Ganz am Anfang wird ein Aufklärungsbuch empfohlen:
Gerade ist wieder eines erschienen: Make Love (Verlag Rogner & Bernhard, 22,95 Euro)
Das Aufklärungsbuch, respektive sein Titel macht deutlich, wie verschwiemelt das Verhältnis zumindest der jüngeren Leute zum 6 anscheinend immer noch ist. Das Buch ist, nota bene, keine Übersetzung aus dem Englischen, sondern ein deutscher Originaltext, jedenfalls schließe ich das aus den Namen der beiden Autorinnen Ann-Marlene Henning und Tina Bremer-Olszewski.
Und der Titel ist nicht "Mach Liebe", "Liebe machen", "Gamsen", "Schnackseln", "Vögeln", "Bumsen" oder "Ficken", sondern "Make Love". Du meine Güte, kaum geht's um 6, schon sträuben sich die Federn und die Autoren (oder der Lektor oder der Verlag oder alle zusammen) flüchten sich ins keusche Englisch, so wie man sich zu Willems Zeiten in's keusche Latein flüchtete [1]. Wer führt nicht alles nonchalant den motherfucker im Mund, während er beim Mutterficker entsetzt zusammenzucken würde.
Beim Abtippen trieb es dem Redakteur über so viel Offenheit zunächst die Schamesröte ins Gesicht...
Ach, wie rührend. Der Redakteur tippt das Band ab, nicht die "jüngste Mitarbeiterin".
...am Ende aber war er auffallend beschwingt und zuversichtlich, dass hier eine Generation heranwächst, die genauso unsicher, genauso sehnsüchtig, genauso neugierig ist wie alle vorherigen auch.
Alles andere wäre auch höchst erstaunlich gewesen.
Und dann geht's um's Erste Mal.
Juri: Bei mir war es ein unfassbar unromantischer One-Night-Stand. Ich war in einem Club, wir haben getanzt und uns geküsst und sind irgendwann zu ihr. Ich weiß nicht einmal mehr, wie sie hieß oder wie es war.
Juri war zum Zeitpunkt des Interviews 19 Jahre alt und möchte mal später eine Familie gründen, wie er sagt. Wenn der jetzt schon so an präseniler Demenz leidet, dann mag ich ihn mir gar nicht mit 50 vorstellen. "Wie?" wird er entsetzt rufen, wenn ihn seine Frau an die ehelichen Pflichten (das Abspülen und Rasenmähen) erinnert, "Ich bin verheiratet? Wie konnte das nur passieren?" Und dann wird er rätseln, wie seine Frau heißt und ob er ein oder zwei Kinder hat. (Der Kinder wegen hoffe ich, er werde kinderlos bleiben.)
Robert: Wenn man sich nicht kennt, dann mit Kondomen.
Wenn man sich kennt, braucht man kein Kondom? Weil dann die AIDS-Viren so freundlich sind, nicht zum anderen rüberzuschwimmen? O sancta simplicitas! Ob ich ein Kondom brauche oder nicht hängt von der Art der Beziehung ab: Bin ich treu und kann ich dem Partner vertrauen, daß er treu ist?
Charlotte: Ich glaube, in der Vorstellung meines Vaters bin ich vier Jahre alt, habe ein rosa Kleidchen an und eine Schultüte in der Hand – der würde es nie verstehen, dass ich inzwischen Sex habe.
Kinderchen, es wird euch schockieren, aber ich bin jetzt mal ganz offen mit euch: Eure Eltern hatten auch schon mal Sex (ich vermute fast, sie haben ihn immer noch). Die fallen nicht ohnmächtig vom Stuhl, wenn sie hören, eine 19jährige hätte schon mal geschnackselt.
Maike: ...aber was haben denn Pornos mit Aufklärung zu tun? Die sind doch total realitätsfern!
Juri: Ja, klar, ich weiß. Aber trotzdem ist man doch dadurch viel früher mit Erotik in Berührung gekommen und hat sich dann rasch informiert, oder?
Oder. In den ganz alten Zeiten, als der Uropa noch einen Bauernhof hatte, haben die Kinder den Hahn beim Besteigen der Henne beobachtet. In den alten Zeiten, als der Papa schon in die Stadt gezogen war, haben die Kinder bemerkt, daß der Hund zweimal im Jahr wepsig wurde und - so sich Gelegenheit bot - die Hündin bestieg.
Der HABICHT fraß die WANDERRATTE,
nachdem er sie geschändet hatte.
