Donnerstag, 9. Oktober 2008

Mephisto und Radetzkymarsch

Der Film "Mephisto" von István Szabó endet in einer ganz bemerkenswerten Szene: Der Filmheld Henrik Höfgen, ein gefeierter, berühmter und von allen möglichen Leuten hofier­ter Schauspieler, legt sich auf einem Bankett wegen irgend etwas mit Hermann Göring an. Göring nimmt den Gefeierten zum nächtlichen Berliner Olympiastadion mit, läßt ihn dort (nackt, wenn ich mich richtig erinnere) auf den mit einem Spotlicht beleuchteten Platz laufen und verhöhnt den im demütigenden Scheinwerferlicht stehenden Schauspieler. Drastisch und schmerzhaft zeigt er ihm seine Grenzen: Er mag ja der große und weltberühmte Künstler sein, aber er ist eben nur ein Schauspieler. Er ist der Liebling der Mächtigen, man schätzt seine Kunst, aber er gehört selbst nicht zu den Mächtigen. Er ist letztlich nur ihr - wenn auch hochbezahltes und beju­beltes - Spielzeug.
So ist es im Film und so ist es natürlich auch im richtigen Leben.
Wichtig sind die Leute, welche die politische und vor allem die ökonomische Macht in Händen halten. Künstler - auch gefeierte Künstler - sind letztlich nichts anderes als die Hofnarren und Kasper der wirklich Mächtigen.

Soweit wirst du mir wahrscheinlich zustimmen, ob du nun eher Politiker bist oder Künstler.
Und was fällt dir zum Namen "Radetzky" ein? Jede Wette, daß alle, ausnahmslos alle, von denen, denen überhaupt etwas dazu eingefallen ist, jetzt "Radetzky-Marsch" gesagt haben? Richtig, der so ungemein bekannte und wirklich zurecht so beliebte "Radetzky-Marsch". Und die meisten von Ihnen wissen wahrscheinlich auch, von wem der "Radetzky-Marsch" ist: Von Johann Strauß (Vater), dem Komponisten aus Wien.
Und warum heißt der Marsch "Radetzky-Marsch"? Da wird es schon stiller, aber ein im­mer noch beträchtlicher Prozentsatz wird jetzt sagen, daß der Marsch nach einem gewissen Radetzky benannt ist, dem er gewidmet ist. Und wer war dieser "gewisse Radetzky"? Ein österreichischer Politiker, werden einige sagen und die Informierteren bringen es noch auf "Feldmarschall Radetzky". Und dann beißt es aus. Dann müßtest du schon Historiker sein, oder gerade erst deine Matura in Österreich gemacht haben, um wenigstens ein bißchen was Substantielleres über diesen Feldmarschall Radetzky erzählen zu können.

Joseph Wenzel Graf Radetzky von Radetz, österr. Feldmarschall, * 2. 11. 1766 Schloß Trebnitz, Böhmen, † 5. 1. 1858 Mailand; 1809–1812 Generalstabschef, während der Befreiungskriege entscheidend beteiligt am Feldzugplan der Völker­schlacht bei Leipzig; 1831–1857 Oberbefehlshaber bzw. Generalgouverneur in Oberitalien, wo er alle Erhebungen gegen die habsburg. Herrschaft niederwarf; volkstüml. Heerführer (Radetzky-Marsch von J. Strauß [Vater]).
So steht es im Brockhaus-Lexikon, und es ist dir natürlich aufgefallen, daß auch der Brockhaus es sich nicht verkneifen kann, auf den Radetzky-Marsch, den ja jeder kennt, hinzuweisen.
Feldmarschall Radetzky war seinerzeit einer der bedeutendsten, mächtigsten und geachtet­sten Männer in Österreich-Ungarn. Johann Strauß, ein Zeitgenosse Radetzkys, war demge­genüber zwar auch bekannt, beliebt und irgendwie geachtet, mächtig aber war er nicht. Er war nur ein Künstler und Spaßmacher. Nichts weiter.
Ohne diesen Musikanten würde Seine Gnaden, den Feldmarschall heute keine Sau mehr kennen.
Was bleibt, ist das Lied des Sängers, nicht der politische Ruhm. Was bleibt, ist der Sänger, nicht der Feldherr.
Tröstlich.

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