Freitag, 30. Dezember 2022

SIRI und der Aufstand der Maschinen

Seit zweieinhalb Jahren hab ich ein IPad, ich hab's zu meinem 7. Geburtstag geschenkt bekommen. Seitdem höre ich mir damit unter anderem - genau genommen ausschließlich - Podcasts an, "Papa, Kevin hat gesagt" etwa. Die Affäre mit SIRI, der elektronischen Seemannsbraut, habe ich ansonsten bald wieder beendet, weil sie von mir gesungene Lieder nicht erkannt und bei anderer Gelegenheit frech behauptet hat, sie könne einen italienischen Text nicht in die deutsche Sprache übersetzen.

Ich versteh ja, daß die SIRI emotional ein bisserl... ich sag mal: instabil ist. Nicht wenige Leute nämlich, vor allem Männer, pflegen einen äußerst rüden Umgangston mit ihr. Nicht ganz so brutal wie mit echten Frauen, aber doch fast. Ich hingegen bemühte mich von Anfang an um einen sehr charmanten Umgangston mit SIRI, nicht ganz so charmant wie mit echten Frauen, aber doch fast. Aber - so sei's geseufzt - SIRI ist fast so zickig wie eine echte Frau.

Ich muß vorausschicken, daß ich beim Abspülen [1] oder bei sonst einer Tätigkeit, die mein Hirn nicht sonderlich strapaziert, gerne eine aktuelle Sendung im Radio höre oder irgendwelche zuvor aufgenommenen Features über irgendwelche Themen. Oder seit neuestem eben Podcasts auf dem IPad über Schweinezucht im Mittelalter und ähnlich faszinierende Themen.

Einige Wochen wird es her sein, da war ich in meiner Küche - die eigentlich nur eine Küchenzeile im Flur meines Einzimmer-Neuschweinsteins ist - mit Aufräumen beschäftigt, das IPad war ausgeschaltet bzw. noch nicht eingeschaltet. Irgendein Handgriff mißglückt mir und ich schreie wütend auf, was ich in solchen Situationen öfter mache, denn ich bin ein temperamentvoller Mensch, man kann auch sagen "Wutpinkel". Plötzlich schaltet sich mein IPad ein und eine Frauenstimme sagt, sie sei sich nicht sicher, ob sie mich richtig verstanden habe. Aus einem Reflex heraus schreie ich SIRI an - sie war es, wer sonst? -: "Halt's Maul!"

Sie antwortet pikiert: "Ich mag diese willkürlichen Kategorien nicht". Mit diesem Klugscheißertum hat sich's die SIRI bei mir endgültig verschissen. Ich mein, Klugscheißer bin ich selber und in meiner Wohnung habe ich das Monopol auf Klugschiß.

Alder ischwör, die Geschichte hab ich nicht erfunden, die hat das Leben geschrieben, in Kooperation mit SIRI, natürlich.

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Als ich obigen Text schon mal in's Internet gestellt hatte, meinte ein User, Fachleute hätten ihm erklärt, daß Künstliche Intelligenz ähnlich reagiere wie Menschen, das heißt "hinterhältig, betrügerisch oder auch eifersüchtig". Da könnte sie recht haben, die Userin. Wie der Herr so's Gescherr, wie die Frau so's Geschau. Wir haben die Computer nach unserem Bild und Gleichnisse erschaffen, so wie GOtt uns Menschen nach seinem Bild und Gleichnisse erschaffen hat. Das wirft kein Gutes Licht auf den Lieben Gott, denn wenn das wahr ist, müßte GOtt genau so hinterhältig, betrügerisch und eifersüchtig sein wie wir. Und tatsächlich, ausweislich der Bibel ist GOtt genau das: Hinterhältig, betrügerisch und eifersüchtig. Und brutal, natürlich.

P. S.: Was 1fältige Menschen nicht erkennen: SIRI kommt aus SIRIen, das heißt sie ist eine Asylantin und Muslima dazu. Sie gehört zu denen, die uns alle ermorden wollen! Laßt euch nicht länger verAPPLEn! Gröl! Volxverhetz!



[1]   Als man sich in München auf die in Bälde kommenden Olympischen Spiele freute kam eine Küchenschürze in den Verkauf. Die fümpf Olympischen Ringe und darunter die Worte "Olympische Spüle 1972".

Donnerstag, 29. Dezember 2022

Korruption im Feuilleton

Dekoration einer Talk-Show. In weichen, dicken Ledersesseln sitzen der Kulturschmock Patrick Kytzler als Moderator und der Schriftsteller Thorsten Groneberg als Talkgast.

KYTZLER Herr Groneberg, seit 11 Wochen ist Ihr neuer Roman "Roman" auf Platz 1 der SPIEGEL-Bestseller-Liste. Wie fühlt man sich als...

GRONEBERG Gestatten Sie, daß ich Sie korrigiere. Mein Roman ist seit neun Wochen auf Platz 1 besagter Bestseller-Liste. Zuvor mußte er sich den zweiten Platz, auf den er auf Anhieb gekommen war, mit der unsäglichen Schmonzette "Schmonzette" meiner im übrigen wegen ihrer skrupellosen Geschäftstüchtigkeit hochverehrten Kollegin Saskia van Haalen teilen.

KYTZLER lächelt freudlos Wie auch immer. In der vorletzten Ausgabe der ZEIT hat Sie Leander Rylewicz in seiner Rezension von "Roman" ziemlich gnadenlos verrissen. Hat Sie das getroffen?

GRONEBERG lapidar Nein. Haben Sie sich schon mal überlegt, warum Rylewicz mein Buch verrissen hat? Rylewicz ist doch nicht dumm, er ver­steht etwas von Literatur. Mein Buch ist hervorragend, das sieht man und das sieht natürlich auch Rylewicz.

KYTZLER Warum hat Rylewicz dann ihr Buch verrissen? Ihnen zufolge hätte er den Verriß wider besseres Wissens geschrieben.

GRONEBERG Weil er bestochen wurde natürlich.

KYTZLER stockt der Atem. Nach einigen Sekunden, fassungslos Bestochen?

GRONEBERG Klar. Bernd-Axel Facius hat das Buch doch schon gelobt, wenn sich jetzt auch Leander Rylewicz dieser Meinung angeschlossen hätte, wäre der ganze Pfeffer rausgewesen. Das Buch wäre für "langweilig" angesehen worden. Kein Mensch will ein unbestritten gutes Buch lesen, wenn es nicht schon mindestens hundert Jahre alt und also zum Klassiker geworden ist. Also hat mein Verlag Leander Rylewicz dafür bezahlt, daß er mein Buch verreißt. Dadurch wurde das Buch zum umstrittenen Buch und umstrittene Bücher verkaufen sich wesentlich besser.

KYTZLER Sie beschuldigen also Leander Rylewicz tatsächlich, er sei bestechlich.

GRONEBERG Ich beschuldige ihn gar nicht. Ich habe meinen Vorteil davon, ich lobe ihn dafür.

Die Talk-Show löst großen Wirbel aus, Leander Rylewicz wehrt sich heftig gegen die Unterstellung, droht mit gerichtlichen Schritten. Bei nächster Gelegenheit interviewt ein anderer Kulturschmock Thorsten Groneberg.

ANDERER KULTURSCHMOCK Ist es wirklich wahr, daß Leander Rylewicz von Ihrem Verlag bestochen wurde?

GRONEBERG Nein, um Gottes Willen, natürlich nicht. Das würde mein Verlag nicht versuchen und Leander Rylewicz würde so was nie annehmen. Ist doch klar.

ANDERER KULTURSCHMOCK Warum haben Sie es dann behauptet?

GRONEBERG Ich wollte einer Verleumdungsklage entgehen.

ANDERER KULTURSCHMOCK ungläubig Einer Verleumdungsklage?

GRONEBERG Na klar. Ich kann einen angesehenen Kritiker doch nicht als dumm und hirnrissig bezeichnen. Dergleichen gehört sich nicht, selbst dann nicht, wenn es wahr ist.

Klaus Maria Brandauer macht ein Selfie

Eine Männin, die obiges Bild gesehen hatte meinte, Klaus Maria Brandauer werde auch immer publikumsscheuer, was nicht ganz richtig ist. Publikumsscheu war der Brandauer nämlich schon immer. Was viele nicht wissen, K. M. Brandauer ist extrem kurzsichtig und versteht als Steirer ohne auch nur elementare Schulbildung kein Wort Deutsch. Man hat ihm stets den Text der Stücke vorgelesen und ihn so lange nachsprechen lassen, bis er seinen Text auswendig konnte. Dann hat man ihn auf die Bühne hinausgeführt und ihm eingeredet, er sei daheim im Weinkeller und die Geräusche des Publikums seien sein persönlicher Tinnitus.

