Sonntag, 1. November 2009

Aus dem "Handbuch für Intellektuelle Angeber"

Wer auf Parties, auf Reisen mit der Bahn oder sonstwie beim Zusammensein mit anderen Menschen einen guten Eindruck hinterlassen, gar glänzen möchte, kann dies durch Schönheit, Anmut oder Liebreiz erreichen. Wer auf diesen Gebieten die Arschkarte gezogen hat, kann ersatzweise auch durch intellektuelle Brillanz auf sich aufmerksam machen.
Obacht aber! Keiner weiß alles und so tut man gut, viel zu reden und das Gespräch dezent und rasch auf ein Gebiet zu lenken, auf dem man Bescheid weiß.

Man sollte auch die Gebiete, auf denen man glänzen möchte, weise wählen. Sicher kannst du mit profunden Kenntnissen über Goethes "Faust" den einen oder anderen Punkt sammeln, aber das Risiko ist relativ groß, daß auch dein Gesprächspartner den "Faust" kennt und dir Unsauberkeiten in Zitat oder Argumentation nachweist. Es sind halt doch relativ viele, die den "Faust" gelesen haben, traurig, aber wahr.

Nimmst du dagegen ein Buch, das viele vom Titel her kennen, aber nicht gelesen haben ("Ulysses" - mein Gott, wer liest schon *wirklich* James Joyce! Die berufsmäßigen Joyce-Leser natürlich ausgenommen.), wirst du auf wesentlich sichererem Boden stehen. Den Vogel schießt du aber ab, wenn du ein weitgehend unbekanntes Buch von einem relativ bekannten, aber nicht zu prominenten Autor nimmst: "Geschichte des Herrn William Lovell" von Johann Ludwig Tieck, nur so als Beispiel. Damit schindest du Eindruck, wenn du irgendwo eine Diskussion über dieses Buch vom Zaun brichst! Nach dem Motto: Wenn der über Tieck und diesen, wie hieß der noch: Lovell, so gut Bescheid weiß, wie gut muß der erst über Goethe und den Faust oder Shakespeare und Hamlet Bescheid wissen.

Oder nimm ein anderes Feld. Ihr diskutiert über das rechte Eigenschaftswort von Porzellan. Es heiße "porzellanen" schreit dir dein Gesprächspartner entgegen und hat einen Punkt gewonnen. Du aber konterst und merkst an, das sei ein relativ modernes Wort, zu Goethens Zeiten sei noch eher "porzellös" im Gebrauch gewesen. Bleibt man skeptisch, so verweist du auf die - angeblich - bekannte Stelle: "Eine zarte Röte überhauchte ihren porzellösen Teint" aus der Erzählung "Der tolle Invalide aus dem Fort Ratonneau" von Achim von Arnim. Achim von Arnim kennt der Gebildete, von besagter Erzählung hat auch schon mancher gehört, also wird keiner nachschlagen, ob sich denn besagte Stelle dort wirklich findet. Tut's doch einer, weist du ihn drauf hin, daß du diese Stelle aus einer sehr alten und seltenen Ausgabe der Erzählung hast, die du drei Tage vor dem Brand in der Anna-Amalia-Bibliothek eingesehen hast.

All das funktioniert natürlich nur, wenn du beim Schwadronieren einen Gesichtsausdruck hinbringst, als wärest du Marcel Reich-Ranicki und Joachim Kaiser in einer Person. Aber dergleichen läßt sich üben.

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