Dienstag, 7. September 2010

Begabung

In seinem vor vielen Jahren erschienen Buch "Aus der Routine ausbrechen" referiert Roger von Oech eine schon damals nicht mehr ganz neue wissenschaftliche Untersuchung:
"Auch Erzieher wissen von den sich selbst erfüllenden Prophezeiungen. Vor mehreren Jahren sagte man einer Lehrerin, sie habe eine Klasse begabter Kinder, während sie in Wahrheit eine Klasse gewöhnlicher Kinder leitete. Als Folge dieser Worte bemühte sie sich ganz besonders, ihre Schüler zu fördern. Sie verbrachte mehr Zeit damit, ihr Pensum vorzubereiten und blieb noch nach Schulschluß, um ihnen Ideen zu geben. Die Klasse reagierte ihrerseits positiv und errang bei den gleichen Tests, die sie früher als durchschnittlich klassifiziert hatten, höhere Punkte als der Durchschnitt. Weil sie wie begabte Kinder behandelt wurden, leisteten sie ihre Aufgaben wie begabte Kinder."
Von Oech tut uns leider nicht den Gefallen, eine Quelle anzugeben, aber das macht nichts. Dergleichen Untersuchungen wurden im Laufe der Zeit öfter gemacht und sie kamen alle zu dem gleichen Ergebnis: Je mehr einem Kind der Ruf der Schlauheit/Dummheit vorauseilt, desto schlauer/dümmer wird das Kind.
Ist ja auch klar: Wenn ein Kind sich Buntstifte greift und etwas zeichnet, dann hängt viel vom Verhalten seiner Umwelt ab. Wenn die Eltern bereits die Tatsache des Zeichnens als Unfug abtun, dann ist es eher unwahrscheinlich, daß das Kind weiterhin gerne zeichnet, spötteln sie über die Ergebnisse der Bemühungen wird vermutlich das gleiche geschehen. Ermuntern sie dagegen das Kind, sind sie vielleicht sogar aufgrund eigener Kenntnisse und Erfahrungen in der Lage, hilfreiche Tips zu geben, dann darf man erwarten, daß das Kind gerne und oft zeichnet. Zeichnet es oft und gerne, dann ist es nicht verwunderlich, wenn die Ergebnisse besser und besser werden und die Ermunterung von Seiten der Umwelt zunimmt, was wiederum zu weiteren Bemühungen führt. Und irgendwann wird einer auf die Idee kommen, das oft und gerne zeichnende Kind als kunstbegabt einzustufen.
Das alles sind simple Zusammenhänge, unmittelbar einleuchtend und von jedermann im Alltag wieder und wieder zu beobachten.
Ob man, so frage ich mich, daraus nicht den Schluß ziehen darf, daß es Begabung im Sinne einer genetischen Disposition gar nicht gibt?

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