Abgesehen davon meldet sich die Erotik, vulgo: Geilheit, ganz von selber. Wenn's den Porno zum Schnackseln bräuchte, dann gäbe es uns Menschen schon lange nicht mehr.
Juri: Was ich im Porno immer absurd finde: dass der Mann, kurz bevor er kommt, den Sex abbricht und sich über die Frau kniet, um ihr ins Gesicht zu spritzen. Darauf wäre ich nie gekommen.
Im echten & wahren Leben hat das etwas damit zu tun, daß Sex eine schmutzige, glitschige und schleimige Sache ist - oder doch zumindest sein sollte. Touch-a, touch-a, touch me, I wanna be dirty
Im Porno ist es des öfteren eine Sache der Qualitätssicherung. Der Kunde soll sich mit eigenen Augen davon überzeugen, daß der... äh, Künstler nicht simuliert, sondern wirklich und tatsächlich abspritzt. Ich mein, im Theater ist es ja auch selbstverständlicher Standard, daß Hamlet den Polonius wirklich absticht.Maike: So geht es mir auch. Habt ihr eigentlich einen Trick, damit ihr nicht zu früh kommt?
Robert: Naja, ich stelle mir dann Frauen vor, die mir nicht gefallen. Oder ich denke an ein mathematisches Problem. Ich will ja nach dem Sommer mein Informatikstudium beginnen und da gibt es genügend Fragestellungen, die einen ziemlichen ablenken können.
Hl. Muttergottes von Tschenstochau! Dem Inschenjör ist doch wirklich nix zu schwör.
Charlotte: Die besten Orgasmen meines Lebens habe ich vorgetäuscht!
Das ist ein Satz, den sollte man sich ins Kissen häkeln.
Charlotte: Also ... äh ... ich muß gestehen, ich habe wahnsinnig selten einen Orgasmus.
Und dafür all die Mühe?
Janina: Und wie ist es, wenn ihr keinen hochkriegt?
Juri: Das ist mir mal passiert, als ich sehr viel getrunken hatte. Am nächsten Morgen war mir das wahnsinnig peinlich
Wenn du einen erigierten Schwanz brauchst, um eine Frau zu befriedigen, bist du ohnehin die allerärmste Sau. Hast du nicht Zunge, Finger, Arme, Beine, Zehen?
Leute, die Lüneburger Fickverordnung von 1387 ist nicht mehr rechtsverbindlich in der Bundesrepublik Deutschland.
Du rammst ihn rein,
Du ziehst ihn raus,
Du rammst ihn rein, fallera
Und ziehst ihn raus, fallera
Maike: Im ersten Moment denkst du als Frau: Lag es an mir?
Eine Form von Größenwahn.
Charlotte: Ich bin bei Frauen seltsamerweise viel kritischer. Bei Männern, finde ich, geht alles: Die können superdünn sein oder etwas dicker, sehr behaart oder kaum.
Die Tante Jolesch hat gesagt: "Was ein Mann schöner is wie ein Aff, is ein Luxus."
Abschließende Bemerkung:
Hinzu kommt kapitalistisch anmutender Leistungsdruck. Die Mädels sorgen sich um ihre Kurven, die Männer um ihre Performance.
Sex findet nicht im luftleeren Raum statt. Vor den Sex haben die Götter den Club gesetzt. Im Club will man sich amüsieren, will Spaß haben. Fein. In den alten, längst vergangenen Zeiten hat das Amüsement gedauert, so lange es eben gedauert hat. Wurde man müde (auch für einen jungen Menschen keine Schande am Freitagabend um 2 Uhr nachts), dann ging man eben heim, mit oder ohne Aufriß. Heute pfeift man sich Aufputschdrogen ins Hirn, um das Amüsement bis in den Morgen durchzustehen. "Durchstehen", das klingt nicht nur nach Stalingrad, das ist Stalingrad. Vergnügen ist zum Kampf geworden, so hart und grausam wie das Berufsleben. Man verläßt die Fabrikhalle mit ihrem stampfenden Rhythmus der Maschinen und stapft in den Club, die Disko, um sich dort dem stampfenden Rhythmus von Techno-Music (richtig: Techno) auszusetzen. Pardon wird nicht gegeben, wer nicht mitmacht, ist draußen, das gnadenlose Gesetz des Dschungels. Vergnügen wird zur freudlosen Fortsetzung des freudlosen Alltags. Hektik, Streß, Erotik. Hauptsach, keiner kommt zu sich.
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