Unbeirrbar
Auf www.prisma.de las ich
in einem Artikel über Amedeo
Modigliani den Satz "Bestens
bewandert in antiker Bildhauerei, befolgte der scheinbar so labile junge Mann
unbeirrbar, was man heute ein Konzept nennen würde:..."
Ich bin zusammengezuckt beim Lesen, so wie ich jedes Mal
zusammenzucke, wenn ich das Wort "unbeirrbar" lese oder höre [1].
Merkwürdigerweise nämlich liest man dieses Wort so gut wie
nie im Rahmen einer Beschimpfung, man liest es vielmehr häufig in Festreden und
Nachrufen: "Unbeirrbar ging sie
ihren Weg" oder "Unbeirrbar
verfolgte er seine Ziele".
"Unbeirrbar"
gilt offensichtlich als positiver Begriff. Stünde da "unbeirrt", ich könnte nicht meckern.
Wenn ich nachträglich
den Lebensweg eines Menschen betrachte und feststelle, daß er eine einmal
gewählte Richtung unbeirrt verfolgt hat, dann heißt das, daß er sich durch
Widerstände und Anfechtungen letztlich nicht hat beirren lassen, daß er
konsequent seinen Weg gegangen ist. Ich habe keine Mühe damit, in dieser
Beschreibung etwas Positives zu erkennen.
Es steht da aber "unbeirrbar".
Ein unbeirrbarer
Mensch dagegen erscheint mir als ein dumpfer, stumpfer Hund der Sonderklasse, als
einer, der sich durch keine Vernunft, kein Argument, keine Erfahrung beirren
läßt, der einfach stur seinen Weg voranschreitet, durch nichts zu beeindrucken
und zu belehren. Der schaut nur direkt nach vorne, schaut nicht nach links und
nicht nach rechts, nach hinten sowieso nicht. Der ist für Erfahrungen und
Irritationen, die andere Leute zu einer Kurskorrektur veranlassen, nicht
zugänglich.
In einer Usenet-Diskussion entgegnete mir einer, "unbeirrbar" sei für ihn auch einer,
"der sich von dem üblichen Getöse,
das die um ihn herum scharwenzelnden Verirrten veranstalten, nicht von seinem
geraden Weg ablenken läßt. Seelenruhig, in sich gefestigt, die Ruhe selbst,
eine sehr positive Eigenschaft."
Ich entgegnete ihm mit einem Zitat "Der unerschütterliche Glaube ist keine
Tugend, sondern ein Laster. (BERTRAND RUSSELL)" und fuhr fort: "Daß
man sich nach jedem 'öhm, aber' nicht gleich neu taufen läßt ist eine Sache.
Jahrzehntelang dieselbe Überzeugung zu vertreten ist dagegen schon etwas
verhaltensauffällig. Man bleibt sich treu, indem man sich ändert. Andere Leute
haben auch gute Ideen und von ihnen zu lernen, ist durchaus empfehlenswert."
Aber, wie es mit dem Wortgebrauch halt manchmal ist: Bei uns
und bei Leuten, die uns zustimmen, reden wir von Prinzipientreue und
Konsequenz, bei Leuten, die eine andere Meinung vertreten, nennen wir dasselbe
Phänomen Sturheit.
Trotzdem: Unbeirrbare Leute sind gefährliche, weil dumme
Leute.
Unermüdlich
Als die Rücktrittsankündigung von Papst Benedikt XVI.
bekannt worden war, gab die Bayerische Staatskanzlei eine Pressemitteilung
von Ministerpräsident Seehofer heraus. Darin hieß es unter anderem: "Mit
seiner charismatischen Ausstrahlung und seinem unermüdlichen Einsatz für das
Wohl der Kirche hat der Papst aus Bayern die Menschen in aller Welt begeistert."
Als ich den Satz in den Nachrichten - indirekt zitiert - das
erste Mal hörte, ließ er mich zusammenzucken. "Unermüdlicher Einsatz"...
Dabei geht doch die ganze Rücktrittsgeschichte des Papstes genau darum, daß
sein Einsatz ermüdlich war. Alter, Krankheit, zu viel Arbeit für einen Mann
dieses Alters und Gesundheitszustandes, all das zusammen hat seine Kraft
ermüden lassen.
Untrennbar
Anfang der achtziger Jahre war in einer Lüneburger Zeitung
dieses Bild samt merkwürdiger Unterschrift zu sehen.
Genaugenommen sind natürlich weder das Bild noch die
Unterschrift merkwürdig. Sehr merkwürdig allerdings wird es, wenn man weiß, daß
das Bild einen Artikel illustrierte, in dem es darum ging, daß die Lüneburger
Saline nunmehr - nach eben über 1000 Jahren - wegen Unrentabilität geschlossen
wird.
Unter dem Motto der untrennbaren Verbundenheit berichtet die Zeitung darüber, daß Lüneburgs
Verbindung mit der Saline nicht nur doch trennbar ist, sondern demnächst auch tatsächlich getrennt wird.
Weiß Gott, wieviel hundert Jahre lang Lüneburger Festredner
bei weiß Gott welchen Gelegenheiten die Worthülse von der untrennbaren
Verbindung von Stadt und Saline schon verwendet haben. So oft jedenfalls, daß
der Zeitungsredakteur die Unsterblichkeit der Verbindung auch dann noch betont,
wenn er von deren Tod berichtet.
[1] Daß es "verfolgte" heißen müßte
statt "befolgte" lassen wir hier mal außen vor. Daitsches Sprak nix leicht fir daitsches Schurnalist.
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