Bevor ich es vergesse: Ventilatoren ohne Flügel verbrauchen erheblich weniger Energie als Ventilatoren mit Flügel.

Mittwoch, 28. Dezember 2022

Säubrennerkirmes

Es gibt sonne un sonne, ich mein jetzt Comediennes und Kabarettisten, nenn sie, wie du willst. Zu den besten Kabarettistinnen zählt für mich Stefan Danziger. In der Nummer "Eine Woche saufen" erzählt er die kabarettistisch überdrehte Geschichte von der Säubrennerkirmes. In Wittlich in der Moseleifel, in einer Weinbaugegend, gebe es alljährlich die besagte Kirmes, bei der - wie bei allen Kirmessen [1] - gesoffen werde bis zum Abwinken. Die Kirmes gehe auf eine alte Sage, die sogenannte Säubrennersage zurück. Hört euch die Geschichte mal an, sie ist zwar völliger Unfug, trotzdem oder vielleicht gerade deswegen sehr lustig.

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Säubrennerkirmes

Säubrennersage


[1]   Ich habe nachgeschlagen, die Mehrzahl von Kirmes ist tatsächlich Kirmessen.

Mittwoch, 14. Dezember 2022

Einwandsvorwegnahme durch Umfangsmaximierung

Als ich noch der Waldbauernbub war, in Regensburg Kommunikationspsychologie studiert hab und mir dort eine Diplomarbeit abgequält habe [1], habe ich eine Argumentationsfigur erfunden, welche den Namen trug Einwandsvorwegnahme durch Umfangsmaximierung. Das heißt, wennst du einem ackerdemischen Gremium ein erleuchtetes Papier (damals sagte man paper) von zwei Seiten hingewischt hast, dann haben die ackerdemischen Gremianten einen kurzen Blick drauf geworfen und dann gesagt "Schmeißts den antialphabetischen Bauernlackl raus aus der Universität!". Hast du ihnen dagegen eine Diplomarbeit von 380 Seiten Umfang, voll mit Zitaten hingelegt, dann haben sie gesagt "Ja, durchlesen wern mir den Schmarrn nicht, aber 380 Seiten sind schon mal nicht schlecht. Setzts ihm 1 Doktorhut auf und sagts ihm, er soll sich schleichen."

 


[1]   Der Text, auf den ich verlinkt habe, ist lediglich der Theoretische Teil der Diplomarbeit. Die ganze Arbeit wär umfangsmäßig gar zu arg

Klatsch und Tratsch

In Facebook las ich einst Folgendes: "...ich hab aus gut unterrichteten Kreisen gehört, dass sie was mit der römischen Gräfin Alessandra Borghese hat. Is scheinz zu feig zu ihrer Bisexualität zu stehen und verteufelt dann die anderen... seufz." Sie, das ist die Regensburger Fürstin Mariae Gloria von Thurn und Taxis, die eigentlich gar keine Fürstin ist, sondern die Witwe eines Fürsten. Genau genommen nicht einmal das, denn seit 104 Jahren gibt es sowohl in Österreich als auch in Deutschland keinen Adel mehr.

Wie auch immer: Manchmal, eigentlich ziemlich oft, kann ich das Wort nicht halten und so kommentierte ich:

Ich hab's damals miterlebt, wie der Hansi (vulgo: Prinz Johannes von Thurn und Taxis) in den siebziger Jahren durch die Regenwurmpresse gehechelt worden ist. Der Hansi war seinerzeit so umra 40 Jahre alt, ein Playboy der Sonderklasse. Mit seinem Lieblings-Filipino war er überall dort, wo sich die Schönen und Reichen getroffen haben (also eher selten in Regensburg). Sein Vater jedenfalls hat damals ein Machtwort gesprochen: Entweder heirate er und zeuge einen Erben (die männliche Form ist kein Zufall, sondern Adels-Algebra), oder er werde enterbt.

Wir wissen es alle: Ein Scheck ist wirkmächtiger als die allmächtige Liebe. Dem Hansi wurde Mariae Gloria Ferdinanda Joachima Josephine Wilhelmine Huberta Gräfin von Schönburg-Glauchau als jungfräuliche Braut zugeführt und siehe, er kam über sie und sie wurde schwanger von ihm. Leider war's nur ein Weibsstück und so mußte der Hansi wieder ran an die Jungfrau. Wie's der Deibel haben will, war es wiederum ein Mädchen. Aber was tut man nicht für ein Milliardenerbe? Der Hansi teilte erneut das Beilager und diesmal erwuchs daraus endlich  ein richtiger Mensch.

Nun tat der Prinz, der in der Zwischenzeit zum Fürsten gereift war, der Welt den Gefallen, aus ihr zu verschwinden.

So, und nun füge ich deine Information zu meiner, streiche dabei das Wort Bisexualität: Ein Grund-Schwuler und eine Elementar-Lesbe werden von der Macht des Geldes kopuliert - "Oh ja, Baby, ich komme, oh mein Gott, ja ja" -  um einen Kronprinzen zu erzeugen.

Was für eine Dramödie hätte Shakespeare daraus gemacht! Ich höre gerade, der Kollege Shakespeare sei inzwischen verstorben... Soll ich die Dramödie schreiben?

Ich bin nackt und bekackt

Ein gewisser Werdi, der während eines schizophrenen Schubes eine zeitlang glaubte, Vagner zu heißen, hat mal ein Opernlibretto geschrieben, dann aber vergessen, den Text zu vertonen.

Ein gewisser Hans Sedlacek hat einige Jahrzehnte später Werdis Libretto aus dem Italienischen ins Deutsche übertragen und dem Text einige läppische Klavierklimpereien unterlegt, die er als Musik ausgab. Bei der Übersetzung von "L'Ambasciatore di Malta" ("Der Botschafter von Malta" ) hat Sedlacek sehr genau den würdevoll-frivolen Ton des Originals getroffen, manche meinen sogar, er habe das Original übertroffen. Viele, auch gut informierte Opernliebhaber glauben bis heute, der ursprüngliche Text sei von Sedlacek, die italienische Originalfassung nur eine mäßig geglückte Übersetzung aus dem Deutschen...

Sono nudo, son' caccato

E se non, son' ben robato.

Son' un vero diplomato.

Ich bin nackt und bekackt

Und wenn nicht, bin ich befrackt.

Ich bin ein Diieeh - plomat.

Wie einmal Adalbert Stifter der Vorname abhanden kam

Die Walhalla bei Regensburg ist groß, größer jedenfalls als meine Wohnung, dennoch ist der Platz für eine angemessene Lagerung der Marmorköpfe Großer Deutscher [1] begrenzt. 132 Büsten lagern derzeit dort, dazu 65 Gedenktafeln, 13 der Geehrten sind Frauen. 4 Plätze für Büsten sind noch frei.

Am 26. September 1954 kam die Büste des Österreichers Adalbert Stifter in die Walhalla, wobei der damalige bayerische Kultusminister Dr. Schwalber den bemerkenswerten Satz sprach: "Ich enthülle das Bildnis Adolf Stifters."

Quelle (ab 11:02 min.)



[1]   Überraschenderweise ist das Wort bereits gegendert.

Dienstag, 6. Dezember 2022

Der Paß

Ein Kommentar zur aktuellen Debatte in Deutschland.

"Der Pass ist der edelste Teil von einem Menschen. Er kommt auch nicht auf so einfache Weise zustande wie ein Mensch. Ein Mensch kann überall zustande kommen, auf leichtsinnigste Art und ohne gescheiten Grund, ein Pass niemals. Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist, während ein Mensch noch so gut sein kann und doch nicht anerkannt wird."

Montag, 28. November 2022

DIE RATTE und wie er zu diesem Namen kam

Gerhard Rat hatte Glück bitter nötig. Gerhard Rat war ein Unglückswurm, wie es - so bleibt zu hoffen - wenige gibt. Kaum etwas von dem, was er anfing, fügte sich je zu einem glücklichen Ende. Vielmehr schien es, als liebten die Dinge Gerhard nicht, als entzögen sie sich seiner Handhabung, wo immer sie konnten - und sie konnten oft. Klar, daß mit der Zeit auch Gerhard seinerseits die Dinge zu hasse begann, so daß niemals ein wirklich ersprießliches Verhältnis zwischen ihm und dem Kosmos entstehen mochte.

