Auguste Comptoir war zwölf, als er zum ersten Mal seine erstaunliche Begabung an sich bemerkte. Der Zweite Weltkrieg war vorbei, die Deutschen vertrieben und mit den durchziehenden Amerikanern war der Kaugummi nach Frankreich gekommen. Gegeben hatte es ihn natürlich schon zuvor, aber nur in den großen Metropolen Frankreichs, wie etwa Paris oder ... nur in Paris. Das änderte sich nun und Kaugummikauen wurde auch in der französischen Provinz sehr beliebt.
Auguste Comptoir machte keine Ausnahme. Er kaute, wann immer er weit genug vom elterlichen Wohnhause und damit dem mißbilligenden Auge des Vaters entfernt war. Eines Tages saß Auguste auf einem Mauerrestchen und kaute, als Anne-Marie vorbeikam und ihm zulächelte. Anne-Marie war Augustes erste Liebe und im damaligen Stadium ihrer Beziehung konnte er es sich nicht leisten, einfach sitzen zu bleiben, um weiter an seinem Gummi zu kauen. Andererseits wollte er seinen eben erst eingeschobenen Pfefferminzstreifen nicht einfach wegwerfen.
Er schob also die elastische Kugel in den Mundwinkel und ging auf Anne-Marie zu. Kam mit dem Mädchen in's Gespräch und plauderte mit ihr über dies und das, während sie die Dorfstraße hinunter und wieder hinauf gingen. Irgendwann im Verlaufe des Geplauders muß er dann den Kaugummi aus den Mundwinkeln wieder hervorgeholt und weitergekaut haben - ohne deshalb sein Ausschreiten neben Anne-Marie einzustellen.
Erst als er sich von Anne-Marie mit einem pfefferminzduftenden Kuß verabschiedet hatte, traf ihn die Erkenntnis wie ein Keulenschlag: Er hatte tatsächlich drei voneinander unabhängige Dinge zur gleichen Zeit getan - kauen, sprechen und gehen. Fast hätte Auguste vor Schreck das Gleichgewicht verloren.
Nachdenklich ging er an diesem Tag nachhause, wobei er zuvor den Kaugummi sicherheitshalber ausspuckte. In der Folgezeit trainierte Auguste seine unglaubliche Fähigkeit systematisch und war mit 16 Jahren soweit, daß er in einer Schulaufführung mit einer artistischen Übung brillieren konnte, dergestalt, daß er über die Bühne gehend ein Brot verzehrte und dabei dem Publikum zuwinkte.
Der Vater eines Mitschülers, zufälligerweise Agent für Varieté-Künstler, entdeckte Auguste an diesem Abend und verschaffte ihm drei Jahre später ein Engagement an einem erstklassigen Varieté, später dann in einem renommierten Zirkus. Es kam, wie es kommen mußte: Auguste wurde erst bekannt, dann berühmt und schließlich ein gefeierter Weltstar, der zwischen Auftritten in Paris und Las Vegas hin- und herpendelte.
Im Alter von 63 Jahren bereitete ein erschreckendes Erlebnis Augustes Karriere ein jähes Ende. Mit seiner Jugendfreundin Anne-Marie machte er einen kleinen Spaziergang durch Paris, kaute, redete und setzte routiniert einen Fuß vor den anderen. Als er dann plötzlich anfing, während des kaugummikauenden Sprechens im Gehen auch noch mit den Händen zu gestikulieren, kam er ins Stolpern, dann ins Fallen und plumpste schließlich in die Seine.
Anne-Marie hatte erhebliche Mühe, Auguste vor dem Ertrinkungstod zu bewahren und sich selbst vor dem Witwenstand. Auguste hat aus diesem Erlebnis seine Lehren gezogen. Er nahm seinen Abschied von der Bühne und genießt seither mit Anne-Marie einen beschaulichen Ruhestand.
Ich dachte mir schon, daß kein Schwein diese Geschichte glauben wird.
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