Heute vormittags klingelt es an der Haustüre, draußen steht mein Nachbar im leichten Homedress, man kann auch Pyjama sagen. Er ist ein weißhaariger älterer Herr, was red ich, er ist ein alter Mann, noch älter sogar als ich. Er habe sich aus seiner Wohnung ausgesperrt, sagt er. So was passiert, wenngleich es nicht passieren sollte. Ich selber, klugscheiße ich ihn voll, stecke beim Nachhausekommen stets den Wohnungsschlüssel von innen in's Schloß und sperre ab. Wenn ich nun die Wohnung verlassen wolle, sei ich gezwungen, den Schlüssel in die Hand zu nehmen. Ich bin so was von dermaßen schlau, ich warte nur noch drauf, bis ich mich dereinst selber mal aussperre. Ach.
Ich tröste ihn, es sei ja keine Katastrophe passiert, schließlich gebe es den Schlüsseldie...
Doch halt! Seine Frau sei doch in der Arbeit, wenn er die
jetzt anriefe, könne sie kommen und ihn aus der mißlichen Lage befreien. Wo sie
denn arbeite? Das wisse er nicht mehr, er sei nämlich, müsse ich wissen, schon
ein bisserl vergeßlich. Ich nicke verständnisvoll, das bin ich meinem Beruf und
meinem ebenfalls bereits fortgeschrittenen Lebensalter schuldig. Er hat anscheinend auch sein Alter vergessen, denn sein erster Vorschlag ist, daß er über meinen Balkon zu seinem Balkon klettern wolle. Da sind aber erstens noch zwei andere Wohnungen dazwischen und zweitens geht der Nachbar bestimmt stramm auf die 80 zu. Von einem Balkon zum anderen klettern hätte ich mich nicht mal mit 30 getraut. Die Wohnungen sind im Ersten Stock, nicht hoch genug, um beim Runterfallen (auf eine Wiese) garantiert zu sterben, aber doch hoch genug, um ein Leben lang gelähmt zu bleiben. Gut, so lange würde das im konkreten Jetztfall nicht mehr dauern, aber doch...
Ob sonst noch jemand einen Zweit-, eigentlich ja Drittschlüssel habe, frage ich weiter. Ja, meint er, sein Schwager. Dessen Namen wisse er aber auch nicht mehr. Er erwies sich als ein bisserl sehr vergeßlich. Aber nein, den Schlüsseldienst wolle er nicht bemühen, das koste doch so viel Geld [1]. Ja, schon, entgegne ich, aber es sei die einzige Alternative, ansonsten müßte er stundenlang im Hausflur auf und ab gehen, bis schließlich am späten Nachmittag seine Frau heimkomme. Er blieb stur.
Irgendwann ist mir dann der Schlüsselbund aufgefallen, den er schon die ganze Zeit in der Hand gehabt hatte. Ja, nein, er wisse nicht, ob das sein Haustürschlüssel sei, wahrscheinlich nicht, denn er könne damit nicht aufsperren. Ich probiere es auch und tatsächlich bringe ich den Schlüssel nicht in's Schlüsselloch, so als wäre es ein Schlüssel für ein ganz anderes Schloß. Was der Schlüsselbund zu bedeuten hat, bleibt rätselhaft.
Ich habe dann die Hausverwaltung angerufen, vielleicht haben die ja einen Nachschlüssel. Aber nein, die hätten keinen, wurde mir versichert. Dann habe ich beim Schlüsseldienst Löffler angerufen, der Anrufbeantworter teilt mir mit, daß sie derzeit in Urlaub seien. Ich rufe einen anderen Schlüsseldienst an, dort sagte man mir, man könne nicht tätig werden, solange der Wohnungsinhaber selbst keinen Auftrag erteile. Gleiches erfahre ich von der dann angerufenen Polizei. Was man dann machen könne? Man könne die Leute vom Bezirkskrankenhaus (vulgo: Klapse) rufen, ohne ein psychiatrisches Gutachten kommst du heutigentags nicht mehr in deine Wohnung.
Nach ca. einer halberten Stunde entschließe ich mich, auf eigene Faust den Schlüsseldienst zu rufen [2] und alles weitere später mit dem Nachbarn seiner Frau zu regeln. Ich telefonier gerade, als ein weiterer Nachbar durch meine offene Wohnungstür ruft, es habe sich inzwischen alles geregelt. Ich schau auf den Flur und richtig, da steht der erstgenannte Nachbar und winkt mir aus seiner offenen Wohnungstür zu. Nachbar zwei erklärt mir, das Türschloß sei lediglich ein wenig streng gegangen, ein Tropfen Öl habe Wunder gewirkt.
Puh, nochmal gutgelaufen!
Dann kommt der erste Nachbar gut gelaunt über den Hausflur auf mich zu. Er hat nichts in der Hand und sein Pyjama hat keine Taschen. Blitzschnell nehme ich meinen Wohnungsschlüssel in die Hand und flitze ihm entgegen, laufe an ihm vorbei und stelle mich in seine Wohnungstür, damit sie nicht bei einem Windstoß [3] zuschlagen kann. Sein Schlüssel steckt nicht im Schloß, er findet sich auch seiner Wohnung nicht.
Was lernt uns diese Geschichte?
1. Geschichten, über die man sich totlacht, wenn man sie im Film sieht, sind in echt ziemlich lästig.
2. So sehr man über Geschichten von Dementen manchmal lachen kann, es steckt immer eine Tragödie dahinter.
Säufts.
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