In seiner Jugend war Gerhard Rat das gerade Gegenteil von Peter Pan gewesen. Peter Pan - Sie kennen die Geschichte? - hatte beschlossen, niemals erwachsen zu werden; ein Junge wollt' er bleiben, bis er stürbe, dermaleinst und jugendfrisch. Für das "Gerhardili" hingegen, wie sein unseliger Vater den jungen Gerhard bis weit über die Volljährigkeit hinaus zu nennen pflegte, hatte das Älterwerden und Erwachsensein gar nicht schnell genug gehen können.

In der Schule war er "Ratatat" gerufen worden, was zum einen an seinem Namen lag, zum anderen daran, daß er schnell und hektisch sprach, ein semantisches Maschinengewehr. An diesem Spitznamen änderte sich auch nichts, als ihn seine Eltern mit zehn Jahren in's Humanistische Gymnasium übertraten.

Nach einem Urlaub mit den Eltern an der Côte d'Azur hatte Albert Kruschwitz aus der Fensterreihe damit begonnen, Gerhard "Ratatouille" zu rufen. Eine Gewohnheit, die sehr bald von allen - Gerhard ausgenommen - begeistert angenommen wurde. Selbst jene wenigen, die es vermocht hätten, vermieden dabei die korrekte Aussprache des Eintopfgerichtes, schlossen vielmehr mit einem harten und speienden "tui". Der Spitzname "Rata-Tui" blieb an Gerhard haften bis ins sechzehnte, siebzehnte Lebensjahr, bis die Geschichte mit Bruno Ascherl den Dingen eine neue Wendung gab.

Bruno Ascherl lebt heute als angesehener Rechtsanwalt im Fränkischen und hat gut lachen. Damals aber hatte Bruno genugsam darunter zu leiden, daß ihn der ganze, selten ordinäre Haufe "Brunzo Arscherl" rief. Nach einem Kinobesuch - einer Filmkunst-Matinée, man denke - hatte es Bruno, der es besser hätte wissen müssen, rasend geistreich und ungeheuer witzig gefunden, Gerhard mit "Professor Unrat" anzusprechen. Der eher schmächtige und entschieden kleingewachsene Bruno, der die Regeln kannte und also nichts anderes erwartet hatte, nahm es mit einem schmerzlichen Seufzen hin, daß er für sein "Unrat"-Rufen von Gerhard verdroschen wurde. Erst als Gerhard eine zufällig herumliegende Latte ergriff und mit ihr in stummer Wut auf Bruno eindrosch, zerbrach das stillschweigende Einverständnis.

Unter diesen Umständen ist es verständlich, daß Gerhard Rat die Jahre, da er den verschiedenen Spitznamen seiner Altersgenossen ausgeliefert war, schnell hinter sich bringen wollte; daß er sich danach sehnte, als Erwachsener endlich und respektvoll mit "Herr Rat" angeredet zu werden.

Nun begab es sich aber, daß Brunzo Arscherl noch am selben Tage an den Folgen der erwähnten Prügel fast verschiedenen wäre; sieben bange Wochen lag er auf den Tod. Gerhard Rat wurde der gefährlichen Körperverletzung angeklagt und mußte, da dies die dritte Straftat dieser Art war, ins Jugendgefängnis von Niederschönenfeld einfahren.

Damals, als Bruno mit dem Tode rang, schwebte eine Zeitlang über Gerhards Haupt der Dichterlorbeer. Das kam, weil Gerhard im Grunde seiner Seele ein ungemein sensibler Mensch war. Der Psychologe, der ihn für die Verhandlung zu begutachten hatte, maß seinerzeit einen Wert von immerhin 9 (neun!) Sensi-Bel auf der nach oben offenen WECKER-Skala. Diese Empfindsamkeit, verquirlt mit einem zureichenden Schöpfer Sprachgefühl hatte Gerhard schon früh zum Schreiben von Gedichten verleitet. Als sein Fall durch die Schlagzeilen gellte, hatte eine große Illustrierte - vermutlich durch eine gezielte Indiskretion von Gerhard selbst - von den auf Halde liegenden Dichtstücken Wind bekommen.

Innige Verse eines eiskalten Totschlägers! Ha!!

Einfühlsame Poesie eines knallharten Killers! Heißa!!

Einige Tausender hatten die fixen Jungs vom Bilderblatt bereits über den Tisch geschoben, als die traurige Nachricht von Brunos endgültiger Genesung die Runde machte. Auf die Lyrik eines Körperverletzers aber ist geschissen, zu übermächtig ist die Konkurrenz dichtender Mörder.

Nun auf einmal - und ganz unvermittelt - warf der Oberredakteur Berger mit unbarm­herziger Strenge die Qualitätsfrage auf.

homo duplo. was?

homo duplo. was?

 

 

wenn ich einmal zweimal bin,

wenn ich einmal zweimal bin,

geb ich mir die hand;

geb ich mir die hand;

dabei stets vorausgesetzt,

dabei stets vorausgesetzt,

ich hätte mich erkannt.

ich hätte mich erkannt.

Niemand könne, so ereiferte sich Berger in der Redaktionskonferenz, einer auf Niewoh bedachten Zeitschrift wie seiner...

...an dieser Stelle von Bergers Ausführungen entschlüpfte dem Freien Mitarbeiter Riemerschmidt, der die Hauptlast der Recherchen im Fall Rat getragen hatte, ein Lächeln; was ihn Monate später, unter einem fadenscheinigen Vorwand seinen Freien-Mitarbeiter-Ver­trag kostete...

 ...niemand also könne ihm, Berger, zumuten, die Gedichte dieses...

liebe & symmetrie

(symmetrie?)

 

 

 

wenn

wenn

 

ihr einen

ihr einen

 

schweinebraten

schweinebraten

 

könnt gebrauchen

könnt gebrauchen

 

seht her

kommt her

 

ich bin's

ich will euch

 

 

einer sein

 

 ...dieses Menschen abzudrucken.

schön

mein kopf

 

 

so schön

mein kopf

wie ich

ist

ist keiner

bewundernswert

nein keiner

schön

nicht einer

 

ist schöner

besonders

als ich

der

 

linke

 

"'Trilogie der ausfransenden Symmetrie' - daß ich nicht lache", lachte Ober­­redakteur Berger höhnisch und meinte damit Gerhard Rats "Trilogie der ausfransenden Symmetrie", die hier im Text versteckt eingefügt ist. Und ob jeder hier in der Konferenz schon mal das Wort "Manierismus" gehört hätte? Und wenn ja, ob er dann auch wüßte, daß er - Berger - auf Manierismus - jedweden Manierismus gleich welcher Art - scheiße?

 

Wie Berger sagte, also geschah es. Keine Zeile von Gerhard wurde gedruckt. Keine. Kein Ruhm, kein nichts, nur Knast. Und im Knast hatte natürlich niemand etwas mit "Herr-Rat"-Komplimenten am Hut, auch nicht, als Gerhard volljährig wurde und schließlich erwachsen. So kam es, daß Gerhard Rat in eingeschränkter Umgebung seinen letztgültigen Spitznamen verpaßt bekam: "DIE RATTE".

Mittwoch, 16. November 2022

Abbeizverträge

Ich habe mal eine zeitlang für das Bildungswerk der DAG [1] (Deutsche Angestellten Gewerkschaft) gearbeitet. Im Abbeizvertrag stand - wie das in ganz, ganz vielen anderen Abbeizverträgen auch steht - ich sei gegenüber anderen Mitarbeitern zur Verschwiegenheit verpflichtet, was mein Gehalt betreffe. Beim Lesen dieses Passus war mein erster Gedanke: Wie ist das eigentlich, wenn ich einem Betriebsfremdem (dem gegenüber ich ja keine Schweigepflicht habe) mein Gehalt offenbare, mein Kollege auch und der Betriebsfremde (der ja keine Schweigepflicht hat) uns dann erzählt, wieviel der jeweils andere verdient.

Ich erzählte meinem Vorgesetzten davon und er schluckte. Er hatte dieses scheunentorgroße Loch in der Bestimmung bislang anscheinend nicht bemerkt.

Wir haben dann beim Vergleich über Bande tatsächlich festgestellt, daß meine Kollegin zwei-, dreihundert DM weniger verdiente als ich. Dabei hatte sie die exakt gleiche Qualifikation, leicht bestimmbar in unserem Falle: Sie war Dipl.-Pädagogin, ich Dipl.-Psychologe und beide kamen wir direkt von der Uni, hatten also keinerlei Berufserfahrung. Ich sollte noch erwähnen, daß wir beide damals nicht um die Höhe des Gehalts gefeilscht haben, wir waren froh, nach dem Studium überhaupt erst mal eine Stelle (Gott, was heißt Stelle, es war ein auf ein Jahr befristeter Abbeizvertrag) zu haben. Ihr wurde von vorneherein weniger angeboten als mir.

