Die Abschaffung des Wortes "Neger" als Herrschaftsstrategie
Deutschsprachige
Menschen, die ab den achtziger Jahren aufgewachsen sind, haben gelernt, daß
"Neger" ein rassistisches, diskriminierendes und herabsetzendes
Bäh-Wort ist, das man tunlichst nicht verwenden sollte. Leute, die einige Zeit
früher sprachlich sozialisiert wurden, tun sich manchmal schwer, diesen
Widerwillen gegen das Wort nachzuvollziehen, sie haben "Neger" noch
als ganz neutrales Wort erlebt. Das heißt, so ganz neutral war das Wort
natürlich nicht, es wurde auch herabsetzend verwendet.
Der negative Klang des
Wortes kommt von dem durch das Wort bezeichneten Objekt. Seit der schwarze
Mensch in das Blickfeld des Europäers geraten ist, war er für den Weißen ein
Mensch zweiter Klasse, erst als Sklave, später dann als "Freier" am
Rande der Gesellschaft, streng getrennt von den Weißen. Dazu fällt den meisten
vielleicht als erstes die südafrikanische Apartheid ein, ich erinnere aber
daran, daß noch in den sechziger Jahren in den USA die Rassentrennung eine
Selbstverständlichkeit war. Jedes andere Wort, mit dem man schwarze Menschen
bezeichnet hätte, wäre ebenfalls mit dem Gift der Verachtung kontaminiert
gewesen.
Aber immerhin -
"Neger" war ein neutral beschreibendes Wort, bezogen auf die schwarze
Hautfarbe, als Schimpfwort gab es "Nigger", "Bimbo" oder
auch "Hottentotte". Das Verächtliche lag nicht im Wort
"Neger", sondern im geringgeschätzten schwarzen Menschen selbst.
Eine andere
geringgeschätzte Menschengruppe waren (sind) die Juden. Über viele Jahrhunderte
hinweg wurde das Wort "Jude" von den meisten Menschen im deutschen
Sprachraum mit einem ausgesprochen negativen Beiklang verwendet. Der
abschätzige Beigeschmack ließ sich noch steigern, indem man "Jude"
auf "Jud" verkürzte. Vollends und über alle Maßen wurde dann im
Dritten Reich das Wort "Jude" zum Haß- und Ekelwort (diese
Wortprägung ist nicht von mir, die haben sich die Nazis ausgedacht). Und in der
Tat wollte man sich in Deutschland nach 1945 dieses peinlichen Wortes
entledigen.
"Und wie
vielen Deutschen hätten die „Sephardim und Aschkenasim“ geholfen, ihre
Schuldgefühle terminologisch zu bewältigen! Wer alt genug ist, erinnert sich
vielleicht, daß nach 1945 kaum einem das Wort 'Jude' so recht frei über die
Zunge gehen oder aus der Feder fließen wollte. Damals wurde der
"Staatsbürger mosaischen Glaubens" erfunden; und wo nicht erfunden,
so erlebte er doch Hochkonjunktur. Auch "Israelis" oder
"Israeliten" standen, für eher Wohlwollende, "Zionisten"
für nicht so Wohlwollende hoch im Sprachkurs. Die meisten Juden machten diesen
Quatsch nicht mit. Sie waren Juden, wollten Juden sein und Juden bleiben."
(R. W. Leonhardt)
Weil die Juden sich
gewehrt haben, ist ihnen die anteilnehmende Umbenennung erspart geblieben.
Das Gezänk um das Wort
"Neger" ist dabei sehr viel mehr als ein akademischer Streit um
Worte, es hat einen hochpolitischen, blutig ernsten Hintergrund.
Es ist eine infame
Strategie, den Begriff "Neger" aufzuteilen in Schwarzafrikaner,
Afroamerikaner, Afro-Kariben, Afro-Brasilianer etc. pp. Mit dem Wort
"Neger" nimmt man ihnen zugleich auch ihre gemeinsame Geschichte,
ihre gemeinsame Identität.
