehen von Verbrechen! Seine Entscheidung ist unglücklich, denn abgesehen von der Negierung der ausgezeichneten Arbeit der Strafverfolgungsbehörden ist es ein sehr schlechtes Beispiel für den gewöhnlichen Bürger." (SZ vom 20. 1. 1972)

2. Abenteuer: Wie aus Franz ein Franz Josef und aus diesem dann ein Dr. Franz Josef wurde

Der Mensch, von dem hier die Rede ist, hatte einen Ruf als einer der härtesten und entschiedensten Law-and-order-Männer, die diesen von uns bewohnten Landstrich unsicher machen. Im Taufverzeichnis des Standesamtes, beim polizeilichen Melderegister und im "Handbuch des Deutschen Bundestags" von 1949 ist er als "Franz Strauß, geb. am 6. 12. 1915 in München" aktenkundig. Allseits bekannt - aus Film, Funk und Fernsehen - ist er aber unter seinem Künstlernamen "Dr. Franz Josef Strauß". Die Buchstaben "D" und "r" mitsamt dem abschließenden Punkt hat sich der gelernte Lateinlehrer auf dem Zweiten Bildungsweg erworben, durch ein Studium der Volkswirtschaftslehre an der Universität Innsbruck. Den zweiten Vornamen "Josef" hat er sich irgendwann im Laufe seiner Karriere einfach zugelegt - vermutlich des Wohlklangs wegen.

3. Abenteuer: Wie die Börse einmal fieberte vor Sehnsucht nach Franz

Er hat eine Vergangenheit, die ausreichen würde, einer ganzen FDP-Landtagsfraktion politisch den Hals zu brechen. Nicht nur, daß er diese Vergangenheit schadlos überstanden hat und schließlich zum Ober-Bayern wurde, lange Zeit schien es, daß er auch noch eine Zukunft vor sich habe. Und während man im Herbst 1980 in den Kellern, wo die roten Ratten hausen, schon mal schwitzte vor Angst hatte die Börse längst auf den frischgekürten Kanzlerkandidaten reagiert: mit einer "Strauß-Hausse" auf dem deutschen Aktienmarkt, kaum daß die Nachricht von seiner Nominierung die Runde gemacht hatte. In fiebrig-freudiger Erwartung sehnte man den Tag herbei, da ein Kanzler Strauß sich evtl. anschicken würde, den Couponschneidern die Rendite zu sichern, noch besser zu sichern als man dies vom Kanzler Schmidt gewohnt gewesen war. In diesen Kreisen weiß man nur zu genau, was man an ihm hat, dem Franz. Oberhalb der jährlichen hunderttausend DM-Grenze herrscht ein Klassenbewußtsein, von dem die Arbeiterbewegung in Restdeutschland nur träumen kann.

4. Abenteuer: Wie der große Franz noch ein kleines Würstchen war im Großen Verein

Der 1915 geborene Strauß war alt genug für eine 1000jährige Vergangenheit. Frappierend dabei ist allerdings, daß jemand mit solcher Nazi-Vergangenheit in dieser Republik derart hoch steigen kann, wie es Franz Strauß getan hat.

Globke hatte als Rechtsgelehrter die Nürnberger Rassengesetze NS-konform kommentiert und ist dann bei Adenauer bloß Staatssekretär im Kanzleramt geworden. Kiesinger war immerhin in der reichsdeutschen Ministerialbürokratie loyal tätig, ehe er es dann zum Ministerpräsidenten und Bundeskanzler gebracht hatte. Filbinger gar mußte als Militärrichter mit Blut auf dem Latz wirken um später Ministerpräsident werden zu können. Und auch Carstens konnte als Befähigungsnachweis für das Bundespräsidentenamt neben seiner Mitgliedschaft im Großen Verein auf treue Dienste in der großdeutschen Ministerialbürokratie verweisen. Dagegen Franz:

1937 dem Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund (NSDStB) beigetreten (einer Untergliederung der marxistisch-bolschewistischen Weltverschwörung, wie uns dem Strauß sein Stoiber und dem Stoiber sein Sauter schon mal weiszumachen versucht hatten); im selben Jahr auch Eintritt in das Nationalsozialistische Kraftfahrkorps (NSKK), woselbst er beim Sturm 23/M 6 in München "weltanschaulicher Referent" wurde. Damit ist seine NS-Vergangenheit auch schon vollständig aufgezählt. Weit war es gekommen mit dieser Republik, daß damals schon kleine Mitläufer beim großen Holocaust-Spiel nach dem wichtigsten Staatsamt greifen durften. Der NSDAP-Präsident Karl Carstens hätte sich eines simplen NSKK-Kanzlers an seiner Seite ewig schämen müssen. Nachfolger von Helmut Schmidt wurde dann Helmut Kohl, gesalbt mit der Gnade der späten Geburt.

Was viele nicht wissen: Helmut Kohl ist wie Strauß gebürtiger Bayer. Als er 1930 in Ludwigshafen geboren wurde, war die linksrheinische Pfalz noch Teil von Bayern, erst 1945 wurde sie durch ein Arrangement der Alliierten Besatzungsmächte der französischen Besatzungszone zugeschlagen und schied 1946 aus dem bayerischen Staatsverband. 1956 gab es ein Volksbegehren zur Wiedervereinigung des Gebietes mit Bayern, das aber - wir wissen es alle - scheiterte.

5. Abenteuer: Wie Franz einmal ein Atom-Ei legte

Nachdem dann vorerst Schluß war mit dem Nazi-Spielen und Völkermorden wurde Franz Strauß Landrat von Schongau; auch Gründungsmitglied der Christlich-Sozialen Union, seit 1949 ihr Generalsekretär. Als dem Widerstand von KPD und CSU zum Trotz (beide hatten im Parlamentarischen Rat gegen das Grundgesetz gestimmt) die Verfassung in Kraft getreten war, zog Franz Strauß als Abgeordneter in den 1. Deutschen Bundestag ein. Seit überhaupt Strauß-Biographien geschrieben werden, hat es sich eingebürgert - und durchaus als sinnvoll erwiesen - das Leben des zu beschreibenden Helden einzuteilen in Affären. Wie die Jahresringe von Bäumen markieren sie natürliche Einschnitte in den Fluß der Zeit. Wobei die Zählung gemeinhin beginnt mit der HS 30‑Affäre (die jeweils letzte aufgeführte Affäre hängt natürlich ab vom Erscheinungsjahr des Buches). Wenig - oder gar keine Erwähnung findet deshalb Straußens Amtszeit als "Bundesminister für Atomfragen" von 1955 - 1956 (nachdem er zuvor bereits Bundesminister "ohne Geschäftsbereich", dann einer "für besondere Aufgaben" gewesen war). Dieser Strauß'schen Amtszeit verdanken wir die Einführung der friedlichen Kernenergienutzung in der Bundesrepublik. Eine Errungenschaft, die erst viel später im Bewußtsein der Öffentlichkeit zum Ärgernis wurde. Obwohl der Startschuß in's Atomzeitalter möglicherweise die folgenschwerste Tat von Franz gewesen ist, können wir ihm gerade diese Hinterlassenschaft subjektiv am wenigsten vorwerfen: Bis auf ein paar schlaue Leute wollte 1955 jeder Atomkraftwerke.

6. Abenteuer: Wie Franz einmal sehr nett war zu einigen Bayernparteilern - und zu anderen ganz böse

Die Frage allerdings, ob dieses Atom-Ei nun als seine erste Affäre zu zählen ist oder nicht, erübrigt sich ohnehin, da Franz bereits 1950 als Skandal-Onkel debütierte; als er nämlich in die sogenannte "Hauptstadt-Affäre" verwickelt war. Es ging darum, daß eine Reihe von Abgeordneten der Bayernpartei, entgegen ihrem gerade gefaßten Fraktionsbeschluß, für Bonn als der provisorischen Hauptstadt der BRD gestimmt hatten, hierzu motiviert durch Geldzuwendungen von Seiten der CSU. Zwar konnte die Affäre - wie so viele politischen Affären - nie restlos aufgeklärt werden. Fest steht aber, daß die Bayernpartei-Abgeordneten Geldgeschenke von der CSU erhalten hatten - kleine Aufmerksamkeiten im Bereich zwischen 10.000 und 20.000 DM pro Nase, was damals eine Menge Geld war. Die Verhandlungen mit den zu Beschenkenden führte der nachmals selbst so reichlich beschenkte Franz Strauß, CSU-Generalsekretär damals noch.