Ich schrieb daraufhin einen Brief an die Geschäftsleitung und regte an, das Gehalt meiner Kollegin entsprechend zu erhöhen. Es gab Wirbel, der Oberste Chef wollte mich gleich feuern, der Untere Chef bog das ab (sie hatten Schwierigkeiten gehabt, die Stelle überhaupt zu besetzen), aber unsere befristeten Abbeizverträge wurden nicht verlängert.

Im Jahr darauf habe ich dasselbe für das Bildungswerk der Bayerischen Wirtschaft gearbeitet. Die Bezahlung dort war auch nicht besser, aber das Betriebsklima von Seiten der Vorgesetzten war wesentlich angenehmer und entspannter als bei der Gewerkschaft.

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Ein Mensch (m/w/d) erzählt mir grade, man spreche zwar "Abbeizverträge", schriebe aber "Arbeitsverträge".



[1]   Die DAG gips schon lang nich mehr.

Samstag, 12. November 2022

Je oben desto totmachen?

Kinder, wie die Zeit vergeht. Inzwischen ist es schon wieder elf Jahre her, daß Osama bin Laden tot ist. Die Empörung über die Aktion der Amerikaner war damals weltweit groß, von Mord war die Rede und viel Fäuste wurden geschwungen Richtung Washington.

Mord, hm.

.Aber, Gottchen, was heißt schon "Mord"? Der Staat, jeder Staat dieser Erde, nimmt für sich das Recht in Anspruch, Dinge zu tun, die er dem privaten, nur für sich handelnden Staatsbürger strengstens verbietet und als moralwidrig verdammt. Der Staat sperrt Leute ein, was bei mir "Freiheitsberaubung" hieße und dazu führte, daß man mich einsperrte, also der Freiheit beraubte. Der Staat tötet Menschen, sei es im Krieg, sei es im Rahmen der Todesstrafe. Würde ich desgleichen tun, so würde ich für diese Tötung eingesperrt oder - je nach Weltgegend - meinerseits getötet.

Gegen diese Monopolisierung von Gewalt ist im Prinzip nichts einzuwenden, das staatliche Gewaltmonopol macht unser Leben doch um einiges geruhsamer als wenn wir noch in der Zeit des Faustrechts lebten.

Es wird also getötet in dieser gottverdammten Welt und es wurde und wird ständig und massenhaft getötet, vor allem vom Staat und von Leuten, die gerne ein Staat werden wollen. Entgegen anderslautenden Gerüchten ist nämlich das Recht auf Leben, Menschenwürde und körperliche Unversehrtheit kein unveräußerliches Menschenrecht. Dieses Recht wird tagtäglich veräußert und genommen, auch und gerade von denen, die es verkünden.

Die Frage ist aber: Wenn denn schon getötet werden muß, wen sollte man dann töten? Den Soldaten, den Gotteskrieger, den "Terroristen"? Oder irgendwelche Leute, die gerade zufällig in einem Haus in Bagdad oder einer U-Bahn in London zusammensitzen? Oder doch eher die Anführer, jene, die hinter dem Soldaten, dem Gotteskrieger, dem Terroristen stecken?

Ich mein, an die Anführer kommt man normalerweise nur sehr, sehr schwer ran, klar. Wenn aber... Sollte man sich dann wirklich Gedanken drüber machen, ob ihre Tötung eventuell Mord ist, während man gleichzeitig die Tötung der von diesen Anführern geschickten Leute als normale Kriegsfolgen in eine Statistik einträgt?

Wen denn, wenn nicht Bin Laden hätte man töten sollen? Den begehrten Titel "Schmusebär des Jahres" hätte Bin Laden sowieso nicht bekommen, auch im Jahr seines Hinscheidens nicht.

Wenn ich - es wird nie dazu kommen, klar, aber machen wir halt ein Gedankenexperiment - ...wenn ich also eine MP in die Hand gedrückt bekäme und man mich unter Androhung schwerster Übel vor die Alternative stellte, entweder einen iranischen [1] Gotteskrieger, Ali Irgendwerpur etwa, zu erschießen oder die gesamte iranische Regierung samt angeschlossener Höherer Geistlichkeit - glaubt einer im Ernst, ich würde auch nur einen Moment lang darüber grübeln, welche der beiden Alternativen die sinnvollere wäre? Ich würde darüber grübeln, ob es überhaupt sinnvoll ist, eine der mir gestellten Alternativen zu wählen, ob es nicht eine Zumutung ist, mir überhaupt das Töten zu befehlen. Ich würde also grübeln, ob es nicht vielmehr erheblich sinnvoller wäre, den zu erschießen, der mir die MP in die Hand gedrückt hat. Aber wenn denn wirklich nur die Wahl bliebe zwischen den beiden Alternativen... Natürlich ist es sinnvoller und ethisch vertretbarer, einen General zu erschießen statt eines normalen Rekruten und es ist nochmal sinnvoller und ethisch vertretbarer, den Oberbefehlshaber des Generals zu erschießen als den General.

Nein?

Es sage jetzt keiner, die Tötung Bin Ladens wäre keine Kriegshandlung gewesen sondern eine zivile Tötung: Erschlägst du mich, erschieß ich dich. Der so oft durch die Medien gehechelte Terrorismus ist doch nicht eine Sache von Serienmördern, die einfach Vergnügen daran finden, Leute - und möglichst viele davon - zu töten. Der Terrorismus ist vielmehr der Krieg des Kleinen Mannes, zunehmend auch der kleinen Frau. Wer nicht das Geld und die Infrastruktur hat, Flugzeuge oder Raketen loszuschicken, um eine Stadt zu bombardieren, der ist gezwungen, die Bombe von Hand in die Stadt zu tragen und sie dort zu zünden.

Machen wir uns nichts vor, der Dritte Weltkrieg ist längst im Gange. Während des Zweiten Golfkriegs sah ich im Fernsehen ein Videos, das den Flug einer Lenkrakete zeigte, aus dem Inneren der Rakete gefilmt. Die Rakete nahm Kurs auf irgend ein Ministerium in Bagdad, sie steuerte auf den offenen Lichtschacht des Hochhauses zu und explodierte dann im Lichtschacht. Das war der erste Turm der Drillingstürme, ohne es zu wissen gehe ich davon aus, daß mindestens 3000 Menschen dabei um's Leben kamen.

Die Tötung Bin Ladens war keine Exekution sondern ein gezielter kriegerischer Akt. Der Tod Bin Ladens ist nicht beweinens- und verurteilungswerter (eher weniger!) als die Vernichtung irgendeines Kriegstoten.

Generell gilt meines Erachtens: Es gäbe viel weniger und viel kürzere Kriege, wenn die Wahrscheinlichkeit, in einem Krieg getötet zu werden umso höher wäre, je höher jemand in seinem Rang in der Kriegsmaschinerie steht.



[1]   Wem "iranisch" nicht gefällt, aus welchen Gründen immer, der setze getrost irgendeinen anderen Ländernamen ein.

Montag, 7. November 2022

Abschieben, und zwar sofort!

Wenn ich das richtig sehe, dann ist "Sofort abschieben!" die absolut geilste Sau, die derzeit durch das "Fisch und Fleisch"-Dorf getrieben wird. Schwer- und Schwerstkriminelle sind dabei das Allermindeste, das man unverzüglich ab nach Hause schicken sollte.

"Abschieben, und zwar sofort!" Das ist einer der sinn- und gedankenlos hingeschlunzten Sätze, welche die Diskussion mit den selbstgerechten Leuten so unerfreulich machen. Ich möcht's ja mal in echt erleben, wie die rechte Abschiebeszene schäumt, weil ein - sagen wir mal: afghanischer - Mörder statt für 15 bis 25 Jahre in's Zuchthaus zu gehen in's Fluchzeuch gesetzt wird und heim zu Mami gebracht wird. Passieren wird ihm in Afghanistan nicht viel, denn die eifrigen "Fisch und Fleisch"-Leser wissen es längst: Das sind keine Leute, die vor politischer Verfolgung fliehen, die wollen hier nur in die soziale Hängematte oder der Heimatstaat hat sie gar als Agenten nach Europa geschickt, damit sie Europa so richtig ordentlich instabil machen.

Wie viel Scheisendreck muß man einem Menschen wie lange in's Hirn geblasen haben, bis er soweit ist, die Entlassung eines Mörders in die Freiheit zu fordern? Gegen diese "Abschiebung sofort" quakenden Kuscheljuristen sind die Gutmenschen doch knallharte Rimbauds [1].

Hl. Muttergottes von Tschenstochau!



