Sonntag, 11. März 2012

Kitsch as kunst can

Agropoli ist eine Hafenstadt am Golf von Salerno, ca. 100 km südlich von Neapel. Der Name führt auf die richtige Fährte, Agropoli ist eine griechische Gründung. Allerdings waren es nicht die heidnischen Griechen, die über ein Jahrtausend zuvor das benachbarte Paestum gegründet hatten. Agropoli ist eine byzantinische Gründung aus dem 6. Jahrhundert nach Christus.
Wenn du am Strand stehst, dann liegt vor dir das Meer, fünfzig, sechzig Kilometer dahinter die Amalfi-Küste und links daneben Capri, die vielgerühmte Insel. Wenn es ein Sommerabend ist, dann kannst du, den MP3-Player mit Rudi Schuricke am Ohr, buchstäblich und wortwörtlich sehen, wie bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt.


Wenn du, Wanderer, aus dem fernen Deutschland bist und wenn du zufällig zehn Jahre dort in der Gegend gelebt hast, weil du dich unsterblich in dieses Land verliebt hast... dann beginnen vom bloßen Erzählen deine Augen ganz wundersam zu tropfen. Ein Schmerz - süß zwar, aber doch Schmerz - schneidet durch deine Seele, der Nabule-Blues hält dich umfangen und das Herz wird dir eng und schwer.
(Du kannst ruhig drauf klicken, so ölfrei hast du 'O Sole mio" wahrscheinlich nie zuvor gehört.)

Wenn du nun meinst, der vorstehende Text samt Videos sei ein bißchen arg viel Kitsch gewesen, so magst du recht haben. Andererseits sind wir damit mitten im Thema.
In Agropoli nämlich gibt es einen Laden für Krims & Krams & Allerlei, über der Tür steht stolz unter anderem das Wort "kitsch".
Es hat ja eine eigene Bewandtnis um dieses Wort. Jeder weiß, was es bedeutet (die Meinungen der Leute beim Einschätzen eines Dinges als "Kitsch" gehen ganz erstaunlich konform), keiner kann es aber so richtig definieren.
Und: Kitsch (handwerklich gut gemachter Kitsch, das ist die Voraussetzung) geht ans Innerste der menschlichen Seele. Wenn Rudi Schuricke die "Caprifischer" schmalzt, dann werden die Augen tränenfeucht. Und das sind nicht nur die sog. "einfachen Leute" mit dem schlichten Geschmack, die sich hier die Seele aus dem Leib heulen. Ich kenne hochgebildete Kulturschmocks von äußerst verfeinertem Geschmack, die kundig jeder Symphonie mit der Partitur auf den Knien lauschen und anschließend kenntnisreiche Kommentare dazu geben können; die Fassbinders "Händler der vier Jahreszeiten" gucken und anschließend bei der Paella mit Meeresfrüchten nach der Vorstellung gutgelaunt das übliche "ärschötternd" murmeln (was soviel heißt wie: Gott, was bin ich froh, daß so was nicht mir passiert). Abgebrühte und mit allen Salben geriebene Schöngeister, die jedes Musica-Viva-Konzert durchstehen ohne mit der Wimper zu zucken,
die aber Rotz und Wasser heulen, wenn Heinz Rühmann im Film "Wenn der Vater mit dem Sohne" sein "La-le-lu, nur der Mann im Mond schaut zu, wenn die kleinen Babys schlafen, drum schlaf auch du!" nicht singt, sondern heisert.

Ist es tatsächlich der gnadenlose, kompromißlose Kitsch, der uns packt, wirklich und im Tiefinnersten packt, während die große, echte und wahre Kunst im Hirn stecken bleibt?

Zum Abschluß noch etwas Kitsch, wenn auch vom Feinsten. Oder sagen wir besser und vorsichtiger: Etwas, das uns Heutigen doch eher kitschig anmutet.
 Ich liebe das Stück.
Und weil es jetzt auch schon wurscht ist, setze ich auf einen Schubert anderthalbe - Mozart nämlich.

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