Mittwoch, 15. Dezember 2021

Vom Glück eine Rumpelkiste zu besitzen

Anläßlich einer Internet-Diskussion über weiß der Henker was schrieb mir einer der Diskutanten:

"Die damaligen Rumpelkisten waren auch so langsam, daß man die Rechentakte mitzählen konnte. Deswegen mußte man nicht nur Bytes sparen, sondern auch Bits und die Rechentakte zum Auslesen und Verarbeiten dieser Dingens."

Mit "Rumpelkisten" meinte er Computer früherer Tage, deren Festplatten noch nicht schallgedämpft waren. In diesem Zusammenhang sonderte besagter Diskutant auch noch folgende, rätselhaft geraunte Bemerkung ab:

"Eine Konfigurationszeile dafür sieht etwa so aus: R$* < @ $* $=P > $* $: $1 < @ $2 $3 . > $4 Was das nu wieder heißt?"

Es sieht auf jeden Fall hypsch aus, antwortete ich ihm. Mehr sollte man von Wissenschaft nicht erwarten.

"Die Mathematik ist nicht so nötig wie die Philosophie, noch so nützlich wie die Theologie, aber sie schenkt dem Kenner doch so unendliche Genüsse." (Brecht, Leben des Galilei)

 

Was die langsamen Rumpelkisten betrifft, so ist "Langsamkeit" - wie fast alles andere auch - relativ.

Denn, bedenken wir es recht: Niemals zuvor ist dem Menschen das Schreiben, technisch gesehen, so leicht gemacht worden wie heute mit dem Computer. Und davor mit der (elektrischen) Schreibmaschine, davor mit dem Füllfederhalter und dem Kugelschreiber.

Früher, ich mein jetzt sehr viel früher, hieß "Schreiben" noch, daß Mönche in entlegenen [1] Klöstern den Gänsekiel in eine Art Tinte tauchten und ganz, gaaanz sorgfältig Buchstabe für Buchstabe auf Pergament, also die Bauchhaut junger Schafe malten. Das Schreiben war zeitaufwendig wie Sau, das Pergament schwei... äh, schafsteuer. Ich habe jedes Verständnis der Welt dafür, daß die weiland Mönche Abkürzungen verwendeten, um kostbare Arbeitszeit und vielleicht noch kostbareren Platz zu sparen. [2] Früher, ich mein immer noch ganz früher, zu Zeiten der Scriptoriumsmönche, hat man Abkürzungen, wenn man sie denn verwendet hatte, sorgfältig eingeführt. In einer theologischen Abhandlung etwa hat der gelehrte [3] Mönch beim erstmaligen Auftauchen der Abkürzung AGNAA mitgeteilt, es stehe AGNAA für "Ach, Gottchen, nein aber auch".

Wir aber, wir Schoßkinder des Glücks (Gustav Gans), leben in den Zeiten des Computers, das Schreiben (und Korrigieren) des Geschriebenen ist heute so einfach und preisgünstig wie noch nie zuvor in der Geschichte. Platz ist auf der Festplatte oder auf dem Server nahezu unbegrenzt vorhanden. Die Mönche in den Scriptorien der Klöster des Mittelalters hätten vor Glück geweint, hätten sie so eine Rumpelkiste aus den achtziger Jahren gehabt.

Ich habe mir 1985 (damals war es mit der Schwerkraft noch nicht so schlimm) einen Schreibcomputer "Joyce" von Schneider gekauft; den mit den zwei Diskettenlaufwerken, für 2500,- DM (!). Mit dem Ding konnte man nur schreiben (grüne Buchstaben auf schwarzem Grund), keine Photos bearbeiten, Filme anschauen oder Musik hören. Es hatte keine Festplatte, das heißt man mußte rechtzeitig zwischenspeichern, sonst war bei Stromausfall die Arbeit von Stunden weg. Der "Joyce" lief auf Basic, das heißt er war ungemein langsam. Hattest du gestern an Seite 42 deiner umstürzend genialen Diplomarbeit geschrieben [4] und wolltest heute weitermachen, so hat sich das Programm Buchstabe für Buchstabe (und das ist keine Übertreibung) durch die Unendlichkeit gefressen. In der Zwischenzeit konntest du von deinem Kaffeestrauch im Garten einige Bohnen schütteln, sie rösten und mahlen und dir aus dem Mahlgut mit heißem Wasser eine Tasse Kaffee bereiten. Mit dem letzten Schluck war dann der Computer-Cursor am gewünschten Ort. Und morgen, liebe Kinder, erzählt auch Opa eine andere Geschichte aus dem Krieg.



[1]   Damals war jeder Platz auf Gottes Erde entlegen, denn es war stets ein Riesenaufwand, von jedem anderen Platz aus dorthin zu kommen.

[2]   Um Platz zu sparen  begann man nach einem Absatz keine neue Zeile, sondern fügte stattdessen ein Doppel-S ein, das für "signum sectionis" stand. Um noch mehr Platz zu sparen (so kostbar war der Platz seinerzeit in den Zeiten der Bauchhaut von Schafen) schrieb man die beiden "s" untereinander, wodurch das §-Zeichen entstand.

[3]   "Gelehrt", das ist vielleicht der Schlüssel zum Verständnis. Früher hat man nur solche Leute an die Schreibfeder und das Pergament gelassen, die ein Mindestmaß an Bildung nachweisen konnten (und sich überdies das Ficken weitgehend verkniffen hatten). Ohne Latein, dafür mit Homo-Ehe o. dergl. etwa ging da gar nichts, einer ohne Latein und gar noch mit Homo-Ehe wurde zum Arbeiten auf's Feld geschickt. Heutzutage dagegen darf jeder Anti-Alphabetiker im Internet publizieren, der von sich auch nur behauptet, er habe einen E-Mail-Freund in Lateinamerika.

[4]   Ich habe meine Diplomarbeit noch mit Schreibmaschine, Tipp-Ex, Schere, Uhu und Xerox-Kopierer verfaßt.

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