Das geht bis in
Familiengeschichten hinein. Man nehme nur mal die Geschwister Obama. Der Halb-Neger
(oder Halb-Weiße, man kann es sehen, wie man will) Barack Obama ist nach
derzeit korrekter Terminologie ein Afro-Amerikaner. Seine Halbschwester Auma
Obama wäre eine Schwarzafrikanerin. Zwei völlig unterschiedliche Gruppen, denen
die beiden Geschwister angehören, so scheint es.
Beide aber gehören
einer Bevölkerungsgruppe an, die immer noch, in großen Teilen dieses Erdballes,
herablassend, verächtlich behandelt wird. Durch die Umbenennung aber wird in
ihrem Denken peu a peu das Bewußtsein dafür gelöscht, daß sie alle Neger sind,
Afrikaner wie Amerikaner, schwarze Deutsche wie schwarze Schweden. Divide et
impera.
Ich erinnere an George
Orwells Roman "1984". Der Autor widmet darin einen Absatz dem Thema
"gezielte Sprachveränderung". Der Wortschatz wird reduziert, Worte in
ihrer Bedeutung verändert.
Zur Bewertung gibt es
nur noch "gut". Davon abgeleitet sind die Steigerungen
"plusgut" und "doppelplusgut". Das Gegenteil heißt
"ungut", mit den Steigerungen "plusungut" und
"doppelplusungut". Wir sind im übrigen bereits auf Orwells Spuren,
alles, was nicht ausgesprochen scheiße ist, nennt man "super", ist es
noch ein kleines bißchen besser, spricht man von "genial".
Okay, das wäre
zunächst mal nur ein herber Verlust für die Poesie. Aber die Sprachveränderung
geht bei Orwell so weit, daß etwa das Wort "free" nur noch in
der Bedeutung von "kostenlos" existiert. "Frei" im Sinne
von "selbstbestimmt" gibt es nicht mehr, mit dem Wort verschwindet
auch das durch das Wort bezeichnete Ding (im Bewußtsein des denkenden
Menschen).
Ich sprach oben davon,
es habe das Wort "Neger" lange, lange Zeit einen abschätzigen
Beiklang gehabt. Noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aber begannen
die Neger damit, sich das Wort bewußt und selbstbewußt anzueignen. In den
dreißiger Jahren prägte der Afro-Karibe (ich verwende das merkwürdige Wort
einfach mal) Aimé Césaire aus Martinique den Begriff der Négritude, der von
Anfang an ein umfassendes antikolonial-revolutionäres Konzept war. Man hatte
sich das Wort "Neger" ganz bewußt auf die Fahne eines neuen schwarzen
Selbstbewußtsein geschrieben. Das Wort drückte den Stolz des schwarzen Menschen
beider Kontinente auf die gemeinsame Herkunft Afrika, auf die schwarze Kultur
aus.
Das letzte Buch von
Aimé Césaire, 2005 (!), drei Jahre vor seinem Tod erschienen, trägt den stolzen
Titel "Nègre je suis, nègre je resterai" (Neger bin ich, Neger
werde ich bleiben). Meines Wissens ist das Buch bislang noch nicht auf Deutsch
erschienen. Sollte es je erscheinen, bin ich gespannt, wie der Titel des Buches
in einem Land lauten wird, in dem das Wort "Neger" inzwischen aus
Pippi-Langstrumpf-Büchern gelöscht wird.
In den fünfziger,
sechziger Jahren verwendeten die Schwarzen in den USA das Wort "negro"
als selbstbewußte Eigenbezeichnung.
"Five score
years ago, a great American, in whose symbolic shadow we stand today, signed
the Emancipation Proclamation. This momentous decree came as a great beacon
light of hope to millions of Negro slaves who had been seared in the flames of
withering injustice. It came as a joyous daybreak to end the long night of
their captivity.
