Donnerstag, 15. April 2021

Schuhlos in der Fremde

Vor einiger Zeit hatte ich auf dem Dachboden im Haus meiner Mutter ein paar wunderschöne Schuhe gefunden, Wildleder, Marke Mephisto [1]. Es seien, hieß es, Schuhe meines Vaters, der vor damals 12 Jahren verstorben ist. Da die Schuhe ausgezeichnet erhalten waren, kaum Gebrauchsspuren zeigten [2], habe ich sie mitgenommen, um sie künftig als "gute Schuhe" für besondere Anlässe zu nutzen.

Wenige Wochen später war der Anlaß für gute Schuhe gegeben, ein beruflicher Termin in Berlin. Hei, wie war ich froh, daß ich so schöne Schuhe hatte.

 

Spät am Abend bin ich also zum Bahnhof gefahren und während ich auf den Zug wartete, bin ich nach meiner Gewohnheit auf dem Bahnsteig auf und ab gegangen, denn sitzend zu warten macht mich meist sehr ungeduldig. Der Zug kam und ich stieg ein. Als ich im Zug, noch an der Einstiegsplattform, den ersten Schritt gemacht habe, hatte ich das merkwürdige Gefühl, es klebe etwas ziemlich Großes und Weiches an meiner linken Sohle und behindere mich beim Gehen. Scheiße? Ich bin auf dem Bahnsteig in Scheiße getreten? Wär's möglich?

Ich schaute nach und mußte feststellen, daß diesmal - und ausnahmsweise - die Scheiße unschuldig war an meinem Problem. Vielmehr hatte sich die Sohle des rechten Schuhs teilweise gelöst und hing nun zur Hälfte, locker schwingend, herunter. Notgedrungen schlurfend mußte ich zu einem Sitzplatz gehen, mir dort die Bescherung näher zu betrachten.

Die Sohle hatte sich nicht etwa glatt vom Schuh gelöst, sondern der ganze Bereich zwischen dem eigentlichen Schuh und der Sohle war durchlöchert und zerfressen, so als hätten sich Mäuse oder gar Ratten drüber hergemacht. Und: Beim linken Schuh war genau das gleiche zu sehen, die Sohle war zwar noch dran, aber es war klar, daß das nicht mehr lange gut gehen würde.

Während ich nun fuhr und saß und Zeit hatte, nachzudenken, tat ich genau das, ohne zu einem befriedigenden Ergebnis zu kommen.

Als ich Wochen später meiner Schwester davon erzählte, meinte sie, ja, das kenne sie. Dasselbe sei ihr mal während einer Wanderung zu einer Berghütte passiert.  Das liege an irgendwelchen Weichmachern in der Plastiksohle, die Weichmacher entwichen im Laufe der Jahr und irgendwann sei dann die Schuhsohle so spröde, daß sie sich vom eigentlichen Schuh löse.

Seither ziehe ich ständig einen Einkaufstrolley hinter mir her, in welchem sich ein paar Ersatzschuhe befinden, sicherheitshalber ganz aus Leder.

 



[1]   Mephisto ist der typische Rentnerschuh, was ich damals aber noch nicht wußte.

[2]   Wann hätte ich meinen Vater je mit Wildlederschuhen gesehen?

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