Montag, 17. Mai 2021

Der Diercke-Weltatlas, der Knochenbrecher

Als ich noch der Wald­bau­ern­bub war hatten wir in der Schule den Diercke-Welt­atlas. Der Diercke Welt­atlas galt als Kno­chen­brecher, denn zwei- bis viermal die Woche muß­ten wir ihn im Schulranzen von zuhause in die Schule schleppen und wieder zu­rück. Viele von uns haben die Schulzeit trotzdem oh­ne größere Schäden hinter sich gebracht, einige dagegen hat es bös erwischt. Sie sind mißgestaltet und müssen sich als Glööckler durch's fernere Leben schlagen.

Das Bemerkenswerte an un­se­ren Schul­ran­zen war der Umstand, daß die Ranzen umso praller gefüllt und deshalb schwerer waren, je jünger die Kinder waren. Vor Schulen und an Schulbus­haltestellen kannst du Zehnjährige beobachten, die den Diercke-Weltatlas und die ganze Last menschlicher Existenz auf ihren niedergedrückten Buckeln tragen, es ist zum Gotts­erbarm. Vor einigen Jahren habe ich an einer Bushaltestelle (wo sonst?) zu einer Gruppe junger Menschen an der Schwelle vom Kind zum Jugendlichen gepredigt, alle hatten sie Ranzen und die meisten davon waren ersichtlich schwer. "Höret, Kinder", sagte ich ihnen, "laßt euch an Weihnachten oder zum nächsten Geburtstag einen Einkaufstrolley schenken. [1] Dann könnt ihr künftig den Diercke-Weltatlas ebenso bequem hinter euch herziehen wie ich."

Das ginge nicht, sagte man mir. - Weil? - Weil wegen diesem und jenem und aus vielerlei anderen Gründen. In Wirklichkeit, sehen wir die Dinge doch mal realistisch, sind Trolleys so was von uncool, das glaubst du nicht. Trolleys sind Nachzieh-Rollatoren. Inzwischen habe ich meine Geschichte von der Trolley-Predigt einigen Leuten erzählt und noch jeder hat behauptet, was ich denn hätte, es gäbe inzwischen doch schon nicht wenige Schüler, die von Ranzen auf Trolleys umgestiegen seien. Die Sache erinnert ein bisserl an das Ungeheuer von Loch Ness - jeder kann was darüber erzählen, gesehen hat es noch keiner.

Der letzte Satz gilt im übrigen - merk ich grad - ebenso für den Lieben Gott.



[1]   Viele Jahre, nachdem es der Menschheit gelungen war, auf dem Mond zu landen, war ein genialer Erfinder auf die Idee gekommen, einen Satz Räder unter Koffer und ähnliche Behältnisse zu schrauben, um damit den Transport erheblich zu erleichtern.

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