But one hundred
years later, the Negro still is not free. One hundred years later, the life of
the Negro is still sadly crippled by the manacles of segregation and the chains
of discrimination. One hundred years later, the Negro lives on a lonely island
of poverty in the midst of a vast ocean of material prosperity. One hundred
years later, the Negro is still languished in the corners of American society
and finds himself an exile in his own land. And so we've come here today to
dramatize a shameful condition."
Das ist ein Ausschnitt
aus der mittlerweile legendären Rede "I Have a Dream" von Martin Luther King,
gehalten 1963. Klicke auf den Link, lies die ganze Rede oder höre sie dir an,
und zähle, wie oft King darin das Wort "negro" verwendet.
Malcolm X war ein
wesentlich radikalerer Negerführer als King. Im folgenden Interview läßt sich
Malcolm X ganz selbstverständlich als negro leader ansprechen, ab ca. 6
min. verwendet er dann auch selbst mehrmals das Wort negro.
Das Wort
"Neger" ist damals zu einem politischen Kampfbegriff der Neger selbst
geworden. Und hier wird die freundliche Rücksichtnahme auf angeblich verletzte
Gefühle der Neger zur Infamie. In dem Moment (und erst in diesem Moment), da
das Wort "Neger" zur stolzen Eigenbezeichnung wurde, hat man den
Schwarzen dieses Kampfwort wieder entwunden. Irgendeiner muß den Neger* doch
zeigen, wo der Hammer hängt!
Der Hammer hängt immer
noch im weißen Norden dieser Erde. Innerhalb von lediglich 30 Jahren hat man es
geschafft, den ehdem lediglich beschreibenden Begriff "Neger" mit
einem Pesthauch zu parfümieren.
Aus dem Neger wurden
der Afroamerikaner, der Schwarzafrikaner, der Afroschwede etc. pp. Vielleicht
hilft es ja und der amerikanische Neger verliert das Gefühl, Schicksalsgenosse
des Watussi zu sein. Ich argwöhne, und ich argwöhne es immer mehr, je länger
ich drüber nachdenke, daß diese ganze Umtauferei dazu dient, sich aus der
historischen Verantwortung herauszumogeln, die eigene Geschichte der Weißen zu
schönen. Mohrenwäsche.
"Ich bin ein
Neger und werde ein Neger bleiben, ich werde ein Kind, ein Erbe dieser
Geschichte bleiben: In Frankreich neigt man dazu, diese Geschichte zu
vergessen, wohingegen ich aufzeigen wollte: Neger steht für eine Geschichte.
Tatsächlich werden Afrikaner erst mit Beginn des Sklavenhandels so genannt, und
am Ende des XVII. Jahrhunderts sind Neger und Sklave synonym in den
Französisch-Wörterbüchern, bis weit ins XIX. Jahrhundert hinein."
Es ist Aimé Césaire,
der so spricht. Er spricht zornig und selbstbewußt, er will die Europäer und
Amerikaner nicht aus ihrer Verantwortung für die Schändlichkeiten des
Kolonialismus entlassen, indem er sich das Wort "Neger" von der Zunge
nehmen läßt.
Der Neger hat noch
einen Schuldschein bei sich daheim in der Schublade. Der ist ausgestellt auf
den Neger, unterschrieben hat ihn ein gewisser "Weißer Mann" wegen
Kolonialismus, Imperialismus, Sklaverei... eh schon wissen.
Wenn jetzt der Neger
den Schuldschein aus der Schublade zieht und vorlegt, stellt sich der Weiße
Mann ganz dumm und sagt: "Was für ein Neger denn? Es gibt gar keine Neger
nicht, es gibt überhaupt keine Rassen, hast du das nicht in der Schul
gelernt?"
Jetzt merkt der Neger,
daß man ihn wieder mal aufs Glatteis geführt hat, das er von Afrika her nicht
kennt.
Schlau ist er schon,
der Weiße Mann.
Ich könnte schreien
vor Wut! Diese gottverfluchten Schweinehunde haben es wieder mal geschafft, sie
haben dem Neger seine Identität geraubt. Heute zucken selbst Neger unangenehm
berührt zusammen, wenn sie das Wort "Neger" hören. Das Wort
"Neger" ist besudelt worden und mit dem Wort der schwarze Mensch.
Ich frage mich, was
wohl hinter dieser - allgemein zu beobachtenden - Ängstlichkeit beim Benennen
von Unterschieden zwischen verschiedenen Menschengruppen stecken mag. Sind wir
möglicherweise alle inzwischen so rassistisch, so ressentimentgeladen geworden,
daß wir uns das bloße Benennen von Unterschieden gar nicht mehr anders denn
abwertend vorstellen können?
Es ging spazieren
vor dem Tor / ein kohlpechrabenschwarzer Mohr…
In der Tat, der Mohr im "Struwwelpeter" ist kohlpechrabenschwarz. Und? Was folgt daraus? Daß er schwarz ist, das folgt daraus, mehr nicht. Beleidige ich den Mohren, wenn ich seine Hautfarbe bezeichne? Ist dem Mohren seine Hautfarbe peinlich? Ist etwa mir die Hautfarbe des Mohren peinlich, so peinlich, daß ich darüber gar nicht sprechen mag?
In der Tat, der Mohr im "Struwwelpeter" ist kohlpechrabenschwarz. Und? Was folgt daraus? Daß er schwarz ist, das folgt daraus, mehr nicht. Beleidige ich den Mohren, wenn ich seine Hautfarbe bezeichne? Ist dem Mohren seine Hautfarbe peinlich? Ist etwa mir die Hautfarbe des Mohren peinlich, so peinlich, daß ich darüber gar nicht sprechen mag?
Was ich schon lange
argwöhne... Der Mensch im engeren Sinne, also der weiße Mensch, sieht einen
schwarzen Mitbürger und er zuckt betroffen zusammen. "Gott, was sind diese
armen Neger aber auch schwarz." Und als wohlmeinender Mensch darf man
einen Afro-Afrikaner nicht vor den Kopf stoßen, indem man auf seine Hautfarbe
hinweist, mit der er von Gott geschlagen worden ist. Und das, diese
Leisetreterei bei der Benennung, ist wirklicher und echter Rassismus.
Es ist absolut
lächerlich, was ich mache. Als Blogger, den sowieso bloß zwanzig, dreißig Leute
lesen, schreibe ich wieder und wieder über das gleiche Thema, weil ich es nicht
stumm und unkommentiert hinnehmen will, daß man dem Neger erneut seine Würde geraubt
hat, grade in dem Moment, da er dranging, sie sich wieder zu holen. Dafür muß
ich mich als Rassist beschimpfen lassen. Eine ganze Generation ist mittlerweile
vergiftet, sie windet sich vor Fremdscham, wenn sie das stolze Wort
"Neger" hört. Neger schreien empört auf, weil "Neger" sie
an ihre schwarze Hautfarbe erinnert. Es ist der pure Wahnsinn, der in den
Köpfen der Menschen angerührt worden ist.
Hallo, ein freundlicher Mitstreiter im Freitag hat mich auf Basis einer Äußerung zum Thema "PC" darauf hingewiesen und gewarnt, dass Sie dort wegen ähnlichem rausgeflogen seien. Wie kams bzw. was ist dran an der Story?
AntwortenLöschenGruß Leo
"Hallo, ein freundlicher Mitstreiter im Freitag hat mich auf Basis einer Äußerung zum Thema 'PC' darauf hingewiesen und gewarnt, dass Sie dort wegen ähnlichem rausgeflogen seien. Wie kams bzw. was ist dran an der Story?"
LöschenNäheres zum Thema finden Sie hier:
http://derfranzehatgsagt.blogspot.de/2014/02/mein-verschwinden-aus-der-freitags.html
Viele Grüße
Wolfram Heinrich