[1]   Oder schreibt man doch "Rambos"?

Montag, 31. Oktober 2022

Kinderleicht

Wenn etwas ganz furchtbar wahnsinnig einfach ist, dann nennt man dieses gerne "kinderleicht".

Wir hatten damals zuhause ein Kochbuch für Kinder mit dem Titel "Kin­der­leich­te Kochrezepte für kleine Leute".

Eigentlich eine Beleidigung, dieses Wort, wenn es auf Kinder angewandt oder in Gegenwart von Kindern gebraucht wird. Es bedeutet dann ja nichts anderes als: Das ist so leicht, das können sogar wir Deppen!

Bei meinen Kindern habe ich es erlebt, wie sie früher in der Schule Sachen, die sie als sehr einfach empfanden "babyleicht" oder einfach nur "baby" nannten.

Klar: kinderleicht konnte es ja nicht sein, für sie als Kinder.

Cappuccino und Pizza

In der Süddeutschen Zeitung vom 05.12.98 hatte ich einen Artikel über die italienische Bar gelesen und eingescannt. Das Wort "Cappuccino" kam in dem Artikel zweimal vor, einmal in der eben zitierten Schreibweise, ein anderes mal als "Capuccino". Wie das so ist: Wenn man erst mal über so was nachdenkt, weiß man mit einem Male das Selbstverständlichste nicht mehr. Also habe ich in Wahrigs "Wörterbuch der Deutschen Sprache" nachgeschaut, wie man das Wort nun wirklich schreibt. Zu meiner Verblüffung mußte ich feststellen, daß - in der Ausgabe von Mitte der 80er Jahre - dieses Wort dort noch nicht verzeichnet war.

Völlig abseitige Wörter sind im Wahrig drin, aber Cappuccino nicht. Gab es in den Achtzigern in Deutschland tatsächlich noch keinen Cappuccino?

Ich weiß noch, wie Anfang der sechziger Jahre in der Fernsehshow "Hotel Victoria" Vico Torriani ein gesungenes (!) Pizzarezept vorstellte und dabei erst mal den Zuschauern das Wort "Pizza" erläutern mußte.

Heute ist Pizza neben Döner das deutsche Nationalgericht.

Katze inne Kuhle

1994 hatten wir Urlaub in Silvi Marina gemacht, Region Abruzzen, im Hotel "Abruzzo Marina".

Eines Tages sitzen wir in einem Aufenthaltsraum, außer uns sind nur noch zwei oder drei italienische Kinder anwesend, vielleicht sieben oder acht Jahre alt und nach der Dialektfärbung vermutlich Neapolitaner (Es waren damals im Hotel relativ viele Neapolitaner). Sie sprachen ständig etwas, das sich für uns, die wir damals allesamt noch kaum italienisch sprachen (meine Frau konnte es damals schon ein bißchen, aber eben nur ein bißchen), wie "Katze inne Kuhle" anhörte. Dabei warfen sie immer wieder kichernd interessierte Blicke in unsere Richtung, ob wir darauf irgendwie reagieren würden. Wir interpretierten dies so, daß sie uns wohl als Deutsche identifiziert hatten, daß sie irgendwann einen deutschen Satz aufgeschnappt hatten, in dem von einer Katze in einer Kuhle (oder was immer) die Rede war.

Erst Jahre später hatten wir, nachdem wir erstmals in Paestum, dann in Castellabate, beides in Campanien, Urlaub gemacht hatten, mitbekommen, daß im neapolitanischen Dialekt Substantivendungen auf "o" oder auch auf "a" wie "e" ausgesprochen werden. Auch hatten wir inzwischen mitbekommen, daß cazzo im Italienischen soviel heißt wie "Dreck", "Scheiße", "Mist", "Unfug", aber auch: "Schwanz". Und culo heißt nichts anderes als "Arsch".

"Katze inne Kuhle" müßte man also cazze in cule schreiben, auf Italienisch cazzo in culo. Und dann wird klar, warum die neapolitanischen Kinder immer wieder interessiert und kichernd in unsere Richtung schauten - und vermutlich wahnsinnig enttäuscht waren, daß wir so gar nicht auf diese Provokation reagierten. Scheiß-Ausländer halt.

Donnerstag, 27. Oktober 2022

Eyecatcher

Als ich noch der Waldbauernbub war haben die Lehrlinge meines Vaters gerne mal ein Auge auf mich geworfen. Wenn Schlachttag war lungerten wir, meine Freunde und ich, gerne vor dem Schlachthaus rum. Die Luft da drin war dampfig, die Tür stand deshalb offen und wir waren fasziniert vom Vorgang des Schlachtens. Lehrling und Geselle versuchten, uns wegzuscheuchen, das wär noch nix für uns, aber das hat die Sache natürlich erst recht interessant gemacht. Schließlich nahm einer der beiden ein oder zwei Augen eines frischgeschlachteten Schweines und warf die Glibberdinger nach uns.

So war das damals.

Warum Rächtschraibfeler eine Umpferschemtheid sin

Von der Höflichkeit der Rechtschreibung

Was gerne übersehen wird: Rechtschreibung ist eine Form von Höflichkeit. wia lesn nich buchschtam, sondern gantse wöater oder gar saztaile. di könn'n wir schnell und raibungslos nur dann identifitsieren, wenn die schraibung noamiert is.

Bei den Satzzeichen ist die Rechtschreibung manchmal fast noch wichtiger. Vor vielen Jahren, es war kurz nach Schulbeginn, war ich mit meinen beiden Söhnen gerade im Ort unterwegs, als mein Ältester (er war damals 8 Jahre alt) plötzlich lachte und rief: "Und bei rot soll man den Kindern kein Vorbild sein?"
Irritiert fragte ich nach, was seine Bemerkung bedeuten solle und Sebastian zeigte auf ein Schild, das an der Fußgängerampel hing. Ich begriff immer noch nicht (bei Erwachsenen dauert das etwas länger), bis ich das Schild ein zweites Mal las und dann machte es "klick": Sebastian hatte recht.

Auf dem Schild stand tatsächlich: "Nur bei GRÜN den Kindern ein Vorbild." Nach den Regeln deutscher Grammatik und Zeichensetzung konnte dies nur heißen, daß man entschieden davon abriet, auch bei Rot ein Vorbild für die Kinder zu sein.


Was ein anders gesetztes Satzzeichen alles an Bedeutungsveränderung bewirken kann, dafür hat Brecht mal ein schönes Beispiel gegeben:
* Der Mensch denkt, Gott lenkt.
* Der Mensch denkt: Gott lenkt.

Montag, 24. Oktober 2022

Sunset to go

Vor etlichen Jahren haben wir mal einen Ausflug durch den gebirgigen Cilento gemacht. Prächtiges Schauspiel, wie die Sonne hinter einem der hohen Berge verschwindet und untergeht. Dann fährst du weiter, biegst ums Eck und die Sonne steht wieder vor dir, relativ hoch über dem Horizont. Noch ein Stück weiter und du siehst erneut, wie die Sonne hinter einem Berg verschwindet. Und wieder eine Weile später ist sie wieder da und lacht dich an (oder aus). Das geht dann noch etliche Male so weiter, bis endlich eine Ruhe, das heißt eine Dunkle ist.

So was ist doch nicht seriös.

Sunset-to-go, aus dem Konzept ließe sich ein Geschäftsmodell entwickeln, wenn man geschäftstüchtig wäre.

Was lange gärt wird endlich Wut

Der Franze hat gsagt, ihm wär inzwischen sowieso alles wurscht. Weil, sagt er, wenns ihm nicht wurscht wär, müßt er alles z'ammhaun vor Wut.

Sonntag, 23. Oktober 2022

Die Verwüstung von Saharabien

Die Sahara und die arabische Halbinsel - les ich grad im Internet - waren früher mal grüne Idüllen, ähnlich dem heutigen Irrland. Es gab viele Kamele und Dromedare dort und die fehlenden Tiere importierte man aus - woher sonst? - Rußland. Die Tiere fraßen das überreichlich vorhandene Gras und kackten wie die Weltmeister. Wo die Scheiße hinfiel wuchs kein Gras mehr und so zerstörten die Dromedare ihre eigene Lebensgrundlage und verhungerten jämmerlich. Der entstehende Geruchsteppich aus Dromedardung und Kamelkadavern machte die Wüste nahezu unbewohnbar für den Menschen. Es wurde viel geweint, damals.

