Mittwoch, 15. April 2009

Intimsphäre

Vor etlichen Jahren bereits habe ich im Bayerischen Rundfunk in "Evangelische Perspektiven" eine Sendung über die Mission in Afrika gehört, ein Missionar berichtete darin von seinen Erfahrungen mit den Massai. Die Seelsorge dort, so meinte er, laufe ganz anders ab als bei uns. Wenn dort jemand zur Beratung komme, laufe die ganze Beratung vor allen anderen ab, die ebenfalls zur Beratung gekommen sind. Völlig ungeniert erzähle der Massai von seinen häuslichen Problemen, auch über sehr intime Themen und alle anderen hörten zu, ja, mischten sich auch ganz selbstverständlich in die Beratung mit ein.

Einige Jahre zuvor hatte ich eine Science-fiction-Geschichte gelesen. Jemand erfindet eine Strahlung, die Menschen derart umformt, daß diese dann künftig alle Gedanken der anderen lesen können. Jeder ist also immer über die geheimsten Gedanken seiner ihn umgebenden Mitmenschen informiert. Die Geschichte hat als Pointe, daß schließlich das ganze Sozialgefüge zerfällt, alles in Wahnsinn und Chaos endet.

In Afrika, bei den Massai, würde anscheinend dergleichen nicht passieren. Es ist alles eine Sache der Gewöhnung. Unter obiger Voraussetzung würde das Zusammenleben ganz anderes verlaufen als jetzt, aber es würde wohl auch dann irgendwie funktionieren. Betrügereien liefen dann halt nicht, da das mögliche Opfer die Hintergedanken des Betrügers kennt. Andererseits: Wenn ich weiß, was für wüste Gedanken die anderen so im Kopf rumtragen, brauche ich mich letztlich - anders als jetzt - für meine eigenen wüsten Gedanken nicht zu genieren.

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