1.12.25

Die schöngeflötete Reichskristallnacht

Seit den achtziger Jahren erscheint vielen wohlmeinenden Menschen in Deutschland der Begriff "Reichskristallnacht" als bedenklich, da er ein Euphemismus sei und ein völlig falsches Bild vermittele. Er lasse die Pogrome der Nacht von 9. zum 10. Nov. 1938  wie eine festlich glitzernde Ball-Veranstaltung erscheinen.

Schon als Kind ließ mich die Formulierung "Reichskristallnacht" nicht an eine festliche Ballveranstaltung denken, sondern an die vielen Glasscherben von kaputten Schaufensterscheiben auf den Straßen.

Das Wort "Reichskristallnacht" wurde "bis 1988 völlig problemlos verwendet (...). Ganz ohne Anführungsstriche oder anderen Distanzmarkern. Erst mit der Rede des Bundestagspräsidenten Philipp Jenninger wurde „Reichskristallnacht“zum Problem und abgelöst durch Begriffe wie "Juden-Pogrom" oder "Reichspogromnacht". Dabei ist der Begriff "Reichskristallnacht" nicht von den Nazis geschaffen worden, erklärt (der Germanist) Thorsten Eitz. Vielmehr fand er Belege,„dass (der) Berliner Kabarettist Werner Finck das geprägt hat, und für die Verwendung und Prägung des Ausdrucks von den Nazis auch in den Knast gesteckt worden ist.

Deutschlandfunk Kultur

"Die erste nachgewiesene gedruckte Verwendung datiert vom 11. November 1945, als die „Berliner Zeitung“ das Wort benutzte, und zwar in Anführungszeichen. Schon kurz zuvor hatte der „Tagesspiegel“ darauf hingewiesen, dass die Pogrome„im Volksmund ,Kristallwoche’ genannt“ worden seien. (...) In der Propagandasprache der NSDAP taucht das Wort sowenig auf wie in internen Gestapo-Berichten; hier war meist von der „Judenaktion“ die Rede.

(...)

Nicht einmal der Journalist und Sprachexperte Dolf Sternberger, der unmittelbar nach 1945 begonnen hatte, die Deutschen über menschenverachtende Formulierungen „Aus dem Wörterbuch des Unmenschen“ aufzuklären, vermochte den Ursprung des Wortes aufklären: 'Mir ist in Gesprächen gelegentlich die Vermutung begegnet, die Täter selbst hätten das Wort erfunden. Und es ist wahr, man könnte auch ein Interesse am Euphemismus heraushören.' Doch glaubte Sternberger nicht, dass das Wort ,Reichskristallnacht’ „einer nationalsozialistischen Schnoddrigkeit“ seine Entstehung verdankt: 'Das Verwegen-Lustige daran wäre dem Göringschen Milieu zwar durchaus zuzutrauen, nicht aber der Jux mit dem ,Reich’.([1]) Diese Zusammensetzung hat ja auch eine höhnische Note, indem sie das parteiamtliche und das reichseinheitlich Durchorganisierte des Vorgangs blitz- und witzhaft kenntlich macht. Kurz, die Vermutung spricht am ehesten für den anonymen Volkswitz, zumal den Berlinischen. Beweisen lässt sich diese Annahme freilich nicht.

Im Jahr 1978 schlug der damalige SPD-Bundestagsabgeordnete Klaus Thüsing vor, statt von „Reichskristallnacht“ besser von „Reichspogromnacht“ zu sprechen. In Deutschland hat sich dieser politisch korrekte Begriff seit 1988 zunehmend durchgesetzt, obwohl ihm im Gegensatz zur Prägung "Kristallnacht" jede Authentizität fehlt. In anderen Ländern wird jedoch weiter von der „Crystal night“, der „Nuit de Crystal“ oder der „Notte dei Cristalli“ gesprochen."

Berliner Morgenpost

Wie zuvor schon die Abschaffung des Wortes "Neger" so ist auch die schön­flötende Tabuisierung des Wortes "Reichskristallnacht" eine Art parfümierter Nebel, der wichtige Zusammenhänge verschleiert.

Der Franze hat gsagt



[1]   In diesem Zusammenhang sei an die "Reichswasserleiche" Kristina Söderbaum erinnert. Ihr Tod im Wasser am Ende zweier ihrer melodramatischen Filme ("Jugend" und "Jud Süß") brachte ihr diesen Spottnamen ein.