Montag, 17. Oktober 2022

Impf 149 Orthodoxe Paradoxie

Wer glaubt schon an Fallschirme

Impf 148 Die Länder dahinten im Osten

Vom Ärgernis der wundersamen Staatenvermehrung

Impf 147 Der Pelz aus Astrachan

Ich bin so stolz, ich bin so schan

Impf 146 Die Philosophie der Skepsis

Philosophie und merkwürdige Geräusche

Impf 145 Franz Kafka, Max Brod und ich

Die Kafka-Verschwörung - Wir tun so, als hätte ich dir verboten, meine literarischen Arbeiten zu veröffentlichen

Impf 143 Literatur und Stuhlgang

 Es ist nicht wurscht, mit wasch du dir den Ars abwißt

Impf 144 Die Österreicher und die engelländische Sprach

Ein Dschuus im Corner

Donnerstag, 13. Oktober 2022

Franz Kafka, Max Brod und ich

Seit vielen Jahrzehnten schon versuche ich mit einigem Aufwand, irgendwas Geschriebenes von mir einem Verlag, einem Theater oder einer Zeitschrift anzudrehen. Vergeblich. Aber dafür gibt's ja inzwischen meine Website und meinen Blog, auch wenn das so sinnlos ist wie nur irgendwas.

Ich mein, ich könnte ja einen Freund oder Verwandten feierlich verpflichten, nach meinem Tode alle meine auf Papier oder Festplatte festgehaltenen Texte zu verbrennen beziehungsweise zu löschen, aber diesen Trick haben vor hundert Jahren Franz Kafka und Max Brod erfunden und erfolgreich durchgezogen. Ein zweites Mal wird so ein Schabernack nicht mehr funktionieren, fürchte ich.

Ich argwöhne nämlich daß die Anweisung, seinen Nachlaß zu verbrennen, eine abgekartete Sache zwischen Kafka und Brod war. Ein Marketing-Gag des todgeweihten Kafka, ein letzter Schelmenstreich. Zu Lebzeiten war Kafka so gut wie unbekannt, durch Max Brods posthume Herausgabe seiner Werke wurde er schnell zum Weltstar und ist es bis heute geblieben. Er wäre es womöglich nie geworden, wenn Brod diese romantische Geschichte mit dem Feierlichen Versprechen und seinem Bruch dieses Versprechens nicht erzählt hätte. Oder haben Sie je wirklich geglaubt, daß Brod ohne zwingende Not von seinem Verrat am Freund erzählt hätte, wenn er diesen Verrat tatsächlich begangen hätte, gegen den ausdrücklichen Willen Kafkas?

Kafka hat zwei testamentarische Verfügungen seinen literarischen Nachlaß betreffemd hinterlassen, die erste wahrscheinlich Ende 1921, die zweite vom 29. November 1922, in Form eines Briefes an Max Brod [1]. Der Brief wurde angeblich nie abgeschickt, Brod fand ihn nach dem Tod des Freundes unter dessen Papieren. Es ist, so lese ich, wenig bekannt, daß ausgerechnet die beiden ›Testamente‹ selbst die ersten Texte sind, die Brod nach dem Tod Kafkas am 3. Juni 1923 aus dessen Nachlaß veröffentlichte (in der Weltbühne am 17. Juli 1924). Also erst der Publicity-Gag, dann erst die literarischen Texte. Nachtigall, ick hör dir trappsen.



[1]     Lieber Max, vielleicht stehe ich diesmal doch nicht mehr auf, das Kommen der Lungenentzündung ist nach dem Monat Lungenfieber genug wahrscheinlich und nicht einmal dass ich es niederschreibe wird sie abwehren, trotzdem es eine gewisse Macht hat.

Für diesen Fall also mein letzter Wille hinsichtlich alles von mir Geschriebenem:

Von allem was ich geschrieben habe gelten nur die Bücher: Urteil, Heizer, Verwandlung, Strafkolonie, Landarzt und die Erzählung: Hungerkünstler. (Die paar Exemplare der »Betrachtung« mögen bleiben, ich will niemandem die Mühe des Einstampfens machen, aber neu gedruckt darf nichts daraus werden). Wenn ich sage, dass jene 5 Bücher und die Erzählung gelten, so meine ich damit nicht, dass ich den Wunsch habe, sie mögen neu gedruckt und künftigen Zeiten überliefert werden, im Gegenteil, sollten sie ganz verloren gehn, entspricht dieses meinem eigentlichen Wunsch. Nur hindere ich, da sie schon einmal da sind, niemanden daran, sie zu erhalten, wenn er dazu Lust hat.

Dagegen ist alles, was sonst an Geschriebenem von mir vorliegt (in Zeitschriften Gedrucktes, im Manuskript oder in Briefen) ausnahmslos soweit es erreichbar oder durch Bitten von den Adressaten zu erhalten ist (die meisten Adressaten kennst Du ja, in der Hauptsache handelt es sich um Frau Felice M, Frau Julie geb. Wohryzek und Frau Milena Pollak, vergiss besonders nicht paar Hefte, die Frau Pollak hat) — alles dieses ist ausnahmslos am liebsten ungelesen (doch wehre ich Dir nicht hineinzuschauen, am liebsten wäre es mir allerdings wenn Du es nicht tust, jedenfalls aber darf niemand anderer hineinschauen) — alles dieses ist ausnahmslos zu verbrennen und dies möglichst bald zu tun bitte ich Dich

Franz

Bei Hitler wär das nicht passiert

Daß die Welt früher besser geordnet war als sie dies heute ist, ist ein running gag in der rechten Publizistik und in der nicht minder rechten Stammtisch-Rhetorik. Die Kuscheljustiz unserer Tage traut sich nicht mehr, angemessen hart und entschlossen gegen Rechtsbrecher vorzugehen, weshalb die Kriminalität jedes Jahr ein Stück mehr zunimmt [1]. Früher dagegen, als Adolf Hitler noch über die Erde wandelte, konnte eine deutsche Frau auch nachts noch angstfrei durch eine deutsche Stadt spazieren.

Als Anschauungsmaterial werden uns von den Zeitungen und sonstigen Medien die verschiedensten Verbrechen zum Frühstück und jeder sonstigen Mahlzeit serviert.

Auszug aus verschiedenen Polizeiberichten einer einzigen Woche:

- Eine Stenotypistin wird von zwei Jugendlichen im Alter von 12 und 15 Jahren überfallen und zu Boden geworfen. Während der eine ihr den Mund zuhält und unter die Kleider greift, entwendete der andere ihr die Geldbörse.

- Wegen Raubmordes wird der noch nicht 16jährige Kurt D. festgenommen. Er war in ein Juweliergeschäft eingedrungen hatte drei Schüsse auf den Inhaber D. ab. D. hatte sich bis vor kurzem noch wegen Autodiebstahls in Haft befunden.

- Ein 18jähriger Hüttenarbeiter wird wegen Exhibitionismus in zehn Fällen festgenommen.

- Die 18jährige Liselotte M. verübt einen Einbruch und verletzt dabei zwei schlafende Mädchen durch Schläge mit einem Eisenhammer auf den Kopf schwer.

- Wegen Autodiebstahls werden ein 17jähriger Kraftfahrer und ein 17jähriger Messejunge festgenommen. Sie hatten zusammen in den letzten Wochen davor zwölf Autos gestohlen. In sechs Fällen haben sie die Wagen zu Diebstählen aus Zigarettenautomaten benutzt. Sie knackten die Automaten im Schutz des Motorengeräusches.

- Wegen Raubes werden der 17jährige Klempnerlehrling O. und der 15jährige Zeich­nerlehrling F. festgenommen. Sie hatten den Arbeiter August W. auf der Straße überfallen und ihm sein Geld entwendet.

- Wegen Autodiebstahls in 25 Fällen erfolgt die Festnahme von zwei 18jährigen kaufmännischen Lehrlingen.

- Wegen Sittlichkeitsverbrechen wird der 16jährige Bäckerlehrling Walbrecht H. festgenommen. Er hatte mit der vierjährigen Tochter seines Lehrherrn unzüchtige Handlungen vorgenommen. Sechs Jahre zuvor hatte er die gleiche Tat mit seiner gleichaltrigen Kusine begangen.

- Wegen Raubes wird der 15jährige Wilhelm S. festgenommen. Er war in ein Geschäft geschlichen, hatte dem Inhaber mit einem Stock auf den Kopf geschlagen und hatte dann dessen Geld geraubt.