Verdienste um seine Partei hatte sich Strauß auch erworben, als es ihm gelungen war, die rivalisierende, weil aus dem gleichen Wählerpotential schöpfende Bayernpartei bis zur Bedeutungslosigkeit zu zerschlagen. Ihre führenden Funktionäre integrierte er entweder voll in die CSU oder - so sie sich widerborstig zeigten - er ruinierte sie politisch und sogar in ihrer bürgerlichen Existenz - geschehen mit den Opfern der sogenannten "Spielbanken-Affäre".

7. Abenteuer: Wie Franz schließlich rausfand, daß Nehmen doch habseliger ist als Geben und auch danach handelte

Ein Anfang war also gemacht mit Affären und Strauß fand Gefallen an seinem neuen Hobby.

Kaum war er 1956 Verteidigungsminister geworden, bestellte er riesige Mengen Schützenpanzer bei der Schweizer Firma HISPANO SUIZA. Bei einem Laden, der allerlei Tötezeug und Kriegsgerät schon gebaut hatte bis dahin, nur eben keine Schützenpanzer. Das eben bestellte Modell HS 30 schon gar nicht; nicht mal als Prototyp. Der Verdacht, daß hier Freunde sehr lieb zueinander gewesen waren und sich gegenseitig reich beschenkt hatten, wurde schon bald laut, konnte aber - das alte Lied - nie ganz geklärt werden. Geklärt werden konnte allerdings, und dies mit jeder nur wünschenswerten Deutlichkeit, daß die dann gelieferten Panzer im Gesamtwert (besser: zum Gesamtpreis.) von 2,5 Milliarden DM (zweitausendfünfhundertmillionen Deutsche Mark) einen Dreck taugten. Und 2,5 Milliarden DM waren damals noch ein Geld.

Zwei Jahre darauf bestellte er den Starfighter. Diesmal - ein Fortschritt, immerhin - bei einer Firma, die zuvor schon mal Flugzeuge gebaut hatte, bei Lockheed. Der Starfighter speziell allerdings wurde von Lockheed noch gar nicht produziert, war, in der von der Bundesrepublik Deutschland gewünschten Form, auch 1964 noch nicht einsatzreif. Und als dann schließlich der Starfighter seinen Dienst tat, hielt er genau das, was man zum Zeitpunkt seiner Beschaffung schon von ihm erwarten durfte: er erwies sich als ein rechts Glump, allen Verbesserungen zum Trotz. 200 abgestürzte Maschinen bis jetzt, 100 tote Piloten und das kleine Wunder, daß keines dieser Dinger auf eine Stadt geplumpst ist.

8. Abenteuer: Wie Franz einmal dem Evangelist Johannes eine Empfehlungsepistel schrieb

Und abermals 2 Jahre später war Strauß wiederum nett zu seinen Freunden, gab ihnen - als Minister - ein Empfehlungsschreiben mit auf den Weg. Seine Freunde waren diesmal der Passauer Verleger Dr. Johann Evangelist Kapfinger und hinter diesem ein "phos­pho­res­zie­ren­der Kometenschweif höchst zweifelhafter Existenzen" (so der CDU-Ab­ge­ordnete und ehemalige Bundesanwalt Max Güde im Bundestag). Unterkünfte für die amerikanischen Streitkräfte in Deutschland wollten sie bauen, Kapfinger und seine Freunde, und gründeten zu diesem Zweck die "Finanzbau Aktiengesellschaft" (FIBAG). Strauß, ein guter Freund zu jeder Zeit, empfahl sie weiter an seinen amerikanischen Kollegen. Eine Hand wusch solcherart die andere; das ist aktenkundig. Ungeklärt aber ist, ob auch die andere Hand der einen ihren Liebesdienst vergolten hat - durch Waschung, Salbung, Schmierung ihrerseits.

