In den fünfziger Jahren und zumindest noch in der ersten
Hälfte der sechziger galt das knallharte Arbeitsethos des Wiederaufbaus. Der
Wert eines Menschen bemaß sich an seiner Leistungsfähig- und -willigkeit. Entgegen
einem verbreiteten Gerücht war in diesen harten, arbeitsreichen Jahren Genuß
keineswegs verpönt, wenn er "verdient" worden ist. Wenn man was
geleistet hatte, dann konnte man sich etwas gönnen, dann durfte man sich etwas
gönnen. Geld war nicht einfach "verdientes Geld", sonder immer
"sauer verdientes Geld". Geld, das nicht sauer verdient war, gab es
nicht, bzw. darüber sprach man sowenig
in der Öffentlichkeit wie über Bordelle und sonstige Obszönitäten.
Auf der anderen Seite war in den Medien, den Illustrierten
vor allem, eine unheimlich beliebte Kategorie von Mensch der sog.
"Playboy". Ein Playboy ist ein
Mann, der Geld hat, viel Geld, unheimlich viel Geld. Soviel Geld, daß er es
sich leisten kann, nicht (mehr) zu arbeiten, sondern stattdessen seine Zeit
damit zu verbringen, das Geld mit vollen Händen auszugeben. Über Playboys wurde
in den Illustrierten fast mehr geschrieben als über gekrönte Häupter, woraus
sich zwanglos folgern läßt, daß man Playboys einerseits (natürlich) verachtete,
weil sie dem Arbeitsethos so entschieden ins Gesicht schlugen, sie andererseits
aber auch (mindestens ebenso natürlich) unheimlich beneidete, weil sie sich
diese Mißachtung leisten konnten.
Der Industrie-Erbe Gunter Sachs war einer dieser
international bekannten Playboys, ein anderer war ein in Neapel geborener Brasilianer
mit italienischem Namen: "Baby" Pignatari [1].
Dieser Baby Pignatari hatte sein Vermögen offensichtlich nicht wie Gunter Sachs
ererbt, sondern selbst erworben. Er pflegte zu sagen, er habe die erste Hälfte
seines Lebens damit zugebracht, wie ein Tier zu schuften, habe damit ein
Vermögen erworben und verbringe nunmehr die zweite Hälfte des Lebens damit, von
der ersten Hälfte auszuruhen [2].
Auch einige der Playboys legten also Wert auf das
Herausstreichen des Arbeitsethos.
Diese Playboys bewegten sich im Laufe eines Jahres um die
Welt, schwerpunktmäßig in Europa. Im Winter war man in St. Moritz, im Sommer an
der Côte d'Azur, vor allem in St. Tropez. Wo immer man war, gab man Parties,
ging zu Parties. Es war Pflicht, solche ernsthaften Dinge sehr locker zu
nehmen. Jeder Eingeladene hatte das selbstverständliche Recht, wieder andere
Leute mitzunehmen, so daß solche Parties - Platz genug war ja - oft von den
Teilnehmern her sehr, sehr unübersichtlich waren.
Bestimmte Leute, die gewandt und frech genug waren, machten
sich dies zunutze, indem sie sich mit allerlei Tricks Zutritt zu den Parties
verschafften, dort Leute kennenlernten, die dazugehörten, die dachten, auch
jene anderen Leute gehörten dazu, die einen dann wieder auf ihre eigenen
Parties einluden oder zu anderen Parties mitnahmen. Diese Leute, die eigentlich
nicht dazugehörten, nannte man die Schnorrer. Sie störten anfangs nicht weiter,
man nahm sie kaum zur Kenntnis. Die Presse, die Gesellschaftsreporter der
größeren Illustrierten, sahen in diesen Schnorrern jedoch interessante Leute,
meist erheblich interessanter als die eigentlichen Playboys. Man berichtete
über sie und einer von denen, über die am meisten berichtet wurden, war der
sog. Schnorrerkönig Poldi Waraschitz, dem Namen nach ganz offensichtlich ein
Österreicher. Warum "König" weiß ich nicht mehr, vermutlich deshalb,
weil er am häufigsten präsent war, am dicksten absahnte und überhaupt besser
als andere mit den Spielregeln zurande kam.
Die eigentlich nötige Anonymität ging den Schnorrern damit
verloren, sie tauschten sie aber mit einer gewissen eigenen Prominenz, die sie
mehr und mehr zu unentbehrlichen Attributen der Parties machte. Wenn du als
Groß-Playboy eine Party gabst und Schnorrerkönig Poldi Waraschitz war nicht auf deiner Party anwesend, dann
war das ein dickes Zeichen dafür, daß du nicht mehr (noch nicht, nie) zur Creme
de la Creme der Party-Society gehört hast. Eine Katastrophe!
In einem anderen Zusammenhang habe ich geschrieben, in
diesem Scheiß-Internet müßte man jede Information, die einem komisch vorkäme,
überprüfen, da im Internet jeder, wirklich
jeder Narr, etwas schreiben. Ich anempfehle meiner illustren Leserschaft,
auch meine Geschichten mißtrauisch
zu prüfen.
Die Geschichte vom Waraschitz Poldi ist aber wahr.
[1] Die Familie der Mutter von Pignatari, die
Grafen Matarazzo, kommt aus Castellabate, wo ich zehn Jahre gelebt habe. Der
damals jüngste Sproß der in Castellabate gebliebenen Familie ist mit meinem
Sohn in die scuola elementare und die
scuola media gegangen.
Ein Anderer aus der Familie
hat 1959 das Paradox
Zenons von Elea von Achilles und der Schildkröte aufgelöst, das heißt die
Fragestellung in der Luft zerfetzt.
Eine Kuriosität am Rande: Einige
Jahre lang hieß der Botschafter Italiens in Brasilien Matarazzo, während
gleichzeitig der brasilianische Botschafter in Italien ebenfalls Matarazzo
hieß.
[2] Es ist unglaublich, was für unwichtigen
Scheißdreck man sich alles über die Jahrzehnte hinweg merkt, während anderes,
ungleich wichtigeres, längst vergessen ist.
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