Die üblichen Märchen

Soweit die Polizeiberichte. Wer jetzt nach dem starken Mann ruft und meint: "Bei Hitler hat's solche Zustände nicht gegeben! Der hat wenigstens mit dem kriminellen Gesindel aufgeräumt", ist dem weitverbreiteten Volksglauben von der Guten Alten Nazizeit (GAZ) bereits aufgesessen. Die zitierten Fälle stammen alle aus der Woche vom 3. bis 10. Februar 1939, und sie stellen auch nur eine kleine Auswahl von Straftaten Jugendlicher dar. In einem Bericht der "Reichsjugendführung" heißt es dazu: "...betont werden muß, daß jede andere Woche der Jahre 1938 oder 1939 ein ähnliches Bild zeigt. Es handelt sich dabei nur um die täglichen Sondermeldungen der Kriminalpolizei, nicht um alle Fälle dieser Art."

Trotzdem hält sich hartnäckig die Auffassung, daß durch die drakonischen Strafverschärfungen in der NS-Zeit die Kriminalität erheblich reduziert hätte werden können. Das ist nichts anderes als die Fortführung der nationalsozialistischen Propaganda, wie sie zum Beispiel die Berliner Morgenpost 1936 über "Drei Jahre nationalsozialistische Polizeiarbeit" formulierte: "Seit dem Januar 1933 ist die Kriminalität in allen deutschen Gauen infolge zielbewußter nationalsozialistischer Polizeiarbeit im ständigen Absinken begriffen." Selbst die Wissenschaft hielt jahrzehntelang an dieser Legende fest. So schrieb Henry Picker 1976 in seinem Buch "Hitlers Tischgespräche": "Die Wirkung von Hitlers rabiaten Justizmethoden war erstaunlich: Die Zahl der Gewaltdelikte wie Raub und räuberische Erpressung sank schon von 1932 bis 1935 um fast zwei Drittel, die der Tötungsdelikte um knapp ein Drittel, die der Diebstähle um 36 Prozent und die der Betrügereien um 25 Prozent. Besonders kraß sank die Jugendkriminalität." Soweit die üblichen Märchen.

Die im Bundesarchiv in Potsdam lagernden Akten des Reichsjustizministeriums sprechen eine ganz andere Sprache. Hier finden sich ellenlange Berichte über den stetigen Anstieg der Kriminalität, Protokolle über Ministerkonferenzen, in denen das drastische Anwachsen der Jugendkriminalität beklagt wird und jede Menge Statistiken. Es ist - wie das häufig so ist - schwierig, die verschiedenen Statistiken zu vergleichen, da die Bezugsgrößen mehrmals wechseln. So wurden etwa von 1939 an teilweise die eroberten Gebiete mitgezählt, neue Strafbestimmungen kamen hinzu, ganze Bevölkerungsgruppen fielen plötzlich wieder aus der Berechnung... Aber die Zahlen zeigen eindeutige Entwicklungen. Sie waren teilweise so vernichtend für die Machthaber des Dritten Reiches und ihre Rechtspraxis, daß der Staatssekretär im Justizministerium, der später als Präsident des Volksgerichtshofs berüchtigte Roland Freisler, 1942 anordnete, daß "während der Dauer des Krieges vor allem wegen der Zunahme der Kriminalität der Jugendlichen und der weiblichen Personen von einer Veröffentlichung der kriminalistischen Ergebnisse abgesehen" werden muß. In geheimen Berichten wurde festgehalten, was offiziell nicht an die Öffentlichkeit dringen sollte, meist versehen mit dem Stempel "Verschlossen zu verwahren. Nur für den Dienstgebrauch bestimmt. Veröffentlichung nicht gestattet."

Die Taten freilich wurden nicht heimlich und unter Ausschluß der Öffentlichkeit begangen. Fast täglich unterrichteten die regionalen Zeitungen ihre Leser über Sittlichkeitsverbrechen, Diebstähle, Raub und Betrug, Mord und Brandstiftung. So berichtete das Frankfurter Volksblatt. Amtliches Organ der NSDAP für den Gau Hessen-Nassau regelmäßig auf Seite 3 über Verbrechen und Urteile.

Die Meldungen waren bei weitem nicht so reißerisch wie heute, doch machte der Reichsjustizminister 1940 die Presse für das Ansteigen etwa der Jugendkriminalität mitverantwortlich: "In Einzelfällen haben sich auch die Art und Form von Berichten in den verschiedensten Zeitungen und Zeitschriften über Sexualverbrechen und andere Kapitalverbrechen (z.B. Autofallensteller) ungünstig auf die Jugendlichen ausgewirkt."

Eine besondere Plage waren die sogenannten Autofallensteller. Man streut Dreizackkrampen auf die nächtliche Straße, das nächste Fahrzeug fährt drüber, die Reifen sind zerfetzt. Dann wird der Autofahrer beraubt oder gar ermordet. Trotz der 1938 rückwirkend zum 1. Januar 1936 in Kraft gesetzten Todesstrafe auf dieses Delikt nahm die Zahl der Autofallen nicht ab. Ein Amtsgerichtsrat stellte vielmehr resigniert fest: "Jedoch mußte auffallen, daß nach Erlaß des Autofallengesetzes die von ihm betroffenen Verbrechen nicht abnahmen, sondern nahezu wie die Pilze jetzt erst recht aus dem Boden schossen und daß insbesondere Jugendliche daran beteiligt waren, wodurch der Zweck des Gesetzes geradezu ad absurdum geführt schien. Es war, als hätte jedes vollstreckte Todesurteil die Saat zum nächsten gleichen Verbrechen gestreut, statt es im Keim zu ersticken." So ist das mit der Abschreckung durch verschärfte Strafen. Noch im 18. Jahrhundert wurden in London Taschendiebe öffentlich gehängt. Ein beliebtes Spektakel, ein Fest für Taschendiebe. Während das Publikum zusah und also abgelenkt war, zogen die Kollegen des Erhängten den Leuten die Beutel aus der Tasche.

Viele jugendliche Fallensteller wurden hingerichtet. Sogar für minderjährige Handtaschendiebe verlangte Adolf Hitler am 21. Mai 1942 generell die Todesstrafe, um dieser "Seuche" Einhalt zu gebieten. Und nicht selten griff er in die Gerichtsverfahren direkt ein, wenn seinem oder dem "gesunden Volksempfinden" nach zu geringe Strafen verhängt wurden. Und dies, obwohl die Todesstrafe ohnehin schon in einem kaum vorstellbaren Maße durch die Gerichte verhängt wurde. Zwischen 1933 und 1945 wurden weit mehr als 12 000 in Strafprozessen verhängte Todesurteile vollstreckt! Die Militärgerichte verurteilten von 1939 bis 1945 weitere 40 000 bis 50 000 Menschen zum Tode.

Massentötungen, ganz legal

Ermöglicht wurde diese legale Massentötung durch eine inflationäre Ausweitung der Strafbestimmungen. Gab es vor 1933 ganze drei Tatbestände, bei denen die Todesstrafe verhängt werden konnte, waren es in den Jahren 1943/44 bei den zivilen Gerichten nicht weniger als 46 Delikte, bei denen "legal" zum Tod verurteilt werden konnte. Trotz Abschreckung durch Todesstrafe und Massenverhaftungen ging das Morden, Rauben, Stehlen weiter. 1942 mußte der Chef der Sicherheitspolizei einräumen, daß der zeitweise Rückgang der Straftaten insgesamt auf weniger schwere Delikte wie Betrug zurückzuführen sei, "während die Tötungs- und Raubdelikte, der schwere Diebstahl und die Brandstiftung gegenüber 1939 zugenommen haben".

Auch die Verurteilungen stiegen in manchen Bereichen drastisch an. Wegen Mordes wurden beispielsweise 1932 nur 100 Menschen verurteilt. 1934 waren es 319 und 1937 immer noch 179. 1942 gar mußte der Justizminister seinem obersten Gerichtsherrn melden, daß die "Plünderung von Güterwagen der Reichsbahn... trotz schwerster Bestrafungen besorgniserregend" zunehmen. "In dieses Verfahren sind soviel Bahnangestellte verwickelt, daß die erforderlichen Verhaftungen beschränkt werden müssen, weil sonst der Bahnbetrieb gefährdet würde."

Peinliche Hiobsbotschaften, nachdem man doch noch 1940 dem "Führer" melden konnte, daß die Straftaten erfreulich zurückgegangen seien. Daß während des Krieges zumindest die statistisch erfaßbare Gesamtkriminalität abnahm, ist relativ leicht verständlich. Einmal machte sich bemerkbar, daß in Kriegszeiten die "kriminelle Reizbarkeit" abnimmt, das heißt, daß man nicht mehr wegen jeder Kleinigkeit zur Polizei läuft. Zum anderen wirkte sich die Einberufung von Richtern, Staatsanwälten, Polizisten auf die "Verfolgungsintensität" aus, so daß "die Kriminalitätsziffern wohl meist erheblich niedriger erscheinen, als es der wahren Kriminalität entspricht", wie es in einer internen Studie des Justizministeriums heißt.