9. Abenteuer: Wie Franz einmal ganz entspannt war in spannungsreicher Zeit

Als die Gefahr eines direkten bewaffneten Konfliktes zwischen den Supermächten so groß war wie nie zuvor und seither nicht wieder, war Strauß immer noch Verteidigungsminister. Und als in der Nacht vom 24. auf den 25. Oktober 1962 die Krise ihren Höhepunkt erreichte, als sowjetische Frachter mit Atomraketen für Kuba an Bord geradewegs auf den Blockadering der Amerikaner zufuhren - war Strauß auf einem Empfang in Schloß Brühl, allwo er Alkohol in jeglicher Gestalt und fast beliebiger Menge inhalierte. Bayerische Folklore halt in ihrer feuchtesten Form. Zunächst bloß angetrunken, pöbelte er recht grob - und also wiederum weißblau-folklorisch - die anwesenden sozialdemokratischen Parlamentarier an, wünschte gar den späteren Justizminister Jahn an den Galgen. In den frühen Morgenstunden dieser Krisennacht fand man dann den Befehlshaber der Bundeswehr in einem Gebüsch des Schloßgartens - stockbesoffen und "in einem erbärmlichen Zustand". Nun mag man sagen: Was soll's? Was könnte uns denn Besseres passieren, als daß Strauß in der Stunde der Entscheidung besoffen im Busch liegt? Besser dort, jedenfalls, als auf seinem Amtssessel. Da ist was dran, doch. So gesehen ist die "Kuba-Krisen-Suff-Affäre" gar keine Affäre gewesen, sondern eine Chance, die ungenutzt vertan wurde.

10. Abenteuer: Wie Franz einmal eine Grube aushob und schließlich selbst reinfiel

SPIEGEL und Strauß hatten sich noch nie gemocht. Es war der SPIEGEL, der die FIBAG-Affäre enthüllt hatte; es war der SPIEGEL, der den Skandal um "Onkel Aloys" Brandenstein aufgedeckt hatte (eine Strauß'sche Klein-Affäre, auf die aus Platzmangel nicht näher eingegangen wird. Ebensowenig wie auf die Fälle des Oberstleutnants Barth, des Polizeihauptwachmeisters Hahlbohm - beides Strauß-Geschädigte - und des Rechtsanwaltes und Julius-Streicher-Freundes Dr. Peter Deeg - ganz entschieden ein Strauß-Begünstigter. "Klein" waren diese Affären natürlich nur im Vergleich; jede von ihnen hätte ausgereicht, einen Durchschnittspolitiker um Amt und Würden zu bringen).

Im Oktober 1962 nun erschien der SPIEGEL mit einem Artikel über die Bundeswehr, in welchem schwerwiegende Mängel in der konventionellen Ausrüstung der Bundeswehr aufgedeckt wurden. Die Behauptung, daß die Bundeswehr ein nur bedingt abwehrbereiter Sauhaufen sei, wurde nicht als polemischer Angriff gegen den verantwortlichen Verteidigungsminister aufgefaßt, sondern - die Behauptungen trafen also zu - als Landesverrat.

Als "Abgrund von Landesverrat" gar, wie Adenauer damals raunte. Augstein wurde verhaftet, die Redaktions- und Wohnräume durchsucht, der Redakteur Conrad Ahlers auf Veranlassung von Strauß in Spanien verhaftet. Eine Maßnahme, die einzuleiten Strauß keinerlei Befugnis hatte. Dies und die Tatsache, daß er in Sachen SPIEGEL Affäre wenig später den Bundestag kräftig angelogen hatte, hat ihn erstmal zu Fall gebracht, für paar Jahre wenigstens. Es waren die FDP-Minister im Kabinett Adenauer gewesen, die den längst untragbar gewordenen Kollegen nicht mehr tragen wollten und auch die CSU/CDU-Fraktion zwangen, Strauß zum Rücktritt zu drängen.

Weiter geht's demnächst. In diesem Theater.

Wird Franz noch einmal den Weg nach oben schaffen?


[1]   Bairisch, derb, für "Umgang mit Prostituierten pflegen".

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