Mittwoch, 27. April 2022

Gebetsteppich im S-Bahnhof

Am Montag [1] sah ich im Untergeschoß Hauptbahnhof der Münchner S-Bahn einen ziemlich grauhaarigen, ziemlich alten Mann, der trotz seines Alters jünger war als ich. Er hatte ein buntes, zartduftiges Stück Stoff in den Händen, das er auswedelte und dann sorgfältig auf dem Steinfußboden ausbreitete.

Nanu.

Dann kniete er auf dem Stück Stoff nieder und beugte den Rücken tief nach unten. Die Szene, die mir eben noch als sehr bizarr und sinnlos erschienen war, bekam plötzlich einen Sinn. Der Mann war offensichtlich Moslem und jetzt war anscheinend eines der fünf täglichen Gebete fällig. Ich war nicht draufgekommen, denn ich hatte mir unter einem Gebetsteppich noch stets ein Stück Auslegware vorgestellt. Der Teppich hier sah mir eher wie ein kunstseidenes Halstuch aus. Ein echt seidenes Tuch war es sicher nicht, der Mann sah nicht aus, als müßte er sein Geld beisammenhalten.

Erst wollte ich mich innerlich über den Typen und sein bizarres Ritual lustig machen, dann fing er an, mir Respekt einzuflössen. Ich hätte wahrscheinlich nicht den Mumm, in aller Öffentlichkeit so was durchzuziehen. Es war keine religiöse Demonstration, er machte kein Tamtam er tat einfach.



[1]   Es spielt keine Rolle, welcher Montag es war, nicht zuletzt deshalb weil es bei genauerem Erinnern eh ein Dienstag war.

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