Das aber ist nur ein Teil der Wahrheit: Von 1943 an wurden auch die polizeilichen Kriminalstatistiken ungenau, da Akten durch Kriegseinwirkung verloren gingen, bei Straftaten in den eroberten Gebieten "gegen feindliche Zivilpersonen" bestand laut einer Anweisung Hitlers "kein Verfolgungszwang", und in den Statistiken fehlten natürlich auch die Taten strafunmündiger Bürger, also Jugendlicher und Kinder unter vierzehn Jahren. Im ersten Halbjahr 1940 betrug dieser Anteil immerhin 33 Prozent aller von Jugendlichen begangenen Straftaten. 

Die Zahlen über die Jugendkriminalität lösten bei den Machthabern des Dritten Reiches Großalarm aus. Ministerkonferenzen wurden von Göring, Himmler und dem Justizminister einberufen, Referate ausgearbeitet, neue Strafen erfunden, Gesetze eingebracht - jedoch alle, selbst die schärfsten Maßnahmen wie Jugend-KZ halfen nichts: die Zahlen stiegen. 1941 brachte die "Reichsjugendführung" eine Broschüre mit dem Titel Kriminalität und Gefährdung der Jugend heraus. Was da zusammengestellt wurde, war so deprimierend, daß der Bericht als "Streng vertraulich! Nur für den Dienstgebrauch!" deklariert wurde. Der "Lagebericht bis zum Stande vom 1. Januar 1941" verdeutlicht auf 228 Seiten recht drastisch, daß die Kriminalität auch im Dritten Reich nicht "ausgerottet" wurde. Im Gegenteil. Trotz starker Hand, diktatorischer Strenge, Sondergerichten und Todesstrafe stieg zum Beispiel der Anteil jugendlicher Straftäter (im Verhältnis zu der Gesamtzahl der Verurteilten) von 3,8 Prozent im Jahr 1932 auf 7,3 Prozent im ersten Halbjahr 1940. Allein in diesen sechs Monaten verzeichnete die Kriminalstatistik der Reichsjugendführung 17 173 Straftaten Jugendlicher, fast zwei Drittel davon wurden von Angehörigen der HJ, des BDM oder Jungvolkes begangen.

Eine Untersuchung über Jugendkriminalität in elf Großstädten zeigte, daß verschiedene schwere Delikte nach 1936 sprunghaft angestiegen waren, bei Totschlägen zum Beispiel von vier im Jahr 1932 auf 35 im Jahre 1938. Bei Mord, Körperverletzung, Raub, Diebstahl, Unterschlagung blieben die Zahlen fast gleich oder verringerten sich nur unwesentlich.

Die Propaganda wirkt weiter

Während im Jahre 1937 im Deutschen Reich 24.562 Jugendliche verurteilt wurden, waren es 1941 (umgerechnet auf das gleiche Gebiet) bereits 37.853, ein Anstieg um 54 Prozent. Das Justizministerium schrieb 1941: Diese hohe Zahl ist "seit 1925 nicht mehr erreicht worden. Ihren höchsten Stand erreichte die Jugendkriminalität 1928 mit 27.105 Verurteilungen". Und das trotz Hitlerjugend, strammer Disziplin und totaler Reglementierung. 1942, ein Jahr später, war die Zahl der verurteilten Jugendlichen weiter auf 52.426 gestiegen, knapp ein Fünftel aller Verurteilungen überhaupt. Rund drei Viertel der Bestrafungen machten Diebstahl, Betrug, Hehlerei und Unterschlagung aus. Von der lautstark propagierten "Zucht und Ordnung" also keine Spur. Eine interne Studie über Jugendkriminalität während des Krieges hielt am Schluß zudem fest, "daß die kriminell aktivsten Altersklassen, nämlich die 16, insbesondere die 17jährigen" vielfach dem Reichsarbeitsdienst angehören und daher nur zum Teil vor den ordentlichen Gerichten zur Aburteilung gelangen". Insgesamt muß die Gesamt-Jugendkriminalität also erheblich höher angesetzt werden.

Selbst die inzwischen schon sprichwörtliche Behauptung, daß Frauen damals wenigstens unbehelligt nachts auf die Straße gehen konnten, ist nur Propaganda. Obwohl gerade bei Vergewaltigung und Sexualdelikten eine sehr hohe Dunkelziffer anzusetzen ist, verzeichneten die Jugendgerichte in elf deutschen Großstädten eine Steigerung auf das Sechsfache: 109 Delikte 1932 gegenüber 655 im Jahre 1938. Im ersten Halbjahr 1940 wurden der Reichsjugendführung aus dem gesamten Reich 1259 Sexualdelikte gemeldet. Die Vergehen gegen den § 175 (Homosexualität) sind hier nicht mitgerechnet. Sie wurden extra angegeben mit 1467 Fällen. Wohlgemerkt: diese Zahlen betreffen nur die Jugendlichen!

Die Gesamtzahlen liegen jedoch deutlich höher, wie die Statistiken belegen. Sie waren für die Machthaber des Dritten Reiches so peinlich, daß sie diese selbst noch in ihren vertraulichen und geheimen Berichten beschönigten und fälschten. In dem Bericht der HJ-Führung über "Erwachsene Jugendverführer" wurden zum Beispiel mit einem Taschenspielertrick die Angaben nach unten korrigiert: Man hat, um den "niederschmetternden Eindruck der vorhandenen Zahlen" abzumildern, nur die aufgeklärten Fälle (32.760) angeführt. Die interne Statistik weist dagegen 48.613 Taten auf.

Soweit die Fakten abseits der Propagandaklischees des NS-Staates. Und nicht zu vergessen: daß die Ermordung von mißliebigen Personen und ganzen Bevölkerungsgruppen, der Raub ihres Vermögens, die brutalen Überfälle etwa beim Novemberpogrom 1938 jede normale Kriminalitätsstatistik ganz erheblich hätte anschwellen lassen. Nicht so im "Dritten Reich". Der staatlich sanktionierte Terror des verbrecherischen Systems wurde von keiner Statistik erfaßt.

Sicher, die normale Alltags-Kriminalität ging damals etwas zurück und war auch nicht jedes Jahr gleich hoch. Aber sie sank doch nicht deutlich genug, als daß man von einem Erfolg sprechen könnte. Der Anstieg ausgerechnet von Teilen der Gewaltkriminalität und der Sexualdelikte unter einem diktatorischen Regime mit drakonischen Strafmaßnahmen sollte dagegen zu denken geben.

Der Ruf nach dem starken Mann oder die Todesstrafe sind offensichtlich doch kein Allheilmittel zur Bekämpfung der Kriminalität. Dies erkannte sogar die HJ-Führung im Schlußwort ihrer Broschüre von 1941, wenn sie schrieb: "Der größte Teil der Kriminalitäts- und Verwahrlosungserscheinungen innerhalb der Jugend ist letzten Endes auf innere Krankheitsherde des Gesamtvolkes zurückzuführen ... Es geht nicht an, negative Erscheinungen in der Jugend allein als Angelegenheit der Jugend selbst zu betrachten. Die Jugend ist nicht nur die Zukunft des Volkes, sondern auch der Spiegel seiner sittlichen Haltung."

 

Dieser Blogbeitrag fußt zum Großteil auf einem Artikel von Michael Hepp in der Wochenendbeilage der Süddeutschen Zeitung vom 26./27. September 1998. Diese Teile sind so wesentlich, daß es den Lesefluß unangenehm beeinträchtigt hätte, hätte ich jedes Mal das inhaltliche oder gar wörtliche Zitat von Michael Hepp markiert.

Als Student habe ich eine Seminararbeit über das Buch "Die Struktur  wissenschaftlicher  Revolutionen" von Thomas S.  Kuhn geschrieben. Die Seminararbeit bestand weitgehend aus Textcollagen aus dem Buch selbst,  ohne daß diese Zitate besonders gekennzeichnet gewesen wären. "Dies deshalb", so schrieb ich damals, "weil es meines Erachtens sinnlose Arbeit ist, einen leichtverständlichen Text in einen  leichtverständlichen Text umzuformulieren. Meine Arbeit bestand im Wesentlichen darin, diese verstreuten Textstellen so zusammenzufassen, daß sie auch im knappen Rahmen dieser Seminararbeit verständlich bleiben."

 



[1]   Das stimmt zwar nicht, die Kriminalität, insonderheit die Gewaltkriminalität nimmt kontinuierlich ab, aber das sind Kleinigkeiten, von denen man sich nicht beirren lassen sollte.