Vor einigen Tagen beklagte sich eine Userin, deren Namen aus
den bekannten Gründen nicht genannt werden darf, es würden gerade diejenigen,
"die sich die TOLERANZ so
demonstrativ auf´s Hirn nageln" (...) "alles, was nicht in ihr Weltbild passt, reflexartig als böse,
rechtsextrem, xenophob, menschenverachtend und was weiß ich noch alles
diffamieren."
Allen Kommunikationspsychologen hier fällt natürlich sofort das
Wort "xenophob" auf. Das
Wort ist griechischen Ursprungs und heißt auf Deutsch so viel wie
"fremdenfeindlich". Warum verwendet die Userin, die sonst gar nicht
zu übermäßigem Fremdwortgebrauch neigt, so ein Wort?
Mein (Kommunikations-)Psychologie-Professor von anno
seinerzeit - im übrigen ein Schla-Wiener, das nur nebenbei - hat dergleichen
unnötigen [1] Fremdwortgebrauch als "Flucht ins keusche Latein" bezeichnet: Jemand verwendet lateinische, griechische, neuerdings auch englische Fachtermini, wenn er über kitzlige Dinge spricht."Motherfucker" geht leicht über die Zunge, das entsprechende deutsche Wort "Mutterficker" dagegen hört man eher selten.
Ein Wort aus einer fremden Sprache hat im Deutschen nicht
diese unmittelbaren Konnotationen wie ein deutsches Wort. Das Wort "Koitus" ist klinisch sauber,
"Ficken" oder selbst das neutralere "Geschlechtsverkehr"
dagegen sind sehr viel konkreter, laß sagen schmuddeliger. "Faeces" hört sich netter an als
"Scheiße".
In Wörtern aus dem Lateinischen, Griechischen oder einer
anderen Fremdsprache steckt sehr viel mehr Verschleierungspotential als im
entsprechenden deutschen Wort. Ein Fremdwort bringt nämlich bei einem deutschen
Muttersprachler nichts bzw. nur sehr wenig zum Klingen.
"Shoa"
und "Holocaust" etwa sind
erst in den siebziger, bzw. achtziger Jahren in die deutsche Sprache gekommen,
zuvor waren sie allenfalls Fachleuten geläufig. Im SPIEGEL-Archiv taucht 'Shoah' erstmalig 1986 auf, nachdem der
gleichnamige Film von Lanzmann in Deutschland gezeigt worden war. Zuvor scheint
das Wort auch in den führenden Medien nicht im Gebrauch gewesen zu sein.
Ähnliches gilt für 'Holocaust', hier
ist der früheste Treffer im SPIEGEL-Archiv von 1977 - eine Meldung, daß in
Berlin einige Szenen für die amerikanische Fernsehserie 'Holocaust' gedreht
würde. Daß ich nicht lüge: Es gibt einen Ausreißer aus dem Jahre 1962, ein
Zitat aus dem Amerikanischen in einem Artikel über die Rhetorik John F.
Kennedys: "...eine 'Wahl zwischen Demütigung und Zerstörung' (humiliation
and holocaust)...".
Einmal in der deutschen Sprache angekommen, haben "Shoah" und "Holocaust" rasend schnell das zuvor
verwendete Wort "Judenvernichtung" auf die Plätze verwiesen. Weil?
Weil "Shoah" und "Holocaust" einem deutschen
Muttersprachler so schön angenehm - weil fremdsprachig und also abstrakt - aus
dem Mund flutschen, während "Judenvernichtung" in seiner Brutalität
(weil Bildkraft) richtiggehend ins Fleisch schneidet.
Schriebe ich in einem Zeitungsartikel "...und sie
feierten ausgelassen das Shoahfest", ich wäre neugierig, wie viele Leser
überhaupt darüber stolpern und, falls ja, wie lange sie brauchen, um zu merken,
warum da was nicht stimmt.
"Bei der Defäkation
hebt der Priester beide Hände zum Himmel und ruft..." - wieder so ein
Satz, bei dem viele Leute gar nichts oder erst nach ein, zwei Stutzsekunden
etwas merken. Defäkation [2]
klingt so vornehm, es könnte auch Teil eines religiösen Rituals sein.
Ein Witz, zwo, drei:
Eine Dame aus Husum ist zum ersten Mal in ihrem Leben in
Hamburg. In der Nähe der Landungsbrücken sieht sie einige ziemlich
aufgedonnerte Frauen herumstehen. Sie frägt einen Polizisten.
"Sagen Sie mal, Herr Schutzmann, was sind denn das für
Frauen da drüben?"
"Die? Ach das sind Prostituierte."
"Prostituierte?"
wiederholt die Frau nachdenklich. "Na, ob da man nich 'n paar Nutten bei
sind."
"Prostituierte"
hört sich in der Tat an wie ein akademischer Titel.